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21. Juni 2001 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 529 vom 28. Juni 2001, Seite 22 bis 23

Anschlagserklärung gegen den Niederlassungszweig der Mercedes-Benz AG auf dem DaimlerChrysler-Werk in Berlin-Marienfelde

Nach unserer Aktion der gezielten Verschickung von scharfen Patronen am 12.6.01 an zwei Exponenten der „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“, Wolfgang Gibowski und Manfred Gentz, sowie den Bundesbeauftragten Otto Graf Lambsdorff setzen wir unseren Angriff gegen den juristisch fixierten Schlußstrich unter das nazistische Vernichtungsprogramm der Zwangsarbeit fort.

DaimlerChrysler ist mit ihrem Protagonisten Manfred Gentz die treibende Kraft dieses zynischen „Entschädigungsspektakels“ des deutschen Kapitals. Der maßgebliche Profiteur des deutschen Faschismus bestimmt nun also auch die Konditionen der Tilgung seiner Verbrechen.

Für uns Anlaß genug, diesen Konzern für seine exponierte Rolle im NS-Regime und in der Stiftungsinitiative zur Rechenschaft zu ziehen und militant anzugreifen.

Am 21. Juni 2001 haben wir einen zeitverzögerten Brandsatz unter Fahrzeuge an einem Seiteneingang der Mercedes-Benz-Niederlassung am DaimlerChrysler-Werk in der Daimlerstr. 165 in Marienfelde plaziert.

Die Daimler-Benz AG als integraler Bestandteil der nazistischen Industrieprogramms „Vernichtung durch Arbeit“

Die Daimler-Benz AG war während des Nazismus der größte Rüstungskonzern der Kraftfahrzeug- und Motorenindustrie. Nach 1933 erlebte der Konzern im rüstungspolitischen Sektor einen rasanten Aufstieg. Kriegsproduktion und Beschäftigtenzahl erhöhten sich kontinuierlich.

Eine Ausdehnung der Produktionskapazitäten in den bereits bestehenden und später errichteten Daimler Benz-Werken konnte aufgrund des bald einsetzenden Arbeitskräftemangels nur durch die physische und psychische Ausbeutung von zivilen ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen erfolgen. Insgesamt wurden auf Veranlassung des Konzerns etwa 70 000 dieser Zwangsarbeiterinnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge in seinen verschiedenen Kriegsbetrieben für die nazistische Okkupations-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik geschunden, drangsaliert und nicht selten ermordet.

Bereits im Herbst 1940 bediente sich Daimler-Benz aus dem zur Verfügung stehenden Arbeitskräftereservoir, das durch die ersten Eroberungszüge der faschistischen Armee in den besetzten Ländern für die deutsche Rüstungsindustrie verwertbar war. Hunderte der ersten französischen Kriegsgefangenen kamen in den Daimler-Benz-Werken (u.a. im Flugmotorenwerk Genshagen südlich von Berlin) zum Zwangseinsatz. Neben Kriegsgefangenen versuchte der Konzern durch falsche Versprechungen (bspw. hohe Löhne) und anderen Lockangeboten qualifizierte Arbeitskräfte aus westeuropäischen Ländern zu gewinnen. Die persönlichen und institutionellen Kontakte zwischen der Vorstandsetage der Daimler-Benz AG und den Entscheidungsträgern des NS Regimes funktionierten von Beginn an reibungslos, sodaß Daimler von dem Zwangstransfer ganzer Belegschaftsteile von ausländischen Firmen profitieren konnte.

Noch vor der industriellen Ausbeutung von sowjetischen Kriegsgefangenen waren in allen Daimler-Benz-Werken Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene tätig, im Werk Genshagen waren es sogar knapp 20% der gesamten Belegschaft. Ab Mitte 1941 war diese Rekrutierung für Daimler-Benz das wichtigste Mittel zur Auffüllung des dezimierten Arbeitskräftebestandes.

Daimler setzte betriebsintern von Anfang an auch bei den westeuropäischen Arbeiterinnen bei „Leistungsmangel, Sabotageverdacht und Ungehorsam“ strengste disziplinarische Sanktionen und körperliche Züchtigungen durch. So wurden bei Daimler Beschäftigte in die berüchtigten Arbeitserziehungslager gesteckt, die ein wesentliches Element des nazistischen Disziplinierungs- und Terrorregiments wurden.

Nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion und dem „Führer-Erlass“ Ende Oktober 1941 konnten auch sowjetische Kriegsgefangene für die Aufrechterhaltung und Steigerung der Rüstungsproduktion eingesetzt werden. Das Werk Genshagen orderte als erstes den Bedarf von hundert sowjetischen Kriegsgefangenen. Im Frühjahr 1942 wurden flächendeckend in Daimler-Benz-Werken sowjetischen Kriegsgefangene zur Arbeit für den faschistischen Expansionskurs gezwungen.

Der Konzern setzte nicht nur die Rüstungsmaßgaben der NS-Elite durch die betriebliche Integration von ZwangsarbeiterInnen durch, sondern sorgte auch für eine betriebliche Durchsetzung der nazistische Rassenhierarchie. Sowjetische Kriegsgefangene waren bezüglich der Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung, der Unterkünfte und vor allem der Arbeitsbedingungen schlechter gestellt als andere Gefangenengruppen. Die Essensrationen waren derart karg, das sich der gesundheitliche und körperliche Verfall unaufhörlich beschleunigte und bei vielen zum Tod führte. Die zwischenzeitliche Erhöhung der Essensrationen bzw. der Einsatz eines ausgeklügelten Leistungsprinzip war von rein taktischer Natur: aus den ausgezerrten und geschundeten Körpern sollte das Maximum an Produktivität ausgepreßt werden. Sowjetische Arbeiter mußten bis zu 80 Stunden, sowjetische Frauen bis zu 60 Stunden in der Woche für ihren Todfeind arbeiten. Zusätzlich zu der arbeitsmäßigen Ausbeutung kam bei vielen sowjetische Frauen die sexualisierte dazu, viele prostituierten sich für geringfügige Mengen von Nahrungsmitteln an die westeuropäischen Arbeiter.

Gegen Kriegsende wurde die Versorgungslage besonders prekär, dass sich das Versorgungsniveau zwischen den einzelnen Gefangenengruppen mehr und mehr anglich, qualitativ und quantitativ nach unten anglich.

Die Daimler-Benz AG griff auch auf die letzte Reserve von Arbeitskraft zurück: auf KZ-Häftlinge. Der Arbeitskräftemangel war derart akut, das Ende 1944 bereits eine knappe halbe Million KZ-Häftlinge in der NS-Rüstungsindustrie für das Regime schuften mußten. Zehntausende starben an Hunger, Kälte, Erkrankungen, körperlichen Mißhandlungen oder durch Hinrichtungen.

In der unmittelbaren Nähe zu den verlagerten unterirdischen Produktionstätten und den Stammwerken von Daimler-Benz wurden KZ-Außenlager eingerichtet. Im Herbst 1944 erhielt das Werk Genhagen rund 1100 Frauen aus dem KZ Ravensbrück. In dem KZ-Außenlager Genshagen waren sowjetische Zwangsarbeiterinnen, slowakische Jüdinnen, französische Widerstandskämpferinnen, Tschechinnen und jugoslawische Partisaninnen zum Arbeitseinsatz eingepfercht.

Die Daimler-Benz AG war ein wesentlicher Akteur in der Umsetzung der imperialistischen und rassistischen Doktrin des Nazismus. Der Aufstieg des deutschen Faschismus war ein Aufstieg der deutschen Industrie, vor allem des Rüstungssektors. Daimler quittierte diese Entwicklung seinerseits mit einer kompletten Mobilisierung der Ware Arbeitskraft und einer kontinuierlichen Kapazitätensteigerung der Produktion für den „Endsieg“. Der Konzern bediente sich skrupellos der Vernutzung und Vernichtung von ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, die durch verschiedene Richtlinien des NS-Regime möglich wurde. Rassenideologische Vorbehalte und Sicherheitsbedenken gegenüber „fremd-völkischen“ Arbeitskräften wurden aufgrund der makroökonomischen Defizite (Arbeitskräftemangel und Produktionstagnation) durch diese neuen Richtlinien der Nazi-Elite zurückgestellt. Damit wurde keineswegs die rassistische und antisemitische Basis des Regimes angetastet, im Gegenteil orientierte sich Daimler strikt an dem rassenhierarchischen Postulat des Nazismus und setzte es in der Fabrik durch.

Der Grad der Nazifizierung und die personelle Verquickung mit dem NS-Regime der Daimler-Benz AG überstieg das branchenübliche Maß. Zwei Vorstandsmitglieder, darunter der Vorstandsvorsitzende Wilhelm Kissel, waren schon 1933 Mitglieder der SS. Am 1. Mai 1933 traten vier weitere Vorstandsmitglieder der NSDAP bei, weitere folgten bis 1934. 1937 bemühte sich der Konzern um eine korporative Aufnahme in die NSDAP, was diese aber ablehnte. Einzelne Werke wie das Flugmotorenwerk Genshagen wurden als „Nationalsozialistische Musterbetriebe“ ausgezeichnet: der arbeitstechnisch rationalisierte Mord in den Betrieben der Daimler-Benz AG wurde also zum Qualitätssiegel.

Das DaimlerChrysler-Werk in Berlin-Marienfelde

Das Werk Marienfelde gehört zu den Stammwerken von DaimlerChrysler und hatte während des II. Weltkrieges für die faschistische Rüstungsproduktion eine kriegswichtige Funktion. Das Werk Marienfelde war zweigeteilt: im Werk 40 war die Produktion von Panzern und LKWs angesiedelt, im Werk 90 wurden wie in Genshagen Flugmotoren gefertigt.

In Marienfelde wurden bereits sehr frühzeitig Zwangsarbeiterinnen vernutzt. Ende 1944 erreichte das eingesetzte ZwangsarbeiterInnenpotential ihren Höhepunkt: ca. 2600 kamen in den Werken 40 und 42 und ca. 1100 in dem Werk 90 zum Einsatz.

In den beiden Werken in Marienfelde wurden über die Kriegsjahre hinweg bis zur endgültigen Lahmlegung der Produktion des Werkes im März 1945 als Folge von alliierten Bombenangriffen Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zunächst waren es französische Kriegsgefangene, später kamen sowjetische und polnische hinzu.

In Marienfelde existierte von Ende September 1944 bis Mitte April 1944 eine Außenstelle des KZ Sachsenhausen. Diese KZ -Häftlinge waren in erster Linie für die Errichtung und Instandhaltung von Luftschutzanlagen abkommandiert worden. Sie wurden aber auch zu Aufräumarbeiten im Werk zwangseingesetzt.

Auch das Marienfelder Werk beutete wie andere Daimler-Benz-Werke alle zur Verfügung stehenden Gefangenengruppen (ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge) für die Fortsetzung des nazistischen Vernichtungsfeldzuges gegen die Welt aus. Zudem versuchte die Werksleitung antifaschistische Widerstandsgruppen oder Saboteure innerhalb des Werkes ausfindig zu machen und zu eleminieren.

DaimlerChrysler zur Rechenschaft ziehen und militant angreifen!

Die Daimler Benz AG bzw. die DaimlerChrysler AG setzen also wie alle anderen InitiatorInnen der „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“ auf einen zynischen Schlussstrich in der „ZwangsarbeiterInnen-Frage“ und kalkulieren mit ihrer jahrzehntelangen Verzögerungstaktik, die bis zum heutigen Tag mit wechselnden Begründungen anhält, auf eine „biologische Lösung“. Der Konzern setzt parallel auf die beiden Optionen, die er hat, um sich von dem „Makel“ der Zwangs- und Sklavenarbeit zu befreien, der seit 1945 stets einen blutigen Schatten über den silbernen Stern legt: Daimler setzt einerseits auf eine billige und vor allem endgültige symbolische „Entschädigungszahlung“ durch die Stiftungsinitiative und andererseits auf ein vollständiges Ableben der Zeuginnen der Qual und des Terrors, auf ein Ende des lebendigen Gedächtnisses.

In der Firmengeschichte der Daimler-Benz AG/DaimlerChrysler AG gibt es vor allem einen Kontinuitätsstrang: (Mit-)Täterschaft an Raub und Mord in aller Welt; sei es im damaligen Burenregime in Südafrika, der früheren Militärdiktatur in Argentinien oder dem weltweiten Einsatz von Daimler -Kriegsprodukten wie im neuerlichen Feldzug gegen Jugoslawien.

Daimler-Benz bzw. DaimlerChrysler ist in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehrfach zum Angriffsziel einer linksradikalen Politik geworden. Das ist angesichts der Konzerngeschichte und des wirtschaftspolitischen Engagements auch folgerichtig. Um allerdings einen effektiven Druck auf diesen Industriekonglomeraten ausüben zu können, braucht unsere Politik eine militante Kontinuität. Sie muss darüber hinaus gezielter werden, dass heißt sie muss verstärkt die personellen Verantwortlichkeiten benennen und demnach die handelnden Exponenten in den Vordergrund ihrer Politik rücken. Es bleibt die alte Tatsache: hinter den anonymen Konzernfassaden stehen konkret definierbare AkteurInnen; SIE sind von uns zu treffen!

Kein Schlußstrich unter Nazi-Verbrechen!

180 Milliarden DM für die Zwangsarbeiterinnen sofort und bedingungslos! Täter von Gestern und Heute zur Rechenschaft ziehen!

militante gruppe (mg), 21.06.2001