Anschlagserklärung
Wir haben in der Nacht zum 30. März 2004 den Gebäudekomplex der gemeinsamen Anlaufstelle des Arbeitsamtes Berlin-Nord und des Sozialamtes Pankow in der Straßburger Str. 56 mit einem Brandsatz angegriffen. Dabei wurde von uns ein Großraumbüro des Behördentaktes in Brand gesetzt
Wir reihen diese militante Aktion in den Mpbilisierungsprozess zu den europäischen Aktionstagen gegen Sozialkahlschlag am 2./3. April 2004 ein. Des Weiteren ist diese Aktion ein weiterer Schritt in Richtung des Aufbaus einer militanten Plattform im Rahmen eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Organisierungsprozesses der antagonistischen Linken.
Ein Kooperationsprojekt von Arbeits- und Sozialamt als Beispiel des sozialtechnokratischen Angriffs
Lange Zeit bevor die so genannte Hartz-Kommision u.a. ihre Pläne zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (sog. Arbeitslosengeld II bzw. Hartz IV) mit großem Brimborium der Öffentlichkeit präsentierte, wurde im jetzigen Ortsteil von Pankow, Weißensee, im Kontext der „Modernen Sozialamtes“ „eine intensive Betreuung von Leistungsempfängern“ durchgesetzt, um die Bezirkskasse von einigen Hundert Beziehern sozialer Transferleistungen zu entlasten.
Dieses sozialtechnokratische Programm der Statistikbereinigung und der Nachschublieferung von Billigarbeitskräften für den Niedriglohnsektor fand in diesem Bezirk seine nahtlose Fortsetzung: Anfang 2002 wurde Pankow als erste von 30 bundesweit ausgewählten Modellregionen in das Programm „Modellvorhaben zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe“ (MoZArT) aufgenommen. Das Pankower „AHA“-Projekt („Aktivierende Hilfe und Arbeitsvermittlung“) als Teil des „MoZArT“-Programms war Analysegrundlage im Zusammenhang mit dem Kahlschlagskatalog von Hartz. Die dort ermittelnden Ergebnisse, die während der Modelllaufzeit gewonnen wurden, flossen u.a. in die Projektierung der „Hartz“-Maßnahmen ein.
Dieses ausgelaufene „AHA“-Projekt ist vom Pankower Sozialstadtrat Johannes Lehmann (SPD) und der Chefin der Arbeitsamtes Berlin-Nord, Petra Röhlinger-Schulz, seit Anfang 2004 als gemeinsame behördliche Anlaufstelle in den Gebäudekomplex in der Straßburger Str. 56 untergebracht worden. Gerade Lehmann, der oft als „liberale“ Figur unter den Berliner Sozialstadträten gilt, ist in Bezug auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einem Vorreiter des Angriffs auf die untersten Klassensegmente avanciert. Er ist ein aktiver Erfüllungshilfe sozialtechnokratischer Konzepte, wie sie u.a. vom ifo-Institut in dem Papier „Aktivierende Sozialhilfe – Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum“ der Presse vorgestellt wurden. Lehmann und Röhlinger-Schulz sind auf kommunalem Gebiet als administrativ verantwortliche AkteurInnen der sozialtechnokratischen Schikanierung und Repression gegen die marginalisierten und deklassierten Bevölkerungskreise.
In verschiedenen Berliner Bezirken sind ähnliche Initiativen gestartet worden: „Sprungbrett“-Projekt in Treptow-Köpenick oder die „Arbeit sofort“-Projekte in Charlottenburg-Wilmersdorf bzw. Mitte. Diese verschiedenen kommunalpolitischen Initiativen der sozialtechnokratischen Offensive gegen die (sub-)proletarischen Segmente bilden den erforderlichen Unterbau der praktischen Umsetzung der „Hartz-Konzepte“, insbesondere was die Einführung des ALG II ab 1. Januar 2005 betrifft. Bereits seit Mitte 2003 ist mit der Einrichtung der Hartz’schen Jobcenter ein Markstein gesetzt worden, um erkämpfte Sozialstandards auszuhöhlen und Bekämpfungsstrategien gegen sozial Entrechtete Realität werden zu lassen.
Das ALG II wird ein weiterer gesellschaftlicher Ausgrenzungshebel sein, um bisherige Leistungen auf Sozialhilfeniveau zu drücken und mit verschärften „Zumutbarkeitsregeln“ faktisch eine modernisierte Form von minimal entlohnter Zwangsarbeit zu etablieren. Mit diesen Elementen und der Teilträgerschaft der Kommunen für das ALG II will BRD-Wirtschaftsminister Clement seiner Zielvorstellung „Wir wollen nicht mehr für die Arbeitslosigkeit bezahlen“ näher kommen.
Neben unserem zu verstärkenden sozialrevolutionären Widerstand fällt ein derzeit noch gewichtigeres Element der Umsetzungsschwierigkeit von „Hartz IV“ ins Auge: Es mehren sich zunehmend die alarmierenden Stimmen, dass „Hartz-IV“ aufgrund des behördeninternes Chaos zu einem Fiasko werden könnte. Die VertreterInnen der DGB-Sozialpartnerschaft Engelen-Kefer formuliert das folgendermaßen: „Die Maut war ein Spaziergang gegenüber dem, was hier bevorsteht“ (Tagesspiegel, 23.03.04). Wir wollen hoffen und dazu beitragen, dass diese Prognose eintritt.
Nichtsdestotrotz ist der Klassenkampf von oben längst an allen Ecken und Enden voll entbrannt. Die Krise des kapitalistischen Akkumulationsregimes wird unter dem Vorwand „ökonomischer Sachzwänge“ klassenspezifisch sozialisiert und die Existenzrisiken der sozial Deklassierten werden individualisiert.
Sozialrevolutionärer Widerstand und der Aufbau einer militanten Plattform
Unserer Antwort als revolutionäre Linke auf den forcierten sozialtechnokratischen Angriff au alle Lebensbereiche ist in der Regel nur zu bestimmten Anlässen für die „breite Öffentlichkeit“ registrierbar – wenn überhaupt. Zwar sind in den verschiedenen Sozialbündnissen, die für Karl Heinz Roth in seinem neuen Beitrag als eine „aussichtsreiche Gegenperspektive von unten“ (vgl. ak 482, 19.03.04) angesehen werden, Angehörige der Linken strukturbildend vertreten, doch die dominante reformistische Ausrichtung dieser sozialpolitischen Basisarbeit überlagert antagonistische und militante Ansätze.
Es ist aus taktischen Gründen nicht von vornherein abzulehnen, in solchen Bündnisstrukturen antagonistische Positionen stark zu machen und im Sinne von Karl Heinz Roth dort eine Organisierung von „SubproletarierInnen der neuen Massenarmut über die ungesichert Beschäftigten und die industrielle ArbeiterInnenklasse bis zu den selbständigen Arbeiterinnen und Arbeitern“ voranzubringen. Projekte wie die dreiwöchige Kompakt-Kampagne „Mai-Steine“ (www.mai-steine.de) im Vorfeld des diesjährigen 1. Mai in Berlin oder der selbstorganisierte Protest von MieterInnen in Kreuzberg gegen Mietpreistreiberei sind beispielhaft für einen sozialen Widerstand, der eine fundamentale Kritik breitflächig anlegen will.
Vielfältige Erfahrungen in Sozialbündnissen lehren allerdings, dass eine Dosierung von Fundamentalkritik und eine (re-)integrative Politik in letzter Instanz strukturell und personell angelegt sind. Die u.a. aus den Zusammenhängen der Sozialbündnisse ergriffene Initiative für eine „Wahlalternative“ bzw. eine linkssozialdemokratische Parteineugründung – eventuell ein Neuaufguss der Weimarer USPD mir den Entertainern Lafontaine und Gysi an der Spitze – ist ein deutlicher Fingerzeig, in welchem trüben Fahrwasser die (Bewegungs-)Reise kanalisiert werden soll.
Die Geschichte der revolutionären Linken hat in dieser Hinsicht zu zwei wichtigen Erkenntnissen geführt: zum einen ist „das Soziale“ ein umkämpftes Terrain, in dem wir uns aufgrund unserer eigenen materiellen Situation zu verorten haben, zum anderen leitet sich ais diesem „Sozialen“ nicht quasi naturwüchsig eine revolutionäre Perspektive und Praxis ab. Wenn es um die Formulierung tagespolitischer Forderungen geht, die den Alltag vor allem der sozial Deklassierten erträglicher gestalten sollen, dann ist das ein taktisches Mittel, das dem Zweck der sozialen Revolution untergeordnet ist. Rosa Luxemburg hat diesen Konfliktpunkt bereits in der Bernstein’schen Revisionismusdebatte festgehalten: „Diese ganze Theorie läuft praktisch auf nichts anderes als auf den Rat hinaus, die soziale Umwälzung, das Endziel der Sozialdemokratie, aufzugeben und die Sozialreform umgekehrt aus einem Mittel des Klassenkampfes zu seinem Zwecke zu machen“ (in: Sozialreform oder Revolution?). Offensichtlich sind wir immer wiederkehrend mit diesem Polit-Spagat konfrontiert und drohen dabei, uns in schlechter Regelmäßigkeit in den sozialreformatorischen Fallstricken zu verfangen.
Infolge dessen muss unsere Antwort als revolutionäre Linke schwerpunktmäßig in der Stärkung und im Ausbau antagonistischer Strukturen liegen, um der „Sozialreformatorischen Umklammerung“ zu entgehen und ein „authentisches Bild“ abgeben zu können. Mit unseren politisch-ideologischen Positionen sowie organisatorischen Gehversuchen müssen wir in der Konfrontation mit den Apparaten und Personen des Klassenkampfes von oben für die angegriffenen deklassierten und (sub-)proletarischen Segmente erkenn- und erfahrbar sein, anstatt als Randerscheinung in der sozialreformatorischen Sackgasse zu verenden.
Wir haben in den vergangenen Jahren versucht, vor allem das militante Profil innerhalb der revolutionären Linken zu schärfen. In dieser Zeit haben wir mit unserem sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatz auf kommunistischer Grundlage u.a. verschiedene militante Angriffe auf Einrichtungen der Sozialtechnokratie (Sozialamt Reinickendorf, Finanzamt Neukölln, Entsorgungskonzern ALBA, DIW) durchgeführt, die alle in einen „komplexen revolutionären Aufbauprozess“ eingefügt sind. Zunächst ist dieser Prozess durch die Initiative gekennzeichnet einen koordinierten Diskussions- und Aktionsrahmen strukturell nicht-vernetzter militanter Gruppenzusammenhänge zu ermöglichen, d.h. es geht in dieser Phase vorrangig um den Aufbau einer militanten Plattform (www.geocities.com/militanzdebatte). Wir und andere Gruppen sehen dieses Plattformprojekt als einen wichtigen Baustein der Strukturierung und Organisierung des militanten und potentiell bewaffneten Widerstandes in der BRD an. Der Aufbau einer militanten Plattform ist uns sowohl eine Voraussetzung als auch ein Ausgangspunkt einer Fundierung und (Neu-)Formulierung revolutionärer Politik, die den organisierten Klassenkampf von unten nicht nur auf geduldigem Papier niederschreibt, sondern mit den verfügbaren Mitteln in die Tat umsetzt.
Kampf der Sozialtechnokratie – Agenda 2010 kippen!
Die Freiheit der revolutionären Gefangenen erkämpfen – Repressionsapparate angreifen!
Den sozialrevolutionären und antiimperialistischen Widerstand organisieren!
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), 29.03.2004
Diese militante Aktion widmen wir dem ehemals wegen
RAF-Mitgliedschaft eingeknasteten Genossen Rolf Pohle , der während der Gefangenenbefreiungsaktion der Bewegung
2. Juni im Zuge der „Lorenz-Entführung“ 1975 ausgetauscht wurde.
Rolf Pohle verstarb am 7. Februar 2004 nach langer, schwerer Krankheit in Athen.
Solidarische Grüße gehen an die GenossInnen von der Antiimperialistischen
Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney – und vom Autonomen
Widerstand sowie an alle Mit-Diskutanten im Plattformprozess.