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3. März 2005 | Helmut Höge

Junge Welt


Was tun! – In der Stadt, auf dem Land oder Papier: Guerillakampf damals und jetzt (Teil 2 und Schluß)

Die »militante gruppe« (mg) nimmt es in ihrem »(Stadt-) Guerilla oder Miliz? « überschriebenen interim-Artikel »gleich vorweg: eine Beantwortung ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt«. Als mg sieht sie im bewaffneten Kampf selbstredend eine »objektive Notwendigkeit« – und befindet sich damit »in keiner allzu schlechten Gesellschaft«. Die ländlichen Gebiete der BRD – genannt werden Uckermark, Emsland und Alpen – kämen dafür jedoch so wenig in Frage wie ein temporäres Ausweichen etwa der Berliner Militanten in den Grunewald.

Klassiker ohne Stalin

Dennoch bestehen die Autoren darauf, dass die Guerilla oder Miliz als »Keimzelle« einer »Volks- oder Roten Armee« gesehen werden muß: »Daraus resultiert die strategische Relevanz einer Guerillapolitik«, wobei deren Differenz zur Miliz eher »semantisch als organisatorisch« sei: »Beide ›Formate‹ des bewaffneten (Abwehr-)Kampfes resultieren aus der eigenen militärischen Schwäche gegenüber stehenden Heeren«. Die »bewaffneten Arbeiterwehren« z. B. von Max Hoelz Anfang der 20er Jahre seien deswegen »ebenso (historische) Orientierungspunkte wie das aus Lateinamerika auf die hiesigen Verhältnisse übertragene ›Konzept Stadtguerilla‹ der RAF«. Allerdings, fügen die Autoren an, hätten sich die Guerillas in Lateinamerika aus »einem Aufschwung der (revolutionären) Massen-Bewegung« entwickelt, während die deutsche RAF aus der »Konkursmasse des studentischen 68er-Aufbruchs« hervorgegangen sei.

Von der RAF unterscheide die mg, dass sie nicht »die gesamte Struktur, die bisher eine militante Praxis verfolgte, in ein ›bewaffnetes Format‹ überführen« will: Dies »würde unseren Vorstellungen eines widerstandsebenenübergreifenden Netzwerks völlig zuwiderlaufen«. Stattdessen soll ihr historisierender Text im interim dem gerecht werden, was die mg seit ihrem »Plattformpapier« 2002 als »komplexen revolutionären Aufbauprozeß« bezeichnet. Wie aber kann eine Aufarbeitung der Ideen von zumeist Gescheiterten (Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Frunse, Hoelz, Mao, Ché, Débray, RAF), die weder (unterschiedliche) Gründe für deren Scheitern benennt, noch daraus Schlüsse für eine militante Praxis hier und jetzt zieht, einem »komplexen revolutionären Aufbauprozess« gerecht werden?

Der Text über »Stadtguerilla oder Miliz? « verdankt sich dem befristeten Rückzug einer kleinen kommunistischen Gruppe, die sich in die »Klassiker« (wozu Stalin nicht mehr gehört) eingelesen hat – und dabei so ins Schwärmen geriet, dass sie sich ungeachtet aller Alltagsprobleme an eine historische Aufarbeitung machte. Mit einem »Aufbauprozeß« hat das nichts zu tun, sonst gehörte auch die RAF-Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken dazu. Die mg hat sich mit diesem Text eher einen revolutionären Abstammungsnachweis verschafft, der ihre punktuellen Aktionen in den historischen Kontext des bewaffneten Widerstands stellt, der mit der spanischen Guerilla gegen Napoleon und ihrer Aufarbeitung durch die preußischen »Reformer« seinen Anfang nahm.

Das ist ziemlich geschichtsbewußt, jedenfalls für westdeutsche Verhältnisse (in der DDR lernte jedes Kind diesen Kontext), aber es reicht nicht: Noch eine Anstrengung, Genossen! möchte man den Autoren zurufen. Sonst unterscheiden sich eure Analysen von denen der Politikberater wie Herfried Münkler nur dadurch, dass ihr den »Gegenstand« nicht in denunziatorischer Absicht, sondern mit genealogischen Stolz behandelt – und das ist zu wenig!

Widerstandsebenen

Insofern hatte die Redaktion der interim-Hefte 608 und 609 Recht, als sie den mg-Text auf die Hälfte herunterkürzte, um mehr Platz zu haben für Berichte vom »antirassistischen Grenzcamp«, Castor-Transport 2004, Borchardt-Go-In, von Anti-Hartz-IV-Aktionen wie »Agenturschluß« usw. – diese Aktivitäten sind es, die sich bestenfalls zu einem »komplexen revolutionären Aufbauprozeß« entwickeln, wobei noch eine Reihe weiterer Aktionen hinzukommt, die sich in der interim nicht finden. Erwähnt seien die Obstbauern im »Alten Land« bei Hamburg, die eine Erweiterung der Start- und Landebahn des Airbuskonzerns verhindern wollen; die Proteste gegen die erneute Startbahnerweiterung des Frankfurter Flughafens; die letzten Widerständler gegen den Bau des neuen Flughafens Berlin-Schönefeld; ferner die letzten Kämpfer gegen die Abbaggerung ihrer Dörfer durch Braunkohlekonzerne in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen; die schleswig-holsteinischen Marschbauern, die sich gegen eine Zerstörung ihrer Existenz durch Ausweitung der Natur- und Naherholungsflächen wehren oder all die Prostituiertenorganisationen, die gegen das SPD-Grüne-Gesetz gegen Menschenhandel kämpfen, weil es der Willkür der Polizei gegenüber Illegalen Tür und Tor öffnet:

Ich habe bestimmt noch Hunderte weitere Initiativen vergessen. Deutlich wird, dass es sich bei der interim und erst recht dem mg-Papier um Szene-Infos handelt, ähnlich dem telegraph oder dem gegner, die sich auch immer gern mit Geschichten wie den o.e. befassen.

Klein werden!

Wie kann daraus ein (gemeinsamer) »Aufbauprozess« werden? Und ist das überhaupt wünschenswert? Nehmen wir nur die auch in der interim oft thematisierte »Berliner Bankeninitiative«: Da gibt es die publizistischen Mudracker Mathew Rose und Michael Sontheimer, die ebenso betroffenen wie engagierten Sammelkläger um Jürgen Lindemann, den prominenten Widerstandsorganisierer Peter Grottian, die anonymen Luxusauto-Abfackler in Zehlendorf, die rumänische Villenknackerbande von Nikolai, die auf Banker spezialisierten Trickprostituierten Jana und Helena usw. – müssen oder sollen die sich alle praktisch und theoretisch vereinen, sich gar um ein »widerstandsebenenübergreifendes Netzwerk« bemühen? Nein, sie sind es gewissermaßen bereits! Und ob sich dieses »Netzwerk«, auf das im übrigen auch die »indymedia«-Redakteurin schwört, ausweitet, stabilisiert, militarisiert usw., ist eine Frage der »Konjunktur«, die man weder herbeianalysieren noch -wünschen sollte, denn dann haben zwar alle linken Gruppen regen Zulauf und radikalisieren sich rapide, aber gleichzeitig wird man mit einem anschwellenden Haufen Gesindel konfrontiert.

»Am Anfang waren wir im SDS zwölf Leute, jetzt sind wir in etwa wieder genau so viel.« So sagte es der Widerstandsforscher H.D. Heilmann, selbst erstaunt über diese Tatsache. Dass diese zwölf einer ganzen Partei zur Regierungsmacht verholfen haben und vielleicht 8000 Linken zu Professorenstellen – davon haben weder die Protagonisten etwas gehabt, noch sind ihre revolutionären Ideen der Verwirklichung näher gekommen. Im Gegenteil – die ganzen zeitweilig »Bewegten« setzten vielmehr alles daran, ihre »Vergangenheit« als Jugendirrtum und sich als nunmehr geläutert darzustellen, wobei für sie jetzt »rechts gleich links« faschistisch ist und sie höchstens noch »Abrechnungsshows« wie die RAF-Ausstellung in den Kunst-Werken zu inszenieren in der Lage sind. Also ein Klein-Werden schaffen! Mit dieser französischen Formel war einmal zweierlei gemeint: Zum einen sollten die Aktivistengruppen nicht ständig danach trachten, größer zu werden, und zum anderen sich bemühen, ihre sozialen Zusammenhänge dergestalt zu erweitern, dass sie darin aufgehen, um tendenziell sogar zu »verschwinden«, d. h. sich schließlich mit nahezu jedem identifizieren zu können.

Helmut Höge, 3. März 2005