Anmerkungen zum barricada-Interview mit den Magdeburger Genossen
Wir möchten auf eine Passage des Interviews unter der Überschrift „Solidarität ist eine Waffe“ aus der März 05-Ausgabe der barricada mit den beiden Magdeburger Genossen, die im Dezember 2003 wegen verschiedener militanter Aktionen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalt zu Haftstrafen verurteilt wurden, kurz eingehen.
Auf die Frage der barricada, wie die beiden unsere Brandanschläge vom 11. September 2003 auf das OLG bzw. die Staatsanwaltschaft Halle in Naumburg/S. „wahrgenommen“ hätten, antwortet einer der beiden wie folgt: „Die Anschläge kamen zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt, das Gericht hatte signalisieren lassen, den § 129a fallen zu lassen. Genau zwischen den Anträgen unserer Anwälte auf Haftverschonung und Entscheidung des Gerichts fielen die Anschläge und die Stimmung war erst mal im Keller. Es ist ziemlich schwer objektiv zu bleiben, wenn du da drin sitzt und subjektiv betroffen bist“.
Diese Aussage stellt einen direkten Zusammenhang zwischen unseren Anschlägen und der Haftsituation bzw. des damals kurz bevorstehenden Prozeßbeginns dar, die wir in dieser Form nicht stehen lassen können. Warum? Weil wir den in dieser Aussage steckenden Zusammenhang nicht finden können. Fakt ist, daß bereits im August 2003 (vor unseren Brandanschlägen!) das OLG und letztlich auch die Bundesanwaltschaft (BAW) aufgrund der Selbstauflösung der angeblichen „terroristischen Vereinigung“ im Mai 2002 keine juristische Handhabe mehr hinsichtlich der Anwendung des § 129a hatte (abgesehen von der im vorhinein sehr wackligen dritten „tatbeteiligten“ Person, die im April 2003 inhaftiert wurde, um mindestens drei Leute vorweisen zu können, die für eine § 129a-Verurteilung erforderlich sind).
In einem Interview mit dem Angehörigen Info (Nr. 211, 30.9.2003) sagt der Berliner Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff: „Eine Verurteilung nach der Vorschrift des § 129a sei bei einer derartigen Selbstauflösung nicht mehr möglich, da insoweit die freiwillige Auflösung der Gruppe einen so genannten persönlichen Strafaufhebungsgrund darstelle“. Weil damit bei einer eventuellen Verurteilung nicht mehr der § 129a in Spiel kommen konnte, war die Straferwartung geringer, so dass das OLG eine Aussetzung der Haftbefehle anordnete, die aber vorerst durch die übliche Beschwerde der BAW verhindert werden konnte (bereits mehrere Anträge auf Haftverschonung wurden abgelehnt). Erst einen Monat nach Prozeßbeginn, am 21. November 2003, wurden die Haftbefehle durch das OLG aufgehoben.
Eine negative Beeinflussung hinsichtlich der Anwendung des § 129a und der U-Haftdauer durch unsere Brandanschläge ist, soweit wir uns die Sachlage vergegenwärtigen und kennen können, nicht gegeben. Nebenbei bemerkt: man würde unsere militanten Aktionen im Vorfeld des Prozesses auch zu viel Bedeutung beimessen, wenn man behauptete, sie hätten einen maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf des Verfahrens haben können.
Wir wollen an dieser Stelle unsere eigentlichen Absichten mit unseren Brandanschlägen in Erinnerung rufen, die wir in unserer Anschlagserklärung (Interim 582, 13.11.2003) und unseren Presseerklärungen (Interim 563, 19.12.2002 und Interim 582, 13.11.2003) formuliert haben. Vorweg müssen wir eine weitere wichtige Korrektur vornehmen, In dieser zitierten Aussage einer der beiden Magdeburger wird gesagt, „dass die Anschläge wegen uns waren“. Das ist unzulässig verkürzt. Richtig ist, dass der Prozess vor dem OLG Sachsen-Anhalt unser Aufhänger war, und wir die zwei bzw. drei Magdeburger Genossen „objektiv (!)“ als die ersten Gefangenen bezeichnet haben, die aus dem Organisierungsversuch militanter Strukturen hervorgegangen waren. Wir haben aber ausdrücklich unsere Anschläge bewusst in einen größeren Kontext gestellt. Wir haben bspw. darauf verwiesen, dass die Repression gegen die Magdeburger „nicht den Endpunkt, sondern den Auftakt der verstärkten Verfolgung vermeintlicher militanter Aktivistinnen in der BRD (markiert)“. Uns war klar, daß wir im Kontext der Militanzdebatte mit „staatlichen Exekutivmaßnahmen“ rechnen müssen, die vielerorts stattfinden und völlig unabhängig vom „Magdeburger Fall“ über Genossinnen hereinbrechen konnten und können. Des Weiteren war uns wichtig zu betonen, „dass der Kampf gegen die Klassenjustiz nicht als eine verkürzte Konfrontation Staat vs. Linke zu verstehen ist.“ Stattdessen haben wir die sozialtechnokratische Repression gegenüber deklassierten und prekarisierten Bevölkerungskreisen hervorgehoben. Entrechtung, Willkür und Kriminalisierung sind kein „Exklusivrecht“ der (revolutionären) Linken!
Mit unserer Anschlags- und Presseerklärung kurz vor Prozeßbeginn wollten wir vor allem das Staatsschutz-Konstrukt eines angeblich existierenden und funktionierenden „militanten Netzwerkes“ (Spiegel) durchkreuzen, dem die Magdeburger durch die BAW zugeordnet werden sollten. Wenn man so will, war das unser eigentlicher Versuch, Einfluss auf das Prozessgeschehen zu nehmen, indem wir nachdrücklich erklärten, dass jeder direkte (organisatorische) Zusammenhang mit den drei Magdeburgern „in den Bereich der Dichtung (fällt)“. Die BAW konnte, wie sich im Prozess gezeigt hat, dieses Konstrukt auch nicht durchhalten und dem OLG begreiflich machen.
Kurzum, unsere Anschläge haben den Interviewten zufolge zumindest dafür gesorgt, dass sie in dem Hallenser Knast durch die dort einsitzenden Nazis keine Schikanierungen zu befürchten hatten. Respekt, der offensichtlich durch unsere Aktionen ausgelöst wurde, hatte wenigstens dazu geführt, an dieser „Front“ Ruhe zu haben, auch wenn dieser Punkt bei uns überhaupt nicht im Blick war.
Wir haben hoffentlich verdeutlichen können, dass wir mit unseren praktischen und schriftlichen Interventionen vor dem OLG-Prozeß keine (fahrlässigen oder nachweislichen) Negativfolgen für die Genossen verursacht haben. Unsere zentrale Intention war es, dazu beizutragen, dass das Konstrukt eines „bundesweiten militanten Netzwerkes“, in dem die Magdeburger integraler Bestandteil seien, vom Tisch ist. Hier haben wir eine Möglichkeit der „Strafmilderung“ bei einer zu erwartenden Verurteilung gesehen. Wir finden, dass man diesen Umstand jedenfalls bei einer Rückschau der Ereignisse erwähnen und berücksichtigen muss, gerade wenn man „subjektiv betroffen“ ist.
Als Teil der revolutionären Linken sind wir bekanntlich permanent staatlicher Repression ausgesetzt. Zu dieser gehört leider auch aus den vertrauten sozialen und politischen Umfeldern herausgerissen zu werden und das heimische Sofa mit der kalten Knastpritsche tauschen zu müssen.
Die von den Magdeburger Genossen formulierte Aussage, dass es sie „mehr als gefreut (hat), dass die Solidarität auf wirklich allen Ebenen stattfand und so vielfältig war“ (Angehörigen Info 285, 11.5.2004), können wir nur unterstützen. Hinter diesen Standard der Solidaritätsarbeit sollten wir nicht zurückfallen.
Generell bleibt festzuhalten, dass der Zeitpunkt, der Ort und die allgemeinen Umstände von militanten Aktionen immer genau zu bestimmen sind, damit keinem gegenteiligen Effekt Vorschub geleistet wird.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), 01.04.2005