Zur Militanzdebatte –
An die Freundinnen von der Bühne (Interim
613)
Mit dem Beitrag „einiger Freundinnen von der Bühne“ dürfte der Tiefpunkt der Militanzdebatte markiert sein. Gab es in der Vergangenheit einige zumindest mit etwas Gewinn lesbare Äußerungen militanter Zusammenhänge, erscheint uns der Freundinnen-Text „Militanz. Ein paar Worte zu den Beiträgen in Interim 611“ als das platteste, was seit langem dazu geliefert wurde. Und auch wenn wir viele der autonomen Gewissheiten nicht mehr teilen mögen, begreifen wir uns nicht als einfache Konsumentinnen, sondern versichern dem geneigten Publikum vor der Bühne, dass unsere Kritik durchaus auch an eine Praxis gekoppelt ist. Eine Praxis, die versucht die militante Option überhaupt weiter denkbar zu machen, ohne sich in an eine (ohnehin fragwürdige) Ahnenreihe militanter Gruppen klammern zu müssen.
Wenn man auch die Thesen der (mg) nicht teilen, ihre Pamphlete nicht lesen und die von ihnen angestoßene Plattformdiskussion abwegig finden mag – ihre Textproduktion zur Geschichte und Begrifflichkeit des bewaffneten Kampfes (insbesondere: „Was tun?! In der Stadt, auf dem Land oder Papier – Guerillakampf damals und jetzt“) ist verdienstvoll. Das plumpe Abgefeiere der „Freundinnen“ jedoch darf nicht unwidersprochen stehengelassen werden.
So schreibt ihr in eurem Beitrag: „Volxsport erfreut regelrecht unser Gemüt, ähnlich wie früher, wenn die Guerilla ein Schwein gekillt hat“. Solche Sätze sind einfach ekelerregend. Ganz mal vom – sagen wir mal: bedenklichen – Begriff des „Volxsports“ abgesehen, ist die ganz allgemeine Bezeichnung von Menschen als Schweine ziemlich daneben. So ganz beliebig Menschen zu Schweinen zu machen, die nach eurem Ermessen gekillt gehören, ist Nazisprache und kein Ausdruck eines emanzipatorischen Verständnisses von Militanz. Natürlich wird in der Antifa von „Nazischweinen“ gesprochen, aber eben mit einer erklärenden Ergänzung, nämlich weil es dabei um Nazis geht. Sie werden für ihr „unmenschliches“ Verhalten mit einem Begriff aus der Tierwelt bezeichnet, weil es neben der verbalen Erniedrigung des politischen Feindes auch eine Erleichterung des eigenen Gewissens beim Zuschlagen bedeutet, Man muss diese Art von Sprache nicht gutfinden, in diesem Zusammenhang erklärt sie sich für uns.
Dass das „Killen“ von „Schweinen“ niemals „ein Werkzeug aus dem Kasten der Autonomen“ war, hat seine (guten) Gründe. Wir empfehlen euch an dieser Steile, euch ein wenig Zeit zu nehmen, insbesondere die Diskussionen nach den Schüssen an der Startbahn und nach dem Tod des Nazi-Funktionärs Kaindl noch einmal aufs Tablett zu kriegen.
Was weiter gegen ein vernünftiges Verhältnis zu Militanz eurerseits spricht, ist die Tatsache, dass sie euer Gemüt erfreut, „ähnlich wie früher, wenn die Guerilla ein Schwein gekillt hat“. Militanz ist ein Mittel linksradikaler Politik, kein Zweck oder Fetisch. Sie wird nicht benutzt um durchgeknallte Gemüter zu erfreuen, sondern um im besten Falle ein vorher gestecktes Ziel zu erreichen. Wer das nicht begreift, dem ist an einer besseren Welt nicht gelegen; der will nur seine eigenen Gewaltphantasien in die Tat umgesetzt sehen. Dass ihr zur Illustration eurer Freude das Beispiel des in die Luft gesprengten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen wählt, verdeutlicht nur eure eindimensionale und beschränkte Sicht der Dinge. Herrhausens Tötung ist selbst von ehemaligen Militanten als schwerer Fehler bezeichnet worden, stand doch gerade er für eine „sozialere“ Form der Globalisierung, die er z.B. durch eine massive Entschuldung der Dritte-Welt-Länder vorantreiben wollte. Unbestritten war er ein exponierter Vertreter der kapitalistischen Barbarei, doch wer sich auch nur ein wenig mit der Funktionsweise des Kapitalismus beschäftigt, wird feststellen müssen, dass mit der Liquidierung Einzelner wohl kaum irgendetwas am großen Falschen verändert werden kann. Mit Funktionärstötungen heute Kräfteverhältnisse verändern zu wollen, „ähnlich wie früher, wenn die Guerilla ein Schwein gekillt hat“, erscheint im Hinblick auf die momentane Situation der Gesellschaft und der Linken absurd.
Ihr schreibt weiter, dass „heute in der „Realität“ angekommene Alt-Autonome meist weniger (mit der Guerilla) anfangen (können) als zu ihrer aktiveren Zeit. Realität nur in Anführungszeichen zu verwenden, passt zu eurem Text. Vielleicht fragt ihr euch mal (oder besser die von euch bemühten Alt-Autonomen), warum sich deren Meinung zu einem bewaffneten Projekt in der BRD so verändert hat, z.B. veränderte politische Rahmenbedingungen, Schwäche der radikalen Linken, neue und erfolgversprechendere Widerstandsformen etc. Nochmal nachzudenken und nachzufragen kann offensichtlich nicht schaden.
Auch noch einmal nachdenken solltet ihr über euren schiefen Versuch, den vom Jungle-World-Autor so nicht einmal behaupteten konstitutiven Antisemitismus der RAF einfach so vom Tisch zu wischen. „Problematisch“ ist noch einer der netteren Begriffe, den ehemalige Militante benutzen, wenn sie über bestimmte Aktionen von antiimperialistischem Widerstand und Guerilla sprechen.
Bereits zu Beginn militanter linksradikaler Politik in der BRD gab es da so manch dunkle Geschichte. Gerade die Gruppen des Blues, aus denen später die undogmatische Bewegung 2. Juni entstand, also die Haschrebellen, die Schwarzen Ratten, die Tupamaros u.a., taten sich durch Inhalt und Aktionen hervor, die in ihrer Ausrichtung skandalös waren. Die geplante Ermordung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, die von deutschen Militanten vollzogene Selektion in jüdische und nicht-jüdische Geiseln bei der in Entebbe blutig beendeten Flugzeugentführung, die abgefeierte Ermordung von Mitgliedern des israelischen Olympia-Teams in München sind nur einige Beispiele. Die Schändung von so genannten ,jüdischen“ Mahnmälern für die Opfer des Nationalsozialismus anlässlich des 31. Jahrestages der „Reichskristallnacht“ (zusammen mit einer im jüdischen Gemeindehaus platzierten Brandbombe) ist ein weiteres Beispiel für das zielsichere Geschichtsbewusstsein deutscher Revolutionäre. Im Kampf gegen das „deutsche Schuldbewusstsein“ und einen neurotisch-historizistischen Antifaschismus“ waren sich die Haschrebellen von 69 mit den Geschichtsrevisionisten von heute einig. Dass diese Kontinuitäten auch weiter bestanden, zeigt nicht zuletzt der vermutlich als Auftragsarbeit von (ehemaligen) RAF-Militanten verübte Sprengstoffanschlag auf einen Bus jüdischer Aussiedlerlnnen Anfang der 90er Jahre. Alles unwahr? Wir sind auf eure Erklärung dafür gespannt und schließen mit einem (zugegeben: frühen) Zitat von Ulrike Meinhof: „Es gibt für die europäische Linke keinen Grund, ihre Solidarität mit den Verfolgten aufzugeben, sie reicht in die Gegenwart hinein und schließt den Staat Israel mit ein.“
P.S. Die im Vorwort geäußerte Behauptung, „Artikel, in denen das Schwingen von Fahnen Israels, der USA usw. befördert werden, gibt‘s nicht ...“, ist eine dreiste Lüge. In der Interim der letzten Jahre hat es einige Texte gegeben, die sich kritisch mit dem Fahnenkult auseinandergesetzt haben, und dabei trotzdem die Meinung vertraten, dass es politische Gründe geben mag, zu manchen Anlässen auf die Fahnen Israels oder der ehemaligen Alliierten zurückzugreifen. Als Beispiel sei da nur der Text der Berliner Gruppe „Kritik & Praxis“ zu den Auseinandersetzungen auf der Antifa-Demo in Hamburg genannt. Da wird das identitätsstiftende und provozierende (weil bewusst eine Spaltung herbeiführende und in erstere Linie gegen die Linke gerichtete) Verwenden von Israel- und USA-Fahnen kritisiert und angemerkt, dass es Anlässe geben kann, zu denen dies angebracht sein könnte.
Außerdem finden wir, dass dieser Satz einen Monat vor dem 60ten Jahrestag der militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands und der Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Barbarei mehr als unnötig ist. Wir jedenfalls werden am 8. Mai vor allem der Roten Armee, aber auch den Soldaten Großbritanniens, Frankreichs, der USA und all der anderen Staaten der Anti-Hitler-Koalition unter anderem mit dem Schwingen ihrer Fahnen danken.
P.P.S. Im Übrigen erschien anlässlich des 60ten Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz Anfang diesen Jahres eine Ausgabe der Interim, auf deren Cover die blauweiße Fahne mit dem Davidstern prangte – geschwungen aus einem Zug mit Überlebenden des deutschen Vernichtungsprojekts.
postautonome und konsumistische Gruppen, April 2005