Beitrag zum Debattenversuch
der „militanten gruppe“ (mg)
Wir haben den Debattenversuch der mg zur Kenntnis genommen und diskutiert. Wir haben den Text so verstanden, dass das eigentliche Ziel dieses Papiers die Propagierung der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in der BRD ist. Vor allem hierzu und zu der bisherigen Aktionsform der mg (der Verschickung von scharfen Patronen mit ihrer beabsichtigten Drohung der Liquidierung) und den angesprochenen Vorstellungen zur Organisierung möchten wir unsere Kritik zur Diskussion stellen.
Zur Frage der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes sind für uns im Papier der mg viele grundsätzliche Probleme überhaupt nicht thematisiert worden.
Wer unter den jetzigen politischen Verhältnissen die Debatte über bewaffneten Kampf wirklich ernst meint, muß u.a. auch den Schritt in die Illegalität als Voraussetzung bzw. Konsequenz überhaupt einmal benennen und die damit zusammenhängenden Fragen und Probleme zur Diskussion stellen. Das versäumt die mg.
Sie theoretisiert zwar auf akademischer Ebene über die Auflistung von Klassikern und Positionspapieren, ignoriert aber alle Faktoren für eine authentische subjektive Entscheidung für den bewaffneten Kampf. Nach unserem Verständnis des bewaffneten Kampfes, bedeutet er die persönliche Bewaffnung mit einer Schusswaffe und die Bereitschaft diese Waffe auch bei einer politischen Aktion einzusetzen. Diese politische Praxis führt nach allen bisherigen Erfahrungen zu einem extremen Fahndungsdruck. Dieser führt dann zwangsläufig zum Abtauchen in die Illegalität und zum Bruch mit dem bisherigen sozialen Umfeld und vielen persönlichen Beziehungen. Außerdem müssen die logistischen Probleme des Überlebens und des Kampfes auf dieser Ebene genau durchdacht werden.
Wir erwarten von Allen, die eine Auseinandersetzung über den bewaffneten Kampf forcieren, dass sie sich die Teilnahme daran subjektiv auch vorstellen können. Ansonsten bleiben es leere Wortpatronenhülsen von MaulheldInnen.
Aus unserem politische Selbstverständnis und unserer Geschichte sollte jede militante Aktion und erst recht jede bewaffnete Aktion genau bestimmt sein. Der willkürliche bzw. unreflektierte Einsatz von Gewalt ist nicht unsere Maxime, sondern die des politischen Gegners.
Aufgrund dieses Selbstverständnisses halten wir einen sensiblen Umgang mit diesen Aktionsformen für notwendig. Das sollte sich sowohl in der von uns gewählten Sprache als auch in den gewählten Mitteln niederschlagen. Im Text der mg hat uns die unkritische Übernahme bestimmter Begrifflichkeiten gestört, die nicht unserem Politikverständnis entsprechen, so z.B. Begriffe wie Vermassung und „Liquidation“.
Der genaue Umgang mit diesen Begrifflichkeiten ist für uns keine Formalistik sondern Ausdruck politischer Identität. Nach der Auseinandersetzung mit der AIZ wird jede/r nachvollziehen können, dass die Proklamation des bewaffneten Kampfes als gemeinsame politische Basis allein nicht ausreicht.
Auch die von der mg gewählte Aktionsform halten wir für problematisch. Das Verschicken von scharfer Munition als Todesdrohung hat für uns Feme-Charakter und ist uns als Aktionsform der politischen Linken nicht bekannt. Außerdem sehen wir darin ein Kokettieren mit dem Mythos des bewaffneten Kampfes, was in der Praxis der mg keine Entsprechung hat.
Mit Todesdrohungen als politische Aktionsform sollte nicht leichtfertig umgegangen werden. Die Aufnahme des bewaffneten Kampfes steht für uns aus subjektiven und objektiven Gründen nicht an.
Wir leben nicht in einem Elfenbeinturm und ignorieren die massiven und menschenverachtenden Übergriffe und Ausbeutungsverhältnisse im Trikont und hier in den Metropolen. Doch die in langen Jahren entwickelte politische Identität, die sich noch immer an einer linken Basis orientiert und der Widerstand und Zorn gegen die bestehenden Verhältnisse soll sich in unseren Aktionen äußern.
Wir halten es auch für legitim, Angst um die eigene Existenz zu haben und dies bei der Bestimmung einer Aktion zu berücksichtigen. Sieg oder Tod ist eine markante Parole, doch sie entspricht nicht unserer politischen Realität und der Ebene der politischen Auseinandersetzung. Eine Diskussion über die Aufnahme des bewaffneten Kampfes setzt für uns eine Konfrontation mit den Herrschenden voraus, in der der bewaffnete Kampf in eine militante und radikale Bewegung eingebunden ist. Der bewaffnete Kampf kann hierbei nur ein Teil in einer umfassenden Strategie der Umwälzung der bestehenden Verhältnisse sein.
Als radikale Linke schließen wir den bewaffneten Kampf nicht von vornherein aus, doch halten wir zum jetzigen Zeitpunkt die Bedingungen nicht für erfüllt.
Mit unserem Papier „CLANDESTINO – für eine Wiederentdeckung militanter Politik-“ (Interim Nr. 502) wollen wir militante Praxis als politische Haltung und Aktionsform wieder mehr ins Bewusstsein rücken und damit einen Beitrag für deren Weiterentwicklung leisten. Sicherlich ist militante Politik mit dem ständigen Abfackeln von Autos nicht an ihr Ende gekommen. Es gibt aber eine breite Palette von Handlungsmöglichkeiten. Ein hoher Sachschaden bei einer Aktion gegen eine Institution des Systems oder auch einer Privatwohnung eines Schreibtischtäters vermittelt mehr Entschlossenheit, stößt auf mehr Zustimmung und hat mehr politischen Effekt als die Briefsendungen der mg.
Die im Debattenversuch der mg aufgeführten Perspektiven zur Organisierung werden nicht verständlich und widersprechen sich sogar.
Ist es die Verbreiterung bzw. die Verlagerung radikaler linker Politik weg von der Szene hin zu anderen wichtigen gesellschaftlichen Sektoren – und welche sollen das sein? ArbeiterInnen? MigrantInnen? SozialhilfeempfängerInnen?
Diese Logik erinnert uns an die in Krisenzeiten der Linken immer wieder auftauchende Suche nach dem einzigen und wahren revolutionären Subjekt. Oder sind es Entwicklungen hin zu einer militanten Bewegung und zum bewaffneten Kampf, die sicherlich nicht aus einer neu entstehenden Verbreiterung resultieren können, sondern in einer weiteren Organisierung bestehender Zusammenhänge liegen müßte. Insoweit weisen die Vorschläge in konträre Richtungen.
Seien wir doch ehrlich, unsere Praxis findet immer weniger Akzeptanz. Eine grundlegende Voraussetzung für alles Weitere ist doch erstmal wieder eine antipatriarchale, antirassistische und antikapitalistische Haltung und eine radikale Ablehnung der herrschenden Verhältnisse in den sich selbst für fortschrittlich verstehenden Gruppen und Zusammenhängen zu verankern.
Nur so kann die Basis für militante Politik neu entwickelt werden. Prinzipiell finden wir es richtig, wenn sich eine militante Praxis an den sozialen und legalen emanzipatorischen Bewegungen orientiert. Wenn die Bewegungen aber immer mehr zusammenschrumpfen und ihre Positionen häufig immer reformistischer , also herrschaftserhaltender werden, stehen wir vor dem Dilemma, unsere Praxis einzustellen oder unter den veränderten Bedingungen weiterzumachen. Wir haben uns für Letzteres entschieden.
Insofern finden wir es richtig, wenn militant agierende Gruppen zu einem eigenen, uneinnehmbaren politischen Faktor werden. Dabei muß uns aber klar sein, dass wir uns nicht in einem luftleeren Raum bewegen und wir deshalb unsere Praxis im Kontext zu den bestehenden Auseinandersetzungen und Kämpfen emanzipatorischer Gruppen bestimmen müssen.
Vor diesem Hintergrund finden wir es völlig überzogen von einem konkreten „...komplexen Organisierungsprozess“ der „alle Widerstandsebenen (Bewegung, militante Gruppen, Guerilla, revolutionäre Parteistruktur) beinhaltet“ zu träumen. Hier wird die reale Situation verkannt und über alle Widersprüche zwischen den erwähnten Organisierungsformen hinweggegangen. Darüber hinaus verstehen wir nicht, was sich die mg vom Aufbau einer revolutionären „Parteistruktur“ überhaupt verspricht. Die Brisanz der zum Teil auch in Parteistrukturen eingebundenen Organisationen (z.B. IRA, PLO, ETA, PKK) resultiert nach unserer Ansicht nicht aus der parteimäßigen Organisationsform allein, sondern auch aus den populistischen und deshalb politisch fragwürdigen Reflexen. Bei allen genannten Organisationen ist dies ein separatistischer Nationalismus, der nicht eine herrschaftsfreie Gesellschaft zum Ziel hat, sondern die Schaffung eines eigenen Nationalstaates. Dies kann zwar eine politische Dynamik erzeugen, aber daraus entsteht nicht zwangsläufig eine fortschrittliche Entwicklung.
Dass die Bildung einer revolutionären Partei in der BRD nicht das Problem mangelnder politischer Kontinuität radikaler Positionen und Zusammenhänge lösen kann, beweisen viele bedeutungslos vor sich hin politisierende parteiähnliche Gruppen, von denen sich dann die meisten nach ein paar Jahren wieder aufgelöst haben und auflösen.
Für die inhaltliche sowie praktische Zusammenarbeit und Bezugnahme zwischen den einzelnen über die BRD verstreuten Zusammenhänge können wir uns ausschließlich eine Ebene vorstellen, die ausreichende Sicherheit für die Beteiligten gewährleistet. Deshalb ist für uns unter den momentanen politischen Verhältnissen und bis auf unabsehbare Zeit, nur eine Verbindung über ein zwischengeschaltetes Medium (wie die Interim) akzeptabel. Ein Mitdiskutieren von Staatsschutz und Verfassungsschutz ist auch so nicht auszuschließen, kann aber immerhin nicht praktisch werden und zu unkalkulierbaren Konsequenzen führen.
Wir gehen prinzipiell auch davon aus, dass die politische Solidarität in der übriggebliebenen linksradikalen Szene nicht die Kraft haben könnte, Angriffe des Apparates auf identifizierte Zusammenhänge abzuwehren oder wenigstens ihre Auswirkungen abzumildern.
Deshalb ist es für uns indiskutabel direkte persönliche Kontakte zu uns unbekannten militanten Zusammenhänge aufzunehmen. Die in der militanten Aktion selbst liegende Gefährdung der Beteiligten genügt als Sicherheitsrisiko völlig. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung nach einem eigenen „Markennamen“ für die einzelnen Gruppen. Natürlich ist es prinzipiell richtig und auch wünschenswert, unter einem konstanten Gruppennamen inhaltlich und praktisch wahrgenommen zu werden. Entwicklungen, Widersprüche und Brüche sind darüber erst nachvollziehbar. Leider beschränkt sich dies nicht nur auf die Szene. Und der Repressionsapparat braucht nunmal bestimmte Kriterien, um militante Aktionen einzelnen Gruppen zuordnen zu können. Da sollten wir es ihnen nicht zu einfach machen und auch noch die Hebel für den 129a dazu liefern. Der Sicherheitsaspekt überwiegt hier für den Fall, dass es einmal schiefgeht. Wichtiger als ein Markenname ist für uns deshalb inhaltliche und praktische Kontinuität.
Da es hier nicht um eine konkrete Aktion geht, haben wir uns für die Teilnahme an dieser Diskussion mit dem Namen „Clandestino“ entschieden.
An dieser Stelle wollen wir uns auf den Text der „Autonomen Gruppen“ „Tote tragen keine Karos“ (Interim 549) beziehen, wo ähnliche Positionen vertreten werden und deren Vorschlag zur Verwendung des einheitlichen Namens „Autonome Gruppen“ wir diskussionswürdig finden. Allerdings steckt nach unserer Einschätzung auch in diesem Vorschlag eine größere Gefahr der leichteren Zuordnung und möglichen Kriminalisierung durch den 129a. Gut fanden wir auch die in dem Papier angesprochene Problematik einer möglichen Förderung von StellvertreterInnenpolitik und Hierarchisierung durch Verwendung eines festen Gruppennamens.
Da unser Schreiben bereits versandfertig war als die Beiträge „Tote tragen keine Karos“ Interim 549 und das letzte Papier der mg (Interim 550) veröffentlicht wurden, haben wir versucht diese Texte noch mit einzubeziehen.
Obwohl der Beitrag der mg mit 12 Seiten doch sehr umfangreich ist, mußten wir feststellen, dass die für uns wesentlichen Fragen einer Auseinandersetzung über Militanz und bewaffneten Kampf auch darin nicht angesprochen werden.
Unser Eindruck ist, dass der Text sich aus diversen Versatzstücken der verschiedensten Theorien und Analysen zusammensetzt. Neue Impulse für eine Debatte über militante Politik können wir darin nicht finden.
Auch die vorgestellte „militante Plattform“ erscheint uns als vorschneller Versuch eine Art „Parteiprogramm“ der militanten Zusammenhänge in den Raum zu stellen. Neben der Fragwürdigkeit dieses Versuchs, ist es auch eine Ignoranz gegenüber den realen Bedingungen militanter Politik heute in der BRD und steht in keinerlei Verhältnis zur eigenen, kaum entwickelten, militanten Praxis der „mg“. Aus diesen Gründen lehnen wir eine Organisierung militanter Zusammenhänge auf der vorgestellten Plattform der „mg“ ab.
Allerdings finden wir es gut, dass die Diskussion über militante Politik endlich in Gang kommt. Eine weitere Auseinandersetzung und möglicherweise auch Organisierung mit Zusammenhängen wie den „Autonomen Gruppen“ können wir uns gut vorstellen.
VerfasserInnen des clandestino-Papiers, Juni 2002