Zur jw-Artikelserie „Was tun? In der Stadt, auf dem Land oder Papier: Guerillakampf damals und jetzt“
Die von Helmut Höge in der jungen Welt am 2.3.05 getroffene Aussage, dass unser Text „(Stadt-) Guerilla oder Miliz?“ „bei den jüngeren interim-Lesern auf großes Interesse (stieß)“, können wir mangels repräsentativer Umfrage schwerlich überprüfen. Indes haben wir mit der Beschäftigung von Miliz-Modellen ein „bewaffnetes Format an die Oberfläche der Diskussion um Interventionsmittel und -formen der revolutionären Linken befördert, das lange Zelt unbeachtet blieb. Vielleicht liegt hier ein Grund des gesteigerten Interesses. Höge könnte dieses Interesse weiter steigern, wenn er uns als ein in der DDR Sozialisierter (Höge hebt so merkwürdig auf unser vermeintliches Westdeutsch-Sein ab) erklärt, warum die „Kreuzberger Kiezmiliz“ 1991 „aufs Land (zog). Möglicherweise lassen sich hier Befunde für ein neues „Miliz-Projekt herausarbeiten.
Insgesamt finden wir es positiv, dass sich Höge intensiv mit unserem Text inhaltlich auseinandergesetzt und kritische Einwände erhoben hat, die sich für ihn aus der Lektüre unseres Beitrages ergeben. Wir kennen nicht viele Beispiele dieser Art der ernsthaften inhaltlichen Kontroverse. Sein (sportliches) Motiv, uns zu weiteren „Anstrengungen“ anspornen zu wollen, greifen wir mit diesen Zeilen gerne auf.
Papier-Guerilla und Aufbauprozess
Der von Höge gewählte ironische Dreiklang in seiner Artikelüberschrift „In der Stadt, auf dem Land oder Papier: Guerillakampf damals und jetzt“ hat einen wahren Kern: Der Guerillakampf spielt sich aktuell in der BRD auf dem Format eines DIN 4-Blattes ab. Seit der Selbstauflösung der RAF 1998 bzw. der „Rücknahme der Eskalation“ im April 1992 wurde der bewaffnete Kampf in der organisatorischen Form der Metropolen- oder Stadtguerilla ad acta gelegt. Dafür gab es konzeptionelle und „zeithistorische“ Gründe, die wir erst einmal gar nicht abstreiten.
Seit dem Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrtausends sind Waschkörbe voll Papiere zur Krise und Perspektive des militanten und auch bewaffneten Widerstandes in der BRD geschrieben, verbreitet, besprochen und wieder vergessen worden. Diese von uns als revolutionäre Linke zugelassenen großen Erinnerungslücken machen uns schwer zu schaffen, denn periodisch sehen wir uns mit (zumeist ergebnislos) verlaufenen „Militanzdebatten“ traktiert.
In Bezug auf die Militanzdebatten bemerkt Sebastian Haunss in seinem Buch „Identität in Bewegung. Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung“, dass „wohl kein anderer Bereich, kein Thema sich bei den Autonomen durch so wenig Entwicklung und so viele Wiederholungen aus(zeichnet)“. Dies führt er darauf zurück, dass „die Konjunktur militanter Gruppen weniger strategischen Diskussionen als wiederkehrenden Bewegungszyklen (folge)“. Dieser Sachverhalt führte in den letzten fünfzehn Jahren u. a. dazu, dass wir zu keiner aufeinander aufbauenden, bezugnehmenden und auf (organisatorische) Ergebnisse abzielenden Debatte um klandestine Politikformen kommen konnten.
Das war im Jahr 2001 unsere Ausgangslage. Wir haben uns damals entschlossen, innerhalb der revolutionären Linken einen Raum zu öffnen, um aus diesem Kreislauf des immer wieder folgenlosen Herumdebattierens auszubrechen. Zu diesem „Ausbruch“ gehört, das Projekt der Aneignung der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken an den Anfang zu setzen. Das hat wenig damit zu tun, sich „einen revolutionären Abstammungsnachweis“ zu verschaffen oder mit „genealogischen Stolz“ herumzuspazieren, als mit dem Vorhaben (Wissens-)Defizite abzubauen. in diesem Fall steht der Abbau von Defiziten in einem Wechselverhältnis zu einem „komplexen revolutionären Aufbauprozess“. Denn zum Strukturaufbau gehören viele Basen; eine davon ist die inhaltlich-analytische Fundamentierung klandestiner Politik, die, sofern sie nicht geschichtslos sein will, an eine Aufarbeitung vergangener Kämpfe der weltweiten revolutionären Linken heran muss.
Höges Humoreske, dass die von uns als „Abrechnungsshow“ titulierte „RAF-Ausstellung“ der Kunst-Werke Berlin auch Teil unseres anvisierten „Aufbauprozesses“ sein könnte, können wir gewisslich nicht folgen. Ein unter der Schirmherrschaft von Ex-BRD-Innenminister Baum stehendes Kunst-Event verträgt sich kaum mit einem (manchmal auch kunstvollen) klandestinen Engagement. Bei diesem werden dann auch keine feuilletonistischen Auszeichnungen aus der chicen Kunst- und Kulturweit abgeräumt; das einzige, was abgeräumt wird, sind wir, wenn wir nicht ordentlich auf uns acht geben. Manche Vergleiche hinken einfach ganz fürchterlich. Das heißt aber nicht, dass die von den Ausstellungsmacherlnnen beabsichtigte Denunziation des bewaffneten Kampfes in der BRD bei allen Ausstellungsbesucherlnnen greift. Es wird z.B. von Stefan Wisniewski in einem Videomitschnitt sehr eindringlich erläutert, warum sich die RAF nach der Erstürmung der „Landshut“ und den toten Genossinnen in Stammheim für die Liquidation von Schleyer entschieden hat. Weitere Beispiele ließen sich anführen. Teile der „RAF-Ausstellung“ lassen für die BesucherInnen einen Interpretationsspielraum, der der beabsichtigen Wirkung der Abscheu und des Schreckens durchaus zuwiderlaufen kann. Mehr noch: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Einzelne durch bestimmte Ausstellungsexponate oder einsehbare Berichte über den bewaffneten Kampf für diesen interessiert werden.
Es ist eine absurde Vorstellung, für die Dauer einer 5-Minuten-Terine Fragen des bewaffneten Kampfes „diskutieren“ zu wollen. Wir haben mit dem Text „(Stadt-)Guerilla oder Miliz?“ die Absicht verfolgt, überhaupt den Horizont des Themas Bewaffneter Kampf“ aufzumachen. Demnach handelt es sich hier um keinen „historisierenden“ Text, mit dem der bewaffnete Kampf auf ein Abstellgleis geschoben werden soll, sondern um ein Mosaik für eine (Neu-)Bestimmung von Guerilla-bzw. Milizpolitik.
Dieser Text konnte von seiner Ausrichtung her nicht im Ansatz das hervorbringen, was von Höge bemängelt wird: die Benennung der „(unterschiedlichen) Gründe“ des Scheiterns verschiedener Guerillamodelle und die daraus erwachsenden „Schlüsse für eine militante Praxis hier und jetzt“. Das sind die folgenden und aufeinander aufbauenden Schritte, die in einem kollektiven Prozess innerhalb der revolutionären Linken gegangen werden müssen. Dabei ist es in vielen Punkten weitgehend offen, ob sie überhaupt (kollektiv) gegangen werden wollen. Ein letztes dazu: Wir machten uns nicht „ungeachtet aller Alltagsprobleme an eine historische Aufarbeitung“ (von Teilen) des bewaffneten Kampfes. im Gegenteil: angesichts dieser uns alltäglich umgebenden und manchmal fast erdrückenden Mängel einer klandestinen Gruppe, die gleichzeitig auch ein sozialer Organismus ist, haben wir uns an diesen papiernen Guerillakampf herangewagt. Erst über diese Beschäftigung sind wir z. B. auf das „bewaffnete Format“ einer Miliz gestoßen.
Wir hoffen, es ist klar geworden, warum wir uns gegenwärtig und auf absehbare Zeit hauptsächlich mit dem Zusammenfügen von Buchstaben befassen (müssen) als mit dem Herausbürsten des Rußes aus dem Colt-Lauf. Also, das Motto lautet: Schritt für Schritt
Klein-Werden und Widerstandsebenen
Höges Formel des „Klein-Werdens“ von antagonistischen politischen Zusammenhängen, d.h., sich nicht konturenlos (strukturell) zu erweitern, sondern im Sozialen „aufzugehen“ bzw. „sich schließlich mit nahezu jedem identifizieren zu können“, ist eine unterhaltende These. Allerdings ist diese Passage in seinem Beitrag typisch feuilletonistisch, ein bisschen philosophisch verklausuliert. Seine mit dieser These verbundene Aussage, daß sich von „Grottian“, über den „anonymen Luxusauto-Abfackler“ bis zu „Trickprostituierten“ „gewissermaßen bereits“ ein „widerstandsebenenübergreifendes Netzwerk“ „vereint“ habe, führt in die Irre. Weder „vereint“ diese Aufzählung von Personen(-gruppen) ein Bewusstsein des Kollektiven noch ist dieses „Vereint-Sein“ Ergebnis eines Prozesses der Organisierung, der bestrebt ist, die Atomisierung von stattfindenden sozialen Kämpfen aufzuheben.
Höge trifft aber, was unsere Redensart vom widerstandsebenenübergreifenden Netzwerk angeht, einen verwundbaren Punkt unserer veröffentlichten Ansätze revolutionärer Politik. Ähnlich der Papier-Guerilla existiert ein derartiges „Netzwerk“ nur am Reißbrett. Wir haben in mehreren Texten die interagierenden Widerstandsebenen (Basisbewegungen, militante Gruppen, bewaffnete Struktur, Partei-Form) skizziert. Wir haben uns nicht an einen von uns erfundenen Muster der Organisierung orientiert, sondern an einem probaten Strukturaufbau revolutionärer Befreiungsbewegungen, der u.E. nuanciert auf die hiesigen sozioökonomischen Verhältnisse als Prämisse gesetzt werden kann.
Wir stehen, zugegeben, vor dem (Vermittlungs-)Problem, dass wir ohne eine erkennbare strukturelle Ausformung ein Modell einer revolutionären Organisierung propagieren. Um nicht missverstanden zu werden: wir haben keinen Spaß am bloßen Modellieren, wir steilen uns seit mehreren Jahren als militante gruppe (mg) die Gretchenfrage, welche Aufgaben sich für uns als klandestiner Zusammenhang neben unserer Hauptintension der Koordination militanter Politik ergeben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation des Nichtvorhandenseins einer bewaffneten Struktur und der Marginalisierung der revolutionären Linken in Basisprozessen wirken wir parallel in mehrere Richtungen. Wir wollen uns nicht selbst auf die (exklusive) Rolle eines militanten Grüppchens zurückziehen, das nur anlass- und bockbezogen mit strafrechtlich relevanten Handlungen aufwartet. Aus dem Erkennen der Defizite der revolutionären Linken haben wir reagiert. Das heißt nicht, dass unsere Art des Reagierens die einzig mögliche ist. Aber wir haben z. B. mit unserem Projekt der Bildung einer militanten Plattform ein konkretisiertes Angebot der Organisierung militanter Gruppenstrukturen unterbreitet, das aus unserer Sicht ein unverzichtbarer Ausgangspunkt ist, um verlässlich inhaltlich, praktisch, logistisch und organisatorisch nicht nur vorausblicken zu können, sondern faktisch voranzukommen.
Um sich nicht selbst in einer „revolutionären Exklusivität“ einzurichten, suchen wir u.a. Bezugspunkte zu den Protestformen deklassierter gesellschaftlicher Sektoren. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren unser inhaltlich-praktisches Hauptgewicht auf eine sozialrevolutionäre Linie gelegt. Höges Idee des „Klein-Werdens“ – verstanden als Form der „Sozialisierung“ – erweist sich als Nebelkerze. Einerseits spricht er sich für das „Verschwinden“ in die sozialen Zusammenhänge aus, andererseits erzählt er im gleichen Atemzug von „einem anschwellenden Haufen Gesindel“, mit dem man konfrontiert werde. Statt in schlechter Manier Tiraden gegen „lumpenproletarische Auswüchse“ zu fahren, kann es Sinn machen, z.B. die Diskussion einer Interventionistischen Linken um Aneignungspraxen Prekarisierter tiefer zu thematisieren. Nebenbei geht Höge falsch in der Annahme, daß die Interim-Redaktion unseren Text „herunterkürzen“ musste, um Platz für Berichte aus anderen „Widerstandsebenen“ zu schaffen. Selbstlos wie wir sind, stammt die gedrängte Textvorlage von uns selbst. Wir haben angesichts des Ziels eines widerstandsebenenübergreifenden Netzwerkes nicht das Interesse, den wenigen antagonistischen Publikationsraum zu majorisieren.
Höge hat an einem anderen Punkt wiederum recht, wenn er hervorhebt, daß sich eine „Konjunktur“ von Bewegung, Protest und Widerstand „weder herbeianalysieren noch – wünschen“ lässt. Das ist unsere Rede; nicht Akademismus oder Voluntarismus setzen uns in Bewegung, sondern die kleinteilige, tagtägliche Mühsal der politischen (Vor-) Arbeit.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus
militante gruppe (mg), 01.04 2005