Die Organisierung aller Teilbereiche voranbringen – für eine sozialrevolutionäre Perspektive
Angesichts der laufenden Debatte um militante Politik melden wir uns als militanter Zusammenhang zu Wort, als der wir anknüpfend an das Konzept der RZ vor allem antirassistische Aktionen und zuletzt Januar 2000 einen Brandanschlag auf ein BGS-Inspektion Grunewald Nähe Eichkamp durchgeführt haben.
Im Gegensatz zur aktuellen Debatte haben unsere damaligen Interventionen keine breiteren Debatten ausgelöst, bzw. war es auch unserer eigenen Schwäche geschuldet, dass wir über punktuelle Ziele hinaus keine strategische Vorgehensweise entwickeln konnten. Wir waren Ende der 90er eher mit Organisierungsversuchen im Kontext direkter Zusammenarbeit mit verschiedenen neugegründeten Kleingruppen befasst und gescheitert. Eine Erfahrung, die unsere Aktivitäten auf dem Feld praktischer militanter Politik in den letzten Jahren nahe an den Nullpunkt brachten.
Die aktuelle Debatte in ihrer Zielsetzung mit all ihren Schwächen halten wir als strategische Diskussion für mehr als überfällig, deren gegenseitige Bezugnahme eine Haltung repräsentiert, die wir lange vermisst haben. Gerade heute, in einer Zeit der Schwäche, die von einem alle Teilbereiche linker Politik durchdringenden Rechtsruck und internen vorwiegend identitär geprägten Grabenkämpfen ohne nennenswerte Relevanz für die aktuellen gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen charakterisiert sind, halten wir eine Besinnung auf langfristig strategische Fragen dringend erforderlich.
Als sichtbares Zeichen in die radikale Linke hinein halten wir die aktuelle militante Initiative für fundamentaloppositionelles emanzipatorisches Handeln im Jahr 2002 für sehr wichtig, nicht ohne auf ihre Schwächen und Grenzen zu verweisen. Die Vernetzungsmöglichkeiten militanter Gruppen sind grundsätzlich sehr beschränkt und bedürfen einer genauen und langfristigen Sicherheitseinschätzung. Wie öffentlich, wo und wann welche Schritte unter Repressionsaspekten strategisch sinnvoll und notwendig sind, ist noch mit keinem Wort geklärt worden. In der jetzigen Situation (11. Sept.) einem aufmerksamen und sich agressiv aufrüstenden Feind offensiv entgegenzutreten, bedarf einer genaueren Einschätzung, als das was wir bisher dazu lesen konnten. Dennoch ist es gut zu wissen, dass es militante Gruppen gibt, die sich kontinuierlich diesen Fragen stellen. Aber als Debatte unter Militanten im erweiterten Sinne gehört diese Diskussion in alle Teilbereiche linksradikaler Politik, in der sich jede Initiative, Gruppe, Aktion etc. danach bewerten lassen muß, inwieweit sie sich eine an Bedeutung gewinnende Stimme in den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu verschaffen weiß. Die sehr umfangreiche Medienwirksamkeit des leider gescheiterten Anschlags auf den Arbeitsplatz des Sozialstadtrat Balzer, die auch Grüne und SPD dazu zwang, Positionen zu beziehen, die dann auch ihre heuchlerischen Lippenbekenntnis-Politik dokumentieren, hat uns jedenfalls sehr gut gefallen und führt unserer Einschätzung nach weder zwangsläufig in die Isolation noch in die Praxis der AIZ.
„So wie die Verhältnisse zur Zeit sind, tragen Tote nichts aus ...“ schreiben die Autonomen Gruppen (04/2002) und scheinen das, was, wenn auch teilweise zu verkürzt, aus den Texten von mg spricht, nicht hören geschweige denn verstehen wollen. Wir können in keinster Weise aus ihren Texten herauslesen, dass sie hier und heute kurz davor stehen im Abgleich mit ein, zwei anderen militanten Gruppen darüber übereinzukommen, eine Praxis der „Liquidierung“ wiedereinzuführen, geschweige denn andere Schritte zu unternehmen, die zwangsläufig in die Illegalität führen. Es geht ihnen unserer Einschätzung nach zunächst einmal um die Schaffung eines ernsthaften kontinuierlichen Diskussionsrahmens, der sich auch an der Grenze der „Legalität“ vom gesellschaftlichen Diskurs nicht vorschreiben lassen will, welche Mittel diskutiert und praktiziert werden. Wer bewaffnete Aktionen aus strategischen Erwägungen unter definierten gesellschaftlichen Bedingungen grundsätzlich ablehnt, weiß entweder nicht wovon er/sie spricht oder hofft auf ein Wunder, wenn es darum geht der Macht nicht nur kärgliche Zugeständnisse abzutrotzen. Wir verstehen daher diese Interventionen von mg vielmehr als diskursive Hürde, über die schon gesprungen werden muß, wenn man/frau ernsthaft gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpft.
In einer Situation, in der ein breiter linksradikaler Konsens bestünde, dass eine bewaffnet durchgeführte Aktion (z.B. die Erschießung von Schill) ein politisches Signal und eine Wirkung für die breite Mobilisierung von Widerstand und eine unmißverständlich notwendige Markierung einer Grenze darstellt, auch wenn die Gruppe dem nachfolgenden Repressionsdruck nicht standhalten könnte, soll dann aus grundsätzlichen Erwägungen darauf verzichtet werden? Wir wollen damit aber mitnichten ausdrücken, dass wir dies für den Kern der aktuell notwendigen Diskussion halten und müssen darüber hinaus einer solchen Option schon aufgrund unserer derzeitigen logistischen und technischen Fähigkeiten eine Absage erteilen. Ob nach den Erfahrungen der letzten 30 Jahre eine einzelne Gruppe unreflektiert und selbstbezogen um des eigenen Prestige willen in der aktuellen Situation an der Eskalationsschraube dreht, können wir natürlich nicht völlig ausschließen, würden dies von vorn herein keiner der an der Diskussion beteiligten Gruppen vor dem Hintergrund ihrer Bemühungen um eine ernsthafte militante Debatte unterstellen.
Die autonomen Gruppen kritisieren zwar völlig zu Recht, dass der notwendige Bezug zum politischen Koordinatensystem 2002 eine Leerstelle bleibt, jedoch liefern sie selbst nichts vergleichbares und ignorieren, dass die Erklärungen von der militanten gruppe einen komplexen Analyseansatz (Zwangsarbeit) präsentieren, der allerdings weiterentwickelt werden müßte. Während die RAF noch am 27.3.1993 mit Weiterstadt ihre Aktionsfähigkeit auf logistisch militärischer Ebene dokumentierte, erklärt sie Jahre darauf das Ende ihres Projektes. In den aktuellen RZ-Verfahren wird mit aktiver Beteiligung einiger Beschuldigten ein weiteres Widerstandskonzept nicht nur juristisch abgestraft, sondern soll vor allem als politisches Signal in die derzeitigen politischen Zusammenhänge wirken: Die Botschaft, die damit verbreitet wird, lautet nicht lediglich Widerstand ist zwecklos. Seit dem 11. September wird auf breitester Front daran gearbeitet berechtigten Widerstand gegen die globalen und lokalen Entwicklungen zu delegitimieren und zu demontieren. Diese Entwicklung in den strategischen Konzeptionen militanter Gruppen auszublenden wäre in der Tat fatal. Einen Ausdruck in ihren Praxen zwischen diskursiver Präsenz, Aktion, Kontinuität und Verfolgungsdruck zu finden, der einen politisch-strategischen Entwicklungsprozess zu präsentieren in der Lage ist, halten wir für die aktuelle Herausforderung militanter Gruppen.
Dabei beschränken sich die zuletzt genannten Mechanismen keineswegs auf militante und mittlerweile nicht mehr bestehende bewaffnete Gruppen, sondern sie betreffen alle Teile der emanzipatorischen Linken. Gemessen daran, wie weit sich gesellschaftliche Gruppen und politische Positionen in den letzten Jahren verändert und verschoben haben, so muß wohl das größte Ausmaß der politischen Verschiebung innerhalb der ehemals Linken ausgegemacht werden. Die unsäglichste Rolle repräsentieren dabei sicherlich die Grünen, welche ihre pazifistisch-basisdemokratische Haltung für die Regierungsbeteiligung verkauften und nicht mal mehr erröten, wenn sie Auschwitz als Legitimation für ihre Kriegsbereitschaft instrumentalisieren. Keine andere Partei als die Grünen hätte es vermocht den nachhaltigen ökonomischen und politischen Umbau unter taktischer Ausspielung begründeter Kritik und Protest derart „erfolgreich“ einzuleiten. Der gesellschaftliche Prozess der letzten zehn Jahre muß als systematischer Rechtsruck verstanden werden, welcher links von den bürgerlichen Parteien ein gesamtgesellschaftliches Vakuum hinterließ.
Trotz dieser analytischen Mängel und einem allzu mechanistischen und historisch unterfütterten Phasenmodell, das den politischen Kampf über die systematisch steuerbare und planbare Zuspitzung und den darauf folgenden Umschlag neu etablieren will, halten wir die in der bisherigen Debatte aufgeworfenen Fragen hinsichtlich Basis, Organisierung und politischem Konzept, für einiger maßen wertvoll. Ob angesichts der mittlerweile vollzogenen und immer stärker beschleunigt wirkenden sozioökonomischen und technischen Veränderungsprozesse, der Individuum und Gesellschaft ausgesetzt sind, die Machtfrage überhaupt als phasenhaft angestrebter politischer Entwicklungsprozess auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, möchten wir mal vorsichtig anzweifeln. Wir würden daher insbesondere der mg eine falsch gewichtete Fixierung auf Prozesse militanter Gruppen vorwerfen, da sie auf die nicht vorhandenen und ebenso notwendigen strategischen Diskussionen in den politischen Teilbereichen der Basisgruppen kaum eingehen, auch wenn jedes Modell notwendigerweise mit Abstraktionen und Verkürzungen arbeiten muß. Dennoch halten wir ihre bisherigen Interventionen mit all ihren Defiziten und Schwächen mit dem Ziel einer Formulierung strategischer Konzeptionen allemal durchdachter, als nach dem Motto da-bewegt-sich-was das wechselvolle Bewegungsspiel punktuell zu flankieren.
Unsere eigenen Aktionen damals waren vor allem deshalb unwirksam, weil sie ohne sichtbare Kontinuität zusammenhanglos aneinander gereiht waren und als zufällige, wenn auch lästige Nadelstiche interpretiert wurden. Diese Praxis hat uns zu keinem Zeitpunkt in eine politisch wirksame Initiativposition gebracht und in Kombination mit dem Scheitern unserer Vernetzungsversuche zur Beendigungen unser praktischen Interventionen geführt.
Vor diesem eigenen Erfahrungshintergrund können wir die koordinierten Versuche einer Debatte um die strategischen Perspektiven aktiver militanter Gruppen nicht hoch genug einschätzen. Dies in einem Wechselspiel von Aktion und Diskussion zu initiieren und dann auch zu leisten, haben wir in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt erreicht. Vor dem aktuellen Hintergrund erhoffen wir uns als Ergebnis dieser Debatte eine bewußtere gegenseitige Wahrnehmung und Bezugnahme. Dies sind für uns die unabdingbaren Voraussetzungen um durch geschickte Wahl der Mittel der schrittweisen Konzeption einer politischen Strategie näherzukommen, welche unseren Inhalten und Positionen vor allem hinsichtlich aktueller gesamtgesellschaftlich relevanter Widersprüche eine interventionsfähige und wahrnehmbare Bedeutung zurückgibt.
Die Organisierung aller Teilbereiche voranbringen – für eine sozialrevolutionäre Perspektive
militante zelle, 16/17.06.2002