Zum Interim-Vorwort der Nr. 611 vom 10.2.2005
Eure Nachfrage an uns, „Licht Ins Dunkle“ zu unserem letzten Anschlag auf einen LIDL-Neubau am 10.1.2005 zu bringen, ist völlig gerechtfertigt. Wir können die in Teilen mysteriösen Umstände um unsere letzte militante Aktion allerdings auch nicht ganz aufklären. Vorweg: unsere Anschlagserklärung zu LIDL. hat zweimal offensichtlich nicht die postalischen (Irr-)wege bis zu Euch geschafft. Wir versuchen es weiter.
Wir haben ebenso wie alle, die die Pressemeldungen von unserem Brandanschlag auf einen LIDL-Neubau verfolgt haben, folgendes gelesen: „Ein Lüftungsmonteur hatte gegen 2.25 Uhr einen Knall gehört, den Ausbruch des Feuers bemerkt er erst als die Flammen aus dem Dachgebälk schlugen“ (Berliner Morgenpost, 11.1.2005). Das war unser Kenntnisstand, den wir aus der Presse entnommen haben. Uns war klar, dass wir darauf eine Antwort versuchen müssen zu finden, wieso sich ein Monteur in dem undurchsichtigen Baustellengelände aufgehalten haben soll. Unsere Gruppenabsprache ging zunächst in die Richtung, weitere Infos dazu einzuholen und in der nächsten Anschlagserklärung Stellung zu beziehen, sofern sich dazu irgendwas Konkretes sagen lässt, das über die lapidare Pressemeldung hinausgeht.
Nun sind wir u.a. durch Euch auf drei weitere Sachverhalte gestoßen, die die ganze Angelegenheit mehr und mehr in einem mysteriöses Licht erscheinen lassen: 1.) wird uns zumindest indirekt ein weiterer Brandanschlag in der selben Nacht auf ein Finanzamtsgebäude in Kreuzberg ans Bein gebunden, 2.) wird behauptet, daß es sich bei der mg und den Genossinnen der Militanten Antiimperialistischen Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney – um eine „teilidentische Gruppierung“ (?) handeln soll und 3.) sind in den letzten Monaten gegen die linksradikale Szene Observationen seitens des BKA massiv ausgeweitet worden, die angeblich uns gelten sollen. Wir mahnen zur äußersten Aufmerksamkeit!
Alles zusammengenommen liest sich das wie eine ausgemachte Crime-Story mit dem i-Tüpfelchen, dass wir einen toten Arbeiter billigend in Kauf nehmen würden.
Der Reihe nach: Mit dem Zündeln an diesem Finanzamtsgebäude haben wir nichts zu tun, wir erklären uns zu unseren Aktionen. Wir bitten Leute, die militante Aktionen durchführen, an den „Tatorten“ nicht unser Gruppenkürzel zu hinterlassen, sondern eigenständig oder im Rahmen der Vorschläge in der Militanzdebatte Erklärungen abzugeben. Die BKA-Kiste, dass wir und eine andere Gruppe mehr oder weniger eine Soße seien, ist der durchsichtige Versuch, verschiedene militante Aktionen von Gruppen, die offensichtlich über eine große inhaltliche Übereinstimmung verfügen, unter ein Dach zu packen. Damit ließen sich evtl. festgenommene GenossInnen natürlich mit viel drakonischeren Urteilen wegschließen. Das noch einmal erhöhte Fahndungsaufkommen gegen uns als Gruppe zeigt vor allem, dass unterbeschäftigte Sesselpfurzer aus dem Ressort „Gewalttätiger Linksextremismus“ wohl einen Popanz aufbauen müssen, um Arbeitsnachweise der Chefetage vorlegen zu können.
Kommen wir nun zum eigentlichen Kern: Wir haben bspw. in unserer Anschlagserklärung gegen das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt von „revolutionärer Ethik“ gesprochen. So etwas posaunen wir nicht einfach heraus, sondern wir meinen damit dass es ein zentrales Motiv jeder militanten Aktion sein muss, vor allem die körperliche Unversehrtheit von Unbeteiligten zu schützen. Wir haben deshalb beim Angriff auf das OLG den Brandsatz an einem Punkt am Gebäude platziert, an dem keine Gefährdung für die sich in einem separaten Flügel befindliche Hausmeisterwohnung bestand. Dieser Grundsatz ist auch völlig logisch, weil jedes (bewusste) Abweichen von diesem in einer Diskreditierung des gesamten revolutionären Widerstandes enden kann.
D.h:, auch bei unserer LIDL-Aktion haben wir nach diesem Grundsatz gehandelt. Hätten wir etwas von Bautätigkeiten nachts um halb drei mitbekommen, wäre auch wegen »der Eigengefährdung der Brandanschlag nicht durchgeführt worden. Wir können zu unserem exakten Vorgehen vor Ort wegen der „ermittlungstaktischen Maßnahmen“ der Gegenseite nichts weiter ausführen. Wir können nur soviel sagen, dass in den Vorfeldrecherchen niemals zu den fraglichen Tageszeitpunkten Bautätigkeiten festgestellt worden konnten. Auf diese Recherchen haben wir uns am Tag X gestützt.
Für uns bleibt die Existenz des Monteurs erst einmal eine sich auf BKA-Aussagen stützende Behauptung. Die Geschichte ist voll von Counter-Aktionen, um den revolutionären Widerstand über den Weg der „psychologischen Kriegsführung“ den Garaus zu machen: Sprengstoffanschläge auf westdeutsche Hauptbahnhöfe Anfang der 70er Jahre, für die die RAF verantwortlich gewesen sein soll, Stammheimer Todesnacht, Abstellen präparierter „Nobelkarossen“ in der Hochphase der Gruppe Klasse gegen Klasse in Kreuzberg etc.
Wir sind aber keine AnhängerInnen von Verschwörungstheorien, deshalb weichen wir dem möglichen Faktum nicht aus, dass sich ein Monteur zum Zeitpunkt des Zündens des Brandsatzes auf dem Areal der Baustelle befunden haben könnte. Hier sind zwei Varianten denkbar, eine uns weniger und eine uns mehr belastende: 1.) der Monteur trat zwischen dem Zeitraum des Ablegens und des Zündern des Brandsatzes seine Arbeit an, und aufgrund dessen konnten wir bei der Begutachtung des Geländes vor dem „zur Tat schreiten“ nichts von Baumaßnahmen o.ä. registrieren; 2.) der Monteur hat sich tatsächlich während der ganzen Zeit für uns unbemerkt in irgendeinem Winkel der Baustelle (angeblich auf dem Dachboden) befunden.
Wenn der zweite Fall, der hypothetisch ist, aber von uns nicht beweiskräftig ausgeschlossen werden kann, zutreffen sollte, dann liegt die Verantwortung für die sich als unzureichend herausgestellte Vorbereitung der Aktion allein bei uns. Uns wäre in diesem Fall zum einen nicht genug bewusst gewesen, dass die Arbeitsbedingungen derart dereguliert sind, dass in einer Nacht von Sonntag auf Montag um halb drei von Einzelnen Arbeiten verrichtet werden. Zum anderen hätten wir zu wenig vorab reflektiert, dass auf unwegsamen Baustellen Handwerker überall zugegen sein können.
Es kommt in einem solchen Fall immer lakonisch rüber, aber wir wollen uns bei dem Lüftungsmonteur aufrichtig dafür entschuldigen, dass wir durch unsere eigene Fahrlässigkeit eine persönliche Gefährdung verursacht haben. Ob man uns das abnimmt oder nicht, vor dem Hintergrund unserer eigenen Ansprüche liegt uns das schwer im Magen, wenn wir möglicherweise wegen Unachtsamkeit Unbeteiligte erheblichen Gefahren ausgesetzt haben sollten. Paradox ist der ganze potentielle Vorfall auch deshalb, weil wir penibel darauf geachtet haben, nicht durch das Abfackeln eines bereits geöffneten LIDL-Marktes (prekäre) Arbeitsplätze in Schutt & Asche zu legen. Das hätte man, so unsere Überlegungen, sehr zu unserem Nachteil ausschlachten können.
Wir möchten abschließend noch zwei Punkte hervorheben, die sich aus dem Gesagten für uns als revolutionäre Linke herausziehen lassen: 1.) ganz allgemein müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass das Hantieren mit Brandsätzen eine verdammt gefährliche Angelegenheit ist, da niemals im Vorfeld alle Eventualitäten berechnet werden können, welche (Ab-)Wege Feuer nehmen kann. Wir denken dabei an ein Jahre zurückliegendes Beispiel aus der Rubrik „Wagensportliga“, wo neben einer angesteckten „Bonzenkarre“ ein Wohnmobil parkte, in dem sich eine schlafende Person befand. Im Zuge der Anti-Castor-Proteste wurden nach dem Fall der Verletzung eines Lokführers durch einen Hakenkrallenanschlag diese fortgesetzt. Diese Anschlagsform kam für uns nie in Betracht, da hier ein Objekt attackiert wird, in dem sich definitiv Menschen befinden; 2.) Ein Beispiel aus der Frühzeit des bewaffneten Kampfes belegt, dass es keine Garantie gibt, dass es trotz aller Planungen nicht doch zu katastrophalen Begebenheiten kommen kann, die jeder Phantasie trotzen. Wir denken da an einen geplanten Sprengstoffanschlag der Bewegung 2. Juni auf den britischen Yachtclub in Westberlin von 1972. Der Sprengsatz wird von einem Bootsbauer zufällig gefunden, der, wie Männer so sind, will wissen, was sich in dem entdeckten Ding befindet, er meißelt es auf, und es kommt zur Explosion mit Todesfolge.
Wir wollen damit sagen, dass der „Fall“, der sich um unsere letzte Aktion rankt, neben dem entstandenen Sachschaden, etwas „Gutes“ hat. Er hat uns nochmals eingebläut, das jeder Fahrlässigkeit und jeder zur Routine erstarten Aktionsvorbereitung/-durchführung unerbittlich entgegengetreten werden muss. Diese Lektion sollte bei uns allen angekommen sein ...
militante gruppe (mg), 15. 02. 2005