Zur „postautonomen und konsumistischen“ Sicht auf die Militanzdebatte
Im Rahmen der Militanzdebatte ist offenbar in den letzten Wochen ein Wettstreit darum entbrannt, welchem Papier das Etikett „tiefster Tiefpunkt“ ans Revers getackert werden kann, Erst überreichen uns die beiden Chefkommentatoren „aus der Muppetshow“ (interim 611, 10.1.05) diesen ehrenwerten Titel, Jetzt wird dieser von „postautonomen und konsumistischen Gruppen“ (interim 614, 21.4.05) den „Freundinnen von der Bühne“ in einem Schreiben vermacht. Wir sind wirklich gespannt, wer der nächste Adressat dieses Wanderpokals ist. Wer weiß, vielleicht ist diese „Tiefpunkt-Plakette“ schon längst über Umwege bei den ursprünglichen AbsenderInnen gelandet.
Genug der Witzelei; wir finden dieses Spielchen langweilig und überflüssig, weil es anscheinend in erster Linie dazu genutzt wird, um aufzuzeigen, zu welchen Verbalinjurien man denn so fähig ist. Wir haben nichts gegen (eine gut gemachte) Polemik, die auch deftig daherkommt. Nur lesen wir in diesen Texten kaum Passagen, die wir als Beiträge betrachten können, die am Diskussionstand der Militanzdebatte ansetzen. Diese Texte sind aus unserer Sicht eher als Symptom der Krise dieser Debatte anzusehen. Man erschöpft sich vorrangig darin, blindlings auszuteilen und wenig zu argumentieren.
So auch indem Beitrag der „postautonomen und konsumistischen Gruppen“, in dem Sachverhalte sinnentstellend verkürzt oder erfunden werden. Zwei Beispiele dazu: Zum einen wird ein völlig aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat von Ulrike Meinhof aus einem Konkret-Essay von 1961 unter dem Titel „Drei Freunde Israels“ angeführt. Die zitierte Passage bezieht sich nur auf Ihre Aussage der Solidarisierung mit den Jüdischen Opfern des nazistischen Vernichtungsprogramms und dass die Solidarität der europäischen Linken den Staat Israel mit einzuschließen habe. Wie der Titel des Essays vermuten läßt, wird dessen Inhalt auf ein Drittel reduziert, wenn man es dabei belässt. Unerwähnt bleiben ihre Aussagen zu den geostrategischen Interessen des Imperialismus in Nahost und die Sympathiebekundungen konservativer und reaktionärer Kräfte der BRD gegenüber der „Blitzkriegstrategie“ Israels in den 60er Jahren gegen von der SU unterstützte arabische Nachbarstaaten.
Zum anderen gelingt den „postautonomen und konsumistischen Gruppen“ ein „Fahndungserfolg“, den nicht einmal die BAW bzw. das Gericht vorzeigen konnten. Uns wird mitgeteilt, dass ein Sprengstoffanschlag auf einen Bus mit jüdischen Emigrantinnen in Budapest 1991, bei dem drei Businsassen und zwei ungarische Polizisten verletzt wurden, u.a. „von (ehemaligen) RAF-Militanten“ verübt worden wäre. Im Urteil gegen Andrea Klump kommt ausdrücklich der „Vorwurf“ der RAF-Mitgliedschaft nicht vor, weil sie nie in der RAF gekämpft hat.
Debattenbeiträge, die mit tendenziösen Auslegungen, bei denen Auslassungen, Vermutungen, Behauptungen und Unwahrheiten mit Fakten zu einem üblen denunziatorischen Gebräu vermengt werden, arbeiten, können kaum als weiterführend gelten – und da wären wir wieder bei den zu vergebenen „Tiefpunkten“.
Wir wollen das Papier der „postautonomen und konsumistischen Gruppen“ dennoch nutzen, um auf ein paar weitere Punkte einzugehen, die uns besonders aufgefallen sind.
Das Denken der militanten Option und die Ergebnissuche in der Militanzdebatte
Ihr schreibt, dass Ihr für „eine Praxis“ steht, „die, versucht die militante Option überhaupt weiter denkbar zu machen“. Na, das ist doch ein sehr schönes Motiv für eine antagonistische Politik. Da trifft sich doch Eure Motivlage mit unserer; auch wir versuchen uns seit 2001 u.a. im Rahmen der Militanzdebatte an der „militanten Option“ abzuarbeiten. Und da schadet es auch nicht, sich in „eine (ohnehin fragwürdige) Ahnenreihe militanter Gruppen“ diskursiv zu begeben, wenn damit eine selbstkritische Auseinandersetzung mit vergangenen revolutionären Kämpfen und Projekten unmittelbar verbunden ist. Ein solches Unterfangen passt doch ganz gut in Eure Rubrik „noch mal nachzudenken und nachzufragen“.
Also mit dem Denken um die „militante Option“ haben wir keinerlei Problem. Anders ist es, wenn wir uns versuchen vorzustellen, wie eine „militante Option“ unter „postautonomen und konsumistischen“ Vorzeichen aussehen könnte. Da brauchen wir schon sehr viel Vorstellungskraft, denn aus Euren Aussagen können wir da nicht allzu viel entnehmen. Wir fragen uns ernsthaft, wie Leute außerhalb (z.T. auch innerhalb) der „Szene“ dazu gebracht worden können, „Post-Autonome“/ „Konsumisten“ und „militante Option“ zusammen zu „denken“, denn darum geht es Euch ja wohl. „Post-Autonome“? Ist das ein neuer Dienstleister, der künftig die Briefzustellung in meinem Stadtviertel übernimmt? „Konsumisten“? Steckt dahinter irgendeine neue ideologische Kategorie, die nur bildungsgradabhängig entschlüsselt worden kann? Man weiß es nicht. Aufklärung scheint uns da dringend geboten. Wir können es Euch leider nicht ersparen, bitte „noch mal nachzudenken“, ob man nicht doch unsere „Pamphlete“ und die „angestoßene Plattformdikussion“ lesen mögen sollte, um bei einer Ausarbeitung der „militanten Option“ zu einer Positionierung zu kommen. Wir finden, dass in den zustimmenden wie ablehnenden Papieren zum „Ptattformprozeß“ sehr viel inhaltlicher Stoff geliefert wurde, der von seiner Dichte her seinesgleichen sucht. In Verbindung mit den Fragmenten der Militanzdebatten seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrtausends (Behle, Glasfaserkabel, Komitee etc.) haben wir als revolutionäre Linke einen Fundus vor uns liegen, der ausgewertet werden muß, um eine kollektive Grundlage für die „militante Option“ endlich zu schaffen.
Die aktuell geführte Militanzdebatte sollte aus unserer Sicht langsam aber sicher bilanziert werden. Gerade die letzten Texte vorweisen darauf, dass die Debatte stark für Diffamierungen instrumentalisiert wird und sich im Kreis zu bewegen droht. Wie aus diesem Dilemma herausfinden? Wir hätten da einen Vorschlag in petto: In dem 2004 erschienenen Buch „Identität in Bewegung. Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung“ von Sebastian Haunss gibt es ein Kapitel, das sich mit den Militanzdebatten von 1989 bis 2001 befasst. Dort werden zum einen Verläufe einzelner Militanzdebatten inhaltlich kurz skizziert und zum anderen Definitionen von Militanz als Aktions- und Organisationsform (wissenschaftlich) herausgearbeitet. Mit diesem Grundlagentext hätte man sowohl einen Zugang zu den vorangegangenen Militanzdebatten gefunden als auch die Möglichkeit, sich mit den Positionen und Bewertungen von Haunss vor dem Hintergrund des seit 2001 Diskutierten kontrovers auseinander zu setzen.
Eine solche Arbeit ist gewiß kein Pappenstiel, aber um die „militante Option“ nicht nur „denkbar“, sondern auch praktisch zu machen und organisatorisch auszubilden, u. E. unverzichtbar. Was haltet ihr von einer solchen Idee? In einem Zeithorizont von einem halben bis zu einem Jahr ist so etwas unter Umständen zu „reißen“.
Wir stellen uns im Idealfall vor, dass als Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung ausgearbeitete Positionen zu einer militanten Politik herauskommen, die Inhaltlich begründet sind und praktisch wie organisatorisch umgesetzt werden. Dabei geht es um keine „Einheitsposition“, sondern um die (zwischenzeitliche) Fixierung der jeweiligen Position, bis halt wieder irgendwann vieles oder alles n vorne aufgerollt werden muß, Diese Auf- und Ausarbeitung von militanter Politik sehen wir als entscheidend an, um reflektiert und auf der „Höhe der Zelt“ agieren zu können.
Über das „Killen von Schweinen“
Themenwechsel. Uns hat eine weitere Aussage von Euch in Eurem Papier beschäftigt: „Das Killen von Schweinen“. Grundsätzlich halten wir auch nicht viel davon, „ganz beliebig Menschen zu Schweinen zu machen“, das kann tatsächlich „eine Erleichterung des eigenen Gewissens beim Zuschlagen bedeuten“. An diesem Punkt könnte man, wenn man wollte, auch die generelle Kritik aus der Tierrechtsszene am „Speziezismus“ aufgreifen, nach der der Tiervergleich ein Ausdruck des Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis des Menschen gegenüber der Fauna ist. Aber darauf wollen wir gar nicht weiter hinaus.
Uns stört vor allem Eure sinnentstellende Interpretation der „paar Worte“ von „Einige FreundInnen von der Bühne“ zum „Killen von Schweinen“. In diesem Text werden an keiner Stelle „beliebig Menschen zu Schweinen“ erklärt. Die „FreundInnen“ beziehen sich diesbezüglich explizit auf Liquidationen der Metropolenguerilla und untermalen dies mit der „klammheimlichen Freude“ über das in die Luft sprengen des früheren Deutsche Bank Chefs Herrhausen. Von „Beliebigkeit“ kann keine Rede sein, wenn der exponierte Personenkreis gemeint ist, der den gezielten Attentaten der GenossInnen der RAF „zum Opfer fiel“. Diese Liquidationin betrafen einige wenige Personen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die aufgrund Ihrer Funktionsbestimmung im Räderwerk dieser Gesellschaftsformation zum Ziel von Guerillaaktionen wurden. Statt der „Beliebigkeit“, die allein aufgrund der „geringen“ Zahl von Liquidationen nicht gegeben sein kann, kann (im nachhinein) darüber diskutiert werden, ob nicht von Einigen (v. Braunmühl, Beckurts) die Bedeutung ihrer Funktion im kapitalistischen System zu überhöht dargestellt wurde. Eine andere Frage ist die, ob und inwiefern bei Entführungsaktionen oder ferngezündeten Sprengsätzen das Begleitpersonal der ins Visier genommenen Person unweigerlich zu physischem Schaden (bis hin zum Tod) kommen darf.
Im Gegensatz dazu „erklärt“ sich für Euch die Bezeichnung „Nazischweine“, „weil es dabei um Nazis geht“. Eine wirklich außerordentlich präzise Auslegung. Wir denken dagegen, dass der inflationäre Gebrauch von „Nazischweinen‘ und das inhaltlich ungenaue Definieren von „Nazis“ nicht immer dazu beiträgt, dass sich der „Zusammenhang erklärt“. Eine „Beliebigkeit“ und ein relativ laxer Umgang mit der Bezeichnung „Nazischweine“ ist hier doch eher gegeben als bei den „Schweinen“, die von der RAF liquidiert wurden, und nur darauf bezieht sich die Ausführung der „Einige FreundIinnen von der Bühne“. Damit ist noch nicht angerissen, inwieweit die Differenzierung „Mensch oder Schwein“, die durch die letzten schriftlichen Worte von Holger Meins während eines kollektiven Hungerstreiks der revolutionären Gefangenen 1974 bekannt geworden ist, zu einer aussagelosen Worthülse verkommen konnte. Wer wollte bei einer solchen Alternative nicht auf der (richtigen) Seite vor dem „oder“ stehen?
Es ist in einer existenziellen Situation, wie In einem Hungerstreik, nicht ausgeschlossen, dass sich die Konfrontation sehr zweisilbig darstellt, entweder du gehörst zu den bedingungslosen UnterstützerInnen des Hungerstreiks oder du arbeitest durch deine Inaktivität oder offenen Verrat der Gegenseite wissent- und willentlich in die Hände. Da wird man den jeweiligen Augenblick bemühen müssen, um die Zweiteilung nach „Mensch oder Schwein“ zumindest nachvollziehbar machen zu können.
Ihr erwähnt die „(guten) Gründe“, warum „das Killen von Schweinen“ niemals „ein Werkzeug aus dem Kasten der Autonomen“ war“. Dabei bringt ihr die Beispiele der „Startbahn-West-Schüsse“ 1987 und den Tod des Nazi-Funktionärs Kaindl 1992 an. Diese beiden Beispiele haben mit einem „Killen von Schweinen‘, auf das das „Einige Freundinnen von der Bühne“- Papier rekurriert, wenig bis nichts zu tun. Wie erwähnt, geht es dort um die Guerilla-Liquidationen von exponierten „Persönlichkeien“ und nicht um Akte, die eher in den Bereich des (spontanen) „individuellen Terrors“ fallen. Sowohl das Hineinballern in den Wald, in der Absicht Bullen zu treffen, als auch die Tötung während eines Handgemenges in einem Restaurant können nicht ohne weiteres mit im Vorfeld für sich als Kollektiv verabredeten gezielten Liquidationen der Metropolenguerilla verglichen werden. Diese beiden von Euch erwähnten „Aktionen“, bei der zwei zufällig in der Schussbahn stehende Bereitschaftsbullen ums Leben kamen bzw. ein drittklassiger Nazi-Kassenwart abdanken musste, konnten nur kontraproduktiv in die revolutionäre Linke hinein wirken. Diese beiden von Euch ausgewählten Aktionen entsprachen tatsächlich nicht dem „Werkzeug aus dem Kasten der Autonomen“.
Die Aussage der „FreundIinnen“, dass sich ihr „Gemüt erfreut“ habe, „wenn die Guerilla ein Schwein gekillt hat“, wird von Euch gleich mit dem „individualpsychologischen Vorschlaghammer“ bearbeitet. Natürlich müssen dann die eigenen, wenig verkappten „Gewaltphantasien“ zum Tragen kommen, und natürlich ist einem dann „an einer besseren Welt nicht gelegen“ – das hat gesessen und Ende der therapeutischen Sitzung.
Zunächst einmal müssen wir einfach einräumen, dass „klammheimliche Freude“ oder das „erfreute Gemüt“ die ersten (positiven) Reaktionsmuster auf Guerillaaktionen bei Außenstehenden sind. Weniger über eine Inhaltliche Programmatik, mehr darüber, ob man von dieser oder jenen Aktion (gefühlsmäßig) angesprochen wird, bestimmt für die ersten Momente über das Ausmaß der Sympathie gegenüber der Guerilla. Das kann man unseretwegen bedauern, entspricht aber der Erfahrung, dass nicht in erster Linie das überzeugende argumentative Wort beim Publikum“ greift, sondern der Umstand, ob die Aktion „ankommt“ oder eben nicht, Der Schlüssel der Politisierung der Aktion liegt dann darin, inwiefern es gelingt, diese „emotionale Regung in eine reale Unterstützung zu überführen, die auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit bewaffneter Praxis insgesamt voraussetzt. Dieser „Sprung“, so zeigt u.a. die RAF-Geschichte, blieb oft aus. Mit einem vergänglichen enthusiastischen Hoch nach einer Aktion kann man keine dauerhafte revolutionäre Politik umsetzen.
Ein „bewaffnetes Projekt in der BRD“ wird von Euch zudem zu sehr auf das „Killen“ eingeschränkt. Wenn man sich die Konzeptpapiere der RAF aus den 70er und 80er Jahren vergegenwärtigt, wird man unschwer erkennen1 dass die bewaffnete Propaganda einer Stadtguerilla mit dem Aufbau illegaler Strukturen, einer mehrschichtigen antiimperialistischen Front im In- und Ausland und dergleichen mehr zusammenhängt. „Guerilla“ und „bewaffneter Kampf“ ist zu 90 % durch eine Alltagsmühsal und aufwendige Reproduktion gekennzeichnet und nur in Ausnahmefällen durch das Phänomen des „Killens“. Man sollte nicht selbst dem so stark kritisierten „Fetisch“ aufsitzen, wenn man vor allem dieses „Phänomen in den Vordergrund rückt.
Es bleiben in diesen unseren Zeilen wichtige Fragen offen, die sich kritisch um den Sinn & Zweck von Liquidationen drehen – wir wissen das. Wir müssen uns beispielsweise an die Beantwortung herantasten, ob mit einer Liquidation ein (herbeigewünschter) Aufruhr zu befördern ist, der vermeintlich oder tatsächlich unter der Oberfläche schlummert und dem nur durch ein Fanal zum Durchbruch verholfen werden müßte. Wie sieht es damit aus, dass man mit der Liquidation von bestimmten Personen, nicht nur die Angreifbarkeit des „Systems“ dokumentieren will, sondern diesem auch die „Maske herunterreißen‘ will, so dass die eigentliche Fratze zum Vorschein kommt. Fragt sich nur, auf wessen Kosten eine solche „Entlarvungsaktion“ passiert. Wir wollen mit diesen Fragestellungen nur andeuten, dass wir erst am Anfang einer Beschäftigung mit dem bewaffneten Kampf stehen und das es überhaupt keinen Anlass gibt, lediglich aus einer kurzweiligen Gemütslage heraus mit dem „Killen“ zu beginnen.
Veränderte politische Rahmenbedingungen und bewaffneter Kampf
Leiten wir direkt in den nächsten Abschnitt über: ihr schreibt, „dass mit der Liquidierung Einzelner wohl kaum irgendetwas am großen Falschen verändert werden kann“. Paradox wird es, wenn ihr in diesem Zusammenhang berichtet, dass die „Rahmenbedingungen“ und deren Veränderung doch mit dem Wirken einzelner Personen in einem Wechselverhältnis zu stehen scheinen. Offensichtlich ist die „Funktionsweise des Kapitalismus“ nicht ganz unabhängig von denjenigen, die sich dieser in gestalterischer Weise verschrien haben.
Da wird uns erläutert, für welche „‚sozialere‘ Form der Globalisierung“ Herrhausen „stand“ und das seine Tötung „selbst von ehemaligen Militanten als schwerer Fehler bezeichnet“ wurde. Uns hallt noch das Gejammer von Spiegel, Stern & Co. in den Ohren, die die Tötung von Herrhausen als „schweren Rückschlag“ für die Entschuldung des Trikonts in den Gremien von IWF und Weltbank bewerteten, da ein Verfechter der „sozialeren Globalisierung“ weggebombt wurde.
Ihr fordert ja mit einem erhabenen Gestus zum „nochmal Nachdenken“ auf; stimmt, dass sollte hinsichtlich der indirekten Herrschaftsmechanismen des Neo-Kolonialismus der „sozialeren Globalisierung“ auf keinen Fall unterlassen werden. Es gibt da sehr eindringliche Untersuchungen, die belegen, wie ökonomisch, politisch und militärisch effektiv die Wirkungsweise des oberflächlich betrachtet weniger blutigen Neo-Kolonialismus zu seinen Vorgängern der direkten Landnahme ist.
Ähnlich verhält es sich, um von der Meta- auf die Mikro-Ebene zu kommen, mit der „demokratischen Kontrollinstanz“ der Mitbestimmung im kapitalistischen Betrieb. Diese formale lnteressensvertretung der Lohnabhängigen wird, da sie direkt an den Sachzwang der Marktgesetze gekettet wird, nunmehr zum Co-Management der Konzernspitze. Die systemstabilisierende Funktion reformistischer Maßnahmen, die durchaus als Ergebnis eines tradeunionistischen Erfolges zu werten sind, sollte nicht aus dem Blick geraten. Dabei heißt das im Umkehrschluss nicht, in die verelendungstheoretische Falle tappen zu müssen.
Gut, wir wissen nicht, welche „ehemaligen Militanten“ in diesen Jammer-Chor um Herrhausen eingestimmt haben; wir wissen nur, dass es „ehemalige Militante“ bis in die Belle Etage des Staatsapparates geschafft haben. Auf den Opportunismus „ehemaliger Militanter“ sollten wir demnach nicht allzu viel geben.
„Mit Funktionärstötungen“, wie Ihr schreibt, „heute Kräfteverhältnisse verändern zu wollen (...) erscheint im Hinblick auf die momentane Situation der Gesellschaft und der Linken absurd“. Es ist ein beliebter, aber einfältiger Zeitvertreib, anderen Leuten das Wörtchen „absurd“ vorzuhalten. Auch hier bedient Ihr selbst wieder den „Fetisch“ des allein aufs „Killen“ reduzierten bewaffneten Kampfes. Es ist wahrlich eine „absurde“ Vorstellung mit einer großen Portion revolutionärer Ungeduld und einem alle gesellschaftlichen Bedingungen ausblendenden Voluntarismus „Kräfteverhältnisse“ verschieben zu wollen; aber wer tut denn so etwas in der Militanzdebatte? Wir haben in verschiedenen Papieren über die Methode des bewaffneten Kampfes im Rahmen (!) eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses sinniert. Nur in einem strukturierten Netzwerk ist ein bewaffneter Kampf, der über exemplarische Propagandaaktionen hinausgeht, politisch perspektivisch.
Wir haben auch nichts gegen „erfolgsversprechendere Widerstandsformen“ (z.B. online-Blockade gegen Lufthansa) einzuwenden, alle Interventionsmittel der revolutionären Linken sind, sofern sie erfolgreich sein wollen, Produkte ihrer Zeitverhältnisse. Nur behaupten wir unverbesserlich und gestützt auf Revolutionsprozesse der Linken der letzten Jahrhunderte, dass ein bewaffneter Kampf auf der Tagesordnung steht, sobald sich soziale Eruptionen bahnbrechen, die nicht nur ökonomische Tagesfragen aufwerfen, sondern den politischen Aufbau der Gesellschaftsformation als Ganzes zur Disposition stellen. Hin und wieder wird In diesem Zusammenhang der hässliche Ausspruch „die Machtfrage stellen“ in den Mund genommen. Und in einer solchen Konfrontation wären die RepräsentantInnen der repressiven Staatsapparate schön blöde, nicht auf Ihre (bewaffneten) Ressourcen zurückzugreifen. Übrigens, tun sie es ja eh ununterbrochen im Zuge der Ausübung ihres Gewaltmonopols. In einer solchen (potentiellen) konfrontativen Situation muß ein bewaffneter Kampf, der sich von spontanen Kurzschlüssen á la „Startbahn-West“ und „Kaindl“ zu unterscheiden hat, über organisatorische Standbeine verfügen, um nicht in einem Fiasko zu enden. Wir glauben auch nicht an die spontane Genialität der einmal in Bewegung geratenen Massen, die nur durch „künstliche Organisationsschemata“ der „autoritären Kommunistlnnen“ in Ihrer Missionserfüllung behindert würden.
Also, mit dem weitverbreiteten Hang zur mutwilligen Desorganisiertheit, die oft mit einer Desorientierung einher geht, wollen und können wir uns nicht abfinden. Deshalb sprechen wir uns so vehement für eine historisch reflektierte Aneignung der Widerstandsgeschichte der weltweiten revolutionären Linken aus, auf deren Basis u.a. Organisiertheit und Orientierung hervorgehen sollen. Nicht, um damit zu prahlen, sondern um die sich permanent „verändernden Rahmenbedingungen“ erstens überhaupt zu erkennen und zweitens zu analysieren. Für den revolutionären Kampf, der in seiner strategischen Auslegung auch, und in bestimmten Phasen primär, ein bewaffneter sein wird, ist das aus unserer Sicht existenziell.
Die größte Gefahr für den revolutionären Kampf geht tatsächlich von uns selbst aus, wenn wir die eigenen Kräfte überschätzen, die Zeitpunkte von Interventionen falsch legen, glauben, dass alles schneller und in der Zeit unseres eigenen politischen Wirkens, zu geschehen hat, dass allein der Wunsch und das Wollen objektive revolutionäre Bedingungen schaffen usw. usf. Wir werden auch mit dem Widerspruch umgehen müssen, dass unser Endziel einer klassen-, staaten- und letztendlich auch gewaltlosen kommunistischen Gesellschaftsform nur über Wege und Etappen zu denken ist, in denen Zwangsmittel, einschließlich Liquidationen, von unserer Seite zur Niederringung der Reaktion Anwendung finden werden (müssen). Das ist vielleicht etwas plakativ ausgedrückt, soll uns aber vor der Illusion bewahren, als dass sich in unseren jetzigen Mitteln und Methoden alle unsere (oder auch nur die meisten) Zielvorstellungen widerspiegeln könnten. Wir würden uns nur eine unverzügliche Realisierbarkeit unserer Utopie einreden.
Man sollte sich bis zur „Abwesenheit von Herrschaft“ (Anarchie) auf einen etwas längeren zeitlichen Ausflug einrichten, das Lästige und Beschwerliche des politischen Kleinklein werden wir leider nicht überfliegen können.
Die einzelnen reflektierten Interpretationen dazu wollen wir nicht wiederholen, ginge auch der Ausführlichkeit wegen gar nicht. Da wird man sich durch unseren ersten Serienbeitrag „Bewaffneter Kampf - Aufstand – Revolution bei den Klassikerinnen des Frühsozialismus, Kommunismus und Anarchismus“ (Interim 600, 2.9.04 und ff.) durchquälen müssen, wie wir uns gerade durch Euren Text wühlen mussten – wir wissen nur zu gut, dass das oft kein Hochgenuss ist.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), Juni 2005