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6. Mai 2004 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 595

Anschlagserklärung

Wir haben in der Nacht zum 7. Mai 2004 den Fuhrpark der Deutschen Telekom in der Gerichtstraße in Berlin-Wedding mit zeitverzögerten Brandsätzen aufgesucht. Die Deutsche Telekom soll im Kontext der sog. Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (sog. Arbeitslosengeld II (ALG II) bzw. Hartz IV) rund 1,7 Millionen Arbeitslosenhilfe-EmpfängerInnen erfassen und in die Datenbanken der Bundesagentur für Arbeit (BA) eingeben. Damit wird die Deutsche Telekom zum integralen Bestandteil der Umsetzung der sozialtechnokratischen Hartz-Gesetze. Allein die herrschende Begriffswahl verschleiert. dass mit der Zusammenlegung kein Mehr an Existenzsicherung beschlossen wurde, wie der Begriff nahe legt. sondern das glatte Gegenteil. Es ist schlicht und einfach die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und das Herabsenken auf Sozialhilfeniveau vorgesehen. Wir setzen mit dieser Intervention unsere militanten Aktionen gegen die sozialtechnokratische Offensive von Staat und Kapital fort. Insbesondere knüpfen wir an unseren Brandanschlag gegen die „Gemeinsame Anlaufstelle des Arbeitsamtes Berlin-Nord und des Sozialamtes Pankow“ vom 30. März 2004 an, der bewusst vor den europäischen Aktionstagen gegen Sozialkahlschlag vom 2. bis 13. April praktiziert wurde. Diese Anlaufstelle ist ein lokales Modellprojekt der sog. Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. sie ist somit eine wichtige Institution der praktischen Erprobung des sozialen Kahlschlags. Wir wollen diese Anschlagserklärung nutzen um zu einer breiten: insbesondere auch militanten Kampagne gegen die Einführung des ALG II aufzurufen.

Die Rolle der Deutschen Telekom bei der Umsetzung der „Zusammenlegung“ von Arbeitslosen- und Sozialhilfe

Wie wir bereits in unserer Anschlagserklärung vom 30 März geschrieben haben mehren sich aus verschiedenen Kreisen der Wirtschaft, des Parlaments und nicht zuletzt aus den Behördengängen der BA die Zweifel ob der Termin 1. Januar 2005 für dieses Projekt der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe auch nur annähernd realistisch ist. Sowohl in der Rot/Grünen-Koalition („Wenn es klare Signale gibt, dass es massive Probleme gäbe, sollten wir verschieben“ Vize-SPD-Vorsitzende Vogt), im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsapparat („organisatorisches Chaos“, DGB-Vize Engelen-Kefen) als auch im Lager der Kapitalverbände („Desaster“, BDA-Chef Hundt) sieht man Gewitterwolken heraufziehen. Drei wesentliche technische, rechtliche und finanzielle Säulen des ALG II sind de facto nicht geklärt: 1. das EDV-System zur Berechnung der neuen „Leistungen“ bzw die Neu-Erfassung der künftigen BezieherInnen, 2. die Ausgestaltung des sog. Optionsgesetzes, das den Kommunen die Möglichkeit einräumen soll, die Betreuung von Langzeitarbeitslosen auch ohne die BA zu übernehmen. und 3. die kommunale Mehrbelastung von 2.5 Mrd. Euro wegen der Übernahme von Heizungs-und Mietkosten. Zumindest für die technischen Umsetzungsprobleme haben Wirtschaftsminister Clement und BA-Chef Welse offensichtlich einen Lösungsvorschlag in der Tasche. Die BA will – so die Absprache mit Clement – ab Mitte des Jahres auf 2500 bis 2700 Mitarbeiter der Deutschen Telekom zurückgreifen, die in der Auffanggesellschaft der Telekom geparkt sind. Die MitarbeiterInnen aus der Auffanggesellschaft beziehen lediglich 80% des üblichen Lohns (vgl. Berliner Zeitung 3.5.2004). Mit dieser „Ausleihe-Praxis“ der mehrheitlich bundeseigenen Telekom soll eine unabdingbare Voraussetzung der „Zusammenlegung“ von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ermöglicht werden: die Datenerfassung der rund 1,7 Mio. Arbeitslosenhilfe-BezieherInnen und die Eingabe in die Datenbanken der BA. Allein mit dieser formalen Erfassung und Verarbeitung von Daten steht oder fällt das ALG II Die Deutsche Telekom ist ein Koloss im Bereich der Überwachungstechnologie. Bereits mehrfach war sie Ziel militanter Interventionen. Beispielsweise haben die GenossInnen vom Kommando „globaler Widerstand“ im Februar 2002 eine Magdeburger Telekom-Stelle mit Brandsätzen angegriffen.

Beinahe täglich kommen neue Vorschläge ans Tageslicht um den Zeitplan von Clement dennoch einzuhalten. So sollen die Sozialämter die Einführung des ALG II für ihr ortseigenes Klientel .übergangsweise übernehmen. Laut dieser Verlautbarung sollen die Sozialämter für Jeden/Jede arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger im Herbst einen Bewilligungsbescheid für die neue „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ ausfertigen (vgl. Berliner Zeitung 5.5.04). Die organisatorischen Hindernisse sind mit diesen flankierenden Vorschlägen bei weitem noch nicht beseitigt. Die Realisierung anderer Großprojekte (man denke nur an die „Maut“) zeigt die Konfusion innerhalb der sozialtechnokratischen Apparate. Da aber das ALG II ein Prestigeprojekt der Hartz-Konzepte ist wird sich Clement allein wegen der „Gesichtswahrung“ an dem Termin Januar 2005 festbeißen.

Ein Aufruf zur (militanten) Kampagne gegen „Hartz IV“/ALG II

Wir sehen in dem neuralgischen Punkt „HartzIV“/ALG II ein momentanes Interventionsfeld, das mehrere Ansätze liefert: 1. „Hartz IV“/ALG II ist zwar formal beschlossene Sache aber noch längst nicht Verwaltungspraxis, 2. dieses Thema wird hinsichtlich der sozialtechnokratischen Angriffe auf absehbare Zerr eine zentrale Bedeutung haben, 3. Millionen von Deklassierten und Marginalisierten werden mit den Auswirkungen direkt konfrontiert sein, und 4. bietet dieses Projekt eine breite (militante) Angriffsfläche. Wir haben es hier mit einem sozialtechnokratischen Projekt zu tun, das bisher nur auf dem Papier und in den verschissenen Hirnen seiner Protagonistinnen existiert und eine lange Wegstrecke vor sich haben wird. Der Ausgang (Umsetzung, Verschiebung, auf Eis legen, Neu-Konzeptionierung – etc.) ist weitgehend offen. Hier haben wir unserer Ansicht nach anzusetzen Zum einen stehen wir noch nicht vollendeten Tatsachen gegenüber und zum anderen können wir einen Aspekt unseres sozialrevolutionären Kampfes exemplarisch herausfiltern Vor uns liegt die Option nicht nur plakativ-und unspezifisch die soziale Revolution zu propagieren Mit dem Aufgreifen eines .konkreten, viele Millionen Menschen existenziell bedrohenden sozialtechnokratischen Angriffs können wir das Abstraktionsniveau das unserer Politik oft anhaftet, wesentlich senken. Wir alle sind Teil dieser manifest werdenden sozialen Marginalisierung und Prekarisierung. Wir stehen nicht vor einer Tür, die erst aufgestoßen werden muss, um ins „Soziale“ eintreten zu können. Wir kämpfen für unsere ureigenen Interessen und gleichzeitig für Jene von Millionen in dieser Gesellschaft. An diesem speziellen Punkt – keine weitere soziale und materielle Verelendung hinnehmen zu wollen – eröffnet sich ein Ansatz, den Graben zwischen der revolutionären Linken und den breiten Kreisen der Marginalisierten und Deklassierten vielleicht nicht zuzuschütten, aber doch zu überspringen und perspektivisch gemeinsam hinter uns zu lassen. Der Kampf gegen das ALG II ist im Rahmen des sozialrevolutionären Kampfes ein punktueller und taktischer Aspekt, um den sozialpolitischen Gesamtzusammenhang der Krise der kapitalistischen Gesellschaftsformation (Stichwort „Post-Fordismus“) aufzuzeigen. Das ist aus unserer Perspektive ein grundsätzliches Kriterium, um nicht – wie wir in unserer Anschlagserklärung vom 29. März betont haben – „in der sozialreformatorischen Sackgasse zu verenden“ (vgl. Interim Nr. 592, 8.4.04).

Wir wollen dazu aufrufen die Einführung des ALG II im Rahmen der eigenen Kapazitäten auf breiter Basis zu torpedieren. Zu überlegen wäre, ob bei einer weiteren Großdemonstration gegen den Sozialkahlschlag dieser Aspekt in den Mittelpunkt gerückt wird. Des weiteren sollte massiv in den am stärksten betroffenen (sub-proletarischen Wohnquartieren eine Informations- und Aufklärungsarbeit geleistet werden. Dabei können vor allem mehrsprachige und vor allem verständlich formulierte Flugblätter und Plakate eine uns allen bekannte Form der Öffentlichkeitsarbeit sein (Eine Orientierung an der Mai-Steine-Kampagne wäre aus unserer Sicht sinnvoll) auch wenn uns bewusst ist, welcher personelle und organisatorische Kraftaufwand dahinter steckt. Wir sollten uns als Aufhänger eines breiten sozialen Widerstandes, der explizit klandestine Praxen beinhaltet, auf das Beispiel des ALG II fokussieren. Es wäre einen Versuch wert. Wir wollen mit diesem Aufruf auch insbesondere alle militanten und klandestinen Zusammenhänge dazu animieren sich mit unseren Überlegungen zu befassen. Schätzt unsere hier gemachten knappen Anknüpfungspunkte ein, nehmt dazu Stellung und – noch wichtiger – entwickelt eine (militante) Praxis. Wir haben mit unseren diesjährigen Brandanschlägen auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) als Denkfabrik sozialtechnokratischer Konzepte (einschließlich des ALG II). die Gemeinsame Anlaufstelle des Arbeitsamtes Berlin-Nord und des Sozialamtes Pankow und jetzt die Deutsche Telekom eine Palette von Interventionsorten abgesteckt. die es gilt. weiter zu verfolgen.

Wir sehen in den verschiedenen militanten Aktionen im Vorfeld des diesjährigen 1. Mai einen beispielhaften wie qualitativen und quantitativen Sprung. Zu nennen sind hier die Sabotageaktionen gegen die Infrastruktur der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) aufgrund der Fahrpreistreiberei vom 23. April sowie die Brandanschläge und der Glasbruch bei Berliner Arbeitsämtern vom 27. April. Dies sind orientierende militante Eingriffe des Zusammenwirkens von breiter angelegten Initiativen des sozialen Widerstandes und klandestinen Praxen. Unsere Antwort auf den sozialtechnokratischen Klassenkampf von oben muss es sein tragfähige Grundlagen und interventionsfähige Strukturen systematisch zu entwickeln. Wir und andere militante Zusammenhange haben dazu einige konzeptionelle Vorschläge unterbreitet (www.geocities.com/militanzdebatte). Wir können Angriffen auf unsere Lebensbedingungen und sozialen Befriedungsversuchen dann einen Strich durch die Rechnung machen, wenn wir die begonnenen bündnispolitischen Initiativen festigen und ausbauen (wie bei der revolutionären 1.-Mai-Demonstration) sowie weitere Schritte in Richtung einer militanten Koordinierung (militante Plattform) unternehmen.

Kampf der Sozialtechnokratie – (militante) Kampagne gegen „Hartz IV“/ALG II entwickeln!

Die Freiheit der revolutionären Gefangenen erkämpfen – Repressionsapparate angreifen!

Den sozialrevolutionären und antiimperialistischen Widerstand organisieren!

Für eine militante Plattform – Für einen revolutionären Aufbauprozess – Für den Kommunismus!

militante gruppe (mg), 06.05.2004