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10. April 2006 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 635

Anschlagserklärung

Wir haben in der Nacht zum 9.4.06 vor dem „Benefizspiel“ für den Zivi-Bullen Uwe L. zwischen Hertha BSC und einer Auswahl Angehöriger der Berliner Polizei einen Eingangsbereich des Berliner Polizeipräsidiums am Tempelhofer Damm in Brand gesetzt. Uwe L. hatte am 17. März 2006 bei einer Fahndungsmaßnahme während einer bewaffneten Konfrontation den Kürzeren bzw. zu langsam gezogen. Des Weiteren haben wir den Austragungsort des Fußballspiels, das Stadion Neukölln in der Oderstraße, sabotiert. Unbespielbare Platzverhältnisse, verklebte Eingangstore und Türen der Kassenhäuschen sowie Parolen, die die Wände zieren, zeugen von unserem nächtlichen Auswärtsspiel.

Statt für einen ins Jenseits beförderten Zivi-Bullen in den Chor des Wehklagens einzustimmen, nutzen wir das Forum dieser Trauerzeremonie, um den FreundInnen und GenossInnen zu gedenken, die im Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung von den Ausführenden des staatlichen Gewaltmonopols in den vergangenen Jahrzehnten ermordet wurden. Darüber hinaus gilt unsere tiefe Anteilnahme all jenen, die auf der Flucht vor Terror, sozialer und ökonomischer Not aufgrund des EU-Grenzregimes bspw. an Oder und Neiße ihr Leben verloren haben.

Unsere Intervention gegen diesen fußballerischen Leichenschmaus auf dem Sportgelände haben wir dosiert. Uns war nicht daran gelegen, dort sportliche Betätigungen ein für alle Mal zu verunmöglichen. Bevor das große Jammern anfängt, dass u.a. „unseren lieben kleinen Kindern“ der Bolzplatz abhanden gekommen ist, regen wir dazu an, die ausgelobten Kopfgelder für die Ergreifung „des Täters“ für etwaige Reparaturmaßnahmen einzusetzen.

Was für ein Trauerspiel ...

So, das Trauerspektakel für den langjährigen Zivi-Bullen Uwe L. geht seinem nächsten Höhepunkt entgegen. Nach dem Flanieren von Tausenden Bullen vom Polizei-Präsidium in Tempelhof bis zur Hasenheide in Neukölln, der Festnahme des Schützen durch das SEK und des Versenkens des Sarges auch das noch: Unser Manager-Darsteller Dieter Hoeneß ließ es sich nicht nehmen, auf der Woge der Empörung ob des „hinterhältigen und feigen Mordes“ an Uwe L. seine Balltreter aufspielen zu lassen. Gegner dieses als „Benefizspiel“ deklarierten Gekicke ist eine Berliner Bullen-Auswahl.

Um der bestellten Trauergemeinde aus Senat und Bullenapparat, allen in den Neuköllner Süden Angereisten und uns ein gähnendes Trainingsspielchen zu ersparen, haben wir kurzerhand die Spielregeln geändert und für einen vorzeitigen Spielabbruch gesorgt. Der Anpfiff am Anstoßkreis ertönt heute nicht!

In den vergangenen drei Wochen ist eine mediale Kampagne auf die BewohnerInnen dieser Stadt eingeprasselt, die jeden und jede in Personalunion im Schnellverfahren zur Denunziation und zur Heulboje animieren wollte. Täglich aktualisierte „Wasserstandsmeldungen“ in allen Print-, Funk und TV-Medien, ständig erhöhte Kopfgelder und eine Endlosschleife von betröppelten VisagenträgerInnen, die in den Nachrichtensendungen ihre geschwollenen Tränendrüsen in den Teleprompter drückten. Oft machte das den Eindruck, als ob hier der Anfängerkurs einer miserablen Schauspielschule zugange ist.

Kreative Beileidsbekundungen aus dem Innensenat und der Bullenführung schmückten die Schlagzeilen in den Gazetten; kein Superlativ wurde in den geschalteten Traueranzeigen ausgelassen: „Uwe Lieschied hat durch seinen Einsatz für die Sicherheit und ein friedliches Zusammenleben Maßstäbe gesetzt“. Körting, Glietsch & Co. bauten hier eine Identifikations- und Symbolfigur auf, die sich gut für das oft angekratzte Renommee der Berliner Polizei funktionalisieren lassen wird.

Wir können nur dazu aufrufen, sich nicht an diesem Trauerzirkus zu beteiligen. Lassen wir die öffentlichen Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols und ihre Vollstrecker allein ihre Wunden lecken, es sind nicht unsere. Wir sollten uns nicht als stumme StatistInnen für jene missbrauchen lassen, die den tagtäglichen Horror des Kapitalismus auf gesetzgeberischer- und ausführender Ebene abzusichern haben. Da gilt der alte Spruch, zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen.

Keine Träne für den Zivi-Bullen Uwe L.

Die bestellten Claqueure waren schnell zur Stelle: „Ein feiger, hinterhältiger Mord“, „ein skrupelloser Mörder, der Schüsse ohne Vorwarnung abgegeben hat“ usw. usf. Man fragt sich manchmal, wo leben wir denn eigentlich. Für wie dumm will man uns halten, das wir nicht in der Lage wären zu erkennen, dass es sich bei dieser bewaffneten Konfrontation zwischen Mehmet E. und Uwe L. um eine Situation handelte, in der im wörtlichen Sinne Waffengleichheit bestand. Zumal es Mehmet E. offenbar mit einem „langjährigen und erfahrenen Zivilbeamten“ zu tun hatte. Was soll das Geblöke von „hinterhältig“, „ohne Vorwarnung“ und so? Die „Hinterhältigkeit“ in persona verkörpern einzig und allein Bullen in Zivil, die als „Wolf im Schafspelz“ daherkommen. Mehmet E. hat situationsentsprechend reagiert, um sich einer drohenden Festnahme zu entziehen. Punktum!

Der Polizeiberuf war und ist kein wertneutraler. Die, die von einem idealistischen Helfersyndrom befallen sind, sollten nicht den Berufsstand des Polizeibeamten wählen, sondern sich besser als Sozialarbeiter ausbilden lassen. Wobei nicht zu verhehlen ist, dass es manche Parallelen zwischen dem Kontaktbereichsbeamten und dem Sozialarbeiter aus dem gegenüber liegenden Wohnprojekt für „benachteiligte“ Jugendliche gibt.

Wie dem auch sei: Ein kleiner Blick in die Historie belegt, dass Bullen jeglicher Couleur die Personifizierung des staatlichen Gewaltmonopols sind und in dieser Funktion zu den Säulen von Herrschaft und Unterdrückung zählen. Seit der organisatorischen Bildung eines Polizeiapparates Mitte des 19. Jahrhunderts in deutschen Landen hat sich diese Institution durch die Niederwerfung von fortschrittlichen Volksbewegungen, politischen Rebellionen der frühen Arbeiterbewegung und ein immer ausgeklügelteres Spitzelwesen hervorgetan. Es kommt nicht von ungefähr, dass im Zuge des ersten „Kommunisten-Prozesses“ 1852 in Köln gegen Mitglieder der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten von Karl Marx und Friedrich Engels die „Ermittlungsergebnisse“ der politischen Polizei  Preußens von großer Bedeutung waren.

Die Kette der Bullenausschreitungen ist lang und weist eine Kontinuität auf, die seinesgleichen sucht. Zu nennen ist hierbei die Rolle der „Ordnungshüter“ bei der Durchsetzung des Betätigungs- und Agitationsverbots gegenüber der damaligen revolutionären Sozialdemokratie während des sog. Sozialistengesetzes (1878-1890) unter dem Bismark-Regime. Oder aber der Berliner Blut-Mai 1929, bei dem 33 Arbeiter kaltblütig von Schupo-Einheiten erschossen und Hunderte verletzt wurden. Nicht zuletzt ist deren aktive Teilnahme an der Verschleppung, Ausplünderung und Versklavung von JüdInnen während des Faschismus dokumentiert. Immer und überall zeigten sich Bullen und deren bürokratischer Apparat als willfährige Helfershelfer der jeweils herrschenden Ordnung. Untertanen- und Korpsgeist als eine speziell ausgeprägte „deutsche Tugend“ fanden innerhalb des Berufsstandes der Polizei einen hervorragenden Ressonanzboden.

Das hielt auch nach 1945 an. Kalte Krieger und reaktionäre Frontstädter fanden sich gerade in der Westberliner Polizei ein (z.B. in der sog. Freiwilligen Polizeireserve). Vielen ist sicherlich noch der Bulle Kurras ein Begriff, der am 2. Juni 1967 bei der Anti-Schah-Demo den Studenten Benno Ohnesorg mit einem Kopfschuß hinrichtete und straffrei davonkam. Weitere Tote auf Berlins Straßen folgten (Georg von Rauch, Klaus-Jürgen Rattay u.a.). Es vergeht derzeit kaum eine antifaschistische Demo in Berlin, bei der nicht wild gewordene Bullenherden gegen TeilnehmerInnen Übergriffe starten und bewußt z.T. schwere Verletzungen verursachen. Ja, das war und ist die alltägliche Sachlage, in der sich alle befinden, die sich nicht in diese Gesellschaftsformation mit ihrem Klassenstaat still, leise und ruhig einfügen wollen und können.

Es spricht nicht aus uns der blanke Zynismus oder Pietätlosigkeit, wenn wir gegen dieses widerliche Trauer-Event militant intervenieren. Zynisch und pietätlos ist es wenn seit anderthalb Jahrzehnten an der EU-Außengrenze an Oder und Neiße weit über 100 registrierte Flüchtlinge aufgrund der Sperranlagen und der Menschenjagd durch den BGS zu Tode gekommen sind. Der staatlich institutionalisierte Rassismus tötet im Wochentakt. Deshalb spart Euch die Tränen und die Sammelbüchsen für wirklich wichtige Anlässe auf, als sie für einen Büttel zu verschwenden ...

Staatliches Gewaltmonopol und die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Klassenstaates

Wir haben in den vergangenen Jahren vielfach darauf verwiesen, dass wir die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols, das die Bourgeoisie in langwierigen, übrigens gewalttätigen, Kämpfen dem Feudalismus abgerungen hat, nicht skandalisieren. Es ist der politischen Nomenklatur der BRD nicht vorzuwerfen, dass sie ihre Eigentumsordnung und ihre Art der ökonomischen Mehrwerterpressung mit den ihr zur Verfügung stehenden Repressionsinstrumenten abzusichern und auszubauen sucht. Die grassierende Enteignung gesellschaftlichen Reichtums und die damit einhergehende Privatisierung bspw. von kommunalem Eigentum muss, damit dies einen legalen Anstrich erhält, in formaljuristischen Gesetzen seinen Niederschlag finden. Die Garantie der Aufrechterhaltung von Ausbeutung und Unterdrückung liefert das jederzeit im Sinne des „Allgemeinwohls“ erweiterbare staatliche Gewaltmonopol. Soweit so schlecht.

Es wäre allerdings zuviel der Komplizenschaft, wenn wir dieses Gewaltmonopol des kapitalistischen Klassenstaates als überhistorisch anerkennen würden, so als wenn wir an einem geschichtlichen Endpunkt angelangt wären.  Mitnichten. Auch wenn uns die „Überparteilichkeit“ und „Neutralität“ des bewaffneten Staatsapparates vorgegaukelt wird, wissen wir, dass er der Überbau, das Dach ist, das den Eckpfeilern der kapitalistischen Gesellschaftsformation erst die erforderliche Stabilität vor Delinquenz, Abstinenz und Revolten gibt.

Der „Fall“ um Uwe L. ist ein „Paradebeispiel“: Der Tod des Uwe L. steht exemplarisch für die vermeintliche ausufernde Kriminalitätsentwicklung, in deren Sog wir alle zu versinken drohen. Die Interpretatoren der entsprechenden Statistiken treten auf den Plan und „erklären“ uns die Lage der Dinge. Die innerstaatliche Feinderklärung als Projektionsfläche für das „Übel in der Welt“ kommt prompt: „der unrasierte südländische Typ“. Fertig, Aus. Alle Register der sattsam bekannten Ablenkungsmanöver werden gezückt, um uns zu einem klassenübergreifenden nationalen Kollektiv der „Bedrohten und Verängstigten“ zu verschmelzen. In diesem geistigumnachteten Taumel werden Bullen zu „unseren Beschützern“ um uns vor den Gefahren des „unrasierten südländischen Typs“ zu bewahren ...

Wenn man dem auf den Leim geht, schnappt die Falle zu. Nein, nicht die Umstände des Zu-Tode-Kommens von Uwe L. sind das Problem, das ist völlig irrelevant. Das, was hier stattfindet, ist ein einziger Werbefeldzug für die angeblich neutrale Funktion der Ausführenden des staatlichen Gewaltmonopols, des Bullenapparates. Klassenspezifische Interessen, die sich im Bullenapparat festmachen lassen, lassen sich mit Hilfe dieses „Paradebeispiels“ hervorragend verschleiern. Wir sind nicht nur alle Papst geworden, nein, wir mutieren alle zu Uwe L. Eigentlich ein durchsichtiges Laienstück; allerdings dürfen wir die Wirkungen, die dieses erkennbar hinterlässt, nicht unterschätzen.

Wer/Welche fragt in diesem Augenblick noch groß nach den tatsächlichen Ursachen der prekären ökonomischen Situation, in der all jene stecken, die im Verlauf des seit Jahren betriebenen Sozialraubs auf der Strecke geblieben sind. Die Individualisierung der Lebensrisiken wird mehr und mehr total, während die Kosten von Privatisierung und Hedge-Fonds sozialisiert werden. Die sinnliche Erfahrung von kollektivem Widerstand gegen die (Un-)Ordnung des Kapitals ist wie im Falle der „Anti-Hartz-IV.“-Proteste eine Momentaufnahme. Statt eine klassenkämpferische und sozialrevolutionäre Perspektive anzunehmen, die erkennt, dass Bullen von jeher auf der anderen Seite der Barrikade stehen, werden uns „Ersatzstoffe“ angeboten, die von nicht wenigen auch gerne entgegengenommen werden. Es erfolgt keine Solidarisierung mit jenen sozial Deklassierten, die neben einem/einer stehen, über oder unter einem/einer wohnen, sondern man lässt sich einen fremden Trauerflor umhängen. Wir können nur ermahnen, die eigenen Klasseninteressen im Kampf gegen dieses kapitalistische System zu sehen und sich nicht von einem Kopfgeldgeber wie dem Chef der Wall-AG einfangen zu lassen, der „seine“ Beschäftigten mit Hungerlöhnen abspeist sowie bei Nicht-Bedarf zum Stempeln schickt.

Wir erkennen neidlos an: Auf dem Rücken des Kollegen Uwe L. gelingt den Berliner Bullen mit dem Duo Glietsch/Körting an der Spitze eine grandiose Schönheitskur. Unsere Aufgabe sehen wir mit unserer militanten Aktion darin, wenigstens für ein paar Schönheitsfehler zu sorgen und diesen positiven öffentlichen Diskurs über „unsere Freunde und Helfer“ zumindest an einem Punkt zu durchkreuzen. Somit steht heute eine „Punkteteilung“ auf der Anzeigentafel.

Nachspiel zu unserer militanten Aktion gegen das Berliner Bullenpräsidium

Wie der unverändert gelassenen Anschlagserklärung zu entnehmen ist, war es unser Bestreben, das sog. Benefizspiel für den Zivi-Bullen Uwe L. zu sabotieren und den darum drapierten Trauer-Diskurs zu durchkreuzen. Mit dem vollbrachten Brandanschlag auf das Berliner Bullenpräsidium sollte diese Aktion „abgerundet“ werden, indem dem Bullen-Präsi Glietsch ein feuriger Präsentkorb als Dank für seinen Trauereifer vor die Türe gelegt wurde.

Leider, leider konnten wir unser Vorhaben nur teilweise einlösen. Wir haben bereits in vergangenen Texten wiederholt darauf verwiesen, dass bei der Vorbereitung und Durchführung von militanten Aktionen mit allerlei Unwägbarkeiten und Überraschungen zu rechnen ist. So auch in diesem Fall. Bei der nächtlichen Begutachtung des Stadions Neukölln, in dem das „Benefizspiel“ stattfand, mussten wir feststellen, dass die Vorbereitungen schon sehr weit gediehen waren. U.a. war eine (Wach-)Abordnung Bullen ununterbrochen zugegen, so dass wir unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Um für uns einen deutlichen Punktevorteil an Ort und Stelle herauszuschlagen, hätten wir zur „Blutgrätsche“ greifen müssen. Die Kosten-Nutzen-Kalkulation ließ uns einen „taktischen Rückzieher“ machen – diesmal zumindest. Bei unseren Vorbesprechungen zu dieser Aktion hatten wir zwar eventuelle Schutzmaßnahmen des Sportgeländes in der Nacht vor dem Spiel angerissen, dann aber – wie sich zeigte – relativ leichtfertig verworfen. Es hätte die Option bestanden, bereits von Freitag auf Samstag zur Tat zu schreiten, allerdings hätten wir dann völlig Unbeteiligten das normale Ligaspiel zwischen Tasmania-Gropiusstadt und  dem Köpenicker SC versaut. Daran hatten wir kein Interesse. Deshalb, und weil wir so zeitnah wie möglich zum eigentlichen „Event“ agieren wollten, legten wir unseren Aktionstermin auf die frühen Morgenstunden des Sonntags.

Wir müssen einräumen, im Endergebnis in der Vorbereitung nicht akribisch genug gewesen zu sein. Das hat uns die Chance vermasselt, diesem ganzen Hype um einen liegengebliebenen staatlichen Vollstrecker in die Parade zu fahren. Schade, aber wie aus allen unseren kleineren und größeren Missgeschicken spornt das unseren Sportsgeist erst so richtig an. Es kommen Gelegenheiten der Revanche – bestimmt!

Wir gedenken:

und allen nicht genannten FreundInnen und GenossInnen, die Opfer von staatlicher Repression und/oder der rassistischen Flüchtlingspolitik wurden.

militante gruppe (mg), 10.04.2006