Zur „Roggan“-Anschlagserklärung
der autonomen gruppen
Mit dieser Wortmeidung wollen wir zwei Dinge;. Erstens wollen wir darauf hinweisen, dass wir als Gruppe nicht, wie fälschlich in der Anschlagserklärung der autonomen gruppen erwähnt, für den ersten Brandanschlag auf LKWs der Umzugsfirma „Roggan“ verantwortlich sind. Zweitens wollen wir einige Fragezeichen, die uns beim Thema „Zwangsumzüge“ und einer entsprechenden militanten Praxis in den Sinn gekommen sind in den Rahmen der Militanzdebatte stellen.
1. Die Genossinnen der autonomen gruppen haben uns in ihrer Anschlagserklärung (vgl. Interim 636, 18.5.06) zum Brandanschlag auf LKWs der Umzugsfirma „Roggan“ eine Aktion zugeschrieben, die wir nicht begangen haben. Sie schreiben: „Roggan ist Handlanger der Polizei bei Zwangsumzügen und Räumungen und wurde deshalb vor einem Jahr von der mg angegriffen“.
Wir können nur kurz & knapp feststellen, dass wir diese Aktion gegen „Roggan“ aus dem vergangenen Juni nicht durchgeführt haben. Zu dieser Aktion bekannte sich seiner Zeit die Gruppe mudy fiftynine (militante unterstützer/Innen der yorck 59) (vgl. Interim 618, 16.6.05).
Wir halten nichts davon, uns mit „fremden Federn“ zu schmücken, deshalb wollen wir das Gesagte von den Genossinnen der autonomen gruppen an diesem Punkt nur mal eben richtig stellen. Wir sind auch über diese fälschliche Zuordnung von Aktionen ein wenig verwundert, da z.B. in der Anschlagserklärung des Militanten Bündnisses für einen Klassenkampf von Unten! (vgl. Interim 631, 23.2.06) Bezug auf die erste „Roggan“-Aktion mit der korrekten Gruppenbezeichnung genommen wurde. Also, eigentlich müsste uns allen doch bekannt sein, welcher Zusammenhang sich zu welcher Aktion bekannt hat. Zu einer inhaltlichen Bestimmung einer Aktion gehört einfach, an den Schlüsselsteilen treffend zu formulieren.
Wir wollen die Sache überhaupt nicht weiter hoch hängen, vielleicht ist Euch ja selbst schon der Lapsus aufgefallen oder jemand hat Euch intern darauf angesprochen. Uns geht es mehr darum, zu gucken, dass wir nicht ungewollt und über Umwege den Veröffentlichungen der bürgerlichen Presselandschaft nacheifern, in dem wir verzerrte Darstellungen oder gar falsche Behauptungen weiter verbreiten. Denn davon gibt es wahrlich genug. In dem Welt-Artikel (vgl. Interim 636, 18.5.06) sind zwei krasse journalistische Fehlleistungen in den Druck gegangen, die wir an dieser Stelle auch noch gleich berichtigen wollen. Zum einen wird uns der fehlgeschlagene Anschlag auf den Jobcenter in Charlottenburg ans Bein genagelt, zum anderen wird der statistische Irrsinn in den bourgeoisen Blätterwald geblasen, dass wir uns „allein im vergangenen Jahr (...) zu 16 Anschlägen bekannten“.
Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass diesbezüglich das schon erwähnte Militante Bündnis für einen Klassenkampf von Unten! In einer Anschlagserklärung die Verantwortung übernahm. Alle, die es noch nicht wissen, sollten Jetzt die Ohren spitzen: wir bekennen uns zu unseren Aktionen. Punktum. Für alle anderen militanten Aktionen sind wir als Zusammenhang weder direkt noch indirekt verantwortlich, wenn man mal eine etwas konstruierte Metaabene weglässt, wonach wir im Rahmen des projektierten Aufbaus einer militanten Plattform zu klandestinen Aktivitäten und Organisierungen „animieren“.
Zum zweiten Punkt wollen wir nur anmerken, dass das Pensum von 16 Anschlägen in einem Jahr beinahe außerirdisch ist; nein, bei uns kann man für das Jahr 2005 das Normalmaß von 3 Anschlägen statistisch notieren.
Vielleicht spielt beim Abladen irgendwelcher Aktionen auf unsere schmalen Schultern, für die wir nicht verantwortlich sind, das Ding ziemlich stark mit rein, Projektionsfläche geworden zu sein. Wir haben schon mehrfach ausgedrückt, dass wir dafür nicht taugen. Wir werden uns auch immer dagegen wehren, wenn aus dem gewollten Setzen von Orientierungspunkten, statt Aktivität Passivität nach dem Motto wird: die mg wird das schon (falsch) machen“. Nee, der, „tiefen Sinn“ der Militanzdebatte ist ja gerade, dass wir zusammen etwas Reißen wollen!
Dankenswerterweise hat unser Spezial-Freund clandestino richtig darauf verwiesen, dass sich unsere „militanten aktionen auf autonomem durchschnittsniveau“ (vgl. Interim 635, 20.4.2006) bewegen. Wir denken wirklich, dass das, was wir so fabrizieren, von allen in inhaltlicher, praktischer, logistischer und organisatorischer Hinsicht absolviert werden kann, wenn ein wesentlicher Toll der Konzeption der Gruppe auf dem Feld der Klandestinität und Kontinuität liegt. Wir sind keine „Überflieger“, sondern ein Zusammenhang, der konzentriert an einer „Vision“ der revolutionären Linken arbeitet – an einem komplexen revolutionären Aufbauprozess. Und da haben wir, wie Ihr alle bestimmt wisst, uns mit einer Menge Puste auf den Weg gemacht.
2. Die Anschläge auf „Roggan“ können aus einem übergeordneten, weiteren Grund nicht so ohne weiteres mit unserer Gruppenpolitik In Verbindung gebracht werden.
Bevor wir darauf gleich begrenzt eingehen, wollen wir zunächst den Aspekt hervorheben, dass die Genossinnen der autonomen gruppen eine klandestine Interventionsform und einen Austragungsort „dupliziert“ haben. Denn das unmittelbare Anknüpfen und Aufeinanderaufbauen von militanten Aktionen halten wir, wie wir seit Jahren immer wieder betonen, für wesentlich, wenn wir als revolutionäre Linke In einen koordinierten Austausch treten wollen, der ergebnisorientiert ist. Diesen Ansatz bei dieser Aktion können wir nur rundweg unterstützen.
Die hauptsächliche Frage, die sich uns stellt, ist, ob kleinere Umzugsfirmen ein zentraler Ort für militante Interventionen im Rahmen einer Kampagne gegen potentiell massenhaftes Zwangsumziehen wegen ,Hartz IV“ sein können. Diese Frage stellen wir deshalb, weil, wie die autonomen gruppen selbst geschrieben haben. die Umzugsfirmen „das schwächste glied der kette“ sind. Richtig ist der schlichte Sachverhalt, dass ohne die Tätigkeit von Umzugsfirmen eine Zwangsräumung nicht stattfinden kann, sie somit Teil des ganzen Prozedere sind. Offen bleibt erstens, welchen Stellenwert man diesem „schwächsten KettengIied“ in einer auch militant geführten Kampagne gegen Zwangsumzüge einräumt, und zweitens, wie man als militanter Zusammenhang das Ausmaß einer Intervention dosiert, ohne bspw. eine Pleite zu provozieren, sprich (schlecht bezahlte) Arbeitsplätze mit in Schutt und Asche legt.
Die autonomen gruppen haben erst mal ein triftiges, aber nicht weiter präzisiertes Argument vorgebracht, dass mögliche „existenzprobleme“ von „Roggan“ nach dem zweiten Anschlag mit einkalkuliert: „dort arbeiten schließlich stadtbekannte nazis‘. Leider wird nicht gesagt, wer oder wie viele es von den dort Beschäftigten sind. Das entscheidende ist, ob es gerechtfertigt ist, quasi von einer „Nazi-Klitsche“ zu sprechen, oder aber, ob dort nicht mehr Nazis beschäftigt sind, wie in x anderen Berufsbranchen auch. Wir können es nicht einfach übergehen, wenn bei einer (hypothetischen) Pleite von „Roggan“ nicht nur zwei, drei Nazis ihren Job an den verkohlten Nagel in der Fahrerkabine hängen müssen, sondern vielleicht auch zehn. zwölf weitere Beschäftigte, die sich als Möbelpacker und/oder Fahrer für’n kargen Lohn jeden Tag krumm machen müssen, um so über die Runden zu kommen. Für uns bleibt die Ungewissheit, ob sich die Aussage „dort arbeiten schließlich stadtbekannte nazis“ auf mehr stützt, als lediglich auf einen „optischen Eindruck“.
Ausdruck des sozialrevolutionären Klassenkampfes ist es notwendigerweise, nicht Angehörigen unserer Klasse durch Auswirkungen unserer Aktionen förmlich in den Arsch zu treten. Zynisch wäre es, wenn wir uns damit abfinden würden, dass dort, wo gehobelt wird Späne fallen.
D.h. nicht, dass negative Begleiterscheinungen bei militanten Aktionen immer ausgeschlossen werden können; es gibt Situationen, wo diese eingeplant werden müssen, um bspw. einen Rückzug abzusichern – wir denken dabei an das Verstreuen von Krähenfüßen, in die ja nun Jeder/Jede hineinfahren kann, wenn man dummerweise grade an einem abzusichernden Aktionsort vorbeibraust. Anders verhält es sich, wenn bspw. durch ein Brandausmaß geradezu fahrlässig die unmittelbare Umgebung in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies ist dann der Fall, wenn drei oder mehr Firmen LKWs. in Flammen aufgehen, zwischen denen unbeteiligte“ Fahrzeuge abgestellt sind oder sich in unmittelbarer Nähe befinden. Bei dem Flambieren der Roggan“-LKWs sollen lt. Medienberichten, die aufgrund einer Denunziationsabsicht falsch oder zumindest übertrieben sein können, 8 Privat-PKWs beschädigt worden sein. Nun liegt die Coppistraße nicht am Wannsee, wo uns das egal wäre, sondern in einem Lichtenberger Wohnquartier, das keine vergleichbare Bevölkerungsstruktur wie im idyllischen. Zehlendorf aufweisen dürfte. Wie viel fallende Späne dürfen wir uns erlauben, um uns als Militante nicht selbst zu diskreditieren? Wo wäre eine dosierte militante Intervention nach Abschätzung der möglichen Folgewirkungen, angebrachter, als bspw. eine Kutsche nahe an den Ruin zu bringen?
Wir müssen darauf achten, dass wir einer erkennbar stärker werdenden medialen Hetze á la „es kann jeden treffen“ (Berliner Zeitungs-Artikel „Mit Feuer und Flamme“, Report-Sendebeitrag) keine oder nicht zu viel Nahrung geben. Und das würde auf uns als revolutionäre Linke insgesamt zurückfallen.
Wir gehen hierauf etwas näher ein, weil wir, um im Jargon zu bleiben, nach unserem Brandanschlag auf einen LlDL-Neubau „gebrannte Kinder“ sind und gelernt haben, mit dem faktisch Unvorstellbaren kalkulieren zu müssen (vgl. Interim 612, 24.2.05). Deshalb hoffen wir auch inständig, dass sich vor dem Anstecken eines LKW‘s, die oft eine Pennkabine haben, versichert wurde, das diese leer war.
Wir sind weit davon entfernt hier den moralischen Zeigefinger in die Luft recken zu wollen, denn bspw. würden wir aus unserer Vergangenheit die Aktion gegen einen Chrysler-Vertragshändler im April 2002 im Nachklang äußerst kritisch sehen. Die damalige inhaltliche Begründung der militanten Intervention teilen wir nach wie vor, allerdings ist der praktische Austragungsort einigermaßen konstruiert gewesen, wenn man einen Vertragshändler, der die abgefackelten Karren im Gegensatz zu einer Firmenniederlassung finanziell, selbst zu tragen hat, dem Protest gegen einen imperialistischen Krieg In Verbindung bringen will.‘
Wir sehen es als eine wichtige Aufgabe der Militanzdebatte an, die eigene Politik und die des gesamten militanten Spektrums der revolutionären Linken zu reflektieren, um Fragezeichen, die an der einen oder anderen Stelle latent öfter einmal aufkommen, nicht zu ignorieren, sondern im Rahmen einer solidarischen inhaltlichen Auseinandersetzung auszuräumen. Nur so kommen wir unserer Meinung nach dazu, nicht nur das punktuelle brennende Fanal vor Augen zu haben, sondern den Blick über das Einmal-Ereignis hinauszurichten.
Wir halten es für völlig legitim (und wir selbst praktizieren es auch), die vielen „kleinen helfer des systems“ zu benennen und u.U. militant anzugreifen. Wir als Gruppe bzw. das militante Spektrum an sich steht vor den logistischen Grenzen, an die „ganz großen Fische“ und z.T. nicht einmal mehr an den „Mittelbau“ ,der institutionellen und personellen Stützen dieser kapitalistischen Gesellschaftsformation heranzukommen. Das hat einerseits mit den immanenten Begrenzungen militanter Politik zu tun, andererseits tatsächlich damit, dass bestimmte „anschlagsrelevante Objekte“ oder Entscheidungsträgerinnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nur mit großem logistischen, organisatorischen und zeitlichen Aufwand angegriffen werden können. Dass das dennoch nach wie vor umsetzbar ist, zeigen die vorbildlichen Beispiele aus Hamburg (Marnette, Straubhaar).
Die koordinierten Aktionen des Militanten Bündnisses für einen Klassenkampf von Unten! sind eine mögliche praktische Antwort auf unsere Fragezeichen, was einzelne Aspekte der Aktion der Genossinnen der autonomen gruppen anbelangt; hier wurden zwei Einrichtungen militant angegriffen, die für den direkten administrativen Ablauf von Zwangsräumungen (Heimstätte von Gerichtsvollzieher bzw. Mahngericht) verantwortlich sind, zudem ein Jobcenter, das sich sehr eifrig in der „versehentlichen“ Verschickung von Umzugsaufforderungen hervortat und ein Umzugsunternehmen in dieser Brandbreite und Gewichtung sehen wir ein adäquates Muster, wie das Thema Zwangsumzüge als Aufhänger für einen flächendeckenden Verelendungsprozess im Zuge von „Hartz IV“ angepackt werden könnte.
In einen solchen breiteren Kontext haben wir unseren Brandanschlag auf das Berliner Sozialgericht verortet und entsprechend inhaltlich begründet.
Wenn wir gerade bei der Besprechung unserer Fragezeichen sind: Uns ist noch nicht so ganz klar, ob sich „Zwangsumzüge“ als Kampagnen-Aufhänger eignen, ,denn zum einen finden wir die oft in verschiedenen Zeitungen genannten potentiellen Zwangsumzugszahlen von bis zu 40 000 einigermaßen astronomisch, zum anderen ist ein Massenphänomen des Zwangsumzug, nach dem, was wir an Infos dazu einholen konnten, für einen lokalen Wohnungsmarkt nicht im Entferntesten in einem kurzen Zeitraum zu verkraften. Die Wohnungsunternehmen haben ebenfalls kaum Interesse, „staatlich alimentierte Mieterinnen“ zu verlieren, sie gehen mitunter lieber ein paar Euro mit der Miete runter, als durch Leerstand draufzahlen zu müssen. Auch die bisherigen 1 bis 2 Zwangsumzüge, die im Rahmen der Hartz IV-Regelung stattgefunden haben sollen, sprechen nicht dafür; dass mehr Menschen aus Ihren Wohnräumen administrativ verbannt werden, wie es eh Alltag ist. Der kapitalistische Horror ist für mehr und mehr gesellschaftliche Sektoren Tag für Tag am eigenen Leibe schmerzvoll zu spüren, es braucht nicht uns, diesen „künstlich“ zu steigern.
Ein stichhaltiges Argument finden wir aber auch, wenn Genossinnen die begründete Vermutung äußern, dass nach der „Schonfrist“ der Jobcenter und den Berliner Abgeordnetenhauswahlen im Herbst Knaake-Werner die PDS-typische Maske fallen lassen wird. Gut finden wir in diesem Zusammenhang, dass bereits seit einigen Monaten Genossinnen .dabei sind, Anlaufstellen und Strukturen aufzubauen, die Betroffenen aktiv zur Seite stehen werden.
Trotz der kritischen Einwände, die wir gegen die „Roggan“-Aktion anmerken wollen, ist darauf zu setzen, dass mit der Flambierung eines Großteils der firmeneigenen LKWs von „Roggan“ ein Exempel statuiert wurde, was andere Umzugsunternehmen dazu veranlasst, sich nicht in etwaige Zwangsumzüge einspannen zu lassen – denn es wird im Wortsinn mit dem Feuer gespielt. Dieses Motiv der Nicht-Zusammenarbeit mit den Behörden haben die Genossinnen der autonomen gruppen auch klar formuliert – das unterstützen wir voll & ganz. Genauso wollen wir Euren Appell aufgreifen, „den personalengpass der bullen zur wm auszunutzen und hartz 4 und repressionsorgane anzugreifen“.
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!
militante gruppe (mg), 03.06.2006