Anschlagserklärung!!!
In der Nacht vom 8. auf den 9, November 2005 haben wir zum zweiten Mal nach dem Neujahrstag 2004 Büroräume des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Königin-Luise-Str. 5 in Berlin-Steglitz mit zeitverzögerten Brandsätzen attackiert, Unverständlicherweise hat unser erster Brandanschlag auf die Infrastruktur dieser Denkfabrik des deutschen Kapitals keine nachhaltige Wirkung bei den Verantwortlichen hinterlassen. Im Gegenteil: Das DIW hat in einer nach unserem ersten Anschlag verbreiteten Presseerklärung keck erklärt, dass es sich „nicht einschüchtern lassen und wie gehabt weiterarbeiten“ werde, Soviel Mut und Entschlossenheit muss selbstverständlich unsererseits belohnt, werden auch wenn unsere Belohnung etwas zeitlich versetzt ausfällt.
Mit dieser militanten Aktion greifen wir als militante gruppe (mg) sowohl in die beginnenden Vorbereitungen für die Mobilisierungen gegen den 2007 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) stattfindenden G8-Gipfel ein, als auch in den vom 9. – 11. November in Berlin tagenden Kongress „Kapitalismus reloaded, Imperialismus. Empire und Hegemonie“.
Damit stellen wir uns bewusst in den Kontext der beiden militanten Aktionen von Hamburger Genossinnen und dem Zusammenhang autonome gruppen/militant people (mp) aus Berlin. In Hamburg wurde im August ein Brandanschlag auf das Auto des Vorstandschefs der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette, verübt und in Berlin ging am 17. Oktober ein Gebäude des Auswärtigen Amtes in Flammen auf. Beide Aktionen wurden u.a. mit dem G8-Gipfel 2007 in der BRD verknüpft.
Zur Bedeutung und Einflußnahme des DIW als think tank
Das DIW ist eines der sechs maßgeblichen Wirtschaftsforschungsinstitute in der BRD; es behauptet das führende unter ihnen zu sein. Neben dem DIW zählen u.a. das Ifo-Institut in München oder das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) dazu. Letzteres wurde im Juli im Zusammenhang des G8-Gipfels im schottischen Glenagles mit Farbeiern und Steinen angegriffen. Diese wirtschaftswissenschaftlichen Einrichtungen sind allesamt Stichwortgeber für regierungsamtliche Politiken oder die ambitionierte bürgerliche Opposition im Deutschen Bundestag. Sie produzieren über medial vermittelte Kanäle republikweit Meinungen und Stimmungslagen für forcierte „Reformvorhaben“. Diese Institutionen konkurrieren einerseits um die Meinungsführerschaft in der Öffentlichkeit und staatliche Finanztöpfe, andererseits kooperieren sie und geben bspw. gemeinsam verschiedene „Gutachten“ pressewirksam heraus.
Im vor einigen Wochen vorgestellten „Herbstgutachten“ dieser Institute betätigen sich diese in gewohnter Weise als Sprachrohr der Arbeitgeber- und Industrieverbände der BRD. Dort wird eine Absenkung der realen Tariflöhne, die weitere Aufweichung des Kündigungsschutzes und die Verringerung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge gefordert. In ihrer üblich eigentümlichen Logik sehen sie im Gegenzug einen, besonders großen Handlungsbedarf“ bei der Senkung der Unternehmenssteuern.
Die politische Stoßrichtung dieser Institute gegen die deklassierten und marginalisierten Gesellschaftssektoren ist und war eindeutig; sie sind institutioneller Teil des organisierten Klassenangriffs von oben und somit ein erstrangiges Ziel militanter Interventionen. Denn hier werden Vorlagen erdacht, zu Papier und in Umlauf gebracht, die, wenn überhaupt leicht modifiziert, auf dem Kabinettstisch landen und in praktische Politik umgesetzt werden.
Ihr propagierter neokonservativer Marktradikalismus unterscheidet sich nur graduell voneinander. Im Gegensatz zum stets „arbeitgeberfreundlich“ geltenden Ifo-Institut haftete dem DIW lange Zeit ein liberales und keynesianisches Image an. Zu unrecht, einmal davon abgesehen, das die post-keynesianische Romantik des Fordismus keine Alternative zur kapitalistischen Vernutzungsmaschine darstellt, sondern nur eine von mehreren Varianten von Ausbeutung und Auspressung derjenigen ist, die nichts weiter als ihre Arbeitskraft zu veräußern haben. Der letzte „Links-Keynesianer“ des DIW, der Konjunktur-Analyst Gustav A. Horn, wurde Anfang des Jahres wegen eines angeblich zu geringen medienwirksamen Outputs vor die Tür gesetzt. Horn verdingt sich seitdem in der DGB-nahen Hanns-Böckler-Stiftung.
Der DIW-Chef Klaus Zimmermann beklagte jüngst in der Berliner Zeitung, daß mit der zu erwartenden Großen Koalition „keine durchgreifenden Reformen zu erwarten“ seien. Zimmermann, der Anfang Oktober in seiner ganzen körperlichen Pracht in der Berliner Morgenpost posieren und während des obligatorischen Spaziergangs mit dem schmierigen MoPo-Chefkorrespondenten seine Gedankenwelt zu wirtschaftspolitischen Fragen präsentieren durfte, feuert die Großkoalitionärlnnen noch von außen mit „guten“ Ratschlägen an.
Wenn sich da unser schwäbischer Professorenimport, der gerne nachts auf steht und „einen Fachartikel verfasst“, mit seinem vorlauten Geschwätz nicht irgendwann einmal gehörig verrechnet hat und die Quittung ausgestellt bekommt ...
Der Kongress „Kapitalismus reloaded“ in Berlin und die „praktische Lücke“
Dieser Kongreß schneidet viele wichtige, auch uns beschäftigende, Fragen zu „Imperialismus, Empire und Hegemonie“ an. Beinahe das gesamte „intellektuelle Kapital“ der heterogenen Linken wird sich auf diesem Kongreß die Klinke in die Hand drücken. Die Workshops und Diskussionspodien liefern einen Querschnitt der aktuell kontrovers geführten Debatten in der Linken. Solche Treffen sind von daher immer ein gutes Forum des Austausches und (produktiven) Streits. Soweit, so gut.
Material für eine theoretische und intellektuelle Intervention, um die Hegemonie des herrschenden Blocks zu durchbrechen, gibt es auf diesem Kongreß ausreichend. Sich mit diesem Rüstzeug auszustatten ist eine zentrale (Vor-)Leistung für eine praktische und manifeste Intervention. Auch damit stimmen wir überein.
Allerdings dokumentiert der Veranstalterlnnenkreis des Kongresses die Grenzziehung in der Wahl der Mittel: über den Tellerrand eines „radikalen Reformismus“ (Joachim Hirsch) einer lnterventionistischen Linken (IL) (repräsentiert z.B. durch die Zeitschrift „ak – analyse & kritik“, FelS u.a.) geht es nicht hinaus. Die Anrufung der Zivilgesellschaftlichkelt, die zumindest bei Hirsch im Gegensatz zu Vertreterinnen der IL (vgl. unseren Text „Mut zur Lücke? Zu Wolf Wetzels postfordistischer Protestwelt“, Interim 621, 1.9.2005) noch den Begriff „revolutionäres Handeln“ verdauen kann, muss notwendigerweise im politischen Nirgendwo verhallen. Also dort, wo bekanntlich keine Züge mehr fahren.
Symptomatisch ist an Hirsch, der als Referent bei diesem Kongress geführt wird, dass er sich in seinem 1990 erschienenen Buch „Kapitalismus ohne Alternative“ in dem Kapitel zu seinem Konzeptvorschlag eines „radikalen Reformismus“ offensichtlich noch dazu durchringen konnte, mit den Kategorien „sozialistische Revolution“ und „sozialrevolutionäre Bewegung“ zu arbeiten. In seiner diesjährigen Buchveröffentlichung „Materialistische Staatstheorie“ sind diese Begriffe zugunsten des unspezifischen „revolutionären Handelns“ getilgt worden. Ein Ausdruck von Weisheit und Erfahrungswerten? Oder doch nur der Trend zum zivilgesellschaftlich-emanzipatorischen Wischiwaschi?
Wir halten eine x-te Neuauflage der versuchten zivilgesellschaftlichen Mobilisierung gegen die „Auswüchse“ des realexistierenden Kapitalismus für verschwendete Mühe und Zeit. Vielmehr geht es darum, allerdings nicht der Pose wegen, eine antagonistische Position zu welchen Modellen kapitalistischer Vergesellschaftung auch immer einzunehmen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, in die altneue zentristische Falle zu tappen und von ausgetrampelten Pfaden zu fabulieren, die ohne das richtungsweisende Schild des Kampfes für den Kommunismus auskommen.
Wenn „Für den Kommunismus“ nicht zu einer hohlen Phrase und zu reiner Mundpropaganda verkommen soll, werden wir die praktische Seite unserer Politik deutlicher in den Vordergrund treten lassen müssen, Dazu gehört, eine an die Wurzeln gehende Politik gegen die herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen nicht als diskursiven Zeitvertreib zu missdeuten, denn die Axt tatsächlich anzulegen und zu zuschlagen. Die eigene, unmittelbare soziale Umgebung wird dabei nicht ausgespart werden können. In diesem Sinne beginnt der Kommunismus - trotz der falschen Verhältnisse, in denen wir vegetieren müssen – hinter der eigenen Wohnungs- bzw. Zimmertür,
Möglichkeiten und Grenzen militanter Politik
Mit dieser wiederholten Sabotage gegen das DIW wollen wir dokumentieren, dass nur inhaltliche und praktische Kontinuität in unserem militanten Agieren zu einer effektiveren Blockierung von ins Visier genommenen Arbeitsprozessen von Institutionen führen kann. Mit einem ausschließlich einmaligen militanten Angriff auf ein bestimmtes Objekt kann es nicht getan sein. Zu oft ist für uns als revolutionäre Linke charakteristisch, und somit auch für uns, dass wir es mit einem punktuellen Vorgehen gut sein lassen. Als ob damit bspw. die Tätigkeit einer Institution wie dem DIW zum Erliegen kommen könnte. Selbst unsere Aktionswiederholung wird nur sehr partiell Auswirkungen auf den Ablauf innerhalb dieser Kaderschmiede haben können.
Wir werden mehrere Hebel gleichzeitig umlegen müssen:
- Wir müssen das Punktuelle unseres klandestinen Agierens durch viel mehr Kontinuität ersetzen, um sich an Themen „festbeißen“ zu können. Nur so können wir die Perspektive erahnen, daß sich durch eine militante Praxis etwas Bewegen lassen kann,
- Wir können unsere Interventionen nicht auf Angriffe auf anonyme Institutionen beschränken, sondern müssen Formen von Ausbeutung und Unterdrückung personalisieren. Das kapitalistische System ist zwar ein soziales Verhältnis, das aber nicht subjektlos existiert, sondern von handelnden und identifizierbaren Personen reproduziert wird (einschließlich von uns selbst, wenn wir neben unseren Verstrickungen nicht zu einem antagonistischen Verhältnis kommen).
- Wir müssen von einer militanten Praxis zu einer militanten Politik vordringen, die mehr ist, als quartalsweise (wenn überhaupt) einen Brandsatz zu legen. Eine militante Politik umfasst alle inhaltlichen, praktischen, organisatorischen und reproduktiven Felder eines Strukturaufbaus einer klandestinen Gruppe.
- Wir müssen unsere gegenseitige Bezugnahme als militante Zusammenhänge verstärken und in einem fortgesetzten Diskussionsprozeß im Rahmen der Militanzdebatte vertiefen. Eine gruppenübergreifende Koordinierung von Aktion und Diskussion (militante Plattform) ist nach wie vor ein zentraler Baustein eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses und eines widerstandsebenenübergreifenden Netzwerkes.
- Die Sondierung in unseren Zusammenhängen über die Methode der bewaffneten Propaganda in der organisatorischen Form einer Guerilla oder Miliz sollte weitergeführt worden. Nicht Selbst-Entwaffnung kann die Devise sein, sondern jene, wonach die Waffe der Kritik die Kritik der Waffen nicht ersetzen kann.
Letztlich sehen wir in der von den Hamburger Genossinnen und den autonomen gruppen/militant people (mp) angeschobenen (militanten) Kampagne gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm einen Kristallisationspunkt für die Konkretisierung einer militanten Politik der revolutionären Linken in der BRD. Zudem läßt sich hier die Verknüpfung eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes thematisch herstellen.
Wir wollen nicht vergessen, solidarische Grüße an die Genossinnen von KollektivlnDieZukunft und vom revolutionären Zirkel zu senden.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess –
für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), 08.11.2005
Unsere Aktion steilen wir in den Internationalistischen Zusammenhang des zum Teil militanten Widerstandes im argentinischen Mar del Plata gegen das Projekt einer „gesamtamerikanischen Freihandelszone“ anlässlich des vierten „Amerika-Gipfels“.