clandestino zu mg
Die mg hat in ihrem interview (radikal 158) eine vorläufige Bewertung der bisherigen Debatte über die so genannte „militante Plattform“ und militante Politik vorgenommen. sie resümiert: „wir sind keine Phantast/innen und wissen, dass unter diesen Bedingungen nix mit einer militanten Plattform werden kann, die sich primär über eine Kontinuität der Diskussion und Aktion koordiniert.“ vorher äußern sie ihre Enttäuschung darüber, dass einige Zusammenhänge ihr Interesse an dieser Debatte signalisiert hätten, sich aber inzwischen von der politischen Bildfläche verabschiedet haben ,oder sich jedenfalls nicht mehr wahrnehmen lassen, die Debatte über militante Politik würde. trotzdem jetzt in „die Zielgerade“ geführt werden.
Warum zusammenhänge aus der Diskussion ausgestiegen sind, die sie angeblich für politisch richtig finden und auch inhaltlich unterstützt haben, wissen wir nicht. wir jedenfalls hatten uns daran nicht weiter beteiligt, weil wir die von der mg vertretenen politischen Grundsätze und Einschätzungen in vielen punkten für falsch halten (clandestino in interim Nr. 552). wir haben bereits im Papier „clandestino – für eine Wiederentdeckung militanter Politik“ (interim 502) mehrere Grundlinien für eine Auseinandersetzung über Militanz zur Diskussion gestellt.
Nachdem inzwischen ein paar Jährchen vergangen und die Textproduktion der mg gewaltig ist, können wir unsere in der interim 552 grob skizzierte Kritik weiter konkretisieren, als grundlegenden Fehler der mg erkennen wir einen Theorie-Fetischismus, der sich vor allem aus orthodoxen kommunistischen Ansätzen speist und mit Versatzstücken sozialrevolutionärer Konzepte garniert ist. Die praktizierte Militanz der mg jenseits der Papierebene scheint im Verhältnis hierzu lediglich legitimierenden Charakter zu haben.
Das von der mg verwandte Begriffsinstrumentarium stammt in den entscheidenden punkten aus der klassischen marxistischen Theorie (z.b. Klassenkampf, Partei, Vermassung) und sie betreibt Etikettenschwindel, wenn sie die von ihr gewollte Parteistruktur als eine art „Koordinationszentrum“ der unterschiedlichen Widerstandsschienen bezeichnet. begrifflich zurückrudern gilt nicht. da hilft es auch nicht, wenn die mg das künftige Politbüro ihrer Wunschpartei als „ideologischen und strukturellen kitt“ vernebelt. Nach allen geschichtlichen Erfahrungen mit kommunistischen oder sozialistischen Parteistrukturen ist dies mit kommunistischen herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen gleichzusetzen.
Hier prallen völlig unterschiedliche Verständnisse von revolutionärer und emanzipatorischer Politik aufeinander, der autonome, nicht parteilich strukturierte widerstand ist eben das aus vielen Erfahrungen abgeleitete Organisationsmodell als alternative zur notwendigerweise immer hierarchischen Parteiform.
Hier erkennen wir einen unüberbrückbaren Bruch zwischen den verschiedenen politischen Konzepten. der mg ist hier allerdings der Vorwurf der Geschichtsblindheit zu machen, während autonome militante Politik sich bisher zwar nicht ausreichend entwickelt darstellt, aber zumindest keine neuen kommunistischen Herrschaftsstrukturen auf gesellschaftlicher ebene hervorgebracht hat.
Die Eigendefinition der mg, wonach sie „die Synthese eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes auf kommunistischer Grundlage“ sind, erscheint so als versuch, diese Unterschiedlichkeit zu verschleiern, gleichzeitig versucht sie dadurch, eine Gleichberechtigung der in der Synthese enthaltenen politischen Konzepte vorzuspiegeln und damit autonome, sozialrevolutionäre zusammenhänge politisch zu vereinnahmen. Autonome sozialrevolutionäre Politik auf der Basis einer kommunistischen Parteistruktur ist allerdings eine absurde Vorstellung.
Im Verlauf der Debatte ist die antiimperialistische Haltung der mg immer deutlicher geworden. Möglichweise ist darin ein Faktor für die Nichtbeteiligung weiterer militanter Zusammenhänge und auch den Rückzug früher zustimmender Gruppen zu sehen, diese Entwicklung wird aktuell überdeutlich in der Anschlagserklärung der mg zu Renault in Solidarität zu den gefangenen der action directe (interim 631). darin werden gescheiterte politische Konzepte vom Aufbau einer auch bewaffnet kämpfenden westeuropäischen antiimperialistischen Front in damals üblicher Antiimp-Sprache wiedergekaut (siehe Frontpapier raf/ad v.01/1985). oder ist die Erklärung etwa das Resultat der von der mg in ihrem interview angekündigten genaueren Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen?
Zum legitimierenden Charakter der militanten Praxis der mg im Hinblick auf die beeindruckende Theoretisierungs- und Wiedergabemaschinerie können wir auf die Diskrepanz beider Ebenen hinweisen, wer permanent von tollen Widerstandsmodellen bis hin zum bewaffneten Kampf fabuliert und dann militante Aktionen auf autonomen Durchschnittsniveau präsentiert, ist vor allem Theoretiker/in und wird auch vor allem als solche wahrgenommen.
Nicht nur unsere Erfahrungen mit militanter Praxis stellen sich anders dar, als darin lediglich „Versicherungsahngelegenheiten“ zu sehen, wie es die mg ausdrückt, die eine sinnvolle militante Praxis erst im revolutionären Klassenkampf erkennen kann, hier ist beispielsweise auf vielfältige Antifaaktionen hinzuweisen, die direkten politischen gebrauchswert haben. so kann dadurch das öffentliche auftreten von Nazis behindert und verhindert und ihre Infrastruktur beeinträchtigt werden.
Auch zur Frage, inwieweit auf subjektiver ebene Faktoren entscheidend sind für eine Politisierung hin zu militanter Praxis, gibt die mg keine Anstöße, geschweige denn antworten – im Gegenteil wird diese grundlegende politische Fragestellung ignoriert und Ansätze dazu, wie z.b. von uns als unpolitisch denunziert und ins lächerliche gezogen (mg in interim 555).
Bei der inhaltlich reduzierten Vorstellung der mg von Politisierung und Radikalisierung, wonach es von der theoretischen Erkenntnis kapitalistischer Ausbeutung zur illegalen militanten Praxis ein fast schon automatischer sei (siehe Interview mg), verwundert das nicht.
Dieses Defizit in der Auseinandersetzung mit militanter Politik und ihren Entstehungsbedingungen verhindert eine Diskussion über die eigenen Knackpunkte der Radikalisierung hin zu militanter Politik, auf der subjektiven ebene gibt es eben keine „wissenschaftlich“ hergeleiteten Kriterien, auch wenn marxistische Theorien davon ausgehen mögen. Aufgrund gleicher objektiver Faktoren gehen einzelne Subjekte völlig unterschiedliche Wege: Entpolitisierung oder Politisierung und Radikalisierung.
Abschließend hoffen wir, dass die mg auf ihrer zielgerade in ihrer militanten Debatte doch noch die kurve kriegt und sich von ihrer abgehobenen und realitätsfernen Diskussionsebene verabschiedet.
Nach wie vor halten wir eine genaue Debatte über die Verbreiterung von militanter Praxis und militanter Politik für absolut notwendig. hierfür war die von der mg bestimmte Diskussion bisher nicht besonders hilfreich.
clandestino, März 2006