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Januar 2002 | revolutionaere aktion carlo giuliani

Interim Nummer 542, 24. Januar 2002, Seite 27 bis 29

Diskussionsbeitrag der
revolutionaeren aktion carlo giuliani

Liebe Genossinnen & Genossen:

Im Folgenden wollen wir einen Beitrag für eine hoffentlich konstruktiv werdende Diskussion unter den militanten Gruppen (&denen die es werden wollen) leisten. Wir traten erstmals am 20.8.2001 durch unseren Angriff auf eine Daimler-Niederlassung in Magdeburg in Erscheinung. Unsere Aktion war ein militanter Beitrag zum gad. Wir wollten einerseits unserer Wut freien Lauf lassen & uns andererseits auf die Aktionen der „militanten gruppe“ & deren Forderungen beziehen. Denn auch unserer Meinung nach kann militantes Intervenieren nur erfolgreich sein, wenn sich mehrere Komponenten ergänzen. In wechselseitiger Beziehung zu einander stehen. Kontinuierliche Diskussionen führen & gemeinsam agieren. Um diesen Überlegungen eine diskutier- & kritisierbare Form zu geben, haben wir das folgende Papier ausgearbeitet. Es ist Ergebnis der Diskussionen in unserer Gruppe & entstand vor erscheinen des Diskussionspapier der mg (Interim 539). Obwohl sich viele Aspekte überschneiden, haben wir uns doch dazu entschieden unseren Text unverändert zu veröffentlichen.

„Wir, das heißt an diejenigen, die von diesem Staat nicht mehr vereinnahmbar sind, müssen begreifen lernen, dass wir angesichts eines bis an die Zähne bewaffneten Staat in der Durchsetzung unserer Bedürfnisse & Interessen auf bewaffnete revolutionäre Gruppen nicht verzichten können. Wir müssen uns heute darüber im Klaren sein. Dass wir an einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit diesem Staat nicht vorbeikommen. Das muss als politische Notwendigkeit – und allerdings nicht als Fetisch – begriffen werden.“ (Genossen von 2. Juni)

Wir sind eine militante Gruppe aus den neuen Bundesländern, die seit mehreren Jahren in unserer Region militante Politik betreibt, unsere Gruppe entstand einerseits aus dem subjektiven Bedürfnis heraus, dass wir uns wehren woll(t)en gegen diese Verhältnisse, in denen wir gezwungen sind zu leben. Gegen all die Schweine, die uns das Leben schwer machen. Andererseits wissen wir auch, dass sich Herrschaft (in welcher form auch immer) nicht von allein auflöst, sondern von uns Menschen zerschlagen werden muss. Aus diesem Grund erkennen wir die Notwendigkeit kämpfender Strukturen. Und da diese Erkenntnis nichts Neues ist, sondern vielmehr schon immer Bestandteil revolutionärer Politik war & ist, bleibt es unsere Aufgabe die Geschichte & Erfahrungen von Gruppen wie RAF, 2. Juni. rz, kgk, autonome zellen usw. aufzuarbeiten. Weiterzuentwickeln & für eine zukünftige Praxis nutzbar zu machen.

Das ist auch Ziel dieses Textes. Wir wollen eine Diskussion anstoßen, die genau darauf abzielt. Nur durch eine solche Diskussion schaffen wir es gemeinsam aus der autonomen Kleingruppenmilitanz auszubrechen, der Linken wieder einen (scharfen!!!) Zahn zu verschaffen & langfristig eine Alltagsguerilla zu entwickeln.

„Was wir wollen ist die Gegenmacht in kleinen lernen organisieren, die autonom in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen arbeiten, Kämpfen, intervenieren, schützen, die Teil der politischen Massenarbeit sind.“ (revolutionaerer zorn 1/mai 75)

Warum wir perspektivisch für einen gemeinsamen Namen & gemeinsame Stossrichtung(en) sind.

In den letzten Jahren waren die vereinzelten Aktionen militanter Gruppen, wenn überhaupt nur regional & zumeist szeneintern wahrnehmbar. nur Aktionen, die sich aufeinander bezogen & im Kontext einer Bewegung standen (zb. zu den Castor-Transporten) fanden mehr Beachtung. Grundlegend für ein erfolgreiches Intervenieren (mit längerfristiger Perspektive) ist unserer Meinung nach jedoch auch ein einheitlicher bzw. gleich bleibender Name. Auch wir haben in der Vergangenheit aus Sicherheitsgründen mit wechselnden Aktionsnamen agiert. Mit der Zeit stießen wir damit jedoch an Grenzen, die uns hemmen. Widererkennung & Identifizierung mit der Politik unserer Gruppe war so nicht zu erreichen.

Ebenso erhöht ein gemeinsames Vorgehen unter den militanten Gruppen die (Außen-)Wirkung & den Druck auf die Schweine enorm & nur dadurch entwickeln wir Gegenmacht mit Anziehungs- & Durchsetzungskraft. Aus diesen Gründen sollten wir (militanten Gruppen) durch kontinuierliche Diskussionen längerfristig gemeinsame Stoßrichtung(en) & einen gemeinsamen Namen, sprich eine Organisierung anstreben.

Natürlich kommt dabei nur eine Organisierung nach autonome zellen-/rz-prinzip in Frage. Zum einen, weil wir weder die bestehenden Gruppen, noch die neu entstehenden Gruppen kennen & kennen wollen. Zum anderen ist dies auch die sicherste form der Organisierung.

„das meint auch die Parole: schafft viele revolutionäre Zellen! Sie ist politisch richtig, weil sie auf der Autonomie, der Eigeninitiative & jeweiligen Verankerung der eigenen Zelle aufbaut & sie ist sicherheitspolitisch richtig, weil allein eine Organisation, die auf selbständig operierenden Gruppen aufbaut, in einem totalitären Überwachungsstaat die Chance hat, nicht aufgerollt & zerschlagen zu werden“ (revolutionärer zorn 4/ januar 78)

Wie stellen wir uns dieses Konzept in der Praxis vor?

Voraussetzung für dieses Konzept sind jedoch gemeinsame politische Grundlagen, die alle tragen können. Diese politischen Grundlagen sehen wir ansatzweise im „militant manifesto“ (interim 538) formuliert. Es ist eine Möglichkeit Orientierungspunkte & dadurch einen Vereinigungspol zu schaffen. Wir können die dort genannten Punkte tragen & natürlich ist es auch Aufgabe der militanten Gruppen eine Diskussion zur Neubestimmung & -Formierung revolutionärer Politik mitzugestalten & voranzutreiben.

Im Folgenden wollen wir dieses Manifest noch mal ins Gedächtnis rufen:

  1. Unser Ziel: Die Herrschaft von Menschen über Menschen beenden, gleich ob sie ökonomisch, geschlechtlich, ethnisch, religiös ist.
  2. Unser Weg: Die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Wir sehen darin einen Prozeß, der weder von heute auf morgen stattfinden kann noch lokal isoliert, insbesondere nicht in den eng verflochtenen Metropolen.
  3. Wir bekennen uns zur Vielfalt der Programme. Die Erfahrung der gescheiterten „großen Pläne“ und Vereinheitlichungen des 20.Jahrhunderts führt uns zu einem globalen Prozeß der Kommunikation, des Versuchens und Voneinander-Lernens, um eine bessere Welt vorstellbar zu machen. Dazu gehören auch Konflikte, denen wir uns stellen müssen und wollen.
  4. Wir anerkennen keine disziplinierende Vorherrschaft einer Partei oder vergleichbaren Organisation. Die „reine Lehre“ gibt es nicht.
  5. Wir wollen die Macht zersetzen. Wir möchten weder an der heutigen Macht teilhaben – wie manche reformerische Projekte, etwa NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) – noch die Macht für uns erobern – wie die alten hegemonialen Partei-Apparate. Wir mißtrauen allen Funktionären, die auf diese Weise vor allem persönliche Macht erobern. Doch wir betrachten die Menschen, die sich dort engagieren, nicht als GegnerInnen, sondern als BündnispartnerInnen, die wir von unserer Idee überzeugen möchten.
  6. Selbstbestimmte Basisorganisationen bzw. -gruppen und deren überregionale Vernetzung betrachten wir als beste Grundlage für befreiende Prozesse bei den Einzelnen und in der Gesellschaft insgesamt.
  7. Unsere Aktionsformen lassen wir uns nicht diktieren, auch nicht von BündnispartnerInnen. Aber wir respektieren Kritik und das Bedürfnis anderer, ihre eigenen Aktionsformen verwirklichen zu können.
  8. Zu unseren Aktionsformen gehört auch die Anwendung politischer Gewalt. Sie ist für uns ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Mittel im politischen Kampf. Solange die revolutionären Kräfte schwach sind, ist politische Gewalt ein symbolisches Mittel der Propaganda und kann keine Machtfrage stellen. Sie ist kein Selbstzweck, sondern taktisches Mittel. Sie ist nicht identisch mit Militanz – unsere Militanz äußert sich auch in vielen anderen Bereichen, in unserem täglichen Leben, in unserer politischen Arbeit, in Medien, Gruppen, Zentren, usw.
  9. Politische Gewalt ist nicht indifferent. Sie schließt eine Vielzahl von Möglichkeiten ein, vom aktiven zivilen Ungehorsam bis zu bewaffneten Aktionen. Sie ist stets an ein gesellschaftliches Umfeld, an den Kampf um Begriffe und Deutungen, geknüpft. Welche Form welcher Situation angemessen ist, müssen diejenigen entscheiden, die sich der Situation gegenübersehen.
  10. Die Anwendung politischer Gewalt bedeutet daher die Übernahme einer hohen Verantwortung für sich selbst wie für andere. Sie darf nie terroristisch, d.h. gegen Unbeteiligte gerichtet sein. Unbeteiligte sind für uns aber nicht diejenigen, die das Herrschaftssystem gewaltsam verteidigen, als Polizisten, Politiker oder Militärangehörige; ebensowenig diejenigen, die die Herrschaftsstrukturen noch verschärfen wollen, als Faschisten, Rassisten, Sexisten; und letztlich auch nicht die „oberen Zehntausend“, die Menschheit und Natur in ihrem Privatbesitz wähnen.
  11. Wir übernehmen Verantwortung für unsere eigenen Taten, für Erfolge wie für Fehler und Unzulänglichkeiten. Je mehr wir zusammenkommen und uns miteinander austauschen, desto schwerer wird es sein, unsere Aktionsformen durch Provokationen von außen oder eingeschleuste Agenten zu beeinflussen.
  12. Wer politische Gewalt anwendet, muß sich stets fragen lassen können – auch von GegnerInnen! – inwieweit das eigene Handeln moralisch und politisch vertretbar ist. Wir wissen: Begrenzte Auseinandersetzungen heute wie revolutionäre Umwälzungen (irgendwann) morgen sind kein Krippenspiel. Sie gehen einher mit Fehlern und Irrtümern, mit Aggression und Opfern. Das spricht aber niemanden davon frei, die eigenen Handlungen am Respekt für das Leben und an der politischen Moral einer möglichen besseren Welt zu messen.

Wir meinen, dass dieses Manifest eine ungeheure Chance ist, die Zersplitterung der radikalen Linken zu überwinden. Es kann sich zu einem Orientierungspunkt entwickeln, an dem sich Gruppen aus allen Bereichen organisieren könnten, denn nur gemeinsam ist eine revolutionäre Perspektive vorstellbar.

„Die Aufsplitterung der Linken in aberdutzende Gruppen hat es den Herrschenden verdammt leicht gemacht, sie zu isolieren, die Gefährlichkeit des gemeinsamen Aufbegehrens der Straße zu paralysieren. (...)

(...) wir kommen alle nicht aneinander vorbei. Warum sollten wir auch? Wenn wir weiterkommen wollen. werden wir uns gezwungen sehen, endlich einmal wieder zu dem punkt zu finden, wo widerstand nicht mehr von Widerstand zu trennen ist, wo Genossen es nicht nötig haben, verschiedene Formen von Widerstand auseinanderzudividieren.“ (Genossen vom 2. Juni)

Aufgabe der militanten Gruppen ist es daher auch, diesen Vereinigungsprozess zu fördern. die eigenen Erfahrungen & Positionen einfließen zu lassen & sich in die (hoffentlich!!!) neuentstehende Bewegung zu integrieren.

Im Folgenden noch zwei Zitate aus dem revolutionären zorn 6 (Januar 81), die wir als Konsens unter den militanten Gruppen vorschlagen:

1. „wir stimmen mit der Bewegung 2. juni darin überein, dass wir eine populäre Guerilla wollen. Eine Guerilla, deren Aktionen verstanden werden, die die Sympathie des Volkes genießt. Ohne dabei opportunistisch zu werden. Prinzip unserer Aktionen ist deshalb, dass sie ausgehen von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen an denen wir beteiligt sind, dass sie an den dort geführten politischen Auseinandersetzungen anknüpft, dass sie unter der Fragestellung „bringen sie die Bewegung weiter“ bzw. „verschärfen sie die Widersprüche“ eindeutig bestimmbar sein müssen. (...) auch deshalb ist es für uns wichtig, entsprechend unserer persönlichen Möglichkeiten in legalen Gruppen mitzuarbeiten. gerade dadurch erhalten wir die Rückkoppelung unserer Aktionen, können Fehler in unserer Einschätzung korrigieren & unsere Politik nach außen vertreten.“

2. „Unser ziel ist & war die Verbreitung des bewaffneten Widerstand. War & ist die Unterstützung eines Netzes autonomer Gruppen. Die als bewaffnete Tendenz innerhalb der Bewegung in ihren Städten & Regionen aus sich heraus aktionsfähig sind. Die dort mit den Methoden der Subversivität Widersprüche forcieren & auf den unteren Gliederungen des Machtgefüges intervenieren, die also das Handlungsarsenal der legalen Linken um ihre Möglichkeit der Sabotage, der Bestrafung, der Gegenwehr, der Eroberung von Lebensmöglichkeiten erweitert.“

So. Das soll es von uns vorerst gewesen sein. Bleibt nur zu sagen, dass die hier dargelegten Positionen nur einen Bruchteil unserer Überlegungen & Ideen widerspiegeln. Soweit daran Interesse besteht, wollen wir unsere konzeptionellen & strategischen Vorstellungen sowie deren Hintergründe im Weiteren verlauf der (hoffentlich!) geführten Debatte zur Diskussion stellen.

Diskutiert dieses Papier in eurer Gruppe. Kritisiert & zerfetzt es. Bringt eure eigenen Ideen aufs Papier & stellt sie zur Diskussion!!!

Für eine militante Offensive! Den revolutionären Widerstand organisieren!!!

p.s.: an die genossen von m.g.:

Wir haben uns tierisch über eure Initiative zur gemeinsamen Diskussion gefreut, weil auch wir der Meinung sind, dass diese längst überfällig war & ist. Eure Positionen können wir fast zu 100% teilen. Magenschmerzen bekamen wir nur bei eurer Anspielung auf Partei-Apparate. Kritik haben wir daran, dass ihr kaum konkrete & kritisierbare Vorschläge gemacht habt. Wir würden uns freuen, mit euch über die Frage „Wie ist ein revolutionärer Prozess vorstellbar & welche Rolle spielt militante & bewaffnete Politik in diesem?“ diskutieren zu können. Sorry, dass es so lange gedauert hat.

Mut, Kraft & Liebe Genossen!!!

revolutionaere aktion carlo giuliani, Januar 2002