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20. März 2006 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 633

Anschlagserklärung

Anschlag gegen Fahrzeuge des Ordnungsamtes Treptow-Köpenick vom 20. März 2006

In der Nacht zum 20 März 2006 haben wir mehrere Fahrzeuge des Ordnungsamtes von Berlin-Treptow. Köpenick in der Hasselwerderstr. mit Brandsätzen abgefackelt. Das Ordnungsamt bzw. ihre AkteurInnen verkörpern im sozialen Alltag die staatliche „zero-tolerance (Null-Toleranz)“-Repression. Mit dieser militanten Aktion wollen wir dessen Aktionsradius und Mobilität so weit wie möglich einschränken. Jüngst war in der Presse zu lesen, dass unsere OrdnungsamtsmitarbeiterInnen mit einer neuen, chicen Garderobe ausgestattet werden sollen. Aber ist das wirklich das drängendste Problem? Uns scheint nach unserer Brandspur vielmehr die Frage offen zu sein, mit welchen fahrbaren Untersätzen die Büttel des Ordnungsamtes zu ihren schikanösen Kontrollgängen ausrücken sollen. Das soll uns egal sein. Wir wissen nur, dass die Fußwege in dem Flächenbezirk Treptow-Köpenick verdammt lang sind, und dass das Wetter noch immer beschissen ist.

Des weiteren stellen wir diese Aktion in den Rahmen der Aktivitäten zum 18. März, dem internationalen Kampftag der revolutionären Gefangenen und gegen staatliche Repression, Aus aktuellem Anlass beziehen wir uns ausdrücklich auf die seit einigen Monaten grassierende Verfolgung antifaschistischer Aktivitäten durch den Staatsschutz in Berlin und Brandenburg, Eine Potsdamer Antifaschistin, die fünf Monate U-Haft wegen angeblichen Mordversuchs an einem Neonazi hinter sich bringen musste, ist dabei nur die Spitze des Eisberges.

Mit unserem Brandanschlag auf eine Renault-Niederlassung und einen versuchten auf ein Fahrzeug des Centre Francais de Berlin am 16. Februar 2006 haben wir den Internationalen Aktions- und Solidaritätstag für die GenossInnen aus der französischen Stadtguerilla Action Directe aufgegriffen.

Ordnungsämter als Repressionsorgane und Durchpeitscher der ,Null Toleranz“-Ideologie

Sie sind uns allen spätestens dank billigen Doku-Soaps bekannt: tumbe, uniformierte Büttel, die in auf Streifenwagen gestylten Autos wichtig umherfahren, Restaurants und Imbisse auf der Suche nach „illegal Beschäftigten“ stürmen, vermeintliche SchulschwänzerInnen zum Unterricht zwangsverfrachten oder mit amtlichem Eifer sozial Deklassierte aus Einkaufszentren und Parkanlagen vertreiben. Die in verschiedenen Städten breit geführte Diskussion um die Art der Bewaffnung der Ordnungsamtsmitarbeiterlnnen verrät uns, welche Einsatzfelder diesen Bullen zweiter Wahl zufallen. Mit wenig Intellekt, dafür aber hochmotiviert wird Jagd gemacht auf „soziale Randgruppen und Jene, denen es im Zeitalter von Hartz IV immer schwerer fällt, ohne „Ordnungsverstöße“ das alltägliche (Über-)Leben zu sichern.

Damit ist der „Auftrag“ der Ordnungsämter aber noch längst nicht erledigt. Mit der Übertragung niedrigschwelliger polizeilicher Aufgaben sollen sie die Länderpolizeien entlasten, damit diese sich im Verbund mit Bundesorganen den wirklich „großen Fischen“ widmen können. Ein erquicklicher Nebeneffekt der Tätigkeit der lokalen OrdnungshüterInnen ist das Eintreiben von Bußgeldern, um die leeren Städte- und Kommunekassen ein wenig aufzufüllen.

Gerade vor dem Hintergrund, dass Teile der Bevölkerung dem Tätigkeitsbereich der Ordnungsämter relativ aufgeschlossen gegenüber stehen, ist deren eigentliche Funktion hervorzuheben. Klar, Jeder/Jede ärgert sich, wieder einmal in den mitten auf dem Gehweg platzierten Haufen Hundekacke gelatscht zu sein. Doch dieses subjektiv empfundene Ärgernis blendet in der Regel den entscheidenden Sachverhalt aus: Ordnungsämter sind ein weiterer Teil staatlicher Überwachung und Repression sowie der Militarisierung des Inneren der Gesellschaft. Sie sind ein Kettenglied des staatlichen Gewaltmonopols sowie ein fester Bestandteil der Festigung der kapitalistischen Eigentums- und Gesellschafts(un)ordnung – und somit eine Facette des derzeitigen Klassenangriffs von oben. Denn die in Armut, Vereinzelung, Krankheit, Suchtabhängigkeit und religiöse Irrlehren Entlassenen werden nur so lange sich selbst überlassen, so lange sie nicht gegen die vom Kapitalismus geschaffenen Zustände aufbegehren ...

Der Bogen scheint auf den ersten Blick sehr weit gespannt zu sein, aber die Einrichtung dieser lokalen „Ordnungshüterlnnen“ steht in einem vertrackten Zusammenhang mit der ausufernden Videoüberwachung dar Innenstädte, des ständig vermehrten Abhörens von Kommunikationswegen, der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren und dem Mitmischen des BND beim imperialistischen Irakkrieg. All diese aufgelisteten Fallbeispiele folgen dem Muster des teils schleichenden, teils rasanten Ausbaus einer staatlichen Repressionsmaschinerie. Ordnungsämter dienen in diesem Planspiel als eine Art „Frühwarnsystem“, in dem sie als eine eng an den gesellschaftlichen Alltag gebundene Institution Stimmungen und deren Schwankungen unmittelbar registrieren und eine der ersten Eingriffsoptionen des Staates sind, wenn Entwicklungen aus dem Ruder zu laufen drohen.

Gegen Repression und Ordnungswahn – militanten Widerstand organisieren

Unser Angriff auf den Fuhrpark des Ordnungsamtes von Berlin Treptow-Köpenick reiht sich ein in eine Anzahl militanter Aktionen gegen verschiedene Einrichtungen staatlicher und privater Repressionsorgane.

Auch wir haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, durch eine militante Politik die Notwendigkeit des Widerstandes gegen alle Facetten von Repression deutlich zu machen. Uns ging es z.B. um praktische Solidarität mit den von staatlicher Repression betroffenen Genossinnen. Im September 2003 haben wir in diesem Zusammenhang Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt wegen des §129a-Verfahrens gegen militante Gruppen aus Magdeburg verübt. Aber auch um ein offensives Agieren im Vorfeld des letztjährigen 1. Mai mit einem Brandanschlag auf Privat-PKW von Bullen einer Berliner Wache ist Ausdruck unserer Politik.

Ein Ordnungsamt war bereits vor etwa anderthalb Jahren Ziel eines militanten Angriffs. Dabei wurden mehrere neue Dienstfahrzeuge des Ordnungsamtes Berlin-Neukölln in Brand gesetzt. Leider gab es zu dieser Aktion keine, zumindest für uns wahrnehmbare inhaltliche Erklärung. In der seit 2001 geführten Militanzdebatte und im Rahmen des Projekts des Aufbaus einer militanten Plattform wurde von einer beteiligten Struktur der Ansatz vertreten, auch ohne Anschlagserklärungen agieren zu können, da eine militante Aktion dann am zielgenauesten ist, wenn sie sich „von allein“ erklärt. Vor dem Hintergrund der im vorherigen Abschnitt angesprochenen vielerorts anzutreffenden Akzeptanz von Ordnungsämtern möchten wir diese Form der „Vormittlung“ doch stark in Frage stellen. Eine inhaltliche Erklärung eröffnet immer die Möglichkeit, über die angeführten Fakten zum angegriffenen Objekt hinauszugehen und sich bspw. direkt in einen Debattenprozess einzubringen. Spart man sich diesen Teil der Intervention auf, bleibt man bei dar Momentaufnahme des „flammenden Fanals“ einer begrenzten militanten Praxis stehen, ohne den mühevollen Weg einer umfassenderen militanten Politik zu gehen.

Neben dem Schutz der eigenen Strukturen vor Repressionsschlägen ist es für uns als revolutionäre Linke unumgänglich, über den Tellerrand zu schauen und dort zu intervenieren, wo breite gesellschaftliche Kreise von repressiven Maßnahmen betroffen sind. Nur so kann es uns gelingen, dem linken Nischendasein zu entkommen und wieder eine größere gesellschaftliche Relevanz zu erreichen. Denn die institutionellen Arme der Kontrollgesellschaft durchdringen mehr und mehr jede Faser das Alltags, des Berufslebens und nicht zuletzt des politischen Engagements.

Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!

militante gruppe (mg), 20.03.2006

Diese militante Aktion widmen wir der Genossin Joelle Aubron aus der Action Directe, die am 1. März 2006 infolge der langen Haftzeit und ihrer Krebserkrankung verstorben ist. Joelle und ihre gefangenen GenossInnen Nathalie Ménigon, Jean-Marc Rouillan und Georges Cipriani widerstehen seit beinahe 20 Jahren dem Knastregime des französischen Staates, der seitdem auf die physische und psychische Vernichtung der revolutionären Gefangenen aus der Action Directe setzt.