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10. Januar 2005 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 612

Anschlagserklärung

In der Nacht zum 10. Januar 2005 haben wir den fast abgeschlossenen Neubau eines LIDL. Discounters am Vorarlberger Damm in Berlin-Steglitz mit Brandsätzen angegriffen. Wir hoffen, damit die Bausubstanz massiv getroffen zu haben, so daß an eine Filialeröffnung erst einmal nicht zu denken ist.

Damit greifen wir die in den vergangenen Monaten gelaufenen Sabotageaktionen gegen Einzelhandelsketten (Schlecker und eben LIDL) auf. Hungerlohnpolitik, Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisierung und betriebsinterne Schikanierung gegen die Belegschaft gehören bei diesen Ketten zur täglich praktizierten „Unternehmensphilosophie“.

Mit dieser militanten Aktion wollen wir neben dem Aufgreifen der bisher stattgefundenen Aktionen (u.a. Glasbruch und Farbeierwürfe auf Filialen) eine konzentrierte Kampagne gegen die Geschäftspraxis von LIDL einleiten. Dabei kann aus den reichhaltigen Erfahrungen (militanter) Kampagnen gelernt werden: wir denken dabei insbesondere an die no-deportation-Kampagne gegen die Abschiebepraxis durch Lufthansa.

Wir wollen mit dieser Aktion auf den Lebensnerv von LIDL zielen: den Umsatz von Konsumgütern, die Kundenbindung und das Unternehmensimage.

In diesem Zusammenhang rufen wir dazu auf, an den bisher durchgeführten militanten Aktionen gegen LIDL anzuknüpfen, und sich in dieses Projekt einzubringen.

Wir haben das Objekt unseres militanten Angriffs sehr genau ausgewählt: da wir einen beinahe fertig errichteten Neubau eines LIDL-Marktes in Brand setzen, werden weder Lebensmittel vernichtet, (vermeintlich) billige Einkaufsmöglichkeiten in proletarischen Wohnquartieren angegangen, noch (entgarantierte) Arbeitsverhältnisse in Schutt und Asche gelegt. Auf diese drei Kriterien bezieht sich gegenwärtig unsere Objektauswahl. Allerdings sind dies keine definitiven Kriterien; sie unterliegen der weiteren Diskussion.

LIDL – ein Musterbeispiel der Auszehrung von „Humankapital“ erfährt Widerstand ...

Der zur Handelsgruppe des Gründers Dieter Schwarz gehörende LIDL-Discounter gehört zu den wenigen Unternehmungen, die auf Expansionskurs sind. In ihrer Branche agiert LIDL längst auf gleicher Augenhöhe mit dem Primus ALDI.

Die erstmals veröffentlichten Umsatzzahlen im vergangenen Geschäftsjahr 2004 belaufen sich auf rund 36 Milliarden Euro. Innerhalb von drei Jahren hat die Diskounterkette den Umsatz nach eigenen Aussagen um 44 Prozent steigern können.

Diese „Erfolgsstory“ aus der bunten kapitalistischen Warenwelt kommt nicht von ungefähr: Die Expansion und „schillernde“ Unternehmensgeschichte wird auf dem Rücken der weltweit 151 000 MitarbeiterInnen in 19 Ländern ausgetragen. Allein in der BRD schuften rund 33.000 Menschen unter dem LIDL-Logo, um das Ziel der unaufhörlichen Umsatzsteigerung durch den Einsatz der Ware Arbeitskraft zu realisieren.

Mit dem von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi herausgebrachten „Schwarzbuch LIDL“ sind einige exemplarische Beispiele für eine „menschenunwürdige Behandlung“ der Mitarbeiterinnen dokumentiert worden. Das ist lediglich die Spitze des Eisbergs.

Da vom sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsblock DGB als integrale Stütze der kapitalistischen Gesellschaftsformation in der BRD keine Fundamentalkritik erwartet werden kann, werden wir im Rahmen unserer begrenzten Mittel selbst ins bisher gut geschmierte Räderwerk LIDL eingreifen müssen.

Klassenkämpferische Positionen und Kapitalismuskritik bleiben wirkungslos, solange sie ohne nachvollziehbare soziale Bezüge und Praxis auszukommen. Anhand der dokumentierbaren ausbeuterischen Praxis eines Ausschnitts des kapitalistischen Horrors (in unserem Fall LIDL), kann die allgemeine Wirkungsweise der Vernutzung der Ware Arbeitskraft besser verständlich gemacht werden.

Da LIDL aus dem Reservoir manchesterkapitalistischer Methoden schöpft, die in modernisierter Form mehr und mehr in die gesamte Lohnarbeitswelt eingehen, bieten sich an diesem Beispiel weitere Anknüpfungspunkte der (militanten) Intervention an. Sozialrevolutionär sind wir nicht durch das folgenlose Herausposaunen von globalen, hehren Endzielen, sondern durch eine Politik, die an den unmittelbaren Bedingungen des (Arbeits-)Alltags orientiert ist, Dabei sind sozialreformerische Forderungen, die zunächst nur punktuell und oberflächlich die kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse angehen, lediglich der Hebel für die praktische Erklärung des Kampfes für eine klassen- und staatenlose Gesellschaftsform. Deshalb zeigen wir uns ausdrücklich solidarisch mit den prekär Beschäftigten bei LIDL, die in entgarantierte Arbeitsverträge gepresst werden, über keine freie gewerkschaftliche Organisierung verfügen und einer betriebsinternen Drangsalierung aufgrund eines gewerkschaftlichen Engagements, des Geschlechts oder der Herkunft ausgesetzt sind.

Ein besonders krasses Beispiel der Arbeitsbedingungen ist bei LIDL in Polon bekannt geworden. Hier werden die Toilettengänge der dort tätigen Frauen überwacht und auf die Pausenzeit beschränkt, Frauen, die ihre Menstruation haben, werden mit einem Stirnband gekennzeichnet, so dass sie auch während der Arbeitszeit die Toilette aufsuchen dürfen. Über die Mittel der Überwachung, Stigmatisierung und Drohung wird versucht, die Beschäftigten gefügig und mundtot zu machen.

Hungerlohnpolitik, Abbau von Gewerkschaftsrechten und betriebsinterne Repression bei LlDL angreifen!

Den sozialrevolutionären und antiimperialistischen Widerstand organisieren!

Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!

militante gruppe (mg), 10.01.2005

Diese militante Aktion widmen wir Clara Zetkin (1857-1933), der Vorkämpferin der proletarischen und internationalistischen Frauenbewegung sowie kommunistischen Agitatorin gegen imperialistischen Krieg und staatliche Repression.