Eine Auseinandersetzung mit den Autonomen Gruppen und Clandestino über die Organisierung militanter Gruppenstrukturen
In dem folgenden Text befassen wir uns mit dem Papier „Tote tragen keine Karos“ von den Autonomen Gruppen (vgl. Interim Nr. 549, 1. Mai 2002) und dem „Beitrag zum Debattenversuch der „militanten gruppe“ (mg)“ von den VerfasserInnen des Clandestino-Papiers (vgl. Interim Nr. 552, 20. Juni 2002).
Unser Text ist ausschließlich als eine Reaktion auf die genannten Debatten-Papiere zu verstehen und stellt keine Ergänzung oder Weiterentwicklung unseres Beitrages „FÜR EINEN REVOLUTIONÄREN AUFBAUPROZEß – FÜR EINE MILITANTE PLATTFORM“ (vgl. Interim Nr. 550, 9. Mai 2002) dar. Allerdings ist er als Fortsetzung der angelaufenden „militanten Debatte“ angelegt. Wir werden aus den Texten der Autonomen Gruppen und von Clandestino einige Aspekte herausgreifen, die uns als Gruppe tangieren und unsere jeweilige Position dazu formulieren. Wir haben insgesamt 5 Zitate von den Autonomen Gruppen und Clandestino ausgewiesen und unsere Argumentation diesen angeschlossen. Dabei kann es in dem einen oder anderen Fall zu argumentativen Wiederholungen kommen, die sich daraus ergeben, dass sich die einzelnen Aspekte, auf die wir uns bei den Autonomen Gruppen und Clandestino beziehen, nicht immer hundertprozentig abgrenzen ließen.
Der Text der Autonomen Gruppen bezieht sich auf die verschiedenen Debattenbeiträge von den Genossinnen der (am), der revolutionären aktion carlo giuliani und uns bis zum April 2002. Spätere Papiere u.a. von uns konnten somit logischerweise nicht berücksichtigt werden.
Während der Text der Autonomen Gruppen einen eher „globalen“ Charakter hat und allgemeine Kritikpunkte an dem Debattenverlauf um organisatorische Voraussetzungen, Inhalt und Praxis von militanter Politik in die Diskussion einbringt, ist der Beitrag von Clandestino in erster Linie an uns als Gruppe gerichtet.
In dem Beitrag von Clandestino sehen wir ein grundsätzliches Problem in der Methodik: der Text ist einerseits in der Überschrift als Reaktion auf unseren „Debattenversuch“ ausgewiesen, andererseits schreibt ihr weiter unten eher beiläufig, dass u. a. unser „Plattform“-Papier versucht wurde „mit einzubeziehen“. Daraus ergeben sich für uns einige Schwierigkeiten überhaupt zu begreifen, auf welche Passagen Ihr Euch bei uns bezieht. Des weiteren ist unser „Debattenversuch“ auch nur vor dem Hintergrund verständlich und diskutierbar, als er eine Reaktion auf einen Text der Genossinnen von (am) ist. Ebenso ist unser „Plattform“-Papier ein Ergebnis eines Textes der revolutionären aktion carlo giuliani und eines weiteren von (am). Das heißt, nur vor diesem bisherigen Verlauf der Debatte können die einzelnen Papiere verschiedener Gruppen logisch eingeordnet und verstanden werden.
Alle nachfolgenden Beiträge sollten, wenn sie „auf dem aktuellen Stand“ der Debatte sein wollen, dies berücksichtigen und nicht einen einzelnen aus diesem Kontext herausgreifen. Diese Vorgehensweise erachten wir als notwendig, wenn wir tatsächlich eine „militante Debatte“ systematisch entwickeln und ausbauen wollen, um zu (gemeinsamen) Schlußfolgerungen zu kommen. Aufgrund dessen halten wir es für nicht nachvollziehbar, dass Ihr den Entwicklungsweg, der zu verschiedenen Texten führte, ausblendet und nicht exakt abgrenzt, auf welche Diskussionspunkte in welchem Text ihr bei uns eingeht.
Der provisorische Charakter des „Plattform“-Papiers muß dabei immer bedacht werden; wir haben keine ausgefertigte Programmatik geliefert, sondern versucht, den bisherigen Debattenstand zu erweitern, und das ist dort auch so explizit formuliert. Die Aussage von Clandestino, wonach eine „Art „Parteiprogramm“ der militanten Zusammenhänge“ serviert wurde, ist völlig aus der Luft gegriffen. Der Widersinn liegt schon in der Aussage selbst („Parteiprogramm“ und „militante Zusammenhänge“). In dem „Plattform“-Papier haben wir sozusagen Fahnenstangen abgesteckt, die unserer Meinung nach für einen Fortgang der „militanten Debatte“ wichtig sein können. Die konkrete Ausarbeitung unserer Überlegungen (nicht nur bezüglich des bewaffneten Kampfes) und die anderer Gruppen wird sich im Verlauf der kollektiven Diskussion zu zeigen haben.
Der Vorschlag einer „militanten Plattform“ ist ein ambitioniertes Projekt, dessen Verwirklichung und spätere Existenzdauer nicht vorhersagbar sind. Es wird – und das zeigt Euer Beitrag – zu einer Polarisierung innerhalb der Debatte kommen, die wir vor dem Hintergrund eines inhaltlichen Klärungsprozesses und dem Ziehen von politisch-ideologischen Trennungslinien auch für erforderlich halten. Alle, die sich in diese Debatte einbringen wollen, werden zu beurteilen haben, welche Substanz Euer Beitrag hat, und ob er auch nur annähernd den selbstgesteckten Anforderungen einer „Wiederentdeckung“ und „Neubestimmung“ militanter Politik gerecht wird (vgl. Clandestino - für eine Wiederentdeckung Militanter Politik – Interim Nr. 502, 18. März 2000).
1. „(...) militante Initiativen (haben) überhaupt nur dann eine Chance wahrgenommen zu werden und (entwickeln) eine Kontinuität, wenn sie an öffentliche Projekte angebunden sind, also quasi als deren militanter Arm agiert wird.“ Autonome Gruppen
In diesem Zitat von Euch geht es sozusagen um die Genese „von militanten Gruppenstrukturen an sich. Ihr baut Eure Argumentation bezüglich der organisatorischen Rolle militanter Gruppen und deren Praxis um die Frage nach dem Verhältnis zu Basisprozessen („öffentliche Projekte“) auf und meint, dass bei uns eine „Ablehnung“ zu finden sei, „sich auf Bewertungen zu beziehen“.
In unserem Debattenversuch-Papier schreiben wir, dass es eine Voraussetzung von militanter Politik ist, „Ansätze einer konzeptionellen Grundlage und Linie als Gruppe gefunden zu haben“. Später problematisieren wir die oft zu findende und von Euch auch bevorzugte Rolle klandestiner Gruppen als „militanter Arm“ von (zumeist) legalen Aktivitäten von Basisbewegungen. Denn unsere Intention ist, wie sie im Debattenversuch-Papier und auch im Plattform-Papier beschrieben wurde, dass sich militante Gruppen zu einem eigenständigen Faktor und „zu einer eigenständigen Widerstandsebene mit einer definierten politischen Ausrichtung in einem komplexen Organisierungsprozeß“ entwickeln. Die verschiedenen miteinander interagierenden Ebenen (Bewegung – militante Gruppen - Guerilla – revolutionäre Parteistruktur) eines Widerstandsnetzwerkes haben wir idealtypisch benannt.
Unser Ausgangspunkt ist demnach, ein klares Profil für militante Gruppenstrukturen herauszuarbeiten. Militante Gruppen sind unserer Ansicht nach weder darauf zu reduzieren, ein amorphes Basisanhängsel noch ein Zuliefererbetrieb einer Metropolenguerilla zu sein. Neben der eigenen Definition als militante Gruppe geht es um eine Koordinierung mit anderen, um inhaltlich-praktisch aufeinander aufbauen zu können und somit schrittweise eine organisatorische Struktur auszubilden. Diese Überlegungen und der bisherige Verlauf der Militanten Debatte brachten uns zu dem Konzeptvorschlag der Bildung einer „militanten Plattform“ als ersten organisatorischen Schritt auf dem Weg zu einer eigenständigen Größe innerhalb eines „revolutionären Aufbauprozesses“. Denn hier kommt eine weitere Komponente zum Tragen: wenn wir von einem sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatz auf kommunistischer Grundlage reden, können sich unsere organisatorischen Anstrengungen nicht auf das Feld der Koordinierung militanter Gruppen beschränken. Mit diesem Anspruch der gesamtgesellschaftlichen Revolutionierung müssen wir vor dem Hintergrund des eruptionsartigen Verfalls linksradikaler Strukturen u.a. über die Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit von verschiedenen Guerillamodellen nicht nur diskutieren sondern auch die logistischen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen. Dies macht natürlich nur dann Sinn, wenn mensch sich an einer Konzeption orientiert, die in der Form eines widerstandsebenenübergreifenden Netzes den bewaffneten Kampf als materialistische Bedingung für eine egalitäre und klassenlose Gesellschaftsform betrachtet.
Nachdem wir eben unseren organisatorischen Ausgangspunkt für militante Gruppen nocheinmal kurz umrissen haben, möchten wir auf den Aspekt der „Abhängigkeiten“ und der „Entkopplung“ von der linken Basis noch etwas genauer eingehen. Ihr schreibt, dass „(...) die Abhängigkeit (als militanter Arm zur Basis, Anm. mg) natürlich eine gegenseitige (ist), denn wenn sich die politische Stoßrichtung einer Kampagne weg von den eigenen politischen Überzeugungen entfernt, wird man sich sicher nicht daran beteiligen und militant intervenieren“. Paradox finden wir an Eurer Aussage, dass Ihr genau das bestätigt, was wir kritisieren, nämlich ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis in dem Fall zu einer „politischen Stoßrichtung einer Kampagne“. Eure Beteiligung an einer Kampagne ist also davon abhängig, inwiefern sie sich von Euren „politischen Überzeugungen entfernt“. Das heißt aus unserer Sicht nichts anderes, als das Ihr Euch in einer re-aktiven Rolle befindet. Dieses einseitige Abhängigkeitsverhältnis wird auch dann nicht zu einem gegenseitigen, wenn „über Papiere Militante jederzeit die Möglichkeit (haben), politischen Einfluss zu nehmen“. Die re-aktive Rolle bleibt bestehen, denn mensch handelt entsprechend den Konjunkturen der jeweiligen Bewegung. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn militante Gruppen qua Definition lediglich als „Arm“ des „Körpers Bewegung“ (um in der physischen Terminologie zu bleiben) fungieren und nicht als ein eigenständig „lebensfähiger“ Faktor. Der „Körper Bewegung“ kann durchaus ohne „militanten Arm“ weiter agieren, umgekehrt aber wird ein einzelner „Arm“ keinen „Körper“ in Bewegung halten können.
Ihr versucht Euer Plädoyer für die Rolle als „militanter Arm“ dadurch zu stärken, indem Ihr behauptet, dass die „Entkopplung“ von der Basis „bestenfalls in die totale politische Isolation (führt), schlimmstenfalls – wie bei der AIZ – in eine wirre und abstruse Form der Praxis“. Unsere bisherigen militanten Aktionen bspw. zu Zwangsarbeit und dem Sozialamtsterror können nicht als eine „Entkopplung“ von „öffentlichen Projekten“ gewertet werden. Sie waren bewusst in einem allgemeinen Diskurs plaziert. Allerdings ist es für uns nicht die Maßgabe, ob diese „öffentlichen Projekte“ wesentlich von der „vielgescholtenen Szene“ initiiert oder getragen werden, sondern ob sich hier Anknüpfungspunkte für eine revolutionäre Klassenpolitik ergeben. Wir denken, dass Euer Text ein Paradebeispiel dafür ist, die politische Bedeutung der Restbestände des autonomen Spektrums weit zu überhöhen, indem Ihr diesem eine fundamentaloppositionelle Protagonistenstellung zuschreibt und „anderen Analysen“ eine „völlige Verkennung der gegenwärtigen sozialen und politischen Verhältnisse vorwerft. Eine politische Orientierung auf den umfassenden sozialen Angriff gegen die untersten gesellschaftlichen Segmente und eine klassenkämpferische und sozialrevolutionäre Position „erscheint“ Euch nur „im Einzelfall“ als „sinnvoll“. Wir wollen die Aussage der „Verkennung der gegenwärtigen sozialen und politischen Verhältnisse“ an dieser Stelle nicht einfach gegen Euch selbst wenden, aber anmerken, dass wir die Zentralität eines aus den 80er Jahren kommenden politisierten subkulturellen Milieus (die autonome Szene) in den aktuellen sozialen Kämpfen (Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse, Sanktionsverschärfung gegen Arbeitslose etc.), die über einen engumschlossenen Teilbereich hinausgehen, nicht erkennen können. Hier findet eine Art „Biotop-Denken“ statt, das eine politische Relevanz des eigenen subkulturellen Herkommens eher halluziniert als den Blick ins Gesellschaftliche weitet. Wir greifen nicht als AnhängerInnen eines wie auch immer gearteten Milieus oder Lebenstils in gesellschaftliche Konflikte ein, sondern als KommunistInnen. Mehr noch, wir katapultieren uns nicht mutwillig ins gesellschaftliche Abseits, um von dort kommend, irgendeinen „militanten Arm“ zu bilden, sondern wir sind aufgrund unserer materiellen Situation unmittelbarer Gegenstand des sozialen Angriffs und können uns auch nur klassenpolitisch begreifen. Nur so läßt sich eine politische Marginalisierung aufheben und in einem klassenpolitischen Kontext agieren. Wir wollen aber nicht unterschlagen, dass die von Detlef Hartmann („Materialien für einen neuen Antiimperialismus“) oder Karl-Heinz Roth („Die Wiederkehr der Proletarität“) repräsentierte „autonome Theorie“ immer eine klassenanalytische Grundlage hatte.
Etwas demagogisch wird es immer dann, wenn Positionen, die in verschiedenen Punkten nicht (mehr) „szene-kompatibel“ sind, mit Negativ-Szenerien („bestenfalls totale politische Isolation“, „schlimmstenfalls AIZ“) belegt werden. Welch attraktive Alternative wird uns hier offeriert, hier wird mit „Totschlag-Argumenten“ fahrlässig hantiert, um entweder selbst Diskussionen aus dem Weg zu gehen, die eventuell vermeintliche Gewißheiten erschüttern könnte, oder um Debattenprozesse von Anfang an zu torpedieren.
2. „Wir haben den Text so verstanden, dass das eigentliche Ziel dieses Papiers die Propagierung der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in der BRD ist.“ Clandestino
Bereits der zweite Satz in Eurem Beitrag, in dem unser „eigentliches Ziel“ – „die Propagierung der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes“ – erwähnt wird, ist entweder Ausdruck Eurer akuten Leseschwäche, mangelnden Sorgfalt oder eine bewußte Verkürzung, damit ihr für Euch widerspruchsfreier argumentieren könnt. Weder im „Debattenversuch“ – noch im „Plattform“-Text dreht es sich zentral um Fragen des bewaffneten Kampfes und dessen Wiederaufnahme. Machen wir es konkret: im „Debattenversuch“ haben wir aus dem Text der (am) drei wichtige Aussagen herausgefiltert, von denen eine (!) von der „steigerung der mittel“ handelt. Wir haben diesbezüglich einige Gedanken angeführt, die sich um „eine intensive Diskussion über vergangene und aktuell geführte bewaffnete Kämpfe“ und eine etappenweise Erweiterung unserer Interventionspalette drehen („von dem Angriff auf materielle Objekte zum Angriff auf verantwortliche Subjekte“). Dass wir in diesem Text aus der Sicht einer militanten Gruppe Fragen nach der gesellschaftlichen und „szenemäßigen“ Resonanz von „militanten und/oder bewaffneten Aktionen“ angesprochen haben oder uns mit den Problemen einer gruppenübergreifenden Koordinierung von militanten Zusammenhängen auseinandergesetzt haben, fällt weitgehend unter den Tisch oder wird sinnentstellt wiedergegeben.
Auch aus unserem „Plattform“-Papier ist eine Reduktion auf Fragen des bewaffneten Kampfes nicht herausinterpretierbar. Allein die Überschrift „Für EINEN REVOLUTIONÄREN AUFBAUPROZEß – FÜR EINE MILITANTE PLATTFORM“ untermauert dies. Auch unsere Namensgebung „militante gruppe (mg)“ läßt keinen anderen Schluß zu, als den, dass wir als ein Zusammenhang agieren, der sich durch eine militante Praxis auszeichnet, und dass heißt aus der „Legalität“ heraus klandestine Aktionen „unterhalb“ der Erschießung einzelner EntscheidungsträgerInnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vorzubereiten, durchzuführen und zu vermitteln. Wir haben in unseren Texten immer den Ansatz vertreten, dass sich militante Gruppen zu einem eigenständigen Faktor in einem widerstandsebenenübergreifenden Netz entwickeln müssen, um nicht in ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu Basisprozessen zu geraten. Nur so lassen sich periodische, existenzgefährdende Brüche (unter Umständen) verhindern und eine inhaltliche, praktische und organisatorische Kontinuität gewährleisten.
Wir haben Fragen des bewaffneten Kampfes in unseren Texten niemals losgelöst von dem Aufbau umfassender revolutionärer Strukturen (Basisbewegung – militante Gruppen – Guerilla – revolutionäre Partei) behandelt. Der bewaffnete Kampf hat in einem zu erarbeitenden Konzept seinen Stellenwert, ist aber nicht der Mittelpunkt, um den sich herum die anderen Widerstandsformen oder -ebenen zu gruppieren haben. Wir haben in dem „Plattform“-Papier ein Widerstandspanorama skizziert, in dem wir uns als militante Gruppen aufgrund der desolaten strukturellen Situation der radikalen Linken in der BRD, eine Art „Doppelrolle“ zuweisen. Die Aufgabe militanter Gruppen bestünde neben ihrer eigenen Praxis in der Vorbereitung der logistischen und organisatorischen Voraussetzungen einer Guerillastruktur und der basisspezifischen Stärkung einer antagonistischen Linken. Vor dem Hintergrund unserer geringen Kapazitäten und unseres geringen Einflusses auf die facettenreiche Linke (geschweige den auf andere gesellschaftliche Gruppen) ist ein derartiger Anspruch an militante Gruppenstrukturen zugegebenermaßen hochgegriffen. Wir müssen immer wieder austarieren, wo wir die besagten geringen Kapazitäten erfolgsversprechend einbringen und erkennen, wo wir unrealistische Anforderungen an uns selbst stellen und eine Erwartungshaltung produzieren, der wir nicht entsprechen können.
Ihr kritisiert in unseren Papieren, dass „viele grundsätzliche Probleme überhaupt nicht thematisiert worden“ seien. Hier muß wieder begriffen werden, dass unsere Papiere keine sind, die ausschließlich den bewaffneten Kampf „thematisieren“ wollten und notwendigerweise „viele grundsätzliche Probleme“ nicht oder nur unzureichend behandelt haben. Nur mal so eben eingestreut: eine Debatte lebt doch gerade davon, dass Leerstellen oder unbearbeitete Aspekte in einem kollektiven Prozeß angegangen werden und das eine konstruktive Weiterentwicklung erfolgt.
Ihr schreibt, dass Ihr „von Allen (erwartet), die eine Auseinandersetzung über den bewaffneten Kampf forcieren, dass sie sich die Teilnahme daran subjektiv auch vorstellen können.“ Wir stellen uns das gerade bildlich vor: wir sitzen zusammen, fragen uns gegenseitig ganz „subjektiv“ ab, ob wir uns die Teilnahme am bewaffneten Kampf vorstellen können, arbeiten die „logistischen Probleme“ ab, kommen zu einem Ergebnis (die „authentische subjektive Entscheidung“) und ziehen los oder auch nicht. Genug mit der Polemik – das kann doch nun wirklich nicht der Ausgangspunkt einer Debatte um einen Umwälzungsprozeß („Revolution in Permanenz“, Marx) sein, der nicht nur an den Symptomen der herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen kurieren will, sondern eine klassenlose und egalitäre Gesellschaftsform als Vision hat, die nach allen bisherigen historischen Erfahrungen nicht ohne eine bewaffnete Konfrontation mit dem staatlichen Aufstandsbekämpfungsapparat erreicht werden kann.
Wir haben mit unseren Texten versucht, erstens überhaupt den Blick nach den Auflösungen und Kapitulationen von bewaffnet agierenden Gruppen in der BRD wieder auf Guerillapolitik zu lenken (nicht nur unser alleiniger Versucht), zweitens den Vorschlag unterbreitet, dieses Thema systematisch und reflektiert unter Berücksichtigung der zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden sozialrevolutionären und antiimperialistischen Kämpfe schrittweise zu entwickeln, und drittens dafür einen organisierten Diskussions- und Aktionsrahmen („militante Plattform“) eingebracht. Das sind unserer Ansicht nach Vorbedingungen, um überhaupt kontinuierlich einen Diskurs mit entsprechender Praxis und organisatorischer Ausformung zu etablieren. Alles andere sind schriftliche Schnellschüsse, die oft einen hohen und alles erklärenden Anspruch haben und an diesem (folgerichtig) scheitern. Wir denken, dass wir uns erst über das Themenfeld an sich und die entsprechenden Aspekte verständigen müssen, um eine solide Debatte unter militanten Gruppen führen zu können, die kein belangloses Strohfeuer bleibt. Aufgrund dessen sind wir bei unserem „Plattform“-Papier „nur“ zur Formulierung von Prämissen, die Eckpunkte setzen, gekommen.
Es gehört offensichtlich zum gängigen Sprachgebrauch eines Teils der linksradikalen Szene jenen „ein Kokettieren mit dem Mythos des bewaffneten Kampfes“ zu unterstellen, die gerade in Zeiten der politischen Depression der Linken eine reflektierte und sachliche Auseinandersetzung zu Fragen des bewaffneten Kampfes suchen. Es ist doch nicht unser Luxusproblem, dass wir über ein großes Reservoir an klandestinen Optionen verfügen würden, ganz im Gegenteil, die Anzahl unserer Interventionsmittel ist rückläufig. Das hängt einerseits mit den immer ausgefeilteren Sicherheits- und Überwachungstechnologien zusammen, die uns in der Objektauswahl vor große Probleme stellen, und andererseits blockieren wir „hausgemacht“ eine Debatte um die Potentiale und Grenzen weitergehender Interventionsmittel. Exemplarisch für eine derartige Selbst-Beschränkung ist die Aussage der Autonomen Gruppen, wonach „allein schon ein strategisches Nachdenken“ über Mittel des bewaffneten Kampfes „in diesen Zeiten völlig verfehlt“ sei. Hier wird sich von vornherein einer strategischen Diskussion über alle Formen des revolutionären Kampfes verweigert und eine schleichende Tabuisierung bestimmter Diskussionselemente vorgenommen, die einem Denkverbot gleichkommt.
Die „Mythologisierung“ oder „Fetischisierung“ des bewaffneten Kampfes wird nicht von jenen betrieben, deren Ziel es ist, eine historisch bewußte und exakte Auseinandersetzung zuführen, sondern findet sich in den Texten wieder, in denen der bewaffnete Kampf einer Guerilla zu einem geradezu magischen Gegenstand gemacht und mit einem nebulösen Schleier des Obskuren belegt wird. Es ist liegt schon ein frappierender Widerspruch vor, wenn gebetsmühlenartig die eklatante Schwäche der Linken und die erdrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse zitiert werden, aber eine unvoreingenommene und an die Grundlagen gehende Diskussion über Teile der Bandbreite von Interventionsmitteln auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird.
Wir wollen, wie wir in unserem „Debattenversuch“-Papier geschrieben haben, zu einer „Normalisierung“ in unserer Diskussion kommen, denn die Frage des bewaffneten Kampfes als (zumindest) taktisches Verteidigungsmittel ist uns nach den Schüssen in Göteborg und dem Mord in Genua unter negativen Vorzeichen aufgedrängt worden.
Ein Punkt, der in der Reflexion über die (Vor-)Bedingungen des bewaffneten Kampfes oft angeführt wird, ist, dass gerade eine subjektivistische und/oder voluntaristische Haltung (eine, nach der der subjektive Wille ausreiche, den bewaffneten Kampf aufzunehmen) zu einer Ignoranz der auch von Euch erwähnten objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse und zu einer Schablonisierung revolutionärer Aufstandsmodelle aus vergangenen Epochen oder anderen Kontinenten oder zur völligen Preisgabe der Analyse führt. Für uns entscheidet nicht der „subjektive Faktor“ ursächlich über die Aufnahme oder Nicht-Aufnahme des bewaffneten Kampfes. Der bewaffnete Kampf ist innerhalb eines revolutionären Programms eine Konstante, es geht nicht um das ob, sondern um das wie, wo und wann. Bei allen fundamentaloppositionellen Auseinandersetzungen - antikapitalistische, antipatriarchale, antirassistische und antiimperialistische - wird der gesetzlich legitimierte Betätigungsrahmen bewusst durchbrochen. Die einzelnen Widerstandsfelder setzen sich eigens Koordinaten, in denen sie politisch agieren; eine bewaffnete Praxis kann dabei ein Bestandteil sein.
Aber bevor diese Fragen nach einer Antwort verlangen, müssen wir unsere eigenen Grundlagen schaffen, um überhaupt ergebnisorientiert und verbindlich Diskussionen führen zu können. Die „militanten Debatte“ sehen wir als die Schaffung eines Raumes, in dem genau dies stattfinden kann. Erst während einer analytischen Debatte um Fragen des bewaffneten Kampfes und ihrer (vorläufigen) Beantwortung – wir wiederholen es nocheinmal – im Rahmen eines „komplexen revolutionären Aufbauprozesses“ kommt der „subjektive Faktor“ zum Tragen. Denn es können sich innerhalb einer solchen Debatte „subjektive“ Positionen fortentwickeln, verschieben oder völlig neu ausgelegt werden. Diesem Entwicklungsprozeß eine „authentische subjektive Entscheidung“ vorschalten zu wollen, halten wir für abwegig. Das würde bedeuten, diesen „subjektiven Faktor“ zum bestimmenden Kriterium allein schon für die ersten Schritte einer Auseinandersetzung bezüglich des bewaffneten Kampfes und der Guerillapolitik machen zu wollen. Doch erst aus der vorangegangenen Analyse kann es zu einem kollektiven Entscheidungsprozeß der „Ich-Subjekte“ kommen.
Zum bewaffneten Kampf an sich schreibt Ihr: „Als radikale Linke schliessen wir den nicht vornherein aus, doch halten wir zum jetzigen Zeitpunkt die Bedingungen für nicht erfüllt.“ Diese Aussage ist eine oft zu findende Umschreibung dafür, dass sich zwar selbst der „Radikalität“ versichert wird, dieses „an die Wurzel gehen“ aber dann zur Makulatur wird, wenn konkrete Diskussions- und Aktionsangebote („militante Plattform“) auf dem Tisch liegen. Nichtsdestotrotz halten auch wir die Bedingungen für die sofortige Aufnahme des bewaffneten Kampfes „zum jetzigen Zeitpunkt“ für nicht erfüllt. Der entscheidende Unterschied ist nur, dass wir den bewaffneten Kampf unabhängig irgendwelcher Zeitgeistströmungen in den imperialistischen Metropolen als „objektive Notwendigkeit“ sehen und für die logistischen und organisatorischen Voraussetzungen einer Guerillapolitik mitverantwortlich sind. Diese „objektive Notwendigkeit“ ergibt sich daraus, dass diejenigen, die die Initiative für einen an die Grundfesten gehenden Umwälzungsprozeß ergreifen, je nach dem Widerstandsausmaß, früher oder später mit der (militärischen) Macht des staatlichen Apparates konfrontiert sein werden. Die tatsächliche Aufnahme des bewaffneten Kampfes ist dann optional, d.h. eine mögliche Form des fundamentaloppositionellen Agierens in den Zentren der Triade (BRD/EU, USA/NAFTA, JAPAN/ASEAN).
Wir gehen weder davon aus, dass nach der klassischen maoistischen Doktrin die alleinige Einkreisung der Metropolen durch die revolutionären Prozesse im Trikont ausreicht, um die Grundfesten in den Zentren ins Wanken zu bringen, noch gibt es Beispiele dafür, dass, wenn „die Zeit reif für die Revolution“ ist, die logistischen und organisatorischen Grundlagen vorhanden sind, wenn sie nicht im Vorfeld systematisch geschaffen wurden. Im Hier und Jetzt ist das Fundament für einen politischen Aufruhr und potentielle revolutionäre Kämpfe der (un)mittelbaren Zukunft zu legen. Diese Grundlagen sind in explosiven gesellschaftlichen Situationen, in die mensch intervenieren will, nicht ad hoc improvisierbar, sondern müssen dann aktiviert werden. Umso weniger Strukturaufbau im Vorfeld betrieben wird, umso geringer wird unsere politische und ideologische Relevanz in der Konfrontation sein.
Wir haben in unserem „Plattform“-Papier auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Schaffung der Logistik des bewaffneten Kampfes nicht unmittelbar mit der Aufnahme desselben zusammenfällt. Denn die Aufnahme des bewaffneten Kampfes ist trotz seiner „objektiven Notwendigkeit“ auch für uns der Analyse der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse vorbehalten. Diese zu schaffende Logistik stellt die Rücklage dar, auf die im Falle des Falles zurückgegriffen werden kann. Ihr erwähnt zwar in Eurem Beitrag die „jetzigen politischen Verhältnisse“ und die „objektiven Gründe“, die gegen die Initiative des bewaffneten Kampfes sprechen. Aber Ihr bleibt bei dem Postulat „die objektiven Bedingungen“ kleben, ohne erklärende Ausführungen zumachen, worin diese denn bestehen. In Eurem Papier „Clandestino – für eine Wiederentdeckung militanter Politik -“ wird im Abschnitt „Situationsbeschreibung und Einschätzung“ einiges über „die einschneidende Zäsur“ nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus gesagt und die Privatisierungstendenz und den Reformismus innerhalb der radikalen Linken berichtet. Alles irgendwie zustimmungswürdig, aber rein deskriptiv (beschreibend) und nicht analytisch, um daraus (neben Euren „subjektiven“ Faktoren) eine ablehnende Haltung nicht nur zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes, sondern auch zu allen vorbereitenden logistischen Maßnahmen abzuleiten.
Wie allen aufgefallen ist, haben wir auf eine solche Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse verzichtet, da dies zum Standardvokabular zählt, was inhaltlich nicht viel weiter bringt. Wir haben es – zugegebenermaßen – in unserem „Plattform“-Papier in dem Abschnitt „a) Inhalt: inhaltliche Grundlagen und theoretisches Selbstverständnis“ sehr abstrakt gehalten. Unter Umständen zu abstrakt, aber unsere Absicht war es zunächst, sich überhaupt auf ein oder besser eine überschaubare Anzahl von Analyse-Instrumentarien zu verständigen, um die „objektive Notwendigkeit“ des bewaffneten Kampfes bspw. klassenanalytisch und imperialismustheoretisch auf einer materialistischen Grundlage begründen, zu können. Diese umfangreiche theoretische Aufgabe steht für als Gruppe unmittelbar an, in der wir u.a. für uns zu klären haben, inwiefern Begrifflichkeiten, wie „Klasse“ und „Imperialismus“ bspw. im Zusammenhang der breit geführten „Empire“-Diskussion an Schärfe verloren haben oder nur durch modische Wortneuschöpfungen ersetzt werden. In eine solche theoretische Auseinandersetzung müssen migrantische („culture studies“) und feministische Ansätze, die diese Begriffsapparate und den dahintersteckenden Inhalt intensiv diskutieren und problematisieren, einbezogen werden.
3. „(...) zu der bisherigen Aktionsform der mg (der Verschickung von scharfen Patronen mit ihrer beabsichtigten Drohung der Liquidation) (...) möchten wir unsere Kritik zur Diskussion stellen.“ Clandestino
Aus der oben genannten Verkürzung unserer Intentionen bezüglich der Fragen des bewaffneten Kampfes folgt in dem Clandestino-Text geradezu folgerichtig die nächste. Unsere „kaum entwickelte“ militante Praxis wird auf „Briefsendungen“ eingegrenzt – wider besseren Wissens, es sei denn, hier schlägt die Leseschwäche ein weiteres Mal voll durch. Die brillante Aussage der „leeren Wortpatronenhülsen von MaulheldInnen“ verbuchen wir mal kommentarlos unter die „Rubrik Wortwitz“.
In den beiden Fällen, in denen wir u.a. auf das Mittel der Versendung von scharfen Patronen zurückgegriffen haben, handelt es sich zum einen um die Exponenten des Projektes eines Schlußstriches unter das Kapitel der nazistischen Zwangs- und Sklavenarbeit (Gentz, Lambsdorff, Gibowski) und zum anderen um einen Hauptakteur der Sozialtechnokratie (Balzer), der aufgrund seiner Politik eine berlinweite Vorreiterrolle in der Ausarbeitung und Ausführung von Bekämpfungsstrategien gegen SozialhilfeempfängerInnen und MigrantInnen einnimmt. Die Patronenverschickung war jeweils nur ein Teil einer mehrere Aspekte umfassenden Aktion (zeitgleicher Brandanschlag, erweiterte Pressearbeit, virulente öffentlichen Diskussion, die über den Szene-Tellerrand hinausreichte). Dabei stand weder die „Todesdrohung“ noch ein „Feme-Charakter“ im Vordergrund. Wir wollen aber auch unmißverständlich herausstreichen, dass der Personenkreis, der eine Patrone erhalten hat, nicht willkürlich ausgewählt war, sondern aufgrund seiner aktiven Rolle innerhalb des Schlußstrichprojektes zur Nazi-Zwangsarbeit bzw. im sozialtechnokratischen Apparat. Wir nehmen die AkteurInnen in der Ausübung ihrer jeweiligen Tätigkeit innerhalb der herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen in der Form ernst, als sie über die Kompetenz und die Wahlmöglichkeiten verfügen, bspw. den sozialtechnokratischen Angriff gegen SozialhilfeempfängerInnen und MigrantInnen weiter zu eskalieren oder eher eine zurückhaltende Position einzunehmen. In Berlin gibt es für verschiedene persönliche Verhaltensweisen von SozialstadträtInnen durchaus Beispiele. Sie allein als Geisel der herrschenden Strukturen zu sehen, in denen es sowieso keinerlei Handlungsoptionen gäbe, wäre völlig undialektisch und eine Rechtfertigungsformel für Ausbeutung und Unterdrückung. Strukturen konditionieren zwar die in ihnen agierenden AkteurInnen, sie sind aber nicht einfach gegeben und unveränderlich, sondern sie werden geschaffen, verfestigt und gegebenenfalls umgeworfen. In jedem noch so versteinerten Apparat ergeben sich Handlungsspielräume, die ausgeschöpft werden können oder auch nicht.
Der bewaffnete Kampf kann nicht auf den Akt des Verschießens von Patronen und eine mögliche Liquidation reduziert werden. Wie ihr selbst geschrieben habt, sind vielfältige logistische und organisatorische Voraussetzungen zu schaffen, denn es geht nicht darum, Schußwaffen ihrer selbst wegen einzusetzen, sondern um den Aufbau einer Metropolenguerilla, die „bewaffnet“ für eine politisch-militärische, Strategie „propagiert“. In dieser Strategie ist die „bewaffnete Propaganda“ ein taktisches Mittel in dem umfassenden Kampf für eine egalitäre und klassenlose Gesellschaftsform.
Apropos „Feme“-Charakter: Den Begriff „Feme“ (lt. Duden heimliches Gericht) kennen wir nur im Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Aktion: Im Dezember 1980 wurden der jüdische Verleger Levin und seine Lebensgefährtin Poeschke von einem Anhänger der neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ ermordet; in der damaligen Presse wurde von einem „Feme-Mord“ berichtet, noch heute taucht dieser Begriff in Publikationen auf, die sich mit dem neonazistischen Terror Anfang der 80er Jahre beschäftigen. Wir hoffen nicht, dass Ihr mit dieser Assoziationskette gespielt habt, die bei einigen von uns sofort hochkam.
Im „Plattform“-Papier haben wir deutlich gemacht, dass es uns in erster Linie um eine innere, in die radikale Linke gerichtete Wirkung geht: „Unsere Patronenverschickung (...) verfolgte mehrere propagandistische Ziele. Zum einen soll damit ein Anstoß für eine Diskussion um die Mittel des bewaffneten Kampfes und eine Auseinandersetzung um revolutionäre Organisationen innerhalb der radikalen Linken erfolgen (...) Zum anderen geht es uns um einen Perspektivwechsel bezüglich unserer Angriffsziele, wir müssen neben anonymen Institutionen die real verantwortlichen Personenkreise der kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen ins Visier unserer Politik nehmen.“
Eine isolierte Patronenverschickung wäre allein schon aufgrund unseres Interesses, einen „komplexen revolutionären Aufbauprozeß“ mit zu initiieren verfehlt gewesen. Allerdings haben wir mit den Patronenverschickungen sowohl szeneintern als auch, was die „gesellschaftliche Öffentlichkeit“ betrifft, auf ein größeres Interesse an unseren militant aufgegriffenen Themen spekuliert. Sie fungierten quasi als Transportmittel für die Eröffnung einer Debatte über Organisierungsmöglichkeiten militanter Gruppen, die die Methode des bewaffneten Kampfes vor dem Hintergrund des anvisierten vielschichtigen Aufbauprozesses miteinschließt. Das Mittel der Patronenverschickung, das mit dem „Spektakulären“ hantiert, ist nicht inflationierbar, wenn die beabsichtigte Wirkung wie die Initiierung einer militanten Debatte nicht verloren gehen soll.
Ihr schreibt, dass Euch eine Patronenverschickung „als Aktionsform der politischen Linken nicht bekannt“, sei. Diese Aussage schleppt mehrere Implikationen mit sich herum: zum einen heißt das im Umkehrschluß, dass Gruppen, die zu dieser Aktionsform greifen nicht-politisch sind und nicht zur Linken gehören und zum anderen äußert sich hier ein konservatives Verständnis gegenüber bisher (vermeintlich) nicht dagewesenen Aktionsformen, wobei unsere Verschickungsaktion oft mit einer früheren von Klasse gegen Klasse (KGK) verglichen wurde. Dabei ist aber lediglich die Form der Aktion an sich, nicht aber die dahinterstehende Intention mit der von KGK vergleichbar.
Dass, was bei einer „politischen Linken“ tatsächlich nicht bekannt ist, ist die Nicht-Anerkennung der verschiedensten Aktionsformen, die Einfrierung von Aktionsniveaus auf einem erreichten Stand und die unhistorische und unreflektierte Herangehensweise an Fragen des revolutionären Kampfes - wir ersparen uns an dieser Stelle die KlassikerInnen- oder auch „zeitgemäßeren“ Zitate.
4. „Wir befürchten, dass mit zunehmender Vereinheitlichung der Unterschriften die Konsumierbarkeit und Distanz zu solchen (militanten, Anm. mg) Aktionen zunehmen könnte.“ Autonome Gruppen
Die potentiellen Gefährdungen („Konsumierbarkeit“, „Distanz“), die Ihr einem von uns und anderen lancierten Organisierungsprozeß militanter Gruppenstrukturen unterstellt, können wir nicht nachvollziehen. Darüber hinaus wird über ein „Spezialistentum“ sinniert, das nicht existiert.
Der bisher eingeschlagene Weg der militanten Debatte provoziert ja gerade Erwiderungen und Kritik und fördert mitnichten eine passive und konsumierende Haltung. Die Polarisierung in der Debatte erzeugt – und das zeigen die hier von uns diskutierten Papiere – einen Austauschprozeß, der sich hoffentlich nicht nur in einem verbalen Schlagabtausch erschöpft, sondern zu handfesten (organisatorischen) Ergebnissen führt.
Die militanten Aktionen, die bis zum jetzigen Zeitpunkt gelaufen sind, sind alles andere als ein Ausdruck eines „Spezialistentums“; weder von ihren technischen Anforderungen her noch bezüglich der Objektauswahl. Wir behaupten, das sie für alle Linksradikalen an- und umsetzbar sind und wir und andere auf keinem „Niveau“ agieren, das für andere eine „Distanz“ bedeutet.
Das, was zweifellos eine Namenskontinuität bei militanten Aktionen mit sich bringt, ist das erhöhte Interesse der staatlichen Verfolgungsbehörden. Spätestens nach unserem letzten Angriff auf einen DaimlerChrysler-Vertragshändler im Kontext des Bush-Besuches hat die Bundesanwaltschaft (BAW) die Ermittlungen gegen uns an sich genommen. Des weiteren geben die aktuellen lokalen oder bundesweiten Veröffentlichungen des VS eine genaue Beobachtung des Verlaufs der militanten Debatte wieder. Das ist auch keine Überraschung, dokumentiert aber, dass der BRD-Repressionsapparat künftig verstärkt ein Auge auf uns und andere legen wird. Es bleibt also eine bewußte politische Entscheidung einer Gruppe, ob ihre inhaltlich-praktische Kontinuität auch aufgrund einer besseren Vermittlung ein regelmäßig wiederkehrendes Label erhält.
Ihr schreibt, dass „es zwar viel über diejenigen sagen (würde)“, die bei Aktionserklärungen von Gruppen mit einem „Markennamen“ ein erhöhtes Interesse bekunden, „aber nichts über die Qualität des Inhalts“. Zudem sei das dann auch noch „Ausdruck einer Autoritätsfixiertheit“. An dem Punkt wird es bei Euch doch arg pädagogisch: das soll also heißen, dass alle, die eher einen Text von uns als von einer Gruppe lesen, die bisher unter einem bestimmten Namen noch nicht aufgetaucht ist, „autoritätsfixiert“ sind. Wir können es jetzt ja verraten, dass wir in der Regel auch zuerst Texte von Gruppen lesen und diskutieren, die uns aufgrund ihrer Kontinuität bekannt sind. Denn hier lassen sich nun einmal Diskussionsprozesse und Aktionsformen nachvollziehen und bewerten. Gerade hier wird die „Qualität eines Inhalts“ viel intensiver begutachtet, als bei einer Gruppe, die offensichtlich nur ein temporäres Phänomen ist. Gruppen, die sich für eine Namenskontinuität entscheiden, gehen damit das „Risiko“ ein, viel schneller und stärker in die „Szene-Kritik“ zu geraten, da sie sich durch die wiederholt veröffentlichte Position „angreifbar“ machen. In unserem Debattenversuch-Papier haben wir zu diesem Punkt geschrieben, dass wir „von der ständig wechselnden Namensgebung Abstand nehmen und über eine Namenskontinuität nach und nach eine politische Linie formulieren und für andere diskutierbar und unterstützbar machen“ wollen.
Wobei das für uns nicht heißt, auf ewig unter dem Logo „mg“ zu agieren, denn diese Namensgebung wird Ausdruck einer bestimmten Phase des anvisierten „revolutionären Aufbauprozesses“ sein. Unser derzeitiges Label illustriert vielleicht recht gut den angebotenen Organisierungsprozeß einer „militanten Plattform“, ist aber als technischer Begriff nicht in der Lage, auch eine konkrete ideologische Komponente zu transportieren.
Die Variante, die Ihr mit dem Label „Autonome Gruppen“ gewählt habt, ist eine von mehreren möglichen. Die haben wir an sich nicht zu kritisieren, sie kommt aber nicht für uns in Frage, da wir uns zum einen – wie im ersten Punkt erwähnt – nicht als Angehörige einer diffusen „autonomen Szene“ (mehr) ideologisch verstehen und zum anderen die Konturen verwischen, wenn quasi alles Politische unter dieses Label subsumiert werden kann und soll. Unser Ziel ist es nicht, nur ein „gewisses politisches Profil“ zu erlangen, sondern über einen langfristig angelegten Diskussions- und Aktionsrahmen eine Konzeption für eine „militante Plattform“ auszuarbeiten.
Ihr meint, dass auch mehrere koordiniert vorgehende militante Gruppen „über ihre Praxis“ legal und öffentlich arbeitenden Strukturen infolge des „momentanen Kräfteverhältnisses“ keine „inhaltliche Linie vor(geben)“ können. Hierbei wird (wie so oft) das RZ-Beispiel bemüht und sowieso „drohen (derartige Initiativen) schnell zu versanden und damit zu scheitern“.
Vielleicht ist Euch erst beim Lesen des Plattform-Papiers deutlich geworden, dass es ersteinmal um den Qualitätssprung geht, überhaupt militante Gruppenstrukturen unter einem inhaltlichen Dach im Rahmen eines (visionären) widerstandsebenenübergreifenden Netzes zusammenzubringen.
Inwiefern dann eine Einflußnahme auf Basisprozesse möglich ist, wird dann von der inhaltlichen, praktischen und organisatorischen Kraft der aufgebauten Struktur abhängen. Aber diese Einflußnahme soll dann keine sein, die von außen über die an den Kampfprozessen Beteiligten hereinbricht, sondern eine, die unmittelbar aus den gesellschaftlichen Konfliktpotentialen resultiert. Bereits vorab einen Determinismus des Scheiterns zu betreiben, ist defätistisch und läßt uns in der Stagnation verharren.
5. „Neue Impulse für eine Debatte über militante Politik können wir darin nicht finden („Plattform“-Papier, Anm. mg).“ Clandestino
Es geht uns nicht um die größtmögliche Originalität unserer Positionen, auch nicht darum, den ultimativen innovativen Durchbruch in einer „militanten Debatte“ als Gruppe zu erzielen. Wir haben zunächst lediglich einen Text der GenossInnen von (am) aufgegriffen und Überlegungen zur Organisierung militanter Gruppenzusammenhänge angeschlossen, daraus folgten weitere Beiträge u.a. auch der von Euch. Also sind auf einer ganz formalen Ebene, in dem Abfassen von Texten, „Impulse“ gesetzt worden. Darüber hinaus ist uns keine Debatte in der BRD bekannt, in der sich bisher eine Handvoll militanter Gruppen eingebracht haben, die nicht von der RAF, der RZ oder dem K.O.M.I.T.E.E. direkt oder indirekt initiiert wurde. Auch sonst ist Eure Aussage sachlich falsch. In dem bisherigen Diskussionsverlauf beginnen sich einige Elemente herauszukristallisieren, die in dieser Zusammensetzung in einer „militanten Debatte“ nicht zu finden waren: es wird ansatzweise eine Diskussion über eine gruppenübergreifende Kooperation nicht-strukturell vernetzter militanter Gruppen über ein Medium (Interim) geführt; in dieser Diskussion wird versucht, militanten Gruppen im Rahmen eines widerstandsebenübergreifenden Netzes einen eigenständigen Charakter zu geben; hinsichtlich der Frage von sozialer Revolution oder Antiimperialismus wird eine Synthese aus sozialrevolutionären oder antiimperialistischen Ansätzen auf einer kommunistischen Grundlage vorgeschlagen (andere Zusammenhänge wie die RZ sind an diesem scheinbaren Widerspruch nicht nur, aber auch zerbrochen) und der letzte von uns eingebrachte Beitrag unterbreitet die Idee einer „militanten Plattform“ als Diskussions- und Aktionsrahmen militanter Gruppen im Kontext eines „komplexen revolutionären Aufbauprozesses“. Anderen Gruppen würden vielleicht noch andere Aspekte einfallen.
Es gehört schon eine große Portion Ignoranz dazu, das „Plattform“-Papier und die Texte, die dazu führten, mit zwei Sätzen abzufertigen bzw. völlig unerwähnt zu lassen. In Eurem ersten Papier behauptet Ihr, dass es u.a. Euer „Ziel ist, mit anderen Zusammenhängen, die nach wie vor eine militante Praxis vertreten, in die Diskussion zu kommen: Mit euch wollen wir uns über eure Positionen und militanten Perspektiven austauschen.“ Ihr werdet Eurem selbst formulierten Anspruch in dem aktuellen Beitrag nicht gerecht. Eure Herangehensweise an Fragestellungen in unseren Papieren ist ausschließlich tendenziös und zeugt nicht davon, tatsächlich in eine intensive und exakt geführte Diskussion eintreten zu wollen.
Wir wollen zwei weitere Beispiele nennen: In unseren Texten haben wir u.a. (!) im Zusammenhang mit verschiedenen Widerstandsformen und -ebenen „revolutionäre Parteistrukturen“ angeführt und auf Organisationen vornehmlich im westeuropäischen Raum oder der Türkei/Nordkurdistan verwiesen. In unserem „Plattform“-Papier haben wir ausdrücklich (!) die PCE(r)/Grapo im spanischen Staat, die BR/PCC in Italien und Organisationen, die den Hungerstreik in der Türkei mit ihren Gefangenen tragen, erwähnt. Bei Euch werden statt dieser Organisationen ausschließlich befreiungsnationalistische Organisationen wie die ETA oder die PKK genannt. Es ist doch wohl logisch, dass für uns Organisationen, die in erster Linie einen „separatistischen Nationalismus“ vertreten und nur in zweiter Hinsicht einen sozialrevolutionären Strang verfolgen, nicht unser Bezugspunkt sein können, auch wenn wir ihre Politik nicht diskreditieren und zu vielen ein ausgesprochen solidarisches Verhältnis haben. Aber klar ist doch, dass für die sozio-ökonomischen Bedingungen in der BRD nur eine Diskussion bspw. des Organisationsaufbaus der PCE(r)/Grapo oder der BR/PCC perspektivisch ist.
Ihr könnt sicher sein, dass bei uns das Problembewußtsein vorhanden ist, inwiefern die verschiedenen Widerstandsebenen interagieren und welche organisatorischen Widersprüche sich eventuell ergeben können. Gerade vor diesem Hintergrund ist eine genaue Betrachtung der PCE(r)/Grapo oder auch der verschiedenen Organisationen aus der Türkei/Nordkurdistan interessant, da hier Wege einer revolutionären Gesamtstruktur gefunden wurden. Die BR/PCC haben im Zusammenhang mit dem Attentat auf Biagi (Berater des italienischen Arbeitsministers) eine inhaltlich enorm dichte und lehrreiche Erklärung verfaßt, die u.a. die Strategie des bewaffneten Kampfes für den Kommunismus in einem Prozeß des langandauernden Klassenkrieges, die Schaffung einer Kämpfenden Kommunistischen Partei und einen Vorschlag zur Bildung einer kämpfenden Antiimperialistischen Front in der Region Europa – Mittelmeer – Arabischer Raum thematisiert. Gerade Italien ist ein Ausgangspunkt für die Europäisierung des sozialen Angriffs gegen erkämpfte arbeitsrechtliche Standards (Kündigungsschutz etc.) und die reaktionäre Offensive des Kapitals („Berlusconisierung“).
Es erübrigt sich hoffentlich von selbst, dass wir mit dem Reizwort „revolutionäre Parteistruktur“ auch kein Wiederaufleben der sog. K-Gruppen meinen, die allein schön von ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung gegen „den individuellen Terror“ agitierten, mit Ausnahme der Proletarischen Front um Karl-Heinz Roth und den Redaktionskreis um den Trikont-Verlag. Wenn mensch sich auf militant und bewaffnet kämpfende Gruppen innerhalb oder am Rande von Parteistrukturen (KPD, KAPD) historisch beziehen wollte, dann wird mensch auf jene stoßen, die Aufstände während der Novemberrevolution 1918/1919 initiiert haben oder in den Aufruhrzeiten zwischen 1921 und 1923 aktiv waren und unter anderem mit den Namen Max Hoelz und Karl Plättner verbunden werden. Vor diesem Hintergrund kann eine Debatte um „revolutionäre Parteistrukturen“ auch einen (historisch hergeleiteten) „Impuls“ darstellen, denn es gab auch in „unseren“ Breitengraden organisatorische Strukturen, die sich eine Partei-Form gegeben haben. Selbst das erste zentrale Dokument des sich herausbildenden „wissenschaftlichen Kommunismus“ trägt den Titel „Manifest der Kommunistischen Partei“.
Ein weiteres und letztes Beispiel: Ihr meint, dass „die im Debattenversuch der mg aufgeführten Perspektiven zur Organisierung nicht verständlich (werden)“ und behauptet, dass sie „(sich sogar) widersprechen“ würden. Ihr macht das an einer Gegensätzlichkeit organisatorischer Modelle fest, die Ihr meint, bei uns ausmachen zu können: einerseits das Modell, das „die Verbreiterung bzw. die Verlagerung radikaler linker Politik weg von der Szene hin zu anderen gesellschaftlichen Sektoren“ (...) beinhaltet, und andererseits das Modell, das „Entwicklungen (...) zum bewaffneten Kämpf, die sicherlich nicht aus einer neu entstehenden Verbreiterung resultieren können, sondern in einer weiteren Organisierung bestehender Zusammenhänge liegen müßte“ vorsieht.
Hier wird erstens ein Modellgegensatz aus unserem „Debattenversuch“-Papier hineingelesen und dann herausinterpretiert, der nicht existiert und zweitens unbeachtet gelassen, dass sich in diesem Text schwerpunktmäßig mit Koordinierungsfragen nicht-strukturell vernetzter militanter Gruppen beschäftigt wird. Die Aussagen, die sich auf die „Szene“ und das soziale Umfeld beziehen resultieren aus Überlegungen, inwiefern militante Gruppen zu einem eigenständigen Faktor in einem komplexen Widerstandsgepflecht werden können, das nicht rein regressiv auf das eigene politisierte subkulturelle Milieu ausgerichtet ist, sondern einen „gesamtgesellschaftlichen Anspruch“ hat. Also wird an dieser Stelle nichts strukturell in irgendwelche gesellschaftliche Sektoren „verbreitert“ oder „verlagert“, sondern eine „Innenansicht“ betrieben, wie wir als militante Gruppen ein „autonomes“ Profil erlangen können, ohne in ein unauflösliches Abhängigkeitsverhältnis bspw. zu den Konjunkturen einer Basisbewegung oder einer Guerilla zu geraten bzw. bestimmten gesellschaftlichen Zeitgeistströmungen zu unterliegen.
Jetzt zu den „Entwicklungen (...) zum bewaffneten Kampf“: der zentrale Satz in unserem „Debattenversuch“-Papier lautet: „Unser Interesse ist, zu einer „Normalisierung“ in unseren Diskussionen und unserer Praxis als radikale Linke in der BRD zu kommen, dazu gehört selbstverständlich ein Verhältnis nicht nur zu den Potentialen und Grenzen von militanten Politikformen, sondern auch zum bewaffneten Kampf zu finden.“ Zudem haben wir erklärt, dass eine Auseinandersetzung mit dem bewaffneten Kampf „zu einer Beschäftigung mit verschiedenen Organisationsgeschichten, die gleichzeitig auch Geschichten über gesellschaftliche Voraussetzungen und Situationen des bewaffneten Kampfes sind (führt).“ Diese zentralen Aussagen sind weit davon entfernt, eine „weitere Organisierung bestehender Zusammenhänge“ in Richtung bewaffnete Guerillapolitik zu proklamieren. Wir setzen viel, viel weiter unten an, wenn genau gelesen wird. Erst im „Plattform“-Papier kamen wir zu einer „Auflistung von KlassikerInnen“, die sich u.a. mit guerilla- und militärtheoretischen Aspekten beschäftigt haben, aber auch nur deshalb, weil wir im bisherigen Debattenverlauf festgestellt haben, dass es ein reales Interesse an den Voraussetzungen auch des bewaffneten Kampfes gibt. Erst wenn es uns und anderen gelingt, einen Diskussions- und Aktionsrahmen militanter Gruppenzusammenhänge zu entwickeln und zu festigen, macht es Sinn konkret (!) über Organisierungs- und Organisationsmodelle und ihre Anwendbarkeit zu sprechen.
Wir müssen uns auch nicht gegenseitig für blöde halten, dass irgendwer meint, ganz krisengeschüttelt auf der Suche nach dem „revolutionären Subjekt“ zu sein. Zwischen „Klasse an sich“ und „Klasse für sich“ ist und bleibt der berühmte qualitative Unterschied des bewußten In-Aktion-Tretens. Es ist doch völlig albern eine gesellschaftliche Gruppe statistisch nach dem Ausbeutungsgrad ermitteln zu wollen, sie mit einer „historischen Mission“ zu versehen und unsere gesamten Kapazitäten dementsprechend auszurichten. Die Aufgabe der Linken war es aber immer, ökonomisch inspirierte Kämpfe (Erkämpfung tariflicher Lohnerhöhungen und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) zu radikalisieren und ihnen eine weitergehende politische Dimension (gegen abhängige Lohnarbeitsverhältnisse und Mehrwertabpressung im Kapitalismus) zu geben. Nach dem Brandanschlag auf das Bezirksamt in Berlin-Reinickendorf und die Patronenverschickung an Balzer hat uns die Breite und Dauer der öffentlichen Resonanz überrascht. Nach dieser Aktion hat er sich ersteinmal nach einem lokalen Zeitungsbericht zufolge in einen mehrwöchigen (Zwangs-)Urlaub verabschiedet. Wir waren nicht adäquat in der Lage, den Diskurs, der sich in Boulevard- und „seriösen“ bürgerlichen TV- und Print-Medien über den sozialtechnokratischen Angriff gegen SozialhilfeempfängerInnen, MigrantInnen und Obdachlose bildete, weiter inhaltlich und praktisch zu beeinflussen. Wir sind noch zu sehr von einer „Mentalität“ eingenommen, die eine Kontinuität der militanten Praxis nur schwer denken läßt und auf eine punktuelle Vorgehensweise zugeschnitten ist nach dem Motto „ein Thema – eine Aktion – eine Erklärung – neues Thema usw“. Hier hätten wir eine konkrete Chance gehabt, bspw. die zeitgleich stattfindenden Obdachlosenproteste aufzugreifen und sie in den Kontext des gesamten Angriffs auf die untersten gesellschaftlichen Segmente zu stellen. Das ist ein Beispiel aus unserer Praxis, das uns u.a. veranlaßt hat, über den szeneüblichen Polit- und Mobilisierungsrahmen hinaus zu agieren und Zugänge und Kommunikationswege zu gesellschaftlichen Sektoren herzustellen, die zum Ziel und Experimentierfeld des klassistischen, rassistischen und patriarchalen Angriffs verstärkt geworden sind.
Wie können wir weiter verfahren?
Wie wir in der Einführung dieses Textes erklärt haben, ist eine Polarisierung der Positionen und das Herausarbeiten von inhaltlich-ideologischen Differenzen vor dem Hintergrund eines Klärungsprozesses unter Teilen der militanten Linken in der BRD essentiell. Wenn während dieses Klärungsprozesses eine von Clandestino offensichtlich anvisierte Annäherung an die Autonomen Gruppen stehen sollte, dann wäre das noch ein weiterer „Impuls“ der militanten Debatte. Das ist also nicht unser Problem, zumal wir selbst in unseren Papieren für eine Zuspitzung des Disputs sorgen.
Entscheidend ist, dass wir den solidarischen Rahmen der Auseinandersetzung nicht verlassen und mit Unterstellungen, Auslassungen und Verkürzungen in der Argumentation arbeiten. Falls diese insbesondere von Clandestino betriebene Argumentationsweise den bewußten Versuch darstellen sollte, eine Diskussion, Praxis und potentielle Organisierung, die über den üblichen Rahmen autonomer Kleingruppenmilitanz hinaus geht, von Beginn an zu diskreditieren, dann wird das auf unseren massiven Widerspruch stoßen. Wir kennen die besitzstandswahrenden Mechanismen in „der“ autonomen Szene, wir haben sie selbst immer wieder mitreproduziert. Unter dem Aspekt, eine strategische Debatte führen und entwickeln zu wollen, sind wir auf einen offenen Charakter des Austausches angewiesen, der die direkte argumentative Konfrontation sucht und sich nicht hinter Tabuisierungen und immanenten Denkverboten verschanzt. Wir halten uns in diesem Fall an die Aussage der Autonomen Gruppen, wonach „(uns) solidarisch geführte Diskussionen (alle) stärken“.
Wir werden jedenfalls versuchen, die Genauigkeit in der Gegenargumentation und den Respekt vor anderen Positionen nicht zu verlieren und eine sachliche, an den getroffenen Aussagen orientierte Diskussion zu führen. In dem Fortgang der militante Debatte werden wir uns mit unseren eigenen Versäumnissen und Fehlern, die sich in unseren eigenen Diskussionen ergeben oder von anderen Gruppen benannt werden, zu beschäftigen haben und gegebenenfalls auch Korrekturen in unteren Positionen vornehmen. Wir erwarten von allen, nicht schon während der Debatte die eigenen vermeintlich „richtigen“ Positionen zu zementieren und reflexhaft ablehnend zu reagieren, wenn Schlagwörter aus dem politischen Giftschrank in der Diskussion fallen.
Wir respektieren natürlich, dass Clandestino „eine Organisierung militanter Zusammenhänge auf der vorgestellten Plattform der „mg“ ablehnt“. Wobei hier auch wieder eine Verkürzung mitschwingt, denn es geht noch nicht um eine konkrete Organisierung in einer militanten Plattform, sondern zuerst um eine genaue Diskussion der vorgestellten Prämissen. Wir sind nicht die Vortanzgruppe, die einen organisatorischen Rahmen bereitstellt, dem dann nur noch beizutreten wäre.
Des weiteren haben wir die Clandestino-Ansätze bspw. in der Frage der kontinuierlichen Namensgebung zu akzeptieren, dass sie aufgrund der potenzierten Repressionsgefahren bei militanten Aktionen auf ein immerwiederkehrendes Label verzichten, aber für eine inhaltliche Diskussion alt „Clandestino“ in Erscheinung treten. Problematisierbar ist auch immer der Begriffsapparat, der in Texten verwendet wird; auch bei uns finden darüber immer wieder Diskussionen statt. Der von Euch herausgehobene Begriff „Liquidation“ ist tatsächlich „keine Formalistik“, denn dieser Begriff vermittelt das weitgehendste Interventionsmittel der revolutionären Linken, das ihr zur Verfügung steht. Der Begriff „Liquidation“ beschreibt aber exakt den Sachverhalt, um den es geht: Tötung aus politischen Gründen, während „Exekution“ als Vollstreckung eines Hinrichtungsurteils in die Richtung von „Feme“ geht. Trotzdem bleibt es berechtigt, darauf hinzuweisen, nicht in eine „unkritische Übernahme bestimmter Begrifflichkeiten“ zu verfallen, die Ausdruck einer verdinglichten Herrschaftssprache sind.
Wir sind bereit, weiter mit Euch in der Diskussion zu bleiben, da wir unserer Ansicht nach erst am Anfang eines Austauschprozesses innerhalb einer gruppenübergreifenden militanten Debatte stehen, die hoffentlich noch viele interessante und zu klärende Punkte zu Tage fördern wird. Denn nur so werden wir ermitteln können, wie die Autonomen Gruppen schreiben, „ob wir uns auch politisch nahe sind, oder nur ähnliche Politikformen praktizieren“.
Zum Abschluss möchten wir darauf hinweisen, dass die hier geführte militante Debatte nur möglich ist, solange ein Blatt wie die Interim als klandestin organisiertes Diskussionsforum existiert. Besonders wichtig fanden wir in diesem Zusammenhang die 1.-Mai-Ausgabe der Interim, in der die bis dahin erschienenen Texte der „Militanz-Debatte“ dokumentiert wurden. Wir gehen davon aus, dass diese Debatte innerhalb der radikalen Linken eine Jahre umfassende Fortsetzung und Vertiefung finden wird. Die Wichtigkeit der Interim wird dadurch noch größer, wenn ein Projekt wie die radikal nicht oder nur sehr sporadisch umsetzbar ist. Wir wollen an dieser Stelle die Verantwortlichkeit der gesamten radikalen Linken hervorheben, klandestine Strukturen (finanziell) zu sichern, zu unterstützen und (perspektivisch) auszubauen.
Für eine militante Plattform – Für einen revolutionären Aufbauprozeß – Für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), August 2002