Mut zur Lücke? Zu Wolf Wetzels „postfordistischer Protestwelt“
Wolf Wetzels Ausführungen in seinem Junge Welt-Artikel „Teuflische Enge, Prekäre Arbeits-, Lebens- und Protestwelten im Postfordismus“ vom 3. August 2005 sind an vielen Stellen mit Gewinn zu lesen. Seine Positionen bzw. jene früheren der von Ihm maßgeblich inhaltlich getragenen „autonomen lupus-Gruppe“, eine Art ehemaliges linksradikales think tank, haben viele Diskurse der autonomen Szene beeinflusst, wenn nicht gar geprägt – zum Teil über den eigenen Tellerrand hinaus.
Wetzels aktueller Text stützt sich in wichtigen Punkten auf das Diskussionspapier „Zwischen einer radikalen Linken und ‚Realpolitik’ liegt nicht Verrat, sondern ihre Konkretion“, das er als Versuch einer politischen Standortbestimmung der sich formierenden Interventionistischen Linken auf dem Erfurter Sozialforum Ende Juli vorlegte. Wir haben uns als militante gruppe (mg) selbst mit einem Papier ins Getümmel des Sozialforums eingebracht und einige Eckpunkte aus dem Blickwinkel eines klandestinen Zusammenhangs formuliert. Unser Ziel ist es seit unserem Bestehen, einen Austausch zwischen verschiedenen Sektoren der Linken und eine gegenseitige Bezugnahme hinzubekommen, die nicht nur sporadisch ist, sondern auf Beständig- und Verbindlichkeit setzt.
„Wenn die Aktualität der Revolution bis auf weiteres suspendiert worden ist“ (Agnoli), dann setzen Reflexionen ein; die „subversive Theorie“ liegt hier erklärtermaßen näher als die „subversive Aktion. Wir versuchen beides miteinander zu koppeln. Auch Wetzel scheint diesen Anspruch in der Perspektive nicht aufgegeben zu haben. Die Schere geht aber zwischen uns da fühlbar auseinander, wo es um Handlungsoptionen, ideologische Positionierungen und Ausblicke von linkem Protest und Widerstand geht. Deshalb werden wir uns vorrangig auf zwei Aspekte in Wetzels Artikel beziehen, in denen wir bedeutende Differenzen sehen. Einerseits wollen wir der Frage nachgehen, wie ‚jenseitig‘ die „strenge“ Festlegung „Für den Kommunismus“ eigentlich ist, und wie es sich in diesem Zusammenhang mit der revolutionären Gewalt verhält. Andererseits wollen wir nach dem „Niemandsland“ fragen, das „zwischen dem Kampf um Verbesserungen im Bestehenden und dem Kampf um seine Beseitigung“ liegen soll und zu bestellen ist. Unter anderem „entlang“ dieser „sich immer wieder stellenden Fragen“ will Wetzel „zu neuen Antworten anregen“. Aus unserer Sicht wird in diesen nachfolgend von uns diskutierten Punkten eine Richtung für (ehemalige) revolutionäre Linke vorgeschlagen, die in den eingefahrenen Spurrillen des – nach alter Sprechübung – Zentrismus verbleibt. „Weder Revolution noch Gesetzlichkeit um jeden Preis, so hieß es bei Kautsky. Der immer wieder hoch gehaltene Wegweiser „Hier geht‘s zum Neuen“ führt ein ums andere mal in den Kreisverkehr. In der Beurteilung von Wetzels „postfordistischen Protestwelten“ sind wir auf Streitfälle gestoßen, die die (revolutionäre) Linke seit ihren Anfängen periodisch beschäftigen. Alle Dispute lassen sich anhand aller Dokumente neu darstellen. Als Beweisführung haben wir im Archivmaterial geblättert.
Jenseitig, streng und gewaltsam „Für den Kommunismus“?
Wetzel fragt süffisant bezüglich der Jenseitigen „strengen Festlegung“ „Für den Kommunismus“ „was wir (als Linke) bis dahin (machen)“. Wenn diese „Festlegung“ nicht nur zu einem folgenlosen und inhaltsleeren Bekenntnis veröden soll, quasi als Heilserwartung missverstanden wird, dann wird man sich wohl mit der unterm Arm geklemmten Wegskizze aufmachen und auf unzählige Unwägbarkeiten eingestellt sein müssen. Seit 2001 sind wir als Gruppe unterwegs. Also, wir wissen, was wir „bis dahin machen“: Als unser Nahziel haben wir einen Koordinationsprozeß unter militanten Gruppenzusammenhängen auf der Basis kontinuierlicher Aktion & Diskussion ausgegeben. Dieses Projekt der Bildung einer militanten Plattform sehen wir als einen entscheidenden Ausgangspunkt innerhalb eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses an. Es geht hierbei darum, daß sich die beziehungs- und bindungslos agierenden (teils vegetierenden) Bereiche der (revolutionären) Linken in ein Verhältnis setzen, sich zunächst punktuell, später themenübergreifend treffen. Dieses widerstandsebenenübergreifende Netzwerk als Organisierungsprojekt breiter Teile der (revolutionären) Linken umschließt alle bekannten Sektoren: Basisstrukturen, militante Gruppen, bewaffnete Struktur (Guerilla/Miliz), Partei-Form. Diese schlagwortartig aufgelisteten organisatorischen Eckpfeiler bilden das Fundament einer sozialrevolutionären und antiimperialistischen Politik, die für den Kampf für den Kommunismus steht.
Dieser Grundriss wird notwendigerweise angesichts der aktuellen Aussichtslosigkeit grundlegenden gesellschaftlichen Wandels von vielen, aber immer weniger Genossinnen als abstrakt und unwirklich, als Jenseitig abgetan. Von den Gutwilligen, aber Unentschlossenen ist ein derartiges Mammutprojekt wohlwollend als ambitioniert betitelt worden. Solange dieser große Kontrast zwischen dem universellen Charakter des „Für den Kommunismus“ einerseits und dem Fehlen einer interventionsfähigen revolutionären Linken, die die Zielvorstellungen im Sozialen zumindest hin und wieder aufscheinen lassen kann, andererseits bleibt, bleiben alle Beteiligten des Aufbauprozesses in der argumentativen Defensive. Diese wird sich nur aufbrechen lassen, wenn sich in diesem Prozeß Fortschritte zeitigen lassen, in denen der Kommunismus als „wirkIiche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“ (Marx) erkennbar, wenn nicht gar unmittelbar erfahrbar wird.
Mit der unterstellten „Strenge“ der „Festlegung“ „Für den Kommunismus“ gerät man schnell und absichtlich aufs Gleis des Dogmatismus, das direkt in die ideologische Sackgasse führt. Klar, mit grobschlächtigen Dogmatismen und reduktionistischen Formeln á la einzig das Ökonomische bestimmt das komplexe Gesellschaftliche, bekommt man zurecht nur eine abwinkende Handbewegung und ein müdes Lächeln entgegen gebracht. Damit sind wir einverstanden, aber zwischen der berechtigten Ablehnung eines vor sich hergetragenen Marxschen Formelwerkes und einem „philosophischen Opportunismus, der sich den Umständen beugt“ (Lefèbvre), befindet sich die Position, an elementaren Grundsätzen festzuhalten. Eine Preisgabe des kämpferischen Eintretens für eine klassen- und staatenlose Gesellschaftsform – für den Kommunismus- impliziert gleichzeitig eine Absage an denselben. Wenn man das so meint, wie es als Subtext bei Wetzel durchscheint, kann man es auch so sagen. Wetzel schreibt in seinem Diskussionspapier anlässlich des Sozialforums, daß es (zunächst?) um die Erarbeitung von „Alternativen“ gehe, „die kein Bekenntnis für den Kommunismus, für die Abschaffung des Kapitalismus benötigen“ Um ritualisierte Glaubensbekenntnisse geht‘s tatsächlich nicht, das überlassen wir denen, die etwas davon verstehen – den Klerikalen aller Anschauungen. Da, wo der Glaube aufhört, fängt das Denken um den Kommunismus und dessen Übergang von der Vision zur Realisierung an, nur das interessiert uns. Unglaubwürdig ist es allerdings, bei eventueller Nachfrage verklickern zu wollen, daß nur aus taktischen Gründen auf das Unwort Kommunismus verzichtet wurde, um es bei einer günstigeren politischen Großwelterlage dem breiten Publikum schmackhaft zu machen. Kommunismus ist aber keine Saisonware, die man je nach (eigener) Stimmungslage auf dem Markt der Möglichkeiten feilbietet. Und außerdem: Der Kommunismus kann erst dann erledigt sein, wenn wir ihn verwirklicht haben.
Wetzel fragt, ob man „das kapitalistische System beseitigen wollen (muß) – wenns sein muß auch gewaltsam – um diese Vorstellungen (existenzsichernder Lohn, Grundsicherung etc, Anmn. mg) umzusetzen“. Diese Frage lädt zu spekulativen Antworten ein. Kapitalismus ist, wie jeder soziale Organismus, nichts Statisches, mitunter etwas sehr Elastisches. Konzessionen konnten bis zu einer gewissen Schwelle allezeit erkämpft werden, wurden, wie wir seit einigen Jahren alle spüren, aber auch immer wieder ausgehebelt und rückgängig gemacht. Die (ausschließliche) Anwendung der „unmilitärischen Mittel, Parlamentarismus, Streiks, Demonstrationen, Presse und ähnliche Pressionsmittel“ (Kautsky), um ein formaldemokratisches Staatsgefüge allmählich in den Kommunismus zu überführen, ist eine verführerische wie vor allem trügerische Aussicht. Sich auf Hypothesen einzulassen zeugt zwar von einer Spielernatur, führt aber nur zu Wettschulden – siehe Chile 1973.
In dem Anlauf, den u.a. wir unternommen haben, würden wir gerne sicher gehen wollen; also, sicher ist sicher: um diese und weitere von Wetzel genannten Vorstellungen umzusetzen und vor allem erhalten und ausbauen zu können, muß „das kapitalistische System“ von Grund auf „beseitigt“ werden. Das ist eine Prämisse, die dann alle Illusionen beiseite lässt, wenn man bei dieser Gelegenheit gleich die Erfahrungen abruft, daß das staatliche Gewaltmonopol zur Sicherung der herrschenden Gesellschaftsordnung immer dann verstärkt auf den Plan tritt, wenn’s in den Grundfesten mehr oder weniger kräftig zu wackeln beginnt. Dann wird die permanente präventive Kenterrevolution zur offenen. Skandalisierende Vorwürfe oder moralisches Empören gegenüber den Exekutierenden der repressiven Staatsapparate sind überflüssig. Unser Weltbild würde zusammenbrechen, wenn sich die Reaktion ihr selbst verfassungsmäßig verbrieftes Gewaltmonopol von uns tatenlos übernehmen lassen würde. Es geht doch schließlich um ihre privilegierten Gesäßhälften.
Wir halten uns frei nach dem französischen Philosophen Merlea-Ponty daran, daß wir als KommunistInnen die Gewalt nicht erfunden, sondern vorgefunden haben. Daraus folgt, daß wir als KommunistInnen in der Anwendung revolutionärer Gewalt unser Widerstandsrecht wahrnehmen, denn unsere Gewaltlosigkeit würde nur die institutionalisierte Gewalt reproduzieren. Resümierend können wir festhalten, daß dem staatlichem Gewaltmonopol „die Anerkennung und Ausübung eines höheren Rechts und die Pflicht des Widerstandes als Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung der Freiheit (...) als potentiell befreiende Gewalt (gegenüber steht)“ (Marcuse).
Was liegt zwischen Verbesserung und Beseitigung des Bestehenden?
„Viel Luft“, so Wetzel. In seinem Sozialforumsbeitrag war der luftige Zwischenraum noch das „Niemandsland“, das „zu betreten und fruchtbar zu machen“ sei. Die Metaphern wechseln, der Inhalt bleibt. So auch auf einer Veranstaltung des „Neuen Deutschland“ am 28.1.05 in Berlin. Als der Vertreter der Gruppe „FelS“, die ein Teil der „Interventionistischen Linken“ ist, berichtete, daß man infolge eines offenen Briefes an die WASG von den einen wegen zu großer Nähe gegenüber dem Linkspartei-Projekt kritisiert wurde, von anderen wegen überzogener Kritik an Lafontaine, konnte man sich in etwa ein Bild davon machen, wo die mutige Lücke der Intervention liegt. Die allgemeine Fixierung auf die WASG in der Linken, die für Wetzel offensichtlich ein Resultat auf die marginalen, zaghaften und erfolglosen betrieblichen und außerbetrieblichen Proteste“ ist, findet sich explizit in seinem Sozialforumspapier wieder; dort adelt er jene neue Formation als ein „parlamentarisches Ventil“ der breiten Unzufriedenheit“. Wetzel kennt mit seinem» autonomen Background alle Einwände gegen das „Glatteis parlamentarischer Vermittlung und Repräsentation“. Er versucht sie dadurch einzufangen, daß „es nicht darum geht, wer die radikalste Forderung aufstellt und durchsetzt. Im Mittelpunkt müßte ihr Doppelcharakter stehen, im Bestehenden eine Alternative aufzeigen und gleichzeitig darüber hinaus zu weisen.“
Die parlamentarische Bühne mag in Zeiten des Sozialistengesetzes (1878 – 1890) vor dem Hintergrund, das sie der einzige Artikulationsraum der damaligen revolutionären Sozialdemokratie war, ihre Berechtigung gehabt haben, um überhaupt über eine Präsenz zu verfügen. Zudem war das Parlament für alle politischen Kräfte eine noch junge Einrichtung der Konfrontation im Klassenkampf. Davon kann nach der jahrzehntelangen Erfahrung mit dieser zentralen Stütze der herrschenden Gesellschaftsordnung nur noch von IgnorantInnen ausgegangen werden. Wir müssen uns doch wahrlich nicht die Mühe machen, die folgerichtig zerstobenen Illusionen über das Wesen des Parlamentarismus als ideologischen Staatsapparat aufzuzählen. Viele sind als fundamentale Kritikerinnen des bestehenden in den Parlamentsbetrieb eingetreten, in den dortigen Mechanismen aufgegangen und, wenn die Mandatszeit abgelaufen war, als Wendehalsige VerfechterInnen herausgekommen – die Ausnahmen bestätigen die Regeln. Realismus wäre an dieser Stelle wirklich angebracht. Und wie verweist man mit Alternativen über das bestehende hinaus, wenn man den Kommunismus in der politischen Agitation ausklammert? Das legalisierte und kompromißlerische Ausreizen der Grenzen des Kapitalismus heißt aber zunächst einmal nichts anderes, als innerhalb dieses Grenzverlaufs zu verbleiben. Wenn wir es etwas pathetisch ausdrücken dürfen, dann verheißt Wetzel den Marginalisierten und Deklassierten eine(beträchtliche) Verbesserung ihrer gegenwärtigen Lage – immerhin – ;aber um den Preis, daß sich die Aussicht auf Befreiung verringert.
Was haben wir insgesamt gegen eine solche Positionierung zwischen kommunistischer Bekenntnisrhetorik“ und systemstabilisierender Realpolitik einzuwenden? Zunächst wird suggeriert, als ob wir es tatsächlich mit einem quasi neutralen „Niemandsland“ zu tun hätten, das nur darauf wartet, von uns inhaltlich-praktisch besät zu werden. Dieses kann nur gelingen, wenn vor allem die antagonistische Perspektive „Für den Kommunismus“ das Etikett des Plakativen, Abschreckenden und nicht auf der Tagesordnung – Stehenden erhält. Auf der anderen Seite muß der „Quasselbuden“-Charakter des Parlamentarismus dadurch ergänzt werden, daß diese Institution für die Propagierung von „Alternativen“ funktionalisiert werden kann – die Ventilfunktion eben.
Man muß darauf hinweisen, daß diese Positionierung keineswegs die (Selbst-) Zuschreibung „nach neuen Antworten zu suchen“ verdient? Dieses angebliche Vakuum, das mit Frischluft zu füllen ist, entspricht modifiziert dem historischen Kautskyanischen Zentrismus. Man schiebt sich als Mittler zwischen die beiden „Extreme“, auf der einen Seite die „vagen Andeutungen (Eine andere Welt ist möglich)“ und auf der anderen Seite die „strengen Festlegungen (Für den Kommunismus)“. Hier kündigt sich ein verletzungsreicher Spagat an, der beide „Extreme“ in einer neuen Ansicht auszutarieren versucht. Eine solche Ansicht erlaubt es, so kurios es auch klingen mag, eine soziale Revolution auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie erringen zu wollen. Von diesem Zentrismus ist es zu einer anderen bekannten „Abweichung, zu der Bernsteins’schen Interpretation, wonach „das Endziel, was immer es sei, mir gar nichts, die Bewegung alles (ist)“, erfahrungsgemäß nur ein kleiner Schritt.
Wir haben es hier mit einem der Hauptprobleme antagonistischer Politik zu tun, mit der Frage nach dem Wechselverhältnis von Tageskampf und Endziel. Mittel und Zweck der politischen Intervention dürfen dabei nicht vertauscht werden. Rosa Luxemburg hat in ihren Aufsatz „Sozialreform oder Revolution“ dieses Spannungsverhältnis für RevolutionärInnen formuliert:“ Für die Sozialdemokratie besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist.“ Eine Uminterpretierung dieses Merksatzes bedeutet, „die soziale Umwälzung, das Endziel (...), aufzugeben und die Sozialreform umgekehrt aus einem Mittel des Klassenkampfes zu seinem Zwecke zu machen“. Wer sich von dieser Zweck-Mittel Relation verabschiedet, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß quantitative Veränderungen in der „alten“.
Wir sind, wie unsere (militante) Politik zeigt, nicht gegen das Aufgreifen und Unterstützen von ökonomischen Tagesfragen; wir sind auch keine AnhängerInnen einer verelendungstheoretischen Simplifizierung. Es ist uns nicht verborgen geblieben, daß es überhaupt nicht ausgemacht ist, daß sich prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse als Katalysator emanzipatorischer Prozesse äußern. Wir sollen aber auch nicht den Sachverhalt wegschieben, daß die materielle Hebung der Lebenssituation breiter gesellschaftlicher Sektoren in wohlstandschauvinistischer Besitzstandwahrung umschlagen kann – da ist dann auch nicht mehr viel von Revoluzzertum vorhanden.
Uns geht es, auf Rosa Luxemburgs Prämisse gestützt, darum, die Markierung hinter die neufrisierten „Abweichungen“ Platz genommen haben, nicht zu überschreiten. Genau das ist unserer Auffassung nach in den Wetzel’schen Ausführungen geschehen. Die Orientierung bewegt sich weg von den Möglichkeiten des Kommunismus und verharrt bei den gegebenen Möglichkeiten im Kapitalismus. Das ist, wie wir bewusst anhand klassischer Zitate gezeigt haben, ein alter Streit in der heterogenen Linken. Deshalb sollte Wetzel nicht sich selbst und dem geneigten Publikum weismachen wollen, dass hier neue Lösungswege offeriert werden. Wir halten das eh für ein fragwürdiges Unterfangen: Das Rad (revolutionärer) Politik wird nicht mehr neu zu erfinden sein, alles ist irgendwie schon erdacht und erprobt worden. Vielmehr geht’s um die richtige Justierung; wir sollten uns darauf konzentrieren, die Speichen nachzuziehen, den Schlauch zu flicken und einen den Straßenverhältnissen angepasstes Reifenprofil aufzulegen, damit wir nicht regelmäßig im Straßengraben landen oder – schlimmer – von einer Blechlawine überrollt werden. Allein wenn man sich die seit 2001 laufende Militanzdebatte vergegenwärtigt wird schnell deutlich, wie viele Divergenzen innerhalb des Feldes militante Politik existieren, wie zum teil gegensätzlich ein und dieselbe Praxisform in unterschiedliche Politstile übersetzt wird. Weniger Neuerfindungen, denn die reflektierte (!) Wiederaneignung der Widerstandsgeschichte und -praxis der weltweiten revolutionären Linken steht auf unserem Wunschzettel ganz weit oben.
Wir haben irgendwie das Gefühl, daß sich die altneue Kontroverse in der Linken ein weiteres Mal entfachen wird; das ist auch gut so. Der bundesweite Kongress „Kapitalismus reloaded“ im November in Berlin bietet hierfür ein gutes Podium.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), August 2005