Dementi & ein bisschen Mehr
In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 2006 kam es im Berliner Innenstadtgebiet zu vier mutmaßlichen Brandanschlägen auf PKWs von AnwohnerInnen. Dabei sind offensichtlich neben den Fahrzeugen, unter denen Brandsätze platziert wurden, sieben weitere beschädigt/zerstört worden. Ein Zusammenhang mit den „Feierlichkeiten“ zum „Tag der Deutschen Einheit“ wird vermutet. In verschiedenen Medienberichten vom 5. Oktober 2006 sind wir als militante gruppe (mg) indirekt bzw. direkt mit den Anschlägen In Verbindung gebracht worden (vgl. Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost, Bild Berlin).
Hierzu stellen wir folgendes fest:
- Unsere Gruppe hat mit dieser Anschlagsserie vom 3./4. Oktober dieses Jahres nichts zu tun, Wir bekennen uns zu unseren militanten Aktionen. Wenn wir mit diesen Anschlägen über welchen Hebel auch immer in Zusammenhang gebracht werden, handelt es sich um einen plumpen Akt der Desinformation, was unsere Gruppe und unsere Politik des Organisierungsprozesses innerhalb der revolutionären Linken betrifft!
- Das Ziel der Anschläge, d.h. vermeintliche oder tatsächliche „Luxuskarossen“ durch Brandanschläge zu zerstören, war bislang nicht Teil unserer militanten Interventionsformen. Dies ist für uns auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen denk- und umsetzbar.
- Das zumeist relativ willkürliche Auswählen sog. Luxuskarossen hat in den vergangenen Jahren in der Regel immer dazu geführt, dass neben den ins Visier genommenen Fahrzeug weitere durch die Brandwirkung in Mitleidenschaft gezogen oder gar komplett zerstört wurden. Dieses ungezielte Agieren lehnen wir grundsätzlich ab, wenn nicht garantiert ist, dass durch den Standort der „Luxuskarosse“ ausschließlich (!) diese entzündet wird und sich die Standorte In Quartieren befinden, in denen nicht Angehörige unserer Klasse wohnen (z.B. Regierungsviertel, Wannsee, Frohnau).
Bislang ist es reine (Presse- und Bullen-)Spekulation, ob die „Urheberschaft“ dieser Brandanschläge in den Reihen der autonomen und/oder revolutionären Linken festzumachen Ist. Es ist durchaus denkbar, wenn wir uns eine kleine Spekulation erlauben dürfen, dass hier eine unterbeschäftigte Pyromanen-Abteilung des Staatsschutzes unterwegs war, um den organisierten militanten Widerstand in dieser Stadt an den Pranger zu stellen. Wäre diese Vermutung zutreffend, dann könnten sich die Geschädigten unmittelbar an den Berliner Finanzsenator Sarrazin wenden; der kennt sich damit aus, Rechnungen zu begleichen (siehe Berliner Bankenskandal).
Da wir nie AnhängerInnen von verschwörungstheoretischen Ansätzen waren, können wir aberr auch nicht ausschließen, dass diese Aktionen von Genossinnen durchgeführt wurden. Falls es hierzu eine authentische Erklärung geben sollte, dann stehen einige Erläuterungen an. Es ist unabdingbar, eine praktische Aktions- und Durchführungsform zu suchen und zu finden, die ein solches Desaster, das auf uns als revolutionäre Linke insgesamt zurückfällt, künftig klipp & klar ausschließt. Bleibt diese Aktion mit ihrem ungewollten „flammenden Beifang“ von sieben zusätzlichen Fahrzeugen politisch unerklärt, so haben sich die daran Mitwirkenden „sauber‘ und ohne Verantwortungsübernahme aus der „Affäre“ gezogen. In einem solchen Fall wird – ohne jede Beachtung der Nachwirkungen im Wortsinn ein punktuelles Fanal in die Landschaft gesetzt. Ein solches Fanal wirft dann aber eher einen grauen Schatten auf die „Szene“, als dass es ein Anstoß für eine Nachahmung sein kann.
Dem Berliner Blätterwald wird so eine Menge Stoff frei Haus geliefert, den sie über lange Zeiträume immer wieder genüsslich gegen uns verwenden können. Wer/welche wollte das den herrschenden Medien vorwerfen, dies nicht auszuschlachten. Es liegt in unserem ureigensten Interesse, dafür Vorsorge zu tragen, dass wir mit unseren Aktionsformen nicht denen in die Hände spielen, die eh schon die Presseschleuder bedienen.
Wir erkennen durchaus an, dass mit den Brandanschlägen vom 3./4.10. Statussymbole in Berliner Innenstadtbezirken angegangen werden sollten. Dabei haben wir auch präsent, dass in diesen Gegenden Berlins seit dem Mauerfall ein massiver Umstrukturierungs- und Gentrifizierungsprozess im Gange ist, der zu einem Vertreibungssog geführt hat, so dass sich hier u.a. aufgrund der Mietsteigerungen vornehmlich „Einheitsgewinnler“ und Angehörige der Schröderschen „neuen Mitte“ breitgemacht haben. Dennoch kann nicht davon gesprochen werden, dass diese Wohngebiete „frei“ von (sub-)proletarischen Bevölkerungskreisen wären, wie sich das weitgehend ausnahmslos in Zehlendorfer oder Reinickendorfer Ortsteilen darstellt.
Wir haben uns bereits zu dem letzten Anschlag auf den Fuhrpark der Umzugsfirma Roggan in schriftlicher Form äußerst kritisch verhalten, da durch das Ausmaß der Flammen Anwohnerfahrzeuge in einer Lichtenberger „Normalo-Gegend“ z.T. massiv beschädigt wurden (vgl. Interim 638, 15.6.2006). Wir haben in diesem Schreiben auch Aktionsbeispiele aus unserer eigenen praktischen Vergangenheit geliefert, die scheiße gelaufen sind bzw. die wir im Nachhinein (u.a. Anschlag auf einen Chrysler-VertragshändIer) nicht mehr unumwunden gutheißen können. Klar ist aber ebenso, dass es Aktionsformen und -situationen geben kann, bei bzw. in denen Unbeteiligte durch die Absicherung eines Rückzugs oder ähnliches negativ betroffen sein können. Wir sehen es als eine Aufgabe der seit fünf Jahren stattfindenden Militanzdebatte an, in einem solidarischen Rahmen nicht nur allgemein inhaltliche, praktische und organisatorische Eckpunkte revolutionärer Politik abzustecken, sondern auch Fehlentwicklungen bspw. in der militanten Praxis offen und deutlich entgegenzuwirken. Gerade für Genossinnen, die Schritt für Schritt zu dem Punkt gekommen sind, u.a. militant Politik zu machen, ist es wichtig, sich mit den vorliegenden Erfahrungsworten anderer klandestiner Gruppen auseinander zu setzen und diese für das eigene Agieren zu berücksichtigen. Damit ein „Erstlingswerk“ nicht gleich in die Hose geht, sind diese Vorarbeiten unerlässlich.
Dabei ist größten Wert auf die Zielgenauigkeit bei Aktionsvorhaben zu legen. Wenn bspw. eine spezifische „Nobelkarosse“ flambiert werden soll, dann ist darauf zu achten, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft keine Kleinwagen geparkt sind und die weitere Umgebung (Wohnhäuser etc.) nach allem, was einzuschätzen ist, nicht tangiert wird. Ist man sich dessen nicht sicher, hat eine solche Aktion zu unterbleiben und man sucht entsprechend nach einem geeigneten Ort. Um einen Brand bzw. dessen Ausmaß zu begrenzen, ist es ratsam, weniger brennbare Flüssigkeit zu verwenden oder aber statt den Motorblock bzw. die Reifen den Innenraum des Fahrzeugs zu entflammen.
Wie viel Erfindungsreichtum hat in einem Journalistenhirn platz?
Auf einen Punkt in den veröffentlichten Pressemeldungen zu der Anschlagsserie 3.14.10. wollen wir noch zu sprechen kommen. Der Lokalredakteur Andreas Kopietz von der Berliner Zeitung fällt seit geraumer Zeit durch sehr eigenwillig formulierte Artikel auf. Bereits in seinem Artikel vom 27.7.2006 hat er uns den Brandanschlag auf einen FIAT-Autohändler zugeschoben, der lt. Anschlagserklärung der Gruppe „autonome anti g8 sportliga mitmacherinnen“ zu zuschreiben ist. In der Interim 640, 31.8.06 ist auch eine diesbezügliche Anschlagserklärung zu finden. Kopietz konstruiert hier anhand der vermeintlichen Parallelen des Schriftbildes, dass de facto wir hinter diesem Anschlag stecken würden.
Auch hier ein klarer Fall von Desinformation, zumal wir diesen Anschlag aus einem entscheidenden Grund selbst nicht durchgeführt hätten: Bei dem Autohaus handelt es sich unseres Wissens nach lediglich (wenn überhaupt) um einen FIAT-Vertragshändler, der den entstandenen Schaden aus eigener Tasche zu zahlen hat im Gegensatz dazu, wenn man eine direkt dem Konzern unterstellte Niederlassung aufgesucht hätte. Eine materielle Schädigung des italienischen Konzerns tritt hier nicht ein, stattdessen ist eine ziemlich heruntergekommene deutsche Auto-Klitsche Ziel eines Brandanschlags geworden. Damit sollte ein Zusammenhang mit dem Jahrestag des Todes des Genossen Carlo Giuliani in Genua bei den Anti-G8-Protesten 2001 in Genua hergestellt werden. Für uns ist das in der Summe ein zu sehr konstruiertes Vorgehen, wenn damit beabsichtigt wurde, einen italienischen Konzern (und über diesen den italienischen Staat) politisch anzugreifen. Der ergänzende Farbbeutelangriff auf eine Bullenstation als ein internationalistischer Solidaritätsausdruck gegen Bullenterror ist für uns völlig nachvollziehbar, relativiert aber unsere Ablehnung gegen Brandanschläge auf Vertragshändler nicht wirklich.
Zurück zu Kollege Kopietz: Dieser scheint an Konstrukten viel Spaß zu haben und er ist sich nicht zu schade, diese weiter auszubreiten, wie sein Artikel vom 5.10. verrät. Dort werden wir nicht nur indirekt aufgrund eines ominösen Schriftbildes zur Urheberin des Anschlags auf das besagte FlAT-Autohaus erklärt, sondern schlicht und einfach ohne Umschweife. Zudem bastelt er fleißig an der Staatsschutzlüge, dass verschiedene Aktionen, die von verschiedenen Gruppen verantwortet werden, quasi aus einer personellen Ecke kommen, denn „Stil, Schriftbilder und Form der Schreiben ähneln sich oft“, so Kopietz. Lächerlicher können „Indizienketten“ im Grunde nicht vorgebracht werden. Dabei wollen wir bspw. den Genossinnen der Autonomen Gruppen nicht zumuten, mit unserem „gewöhnungsbedürftigen Deutsch“ (Jungle world, 4.10.2006) stilistisch und orthographisch in einen Topf geschmissen zu werden. Aber um lächerlich oder nicht kann es eigentlich gar nicht gehen. Es ist völlig überflüssig, an Journalistische Seriosität oder so etwas appellieren zu wollen. Das würde den „systemischen Charakter“ der Vermarktung von Nachrichten ausblenden. „Nachrichten“ erlangen dann einen „Wert“, wenn sie sich verkaufen lassen. Und dafür rührt man schon mal ganz gerne einen Legendenbrei an. Fakten sind da nur lästig. Es bleibt da einfach nur festzuhalten, dass selbst ein kleiner Schmierenfink im Lokalteil einer „anerkannten“ Tageszeitung ein Rädchen der herrschenden Desinformation ist. Gutzureden hilft da nichts, da müssen schon robustere pädagogische Maßnahmen greifen ...
Folgerichtig werden uns als Gruppe immer klarer die Methoden vor Augen geführt, um den organisierten sozialrevolutionären und antiimperialistischen Widerstand in der BRD in der öffentlichen Wahrnehmung zu diskreditieren. Die Manipulationen, die über die Presse lanciert werden, sind dabei ein bekanntes und probates Mittel. Wir konnten ins darüber schon während der Fußball-WM ein Bild machen, als uns erfundene Anschlagsdrohungen gegen WM-Sponsoren (bzw. unterschwellig ein Anschlag auf die Adidas-Arena) nachgesagt wurden.
Wir denken, dass im Kontext des zu erwartenden überbordenden Presserummels vor dem G8-Gipfel im Juni kommenden Jahres in Heiligendamm einiges auf uns als revolutionäre Linke an Desinformationskampagnen und Repressionsschlägen zukommen wird. Die Anfänge dazu sind in den Gazetten ja schon zu registrieren (vgl. Berliner Zeitung, 4.10.2006). Mitentscheidend wird sein, dass wir durch unsere eigenen politischen Projekte und deren Auswirkungen nicht für zu viel „Angriffsfläche“ sorgen, die es der Gegenseite zu einfach machen, uns in den Dreck zu ziehen.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess –
für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), 13. 10.2006