Anschlagserklärung: Das war Mord!
In der Nacht vom 19.12.06 zum 20.12.06 haben wir folgende militante Aktionen gegen die Hauptverantwortlichen des rassistischen Mordes an Oury Jalloh durchgeführt:
- Brandanschlag auf den Gebäudekomplex des Neurologen Andreas Blodau in der Kornhausstraße 85 in Dessau. Blodau hat vor wenigen Wochen seinen neuen kombinierten Wohn- und Praxisbereich bezogen. Um die Gefährdung von Leib und Leben nach menschlichem Ermessen auszuschließen, haben wir die Brandsätze an den beiden Garagen deponiert, die baulich nicht direkt mit dem Wohn‑/Praxisbereich verbunden sind.
- Sprühaktion an dem Mehrfamilienhaus im Reudener Weg 14 im Wolfener Ortsteil Thalheim, in dem der Leiter des Dessauer Polizeireviers, Andreas Schubert, wohnt. Auch hier haben wir uns aufgrund der Wohnsituation für eine Interventionsform entschieden, die eine Gefährdung Unbeteiligter ausschließt.
Wir gedenken mit unseren Aktionen Oury Jalloh, der vor fast zwei Jahren im Alter von nur 21 Jahren in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Sein Tod ist bis heute nicht aufgeklärt worden.
Wir gehen davon aus, dass Oury Jalloh ermordet wurde – und teilen die Analyse vieler MigrantInnen und Antirassist/Innen, die in den letzten zwei Jahren gegen seinen Tod protestiert haben. So viel spricht dafür: Wie sollte sich ein gefesselter Mann auf einer schwer entflammbaren Matratze selbst anzünden? Woher hatte er nach einer Durchsuchung ein Feuerzeug? Warum war sein Nasenbein gebrochen, wie eine Obduktion ergab? Warum stellte der zuständige Polizeibeamte mehrmals die Lautsprecheranlage leise, während Oury Jalloh verbrannte?
Wir gehen aber auch von einem rassistischen Mord aus, weil die Verantwortlichen mit rassistischen Verlautbarungen klar Stellung bezogen haben. So zitierte der Spiegel am 6.6. 2005 einen Dialog zweier Polizeibeamter unmittelbar nach dem Tod Jallohs: „Hat er sich aufgehangen, oder was?“, „Wieso?“, „Weiß ich nicht. Die sind da runtergekommen, da war alles schwarzer Qualm.“ „Ja, ich hätte fast gesagt gut. Alles klar, schönes Wochenende, ciao, ciao.“ Und in einem Telefonat über Oury Jalloh zwischen dem diensthabenden Polizeibeamten Andreas Schubert und dem zuständigen Arzt Andreas Blodau äußerten sich beide extrem abwertend und rassistisch über den Menschen, der untersucht werden sollte: Polizist: „Pikste mal nen Schwarzafrikaner?“ Arzt: „Ach du Scheiße, da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen.“ Lachen. Polizist: „Na, bring doch ne Spezialkanüle mit!“ Oury Jalloh war wahrscheinlich nicht das erste Opfer der beiden. Schubert und Blodau waren schon einmal im Dienst, als ein Obdachloser in derselben Zelle an den Folgen eines Schädelbruches starb ...
Wir protestieren mit unserer Aktion nicht gegen einen Mord als Exzess einzelner Täter, sondern wir setzen uns auch gegen ein öffentliches Klima der Vertuschung, Verleugnung und der Gleichgültigkeit zur Wehr, das deutsche Gerichte mit verantworten und herstellen. Bis heute sind die Verantwortlichen nicht vor Gericht gestellt worden und das Landgericht Dessau hat es am 11. November 2006, fast zwei Jahre nach dem Tod, abgelehnt, einen Prozess um den Feuertod von Oury Jalloh zu führen. Dies geschah, nachdem das Gericht bereits jahrelang juristische Kniffe der Verschleppung gegen einen möglichen Prozess angewandt hatte. Zudem gehen die Dessauer Strafverfolgungsinstitutionen und Ausländerbehörde mithilfe rassistischer Sondergesetze massiv gegen Freund/Innen und politische solidarische Leute vor, die den Tod von Oury Jalloh nicht vergessen wollen – indem sie etwa einem Freund die Gewerbelizenz entziehen, Verstöße gegen die Residenzpflicht ahnden oder Abschiebungen forcieren.
Wir verstehen unsere Aktionen auch als Gegenwehr gegen viele weitere Akte rassistischer Gewalt, die öffentlich kaum wahrgenommen werden. Der Tod Oury Jallohs ist dank der Proteste zu einem Symbol für alle rassistischen Exzesse geworden, die inzwischen wieder zum Alltag in Deutschland gehören – vergessen sind die Aufregungen um Hoyerswerda und Mölln. So starb etwa Laye-Alama Condo am 7.1.2005, am selben Tag wie Oury Jalloh, nach einem brutalen Brechmitteleinsatz der Polizei in Bremen. Wir wollen auch an die Morde an John Achidi, Ndeye Mareame Sarr, Amir Ageeb, Kola Bankole, Alberto Adriano, Amadeo Antoneo und viele andere erinnern.
Wir sehen, dass diese Morde und die Akte der Vertuschung, Verleugnung bis Zustimmung, die sich um sie ranken, ein Zeichen dafür sind, dass die alten kolonialen rassistischen Bilder weiter fest in den Köpfen sind. Die Gesten eines weltoffenen WM-Gastgeberlandes, ein kommerzialisierter Multikulturalismus und ein Gerede über Migration, das sich jenseits von Blutrecht und Abschottung für die flexible ökonomische Inwertsetzung von Migrant/Innen begeistert, tun dem keinen Abbruch. Die alten Praktiken der Erniedrigung, Kriminalisierung, Sonderbehandlung, Isolation und Aggression sind auch in Deutschland 2006 ungebrochen. Sie untermauern eine Politik der Lager, der Einschränkung von Bewegungsfreiheit, des Entzugs grundsätzlicher sozialer Rechte aber auch der extremen Ausbeutung und Prekarisierung, die unabhängig vom sozialstaatlichen Abbau die „Anderen“ schon immer traf.
Wir verstehen unsere Aktion als Teil eines antirassistischen Widerstandes, der Migration als Teil und Folge weltwirtschaftlicher Ausbeutungszusammenhänge und weltweiter Kriegspolitiken analysiert. „Wir sind hier, weil ihr dort seid“ ist der Ausruf politisch organisierter MigrantInnen, die ihre Erfahrung rassistischer Gewalt nicht von weltweiten Machtverhältnissen abgekoppelt verstehen wollen. Diese gesellschaftskritische Analyse von Migrationsgeschichten meint keine Strategie, sich als „(Wirtschafts-)Flüchtlinge“, oder als humanitäre Opfer gegenüber einer bürgerlichen Öffentlichkeit legitimieren zu wollen. Vielmehr ist der selbstbewusste Akt, sich den Aufenthaltsort selbst auszusuchen, Teil einer Politik, viele Geschichten hinter den individuellen Fluchtwegen zu wissen, die nicht durch administrative Gewalt gebrochen werden kann.
Wir zeigen mit unseren Aktionen, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn die rassistische Staatsmaschinerie (wieder) Tote hinterlassen hat. Rassistische Morde dürfen nicht routiniert zur Kenntnis genommen und dann der Vergessenheit überantwortet werden. Es gibt einen Moment der Konfrontation, wo klar sein muss, auf welcher Seite wir stehen, und wo gehandelt werden kann und muss, auch und gerade wenn auf formaljuristischem Wege erfahrungsgemäß nichts zu erreichen Ist. Die Anrufung offizieller Stellen kann eine taktische Option sein, um den Mord an Oury zu ahnden und durch die Mobilisierung des zivilgesellschaftlichen Rests eine (kritische) Öffentlichkeit zu schaffen. Doch das gut funktionierende Kartell aus juristischen Instanzen, Polizeibehörde und Stadtverwaltung in Dessau bleibt solange unangetastet, solange es keinen gezielten Angriffen ausgesetzt ist, Von diesen offiziellen Stellen kann keine Aufklärung des Mordfalles an Oury erwartet werden, denn – so 1986 die Revolutionären Zellen zu ihren Aktionen gegen Ausländerbehörden – „der Staat, von dem die Gewalt gegen Flüchtlinge ausgeht, taugt nicht als Adressat für Appelle und Resolutionen,“ Der Mord an Oury Jalloh ist ein weiterer Beleg, dass es nicht weit geführt hat, brav die Rechte für diejenigen zu erbetteln, für die die Menschenrechte paradoxerweise oftmals gerade deswegen gelten (sollen), weil sie völlig entrechtet sind.
Wir stellen mit unseren Aktionen klar, dass nur eine direkte Gegenwehr den rassistischen Tätern im Wortsinn vor Augen führt, wo ihre Grenzen sind! Und sie sind schon längst überschritten ...
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus !
militante gruppe (mg), 19.12.2006