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März 2000 | clandestino

Interim Nummer 502, 18. Mai 2000, Seite 12 bis 17

CLANDESTINO – für eine Wiederentdeckung militanter Politik

Wir sind eine verdeckt organisierte Gruppe aus der Region Stuttgart-Neckar-Alb, die bereits seit längerem versucht, über militante Aktionen politisch zu intervenieren. Bisher haben wir uns nur innerhalb der Erklärungen zu unseren Aktionen zu Wort gemeldet. Verschiedene Überlegungen haben uns veranlaßt, dies nunmehr unabhängig von einer konkreten Aktion zu tun. Wir konnten uns damit primär den inhaltlichen Aussagen widmen, ohne im zeitlichen und faktischen Druck einer bevorstehenden Aktion zu stehen.

Wir gehen davon aus, dass es für diese Auseinandersetzung besser ist, ohne den Repressionsdruck nach einer Aktion nach außen zu treten. Schließlich lastet kein direkter Fahndungsdruck auf diesem Papier, so dass insoweit auch ein etwas entspannterer Umgang damit möglich sein sollte. Niemand muß befürchten, durch das Aufgreifen und Diskutieren unserer Gedanken in Zusammenhang mit einer bestimmten Aktion gebracht zu werden.

Gleichwohl ist uns bewusst, dass auch eine Auseinandersetzung, wie wir sie hier führen wollen, für den Staatsschutz von großem Interesse sein dürfte. Deshalb haben wir auch bei der Erstellung dieses Papiers die nötigen Sicherheitskriterien beachtet.

Schon seit längerer Zeit gibt es bei uns Diskussionen und Auseinandersetzungen über linksradikale Politik und Perspektive. Wir haben nun diesen Weg gewählt, um diese nach außen zu bringen.

Es ist heute nicht mehr ohne weiteres möglich, sich im öffentlichen Raum (z.B. bei Veranstaltungen) auf militante Aktionen zu beziehen oder linksradikale Ansätze zu vertreten. Der Grund dafür ist, dass eine linksradikale Politik im legalen Bereich nicht mehr betrieben wird. Menschen, die solche Positionen einnehmen, gelten inzwischen bei denen, die vor Jahren linksradikaler Politik nahestanden, oder auch selbst bei denen, die sich noch als Linksradikale verstehen, als politisch antiquierte Exoten. Sie machen sich außerdem in diesen Zeiten schnell verdächtig, selbst an militanten Aktionen beteiligt gewesen zu sein.

Situationsbeschreibung und Einschätzung:

Die Krise der Linken hat all ihre Strömungen erfasst. Die einschneidendste Zäsur war hier sicherlich der Zerfall der DDR, der einherging mit dem Ende der meisten realsozialistischen Staaten und in der Auflösung der Sowjetunion gipfelte. Obwohl in vielen Analysen immer wieder als Karikatur und Pervertierung einer besseren Gesellschaft bezeichnet, löste dieser Zerfall bei vielen linksorientierten Menschen Resignation und Frustration aus. Schließlich waren diese Länder Versuche, eine gesellschaftliche Utopie in die Praxis umzusetzen oder zumindest dem Kapitalismus eine Gegenmacht aufzuzeigen. Zweifelsohne zog dieser Zusammenbruch auch viele tatsächliche Veränderungen im politischen Leben nach sich. Die BRD mutierte wieder zu einem Großdeutschland, nationalistisches Großmachtdenken wurde nunmehr offensiv propagiert. Linke oder gar linksradikale Perspektiven in diesem politischen Klima zu vertreten, schien geradezu absurd.

Rückzug in das Private

Viele unserer ehemaligen GenossInnen haben sich inzwischen aus der linksradikalen Politik verabschiedet. Ein Großteil davon hat dabei einen Rückzug in den privaten Bereich angetreten. Gründe dafür gibt es genug:

Offensichtlich glaubten sie, dass eine linksradikale politische Praxis nicht mit einem „normalen“ privaten Alltag in Einklang zu bringen sei. Die Entscheidung lautete hier immer: Politik oder Ausbildung, Politik oder Beziehung, Politik oder Kinder ...

Weiterhin existierte bei vielen GenossInnen eine falsche Revolutionseuphorie. Aufgrund marxistischer Analysen oder der damaligen Aufbruchstimmung rechneten sie mit einer mittelfristig real zu bewirkenden Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD. Als dies so schnell nicht passierte, sogar ein politisches Roll-Back einsetzte, war der Frust groß und viele verloren die Perspektive politischen Handelns.

Wir denken, dass derartige Entwicklungen einem fehlenden oder falschen Geschichtsbewußtsein entspringen, das auch aus den Wurzeln eines Teils unserer Bewegung resultiert. Schließlich stammt ein Teil von uns aus der Autonomen Bewegung, bzw. Antiimperialistischen Bewegung, die ihre Kraft und Energie oftmals aus dem „Hier und Jetzt“ bezog. Individuelle Veränderungen, sei es nur das eigene Älter-werden, kamen in diesem politischen Lebensbild nicht vor.

Politik wurde von vielen solange und so aktionistisch betrieben, bis die Einzelnen nach einer mehr oder weniger langen Phase ausgebrannt und ausgepowert waren. Damit hatten sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan und verabschiedeten sich aus den Zusammenhängen.

Politik war auch ein Mittel zur persönlichen Selbstverwirklichung. Als die Erfolgserlebnisse ausblieben, suchten viele diese im privaten Bereich. Ein weiterer wichtiger Grund für den Rückzug aus linksradikaler Politik war die berechtigte Angst vor Kriminalisierung und Knast.

Es zeigte sich, dass eine linksradikale Praxis für uns in den Metropolen keine existentielle Notwendigkeit darstellt. Für eine bestimmte Phase oder einen Lebensabschnitt mag eine derartige Politik praktikabel sein, vielleicht sogar den emotionalen Kick vermitteln. Doch das System hält jederzeit die Türe offen, wir können immer zurückkehren in den privilegierten Alltag der Metropole, der uns zumindest die Existenz und das Überleben hier sichert.

Wahrscheinlich hält das System in vielen Fällen für uns sogar die „profitablere“ Alternative bereit. Schließlich setzt sich ein Großteil unserer Bewegung aus weißen, ausgebildeten und insoweit integrierten Männern und Frauen zusammen, die sicherlich in der BRD nicht zu den Marginalisierten zählen.

Oft wurde der Rückzug aus der linksradikalen Politik mit den dort herrschenden Hierarchien begründet. Besonders die männerdominierte Arbeitsweise und Mackertum wurde von Frauen immer wieder kritisiert und die Aufarbeitung eigener patriarchaler Gewaltverhältnisse bei Männern eingefordert. Viele Frauen kehrten dieser Politik in gemischten Zusammenhängen den Rücken, als sie feststellten, dass diese Aufarbeitung nicht stattfand oder sich nicht so deutlich umsetzte, wie sie es erwartet hatten. Nur wenige organisierten sich in Frauen-/Lesbenzusammenhängen um dort weiterhin eigenständige feministische linksradikale Politik zu machen.

Reformismus

Viele der verbliebenen AktivistInnen haben sich an der linksliberal dominierten, reformistischen Linken orientiert. Da viele Teilbereichsgruppen nicht mehr handlungsfähig waren und auseinanderfielen, haben sich manche in Gruppen begeben, die sich zwar mit demselben Themenkomplex beschäftigen (z.B. Flüchtlingspolitik), diesen aber jenseits einer prinzipiellen Systemablehnung behandeln. Dieser Schritt mag auch taktisch bestimmt worden sein, um so durch Sensibilisierung und Überzeugungsarbeit zur Schaffung einer neuen Basis für linksradikale Inhalte beizutragen. Auch bestand die Hoffnung, wieder eine besser mobilisierbare Öffentlichkeit zu schaffen, die größere Handlungsspielräume zuläßt.

In der Realität sieht es aber meistens so aus, dass in solchen heterogenen Gruppen linksradikale Positionen abgeblockt und ausgegrenzt werden. Um in diesem politischen Spektrum weiter arbeiten zu können, müssen diese AktivistInnen selbst nach und nach reformistische Positionen und Forderungen übernehmen.

Sich an ihrem gewohnten Themenbereich abzuarbeiten, wird für sie somit wichtiger, als anhand dieses Teilbereichs eine grundlegende Ablehnung des gesamten Systems zu vermitteln und daran eine Konfrontationslinie aufzuzeigen.

Zusätzlich können einzelne Teilerfolge die trügerische Illusion vermitteln, das System insgesamt durch diese Art von Politik ändern zu können. So erfreulich und wichtig die Verhinderung jeder einzelnen Abschiebung ist, so wenig kann dies jedoch darüber hinwegtäuschen, dass der Staat weiterhin an seiner kompromisslosen Abschiebepolitik festhält. Hinter jeder mit viel Kraftaufwand und mobilisierter Öffentlichkeit verhinderten Abschiebung stehen Hunderte von Abschiebungen, die unbemerkt von der Öffentlichkeit, zum Teil mit massivster Gewalt, routinemäßig durchgesetzt werden.

Die Reformierung des Systems scheint für immer mehr ehemalige GenossInnen erfolgsversprechender als seine Abschaffung.

Es wird zudem immer häufiger auf die Einsicht und Überzeugbarkeit der FunktionsträgerInnen der Macht gesetzt. Wohin diese Selbsttäuschung führen kann, zeigt sich in letzter Konsequenz an der Entwicklung grüner Politik. Der ehemalige „Strassenkämpfer“ Josef Fischer ist ein bedrückendes Beispiel hierfür.

Politisch sichtbar wird die Integrationsfähigkeit des Systems daran, dass die ehemalige außerparlamentarische Opposition der Grünen nunmehr selbst über die eigene Regierungsbeteiligung an der Atompolitik, dem kontinuierlichen Ausbau der Festung Europa und in letzter Konsequenz am „humanitären Kriegseinsatz“ im Kosovo aktiv mitwirkt, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Militanz und Widerstand

Vor diesem Hintergrund scheint es fast schon überflüssig, auf den momentanen Stand und die gesellschaftliche Bedeutung militanter Praxis einzugehen. Mit militanter Praxis meinen wir in diesem Zusammenhang nicht nur illegale militante Aktionsformen unter klandestinen Bedingungen, sondern auch öffentliche Formen organisierten und spontanen Widerstands.

Bei den aktuell inszenierten öffentlichen Protestaktionen aus dem linken Spektrum fand analog zur Verschiebung der propagierten politischen Inhalte und Ziele eine „Verniedlichung“ der Protestformen statt.

Früher praktizierte Formen der direkten Konfrontation mit den politischen Gegnern und der diese schützenden staatlichen Ordnungsmacht, in denen deren Ablehnung deutlich zum Ausdruck kam, wurden durch lediglich symbolische Protestformen ersetzt. Diese orientieren sich zunehmend an einer vorherrschenden Dialogbereitschaft auf politischer Ebene gegenüber den Herrschenden und deren Ordnungsmacht. Das traute Zwiegespräch zwischen Polizistinnen und Teilnehmerinnen linker Protestaktionen gehört inzwischen zum gewohnten Bild. Durch diese Verschiebung hin zu staatlich genehmigten und vorher mit staatlichen Vertretern abgesprochenen Aktionsformen wird, unabhängig vom politischen Inhalt der konkreten Aktion, auf der direkten sinnlichen Ebene die Message transportiert: „Wir sind harmlos und ihr (der Staat und seine Büttel) seid es auch. Kommt und lasst uns doch zusammen harmlos sein!“

Diese veränderte praktische Ebene ergänzt die inhaltliche Ebene, wo über das Vertreten reformistischer Positionen die These von der Richtigkeit der „Politik der kleinen Schritte“ propagiert wird. In der Verbindung beider Ebenen, zu einem vom politischen Gegner und seiner Ordnungsmacht nicht mehr ernstzunehmenden Gesamtbild aktueller linker Politik, liegt das momentane Dilemma.

Es ist aber noch größer wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Linke scheint sich selbst nicht mehr ernst zu nehmen, was sich auch in den Aktionsformen widerspiegelt. Durch diese Entwicklung verschwindet der Begriff von „politischer Militanz“ zunehmend aus dem Bewusstsein der Linken. Eine Vermittlung klandestiner militanter Aktionen, die schon allein durch ihre Art der Ausführung eine Konfrontationslinie ohne Dialogbereitschaft gegenübendem Staat aufzeigen wollen, wird auch deshalb immer schwieriger.

Militante Aktionen werden oft nur noch als skurriles Hobby für die unausgefüllte Freizeit einiger Weniger wahrgenommen. Sie haben nichts mehr mit der Realitätswahrnehmung Vieler gemeinsam, auch wenn sie sich noch als Linksradikale begreifen.

Militante Aktionen werden nur noch als störend und verunsichernd hinsichtlich der eigenen politischen Praxis zur Kenntnis genommen. Erst recht, wenn sie lokal bzw. regional präsent sind. Der übrig bleibende versprengte Rest militanter Kleingruppen, versucht so zunehmend isolierter durch vereinzelte Aktionen auf die Erforderlichkeit militanter Praxis hinzuweisen.

Für Andere wiederum waren die verschärft zugespitzten gesellschaftlichen Roll-Backs nach 90 und die vermeintlich fehlende eigene Möglichkeit, darauf adäquat zu reagieren. Grund genug, ihre militante Praxis zu beenden. So eine RZ in ihrem Auflösungsschreiben „Das Ende unserer Politik“: „Wir ziehen heute die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Form und Struktur unseres Kampfes Ausdruck einer bestimmten Phase der Entwicklung der gesellschaftlichen Widersprüche in der BRD nach 1968 war, die unwiderruflich mit dein Zusammenbruch des Realsozialismus und den darauf folgenden Zersetzungsprozessen, der deutschen Wiedervereinigung und der im zweiten Golfkrieg skizzierten „Neuen Weltordnung“ ihr Gepräge verändert haben (...) Die objektive Analyse dessen, was seit 1989/90 historisch gelaufen ist (...) erforderte im Grunde eine ganz andere Surfe der Organisierung des militanten und revolutionären Widerstands. Aber wir können das nur doch als leeren Anspruch formulieren. In Wahrheit sind wir von der Geschichte überrollt worden.“ Diese Erklärung stammt aus dem Jahre 1992.

Bis heute haben sich die meisten militanten Gruppen (vor allem die RZ und die Rote Zora) aufgelöst oder treten zumindest nicht mehr aktiv in Erscheinung. Unserer Einschätzung nach resultiert dies daraus, dass die von ihnen angestrebte Verbreiterung und Verankerung in der linken Szene ausblieb.

Neubestimmung militanter Politik

In den bisherigen Analysen linksradikaler Politik war die angestrebte und erwartete Verbreiterung und Verankerung im politischen Umfeld fundamentales Ziel für jede Militanz. Illegale Aktionen sollten die legalen Bereiche ergänzen, stärken und weitere Impulse zur Orientierung geben.

Während dieser Avantgardeanspruch von der RAF direkt formuliert wurde und auch in der Schärfe ihrer Konfrontation mit dem System zum Ausdruck kam, nahmen auch die anderen illegalen Gruppen faktisch einen Avantgardeanspruch auf anderer Konfrontationsebene ein. Die Legitimation eigenen politischen Handelns wurde von der Resonanz in der legalen linksradikalen Bewegung abhängig gemacht.

Weiterhin schien militante Politik nur in der zugespitzten Situation einer vermeintlich vorrevolutionären Phase angesagt.

Von beiden Faktoren kann militante Politik heute nicht mehr ausgehen. Dennoch sehen wir die Notwendigkeit der Fortführung einer militanten Praxis. Niemand unserer (ehemaligen) GenossInnen wird die Menschenverachtung und die Grausamkeit des herrschenden Systems leugnen.

Die Ausbeutung und Verwertung menschlicher und natürlicher Ressourcen, rassistische Ausgrenzung, der versuchte Zugriff auf die Reproduktionsfähigkeit von Frauen, der gesamte Sexismus mit allen seinen Erscheinungsformen, hat sich im Rahmen der weltweiten Globalisierung von Kapital und Konzernen verschärft und zugespitzt.

Die Globalisierung wird derzeit auch in der BRD über eine neoliberalistische Umstrukturierung durchgesetzt. Viele soziale Reformen des „Modells Deutschland“ werden hierfür rückgängig gemacht. Auch daran wird in eindrücklicher Weise deutlich, dass Herrschaftsverhältnisse nicht durch Reformen überwunden werden können, sondern sich im Zusammenspiel von zugestandenen Reformen und Roll-Backs ständig neu konstituieren.

Diese Situation stellt uns vor die Frage von Handlungsmöglichkeiten.

Für uns leitet sich die Notwendigkeit militanter Praxis bereits aus der beschriebenen politischen Lage ab, auch wenn wir nicht davon ausgehen, dass sich in absehbarer Zeit eine breite politische Basis für diese Politik entwickeln wird.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die genannten Ausbeutungsverhältnisse nur durch radikale Opposition gebrochen werden können. Damit meinen wir nicht nur verdeckte, militante Aktionen, sondern alle Protest- und Widerstandsformen, die inhaltlich und praktisch einen Dialog mit den Vertreterinnen des Systems weitgehend ablehnen. Uns geht es bei der Praktizierung militanten Widerstands nicht nur darum, konkret einzugreifen und auf eine Verbreiterung dieser Aktionsformen zu setzen. Uns geht es zentral um das Anstoßen der Diskussion über „politische Militanz“ im Allgemeinen und das Verhältnis der verschiedenen Militanzformen zueinander. Politische Militanz ist für uns die Basis und Voraussetzung für neu zu entwickelndes linksradikales Bewusstsein.

Unsere Erfolgserlebnisse bestehen zwar nicht in der Herbeiführung revolutionärer Verhältnisse, doch können wir zumindest in den reibungslosen Ablauf des Systems eingreifen und werden für dieses zum unkalkulierbaren Risikofaktor.

Genauso wichtig ist für uns auch das politische Signal, dass militantes Bewusstsein weiterexistiert und solche Aktionen mobilisierend dafür wirken, die Diskussion über Militanz als politische Haltung wieder zu beleben.

Wir haben uns auch gefragt, inwieweit subjektive Erfahrungen und Erlebnisse unsere Praxis bestimmen. Natürlich freut uns jede gelungene Aktion und auch die Tatsache, dass die Herrschenden bisher offenbar noch keinerlei Anhaltspunkte über unsere Identität haben. Eine derartige politische Praxis wird jedoch nicht aus dem hohlen Bauch entwickelt. Sie erfordert viel Verantwortlichkeit, Kontinuität und Umsicht.

Immer wieder wird es auch nötig, sich die eigenen Strukturen und Gruppenprozesse zu hinterfragen. Wir müssen uns auch mit der permanent drohenden Repression auseinander setzen.

Trotzdem sind wir diesen Weg gegangen, weil wir es für eine Frage der Menschlichkeit und politischen Solidarität halten, innerhalb eines derartigen Systems handlungsfähig zu bleiben.

Aufruf zur Debatte

Mit diesem Papier wollen wir eine Initiative starten, um den Rückzug und die momentane Orientierung großer Teile der Restlinken an reformistischen Strategien zur Diskussion zu stellen. Gleichzeitig suchen wir im Rahmen dieser Auseinandersetzung eine Debatte über das staatliche Gewaltmonopol als herrschaftssicherndes Ordnungsprinzip.

Hierzu wollen wir unsere These einbringen, wonach eine Überwindung des Herrschaftssystems nur mit nicht integrierbaren Politikformen und Inhalten möglich wird. Dies beziehen wir ausdrücklich nicht nur auf die Ebene antistaatlicher Politik, sondern auch auf gesellschaftliche Herrschaftsformen neben dieser Ebene. Dabei denken wir z.B. an den herrschaftskonformen parlamentarischen Ansatz der PDS, auf den sich immer mehr ehemalige Linksradikale beziehen.

Unser zweites Ziel ist, mit anderen Zusammenhängen, die nach wie vor eine militante Praxis vertreten, in die Diskussion zu kommen. Mit euch wollen wir uns über eure Positionen und militanten Perspektiven austauschen.

Ein weiteres Anliegen ist uns, diese Diskussion in die jüngere Generation der Anti-Atombewegung, der Antifa- und Antirassismusbewegung zu tragen. Aufgrund des dargestellten desolaten Zustands der linksradikalen Bewegung, gehen wir von einer bisher weitgehend fehlenden Auseinandersetzung mit euch aus.

Praktisches

Konkret haben wir uns vorgestellt, die Diskussion über die – INTERIM, Gneisenaustr. 2a, Berlin – zu führen, da sie die einzige regelmäßig erscheinende Zeitung aus dem linksradikalen Spektrum ist. Wir hoffen, die ZeitungsmacherInnen damit nicht zu überfordern und senden euch auf diesem Weg solidarische Grüße!

Alle, die regelmäßig die Interim lesen und diese Diskussion wichtig finden, bitten wir darum, die Beiträge zu kopieren und an Interessierte und Bekannte weiterzugeben. Bitte denkt auch daran, bei Verteilen und bei Post an die Interim, die nötigen Sicherheitsmaßnahmen zu beachten (keine Fingerspuren, keine Speichelspuren, keine euch zuzuordnende Schreibmaschinen / Computer benutzen).

clandestino, März 2000