Interview mit Marco und Daniel,
zwei betroffenen des § 129a Verfahrens
in Magdeburg
Die barricada (Nürnberg) hat sich mit ihnen über das verfahren, die Szene in Magdeburg, den Knastalltag, erfahrene Solidarität und den Ausgang ihres Verfahrens unterhalten
Welche Art der Repression habt ihr in Magdeburg erfahren?
Marco: Es geht um den §129, der immer wieder auch gegen die radikale Linke in Deutschland angewandt wird, sei es in Göttingen, Passau oder dem Radikal Verfahren. Durch den §129 werden auch viele nichtdeutsche Revolutionäre in deutsche Knäste gebracht, dazu ist zu sagen, dass es mehr nichtdeutsche politische Gefangene in deutschen Knasten gibt als deutsche politische Gefangene. Der §129a ist ein Gesinnungsparagraph. Er stellt die Gesinnung, Mitgliedschaft oder Unterstützung einer Organisation unter Strafe. Er wurde eingeführt in den 70er Jahren zur Bekämpfung der bewaffneten Gruppen in der BRD, seitdem findet ein inflationärer Gebrauch des §129 statt, vor allem gegen legale Gruppen und ausschließlich gegen die Linke. Die Funktion des §129 ist Durchleuchtung, Einschüchterung und Zerstörung linker Strukturen.
Revolutionäre Politik wird in vielen Städten der BRD gemacht. Warum schlugen die staatlichen Repressionsorgane gerade in Magdeburg zu?
Daniel: 2000 entstand in Magdeburg eine neue linke Gruppe, der Autonome Zusammenschlusz (AZ), eine Gruppe die sich nicht auf Antifa beschränkt hat, sondern die Vereinigung aller Teilbereichskämpfe in einer revolutionären Perspektive anstrebte. Es ging um Antifa, Internationalismus, den Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung, die Unterstützung antirassistischer Initiativen und mit der Besetzung der „Ulrike“ auch um Häuserkampf. In Magdeburg gab‘s dazu eine kontinuierliche militante Praxis im politischen Kampf, sowie zur sozialen Lebenssicherung, es gab eine radikale Ablehnung der herrschenden Verhältnisse durch die Magdeburger Bewegung, und es war auch so, dass sich Magdeburger Gruppen an der Militanzdebatte der Interim beteiligt haben.
Marco: es entwickelte sich in Magdeburg eine Dynamik, die nicht viel auf die herrschenden Gesetze gab: die Linke hatte kein Zentrum, sie nahm sich eins, die „Ulrike“. Die Demonstrationen in den ersten beiden Jahren wurden aus Prinzip nicht angemeldet, es wurde kollektiv klauen gegangen, um das Leben im Haus auch ohne Kohle auf die Reihe zu bringen.
Ab 2000 tauchte der AZ bereits im Verfassungsschutzbericht auf, ab 2001 ermittelte das LKA und ab 2002 das BKA. Die Observation gegen die radikale Linke in Magdeburg wurde immer offensichtlicher, wie gings richtig los?
Daniel; Als erste Maßnahme des 129a wurde das Haus geräumt und 24 Stunden lang durchsucht, wir durften nicht mehr rein, sprich 35 Menschen waren auf der Strasse gesessen. Sie haben sich dann auf Wohngemeinschaften verteilt. Durch dieses Verteilen in Wohngemeinschaften war es den Bullen einfacher, bestimmte personelle Zusammenhänge zu erkennen. Am 27.11.2002 gab es dann die Festnahmen von mir und Marco, zeitgleich gab es 4 Hausdurchsuchungen: 2 in Magdeburg, eine in Quedlinburg und eine in Berlin. Während ich in Quedlinburg bei meiner Mutter festgenommen wurde, wurde Marco vor seinem Haus beim Bäcker von einem MEK-Team überwältigt. Am Abend auf dem Weg zur Raucherzelle haben wir dann die Schuhe vom jeweils anderen vor einer Zelle stehen sehen und wussten so, wen‘s noch erwischt hatte. Als wir am nächsten Tag in einem BKA-Konvoi nach Karlsruhe gekarrt wurden, ist‘s mir gedämmert, dass wir wohl so schnell da nicht wieder rauskommen würden. In den Bunkerzellen im BGH hast du einen Haufen linker Sprüche an der Wand, meist ältere und nicht-deutsche Parolen. Da wurde einem schon klar, für wen diese speziellen Zellen sind. Der Haftrichter hat dann unsere U-Haft beschlossen. Ich kam zunächst nach Rheinbach und Marco wurde nach Köln-Ossendorf gebracht.
Ihr wart beide fast ein Jahr in U-Haft, was habt ihr erlebt?
Marco: Wie gesagt waren wir zunächst in Rheinbach bzw. in Köln-Ossendorf. Die Leute wussten, warum wir da waren, ich hatte den ersten Monat praktisch kein Geld für Tabak und so, das wurde mir von meinen Mithäftlingen zugesteckt. Die anderen bei mir im Trakt haben mich immer „Terror“ genannt, aber nicht böse, sondern eher liebevoll. Dann wurden wir wegen Heimatnähe und auf Druck unserer Anwälte nach Berlin Moabit verlegt. Während man in Rheinbach, in einem eher kleinen Knast, sich gegenseitig unterstützt hat, ist in Berlin jeder sich selbst der Nächste, versucht Neuankömmlinge abzuziehen. Ende Februar hatten wir dann wieder Haftprüfung in Karlsruhe.
Daniel: Zum Zeitpunkt der Festnahme wurden uns 2 Anschläge vorgeworfen, einen auf ein LKA-Gebäude und einen auf ein BGS-Fahrzeug. Rausgegangen aus der Haftprüfung sind wir dann mit dem Vorwurf von 4 Anschlägen. Im April 2003 gab es 12 weitere Hausdurchsuchungen, erneute Vernehmungsversuche von Aktivistinnen und schließlich um das Konstrukt des §129 (mindestens 3 Personen erforderlich) aufrecht zu erhalten, die Festnahme von Carsten, der dann auch nach Moabit kam.
Marco: Kurz vor der Verlegung nach Halle zum Prozeßbeginn hatten die Anwälte so eine Art Zusammenkunft durchgesetzt, wo wir drei und die Anwälte mehrere Stunden zusammen total unzensiert über alles quatschen konnten, das war ne Riesennummer ... es gibt aber auch so im Knast immer die Möglichkeit miteinander zu kommunizieren.
Kurz vor Prozeßbeginn gab’s Anschläge der Militanten Gruppe (mg) auf die Staatsanwaltschaft Halle und das OLG Naumburg, wie habt ihr die wahrgenommen?
Daniel: Die Anschläge kamen zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt, das Gericht hatte signalisieren lassen, den §129a fallen zu lassen. Genau zwischen den Anträgen unserer Anwälte auf Haftverschonung und Entscheidung des Gerichts fielen die Anschläge und die Stimmung war erst mal im Keller. Es ist ziemlich schwer objektiv zu bleiben, wenn du da drin sitzt und subjektiv betroffen bist. Der Knast in Halle hat einen ziemlichen Naziruf, als wir da hinkamen, waren die Anschläge Thema unter den Gefangenen, die wussten wer wir waren und dass die Anschläge wegen uns waren. Zumindest bei mir im Trakt, muss ich sagen, dass die Anschläge der mg mir das Leben dort leichter gemacht haben.
Und dann kam der Prozess …
Marco: Ja genau, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen, vermummte Transportbullen, Hand- und Fußfesseln. Auf den ersten Prozesstag haben wir uns Wochen gefreut, einfach aus dem Grund, alle mal wieder zu sehen, FreundInnen, GenossInnen, Familie, alle zusammen. Ich war total überfordert von der Reizüberflutung, alle Leute winken, geben Zeichen, versuchen dir was zu stecken, während du vorher in der Zelle seit einem Jahr emotional voll auf dem Trocknen gesessen bist.
Daniel: Das der §129 hinfällig geworden war, zeichnete sich bereits nach den ersten drei Prozesstagen ab. Die Zeugenbefragung war äußerst knapp, die meisten Anträge der Verteidigung wurden abgelehnt, zum Ende des Prozesses hat man schon mitgekriegt, dass das Gericht uns versucht zu diffamieren. Am 23.11.2003 wurden wir aus der U-Haft entlassen, wohl eher aus taktischen Gründen, um einerseits die Solibewegung zu schwächen und andererseits unsere Anwälte zu täuschen. Die mündliche Urteilsverkündung war dann gleichzeitig der Höhepunkt der Diffamierung: der Anschlag auf Daimler Chrysler wurde mit brennenden Synagogen verglichen. Es vielen Sätze, wie: „ja damals hat‘s ja auch mit Bücherverbrennung angefangen, und dem muss man halt frühzeitig entgegen wirken.“ Die Verurteilung fand ohne Tatnachweis statt: Ich habe 2 Jahre gekriegt und Marco 2,5 Jahre.
Marco: Die Anwälte sind in Revision gegangen, für mich gab‘s ne Revision, die ausschließlich ums Strafmaß ging, rausgekommen sind 2,5 Jahre. Bei Daniel wird das komplette Verfahren noch mal aufgewickelt, weil er beim Prozess 20 Minuten unverteidigt war. Leute, die sich im ersten Prozess auf ein Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund der Gefahr der Selbstbelastung berufen konnten, können dies jetzt nicht mehr tun, weil die Ermittlungen gegen sie mittlerweile eingestellt wurden. Das bedeutet bei Aussageverweigerung Beugehaft.
Der Höhepunkt der Solibewegung war die bundesweite Demo am 25.10.2003 als 2500 radikale Linke unter dem Motto „Linke Politik verteidigen“ in Magdeburg auf die Strasse gingen.
Daniel: Ja, wir haben das den ganzen Tag im Radio mitverfolgt und abends dann die überwältigenden Bilder im Fernsehen gesehen, das hat schon sehr viel Kraft gegeben. Es gab auch vorher schon Postkartenaktionen, sowieso haben wir viel Post von Leuten bekommen, die wir noch nie gesehen hatten. Man kriegt so mit, was draußen abgeht. Auch die Knastkundgebungen in Berlin waren der Hammer, wenn man merkt, die Leute vergessen einen nicht und alle Gefangenen machen Lärm und rufen „Freiheit Freiheit Freiheit!“
Interview mit Marco und Daniel, März 2005