Presseerklärung – Nr. 1/2002
Als militante gruppe (mg) werden wir ab sofort regelmäßig bzw. anlaßbezogen Presseerklärungen herausgeben, um auf bestimmte medial verbreitete Ereignisse, die den begonnenen Prozess der Organisierung militanter Gruppenstrukturen betreffen, zu reagieren. Wir haben bereits anläßlich unseres Brandanschlages gegen das Sozialamt Berlin-Reinickendorf und die Messer- und Patronenverschickung an den Sozialstadtrat Balzer Presseberichten entgegnet, in denen uns fälschlicherweise ein früherer Anschlag auf den PKW von Balzers Frau zugeschrieben wurde, zu dem sich ein anderer klandestiner Zusammenhang bekannte (vgl. Interim Nr. 550, 9. Mai 2002).
Um wahrheitswidrigen, an den Haaren herbeigezogenen Meldungen in der Presse ein kleines Gegengewicht zu liefern, werden wir eigenständig zu medialen Veröffentlichungen Stellung nehmen.
Bei dieser Presseerklärung handelt es sich um das Zusammentragen von uns zugänglichen Informationen zu einem Repressionsschlag der Bundesanwaltschaft (BAW) gegen vermeintliche Angehörige einer militanten Gruppe und eine erste, vorläufige Einschätzung unsererseits.
Festnahmen nach Paragraph 129a in Magdeburg
Am Mittwochmorgen, den 27. November 2002, wurden in der sachsen-anhaltinischen Stadt Magdeburg zwei 21- und 23-jährige Männer auf Beschluss der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (BGH) aufgrund eines eingeleiteten Verfahrens nach Paragraph 129a (Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“) festgenommen. Bei diesem Repressionsschlag der BAW und der vollziehenden BKA- und LKA-Schergen wurden insgesamt 4 Objekte in Magdeburg, Quedlinburg und Berlin durchsucht. Die eine festgenommene Person wurde auf offener Straße überwältigt und abgeführt. Die beiden wurden am 28. November 2002 dem „Ermittlungsrichter“ des BGH vorgeführt, der umgehend seines „Amtes waltete“ und die Untersuchungshaft verhängte.
Diese Festnahmen wurden erst am Freitag, den 29. November 2002, durch eine Pressemeldung der BAW bekanntgegeben und bspw. im Deutschlandradio sowie im Videotext verbreitet. In verschiedenen überregionalen Zeitungen (FR, SZ, TSP) wurden am darauffolgenden Samstag kleine diesbezügliche Agenturberichte (u.a. afp, ap) veröffentlicht. Die lokale Presse (Mitteldeutsche Zeitung, Magdeburger Volksstimme) berichtete an diesem Samstag großflächig über diesen Vorfall.
Nachdem, was der BAW-Erklärung bzw. den Presseberichten zu entnehmen ist, sollen die beiden Festgenommenen „mutmaßliche Mitglieder einer linksterroristischen Vereinigung“, die „in Magdeburg und an anderen Orten der Bundesrepublik Deutschland operiert“ (vgl. BAW-Erklärung) sein. Diese Gruppe „kommando ‚freilassung aller politischen gefangenen‘“ hat sich zu zwei Brandanschlägen auf das Gebäude des LKA in Magdeburg und einen Transporter des BGS anläßlich des Aktionstages für die politischen Gefangenen am 18. März 2002 in der Interim Nr. 549, 1. Mai 2002 bekannt. Diese beiden gezielten Anschläge (weckergesteuerter Brandsatz unter einem BGS-Fahrzeug und Molotov-Cocktails gegen das LKA-Gebäude), die gegen die Infrastruktur des BRD-Repressionsapparates zielten, vorursachten aufgrund technischer Mängel bzw. der schnellen Löschung nur geringen Sachschaden.
Offensichtlich hat die BAW unmittelbar nach diesen Anschlägen die weiteren Ermittlungen an sich gezogen. Bei den vier Wohnungsdurchsuchungen, die nach vorliegenden Informationen ohne einen Durchsuchungsbeschluß, sondern auf der Grundlage „Gefahr im Verzug“ unternommen wurden, wurden laut BAW und Zeitungsberichten bei einem der Festgenommenen angeblich „diverse Utensilien, mit denen Spreng- und Brandsätze hergestellt werden können“ (Magdeburger Volksstimme, 30. Nov. 2002), gefunden. Es ist ja wahrlich nicht das erste Mal, dass haushaltsübliche Gegenstände kurzerhand zu solchen „Utensilien“ erklärt werden.
In der Presse sind zwei Aspekte genannt worden, die die Festnahme der beiden mit bzw. ursächlich bewirkt haben sollen: Zum einen soll die hier inkriminierte militante Gruppe neben den Brandanschlägen „besonders durch Flugblatt-Aktionen in Erscheinung getreten“ sein, und zum anderen haben laut dem Sprecher des Magdeburger Innenministeriums, Matthias Schuppe, „vor der Festnahme intensive Ermittlungen in der militanten Szene gegeben“ (Mitteldeutsche Zeitung, 30. November 2002).
Wir betonen an dieser Stelle, dass die hier zusammengetragenen Informationen der Mitteilung des Repressionsapparates BAW und der bürgerlichen Presselandschaft entnommen sind. D.h., sie haben für uns keinen „Wahrheitsgehalt“, sondern werden von uns lediglich „zur Kenntnis genommen“ und wiedergegeben.
Was folgt aus diesem repressiven Angriff der BAW?
In den verschiedenen Veröffentlichungen der Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes ist deutlich geworden, dass der Prozeß einer Organisierung unter militanten Zusammenhängen eine große amtliche Aufmerksamkeit erfährt. Dies bestätigt sich in Zeitungsberichten von Journalisten, die offenkundig über einen „guten Draht“ in den Apparat verfügen (wie Otto Diederichs). In einem dieser Artikel wird erwähnt, dass „auf Bundesebene“ die Militanzdebatte „bereits seit einiger Zeit mit zu den Themen interner Gesprächsrunden zwischen Generalbundesanwaltschaft, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt (gehört)“ (vgl. Tagesspiegel, 15. Mai 2002).
Infolge dessen war und ist damit zu rechnen, dass dieses konterrevolutionäre Netzwerk irgendwann einmal mit „Fahndungserfolgen“ aufwarten wird.
Es lassen sich unserer Ansicht nach aus dem Vorgehen des staatlichen Repressionsapparates mehrere Dinge objektiv feststellen, die nicht in erster Linie mit dem „konkreten Fall“ zu tun haben, sondern sich allgemein aufdrängen, wenn mensch sich klandestin organisiert und seinen Widerstandsrahmen eigenständig definiert:
a) Repressionsschläge gegen den militanten Widerstand (abgegrenzt von dem bewaffneten Kampf) sind selten und oft im Paragraph 129a-Ermittlungssumpf steckengeblieben. Dieses Faktum wird von den Verfolgungsbehörden immer wieder beklagt. Vergleichbare Kriminalisierungen sehen wir im Zusammenhang mit dem ANTI-AKW-Protest („Hakenkralle“-Verfahren) und den Verurteilungen im Frankfurter Börsenprozeß 1990 anläßlich des letzten kollektiven RAF-Hungerstreiks 1989. Der Apparat verfügt aufgrund der Kapitulationspolitik der RAF und großer Teile der RZ über ausreichend Kapazitäten, um den „niedrigschwelligen“ militanten Widerstand genauer und mit mehr Intensität ins Visier zu nehmen als es in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war.
b) Solche Paragraph 129a-Ermittlungen und potentielle Gerichtsprozesse ziehen sich oft über Jahre hin. Nach unseren bisherigen Kenntnissen ist seit einigen Monaten der Observationsdruck gegen die vitale radikale Linke in Magdeburg erhöht worden. Das wird sich aller Voraussicht nach mittelfristig nicht ändern, zumal für das Konstrukt einer „terroristischen Vereinigung“ mindestens 3 Personen herangeschafft werden müssen. Selbst Jahre nach den Verurteilungen vermeintlicher AIZ-Mitglieder wird nach mindestens einer weiteren Person und deren „AIZ-Mitgliedschaft“ gefahndet. D.h., die beiden Festgenommenen und die gesamte lokale radikale Linke wird einer massiven, evtl. mehrjährigen Verfolgungstätigkeit durch die entsprechenden Behörden ausgesetzt sein.
c) Da sich das „kommando ‚freilassung aller politischen gefangenen‘“ in seiner Anschlagserklärung ausdrücklich positiv auf uns als Gruppe bezogen hat und der Repressionsschlag der BAW u.a. in den Kontext gestellt wird, dass „im Zusammenwirken mit anderen gewaltbereiten Gruppierungen eine „militante offensive“ herbeigeführt werden“ (BAW-Erklärung) soll, handelt es sich objektiv um den ersten (gezielten) staatlichen Angriff auf den begonnenen Organisierungsprozeß militanter Gruppenstrukturen, der mit unserer Initiative des Aufbaus einer „militanten Plattform“ (vgl. Interim Nr. 550, 9. Mai 2002) eine mögliche Konkretion erhalten kann. Des weiteren heißt das, dass die beiden Festgenommenen objektiv die ersten politischen Gefangenen sind, die aus diesem Prozeß als quasi „negativer Begleitumstand“ hervorgegangen sind. Denn Gefangenschaft bedeutet zunächst eine totale Einschränkung der gewohnten politischen Tätigkeit, die mensch draußen praktiziert hat. Der Knast muß nach den vielen demobilisierenden Erfahrungen der vergangenen Jahre (Spaltung des ehemaligen RAF-Kollektivs, weitgehend entpolitisierte Prozeßführung im RZ-Verfahren, Verrat und Denunzierung des revolutionären Kampfes durch eine Reihe von (Ex‑)Gefangenen etc.) als Feld der politischen Auseinandersetzung für drinnen & draußen wiederentdeckt werden.
d) Daraus abgeleitet stehen wir vor dem Problem, dass wir bisher in keiner Weise innerhalb des begonnenen Prozesses der Organisierung militanter Gruppen auf derartige konkrete Kriminalisierungen vorbereitet sind. Wir sind also in einem absoluten Anfangsstadium mit einer Situation konfrontiert, die uns abstrakt voll bewusst ist, aber in ihrer Unmittelbarkeit sozusagen „zu früh erreicht“. Dennoch sind für uns bereits jetzt mehrere prinzipielle Schlußfolgerungen gegeben: 1) Wir begreifen den repressiven Kriminalisierungsversuch, unabhängig davon, wie sich die beiden Festgenommenen verhalten und die staatlichen „Ermittlungsergebnisse“ aussehen werden, als einen Angriff gegen das Projekt der Organisierung militanter Gruppenstrukturen (einschließlich der Option des bewaffneten Kampfes); 2) Aus diesem repressiven Zugriff resultieren objektiv (!) die ersten beiden Gefangenen dieses Projektes; 3) Wir als Gruppe haben mit dem Anschieben dieses Projektes selbstverständlich auch eine Verantwortung gegenüber diesen und potentiell weiteren Gefangenen; die Solidarität mit politischen Gefangenen ist ein Grundsatz für eine revolutionäre Politik; 4) Wir werden künftig der drohenden Repression mehr Bedeutung beimessen und diese praktisch angehen müssen; 5) Wir müssen eine Vorstellung davon entwickeln, wie sich potentielle Gefangene, die sich als Teil des militanten Organisierungsprozesses draußen verstehen, innerhalb der Knäste politisch kommunikations- und handlungsfähig sein können, um nicht individualisiert der Repressionsmaschinerie ausgeliefert zu sein (Idee eines Gefangenenkollektivs).
Wir wollen darauf hinweisen, dass sich eine Soligruppe, die über die Homepage der Roten Hilfe Magdeburg kontaktierbar ist, gebildet hat und auf einer Sonderseite aktuelle Infos zum Stand der Ermittlungen gegen die beiden verbreitet.
Zum Abschluss möchten wir zum einen die GenossInnen der Militanten Antiimperialistischen Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney –, die sich in ihrer Anschlagserklärung gegen einen FIAT-Vertragshändler als Solidaritätsbekundung für die Kämpferinnen der BR/PCC an uns gewandt hat, hervorheben. Wir haben Euer klares Statement für den Aufbau einer militanten Plattform natürlich positiv aufgenommen (vgl. Interim Nr. 558, 10. Oktober 2002) und bestätigen an dieser Stelle nur ganz kurz, dass wir mit Euch diesen Prozeß gemeinsam gestalten wollen! Wir werden allerdings erst etwas später genauer darauf eingehen, um weitere mögliche Reaktionen abzuwarten.
Zum anderen möchten wir uns bei den GenossInnen bedanken, die mit ihrem Text „zwischen gartenzwerg und luftblasen“ unsere Plattform-Initiative ausdrücklich unterstützen (vgl. Interim Nr. 555, 29. August 2002) und nicht unerwähnt lassen, dass wir uns mit den kritisch-solidarischen Ausführungen der militanten zelle ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen werden (vgl. Interim Nr. 554, Juli 2002). In beiden Texten sind Ansatzpunkte enthalten (Definitionsvorschläge bezüglich militanter und bewaffneter Politik in dem Text „zwischen gartenzwerg ...“, Vorwurf eines „mechanistischen Phasenmodells“ in dem Beitrag der militanten zelle), die uns in dem weiteren Diskussionsverlauf weiterbringen werden.
Darüber hinaus geht ein Gruß ins bambulige Hamburg zu den GenossInnen der Autonomen Zelle „In Gedenken an Ulrike Meinhof“.
Solidarität mit dem kommando „freilassung aller politischen gefangenen“!
Freiheit für die inhaftierten Marco und Daniel!
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozeß für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), 10.12.2002