Selbstportrait einer militanten Gruppe – Anfangen, aber nicht um jeden Preis
Mit dem Entschluss, ein Papier über unsere Entstehung, Beweggründe und Vorstellungen zu verfassen, wollen wir die Initiative des radikal-Textes E.I.N.I.G.E. G.E.D.A.N.K.E.N. Z.U.M. K.O.M.I.T.E.E.K.O.N.Z.E.P.T. U.N.D. Z.U.R. S.I.T.U.A.T.I.O.N. L.I.N.K.S.R.A.D.I.K.A.L.E.R., M.I.L.I.T.A.N.T.E.R. G.R.U.P.P.E.N. (Nov. ’'95, Nr. 153) aufgreifen. In diesem wird eine Auseinandersetzung mit den Aussagen und Thesen zur Situation militanter Politik eingefordert. Die radi-Initiative, die unter dem Eindruck des Staatsschutzangriffs vom 13.6.95 und der Selbstauflösungserklärung des K.O.M.I.T.E.E.s vom 6.9.95 nach dem gescheiterten Anschlag auf den damals im Bau befindlichen Abschiebeknast in Berlin-Grünau eingebracht wurde, legt einen Grundstein für einen neuerlichen Diskussionsversuch zum Themenkomplex Theorie und Praxis militanter Politik in der BRD. Wir denken, dass diese Diskussion vor dem Hintergrund der nach ’89 in der BRD – sicherlich nur begrenzt – geführten Auseinandersetzungen um Ausgangsbedingungen, Interventionsmöglichkeiten und Zielsetzungen von militantem Vorgehen zu führen ist Sowohl die vornehmlich innerhalb der RZ geführte Diskussion nach der Veröffentlichung des Papiers „Gerd Albartus ist tot“ (Dez ’91), die Kontroversen um die AIZ-Politik sowie die Beurteilungen der RAF-Zäsur im April ’92 mit dem nachfolgenden Bruch zwischen der Mehrheit der Gefangenen und der RAF, als auch die Folgen von Bad Kleinen im Juni ’93 bieten unmittelbare Anknüpfungspunkte für einen weiteren Diskussionsanlauf.
Mit diesem Papier wollen wir uns als ein über mehrere Jahre kontinuierlich arbeitender militanter Zusammenhang mit unseren Erfahrungen, Kenntnissen und Positionen in den von der radi eröffneten Dialog einbringen und uns als Zusammenhang von Männern explizit kenntlich machen. Da die Selbstauflösungserklärung des K.O.M.I.T.E.E.s eines der wenigen Beispiele darstellt, konkrete Erfahrungsberichte und Einblicke in Gruppenprozesse von militanten Strukturen im Rahmen des Möglichen zu schildern, sind unsere Ausführungen auch als späte Reaktion auf ihre Stellungnahme zu verstehen. In der Regel erscheinen gerade Textbeiträge von militanten und/oder bewaffneten Gruppen als glatte, widerspruchslose und von allen gleichermaßen geteilte Positionen. Wir können aus unserer eigenen Erfahrung behaupten, dass dies eher ein konfliktfreies Trugbild für Außenstehende schafft, als den realen Meinungsbildungsprozess eines Kollektivs widerzuspiegeln. Da unser Beitrag aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung resultiert, ist er passagenweise von gegenseitigen Zugeständnissen geprägt. Wir können uns einen gruppeninternen Austausch über Grundsatzfragen auch kaum anders vorstellen. Entscheidend ist, dass ein für alle tragfähiger Nenner gefunden wird, der zur Intervention in die HERRschende Politik befähigt. Das hier vorliegende Zwischenresümee unserer bisherigen politischen Arbeit haben wir in fünf Kapitel gegliedert Anfangs werden wir versuchen, einen Eindruck von unserem Gruppeninnenleben zu vermitteln. Eine Darlegung unseres theoretischen und inhaltlichen Selbstverständnisses folgt dem ersten Abschnitt. Anschließend werden wir zu Motiven und Wirkungen von militanter Praxis Stellung beziehen, um uns daran anknüpfend mit verschiedenen Organisierungskonzepten von militanter Politik zu befassen Zum Abschluss werden wir die Kernpunkte der vorangegangenen vier Kapitel in ein Fazit münden lassen.
I. Gruppeninnenleben und Binnenstruktur:
Sowohl allgemeine als auch konkretere Aussagen über militante Gruppen, die über Entstehungsbedingungen, politische Außenwirkung, Organisierung und Strategie hinaus auch innere Schwierigkeiten und Widersprüche thematisieren, sind selten. Zwar gibt es Literatur und Berichte aus anderen Ländern, in denen militanter Widerstand viel breiter verankert ist und eher historisch gehaltene Analysen und Biographien bekannter RevolutionärInnen. Explizite Versuche, gruppeninterne Dynamiken, Widersprüche und Problemstellungen militanter Zusammenhänge nach außen zu tragen, wurden erst in den letzten Jahren unternommen und bilden eher die Ausnahme (Rote Zora-Broschüre „Mili’s Tanz auf dem Eis“, Prozeßerklärungen von Birgt Hogefeld).
War das zu hohe Risiko, der mögliche Schaden für das politische Ansehen und die Außenwirkung in solchen Gruppen dafür ausschlaggebend, dass solche Versuche nicht unternommen wurden, oder wurde es schlichtweg als überflüssig angesehen? Wir wissen es nicht. Wir wollen hiermit einen solchen Versuch unternehmen, zum einen weil wir denken, dass es ein Beitrag für die Entmystifizierung militanter Gruppen sein könnte, der hinter politischer Analyse und Aktion Individuen erkennbar werden läßt zum anderen ist es eine Möglichkeit, neue und ähnliche Erfahrungen, Schwierigkeiten und Widersprüche zu thematisieren, und sie transparent zu machen.
1. Ein allgemeines Entstehungsmuster militanter Gruppen:
Dem individuellen Entschluss, in einem klandestinen Zusammenhang zu agieren bzw. der Konstituierung von militanten oder bewaffneten Gruppen geht ein verallgemeinerbarer Prozeß voraus. Aus einem politischen Interesse und dem Wunsch heraus politisch zu handeln, werden Kontakte zu leicht zugänglichen legalen Strukturen gesucht, in denen die ersten Erfahrungen in der politischen Arbeit gesammelt werden. Es beginnt ein umfassenderer Politisierungsprozeß, aus dem eine oppositionelle Grundhaltung erwächst, die sich artikulieren will. Ist die politische Betätigung nicht nur ein Strohfeuer, sondern perspektivisch angelegt, gelangt die Umsetzung der oppositionellen Grundhaltung innerhalb des legal gewährten Rahmens bald an offensichtliche Grenzen. An einem solchen Punkt angekommen, entscheidet sich, ob die formulierten Ziele reduziert oder die entsprechenden Mittel erweitert werden. Wird die Realisierung der eigenen politischen Zielvorstellung einer grundlegenden Umwälzung der HERRschenden Verhältnisse als derart wichtig empfunden, dass sich für eine Mittelerweiterung entschieden wird, ist das überschreiten des legalen Rahmens geradezu unumgänglich. Das Aufhalten in einem entsprechenden sozialen Nahraum unterstützt und erleichtert die Überwindung innerer (z.B. moralische Bedenken) und äußerer (z.B. gesetzliche Vorschriften) Hindernisse. In solch einem Umfeld ergeben sich Gespräche über – und eventuell eine versuchsweise Praxis von normabweichenden politischen Methoden. Dies markiert den Anfang einer Kette von low-level-actions, die zunächst ohne unmittelbaren Erfolgs- und Rechtfertigungszwang sind, und einen experimentellen Charakter haben. Daraus resultiert eine vorbehaltliche Übernahme und Erlernung einer weitergehenden politischen Haltung. Durch die Wahrnehmung der mit dieser Haltung verknüpften theoretischen und vor allem praktischen Erwartungen in der Auseinandersetzung mit sich selbst und innerhalb der Gruppe verdichtet sie sich zusehends zu einer verinnerlichten Rolle. Die sich verfestigenden Ansichten und erprobten praktischen Verhaltensweisen bilden eine neue politische Identität aus. In diesem Stadium ist der Einsatz klandestiner und militanter Mittel zu einem wesentlichen Faktor politischer Artikulation und Bestandteil der eigenen Biographie geworden.
Dieser Konstituierungsprozeß militanter und/oder bewaffneter Gruppen ist nicht linear, bedeutet in jedem Stadium keine endgültige Entscheidung und ist jederzeit umkehrbar, wenn die gestellten individuellen oder kollektiven Erwartungen nicht erfüllt werden bzw. eine neuerliche Diskrepanz zwischen anvisiertem Ziel und verfügbaren Mitteln auftritt Die Rückkehr zu konformen politischen Ausdrucksformen oder der gänzliche Rückzug aus politischer Arbeit erfolgt in jedem Stadium unter anderen Bedingungen. Zu Beginn ist die Entscheidung für die Aussetzung, den Abbruch oder die Aufgabe militanter Politik leichter möglich als in einer späteren Phase, in der die individuellen und kollektiven Positionen für den Einsatz militanter Mittel reifen konnten und gefestigter sind.
Damit Durchführbarkeit, Sinnhaftigkeit und Gehalt militanter Politik hinsichtlich ihrer individuellen und kollektiven Bewertung gewährleistet sind, müssen mehrere Faktoren zusammenwirken:
Die Aneignung von inhaltlich-theoretischem Wissen, die Schaffung einer vertrauensvollen emotionalen Basis innerhalb der Gruppe, die Benennung politischer Handlungsschritte sowie die Fähigkeit zu deren praktischer Umsetzung und die Ausbildung einer organisatorischen Struktur. Dieses Muster ist nicht auf jeden Entwicklungsprozeß von militanten Gruppen ‚eins zu eins‘ übertragbar, zeigt aber die häufig zu durchlaufenden Stadien auf.
2. Nun aber zu uns:
Es war einmal vor ... Jahren irgendwo in der BRD, da trafen sich einige Leute zur Vorbereitung einer Aktion im Rahmen einer politischen Kampagne. Wir kannten uns untereinander nicht, hatten uns evtl. bei politischen Aktivitäten gegenseitig wahrgenommen. Der gemeinsame Nenner bestand aus diffusen inhaltlichen Vorstellungen von Ausbeutung, Unterdrückung und Widerstand. Das war für die erfolgreiche Planung und Durchführung einer Aktion erst einmal ausreichend. Keiner hatte einschlägige Erfahrungen in militanten Gruppenzusammenhängen, es gab lediglich ein Bewusstsein über mögliche Repressionsfolgen, die innerhalb von Diskussionen zu einer für alle praktizierbaren Aktionsform führten.
Innerhalb der nachfolgenden Diskussionen offenbarte sich ein sehr unterschiedlicher praktischer und theoretischer Hintergrund; und auch bezüglich der individuellen Vorstellungen über strategisch sinnvolle und durchführbare Widerstandsformen wurden die Unterschiede zwischen uns deutlich. Im Bemühen um Kollektivität wurde aus dem anfangs angestrebten geradlinigen Weg ein verschlungener Pfad, der von Brüchen, Veränderungen und Trennungen gekennzeichnet war. Im Zuge dessen gab es zum einen unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Zum anderen legten wir wechselndes Gewicht auf Theoriearbeit, die Aneignung von notwendigem Wissen und Fertigkeiten und auf militante Praxis. Und es ging sehr, sehr langsam voran, jedenfalls viel langsamer als wir anfangs gedacht hatten. Als Teilergebnis dieses Prozesses verdichteten sich die einzelnen Vorstellungen zu einem theoretischen Konzept, welches den triple-oppression-Ansatz, praktischen Internationalismus und Antiimperialismus zusammenbringen sollte. Dieses Konzept nahm mit einer vertieften inhaltlichen Auseinandersetzung und der sukzessiven Erweiterung verschiedener Aktionsformen zunehmend Gestalt an.
Von Anfang an war unser formulierter Anspruch, kollektive Willensbildung und Entscheidungsprozesse als wesentlichen Bestandteil unserer Gruppenstruktur zu entwickeln. Kollektivität bedeutet für uns eine Struktur innerer Beziehungen, die von sozialen, politischen, moralischen und psychologischen Kriterien beeinflußt wird: In diesem kollektiven Lernprozeß geht es darum, dass alle die Möglichkeit erhalten, gleichberechtigt Erfahrungen zu machen und diese auszudrücken. Alle Beteiligten sollen zu Analyse, praktischen Fähigkeiten und organisatorischer Aufrechterhaltung und Erweiterung befähigt werden. Wesentlich für das Wirken eines Kollektives sind eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zusammengehörigkeit, der Aufmerksamkeit und Verantwortung füreinander. Jeder tritt für die kollektiven Ziele und Interessen bewusst ein und trägt zur emotionalen Identifizierung mit dem Kollektiv bei.
Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigte sich sowohl innerhalb der Theoriearbeit als auch bei der Aneignung praktischer Fähigkeiten. Einige wenige nehmen in den jeweiligen Bereichen eine exponierte Stellung ein, weil sie mehr „wissen“ und dadurch Orientierungspunkte setzen. Indem sie inhaltliche und praktische Vorgaben machen, prägen sie die taktischen Schritte und die strategische Linie der Gruppe.
Trotz dieses Ungleichgewichtes, das bei der theoretischen und praktischen Arbeit immer wieder auftritt, ist für uns der kollektive Prozeß insbesondere dann gefährdet, wenn einzelne sich in den vertretenen Positionen oder Aktionsabläufen nicht wiederfinden oder einer arbeitsteiligen Institutionalisierung Vorschub geleistet wird, die einzelne von Verantwortung und Verbindlichkeit ausschließt.
Beispielsweise waren bei Aktionsvorbereitungen durch das konkrete Ziel und den begrenzten Zeitrahmen zwar alle dazu angehalten, einen Teil der Vorbereitung zu tragen, doch ließen die Lebensrealitäten der einzelnen dies nicht immer zu. Im Idealfall wurden Wissen, Erfahrungen und Einschätzungen im Kollektiv zusammengetragen, so dass daraus verbindliche Handlungsabläufe entstanden.
Die Phasen der Aktionsvorbereitungen sind und waren intensiv, jedoch auch mit Fehleinschätzungen verbunden. Ebenso wie vom K.O.M.I.T.E.E. beschrieben, erwies sich der anvisierte Zeitplan oft als zu knapp bemessen.
Unaufmerksamkeiten beim Auschecken von Objekten haben das eine oder andere Vorhaben sehr zurückgeworfen oder gar verunmöglicht. Versuche mit Aufbauten offenbarten Fehlerquellen und selbst die erfolgreichen Aktionen waren nicht fehlerfrei. Innerhalb dieses fortlaufenden Lernprozesses haben wir indessen Kenntnisse und Erfahrungen erworben, zudem Herangehensweisen und Handlungsabläufe erlernt und uns gegenseitig besser einzuschätzen gelernt. Jeder wählte bei einer Aktion die Aufgabe, die den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprach. Dies verschafft uns mittlerweile eine gewisse Sicherheit.
Es hatte zwar jeder während der gesamten Vorbereitungsphase von Aktionen die Möglichkeit, Ängste und Bedenken zu äußern, was unter Umständen bis zum Abbruch der Aktion führen konnte, aber dennoch müssen wir uns eingestehen, dass insgesamt wenig darüber geredet wurde, wie wir angemessen damit umgehen. Statt dessen mußten wir feststellen, dass Emotionen selten direkt benannt und zu formal berücksichtigt wurden. Wir erlebten Vorbereitungssituationen, in denen nach langen Diskussionen über die sicherste Vorgehensweise alle Schwierigkeiten ausgeräumt schienen, aber die personelle Besetzung riskanterer Aufgaben kompliziert war. Abläufe, die schon festgelegt erschienen, mußten wieder neu diskutiert werden Im Nachhinein wurde dadurch klar, dass die individuellen Ängste und deren Bewältigung zu wenig oder nur auf sehr formaler Ebene thematisiert wurden, beispielsweise dadurch, dass die Diskussion über den sichersten Fluchtweg dahingehend funktionalisiert wurde, dass die eigentlichen Bedenken und Unsicherheiten verdrängt wurden.
Eine militante Gruppe ist gerade in der Entstehungs- und Anfangsphase brüchig, in der weder eine Vorstellung von taktisch sinnvollen Schritten vorhanden ist, noch über ein präzises strategisches Verständnis verfügt wird. So war es auch bei uns. In dieser Phase waren Theorie und Praxis unseres Zusammenhangs punktuell, d.h. wir suchten zu einem spezifischen Thema eine praktizierbare Aktionsform. Unsere Handlungen erfolgten ohne strategischen Hintergrund und es war unklar, was nach einer Aktion folgen sollte. Inhaltliche, praktische und organisatorische Bestimmungen waren kurzfristig gesetzt. Hinsichtlich konsensfähiger mittel- und langfristiger konzeptioneller Überlegungen befinden wir uns nach wie vor in der Auseinandersetzung. Gerade taktische Ausrichtungen und Erwägungen sind Gegenstand gruppeninterner Diskussionen und kontinuierlich zu hinterfragen.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Atmosphäre des Vertrauens war immer dann gestört, wenn nach einer abgebrochenen Aktionsvorbereitung oder nach einer durchgeführten punktuellen Aktion Orientierungslosigkeit einsetzte. Es erfolgten Brüche, und die Kontinuität der Gruppe stand auf dem Spiel. Die emotionale Identifizierung mit dem Kollektiv war aufgehoben und machte sich in der fehlenden Motivation und in mangelndem Engagement bemerkbar. In derartigen Situationen versuchten wir, einen erneuten Gruppenkonsens herzustellen, auf dessen Grundlage Mittel und Ziele modifiziert wurden. Wir haben für uns herausgefunden, dass eine handlungsfähige Gruppenkonstellation und -kontinuität nur durch das kollektive Erarbeiten von inhaltlichen, praktischen und organisatorischen Grundlagen erreichbar ist. Wenn sich schon daraus keine detaillierten Taktiken und Strategien ergeben, so sind doch zumindest entscheidende Eckpunkte abzustecken, die ein gemeinsames politisches Vorgehen ermöglichen. Wir denken dass damit jedes militante Projekt auf Dauer steht oder fällt.
Bei allen auftretenden gruppeninternen Problemfeldern spielen gerade für unseren heterogenen Gruppenzusammenhang auch äußere Faktoren eine wichtige Rolle. Alle haben ihre eigenen spezifischen sozialen Bezüge und Zusammenhänge und sind ganz unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt, um ihre Existenz abzusichern. Das zieht Ungleichzeitigkeiten und Brüche nach sich. Diese Vielheit an sozialen Realitäten interagiert mit dem Kollektiv und erfordert ihre ständige Berücksichtigung, indem Zeit, Motivation und Handlungsfähigkeit immer wieder aufs neue angepaßt werden müssen. Wir denken auch, dass ein alleiniger und ausschließlicher Gruppenzusammenhang und die sich daraus ergebenden internen Beziehungsstrukturen kein Ersatz für vielfältige politische, soziale und emotionale Bindungen sein kann. Eine militante Gruppenstruktur als einziger Bezugspunkt wäre damit schlichtweg überfordert. Eingeschränkte Interaktionsmöglichkeiten und soziale Abkopplung wären die Folge. Wir halten es für einen wesentlichen Punkt, unser persönliches soziales Umfeld nicht aufzugeben und erachtenden Weg in die Illegalität zur Zeit weder für erforderlich noch für sinnvoll.
Angesichts dieser Erfahrungen und aus der Einschätzung heraus, dass es nicht darum gehen kann, militante Aktionsformen zu praktizieren, nur um das Konfrontationsniveau zu halten, was uns zudem einer ständigen Überforderung aussetzen würde, sind wir zum einen bemüht, unsere Fähigkeiten und Kenntnisse realistisch einzuschätzen und ständig weiterzuentwickeln, zum anderen den politischen Nutzen jeder Aktion genau zu prüfen. Um ein kontinuierliches Arbeiten zu gewährleisten, ist angesichts dessen, dass die politischen Verhältnisse derzeit keine Veränderungen in unserem Sinne erwarten lassen, die eigene Sicherheit bei allen Überlegungen in den Vordergrund zu stellen. Deshalb wollen wir die Ausführungen des K.O.M.I.T.E.E.’s zum Thema kontinuierliche Namengebung kommentieren und unsere Sichtweise darlegen.
Die Genossen vom K.O.M.I.T.E.E. haben ihre Beweggründe für eine kontinuierliche Namensgebung in ihrer Selbstauflösungserklärung erläutert. Sinngemäß führten sie aus, dass es in einer politischen Situation, in der der gemeinsame Diskussionsfaden abgerissen sei und gemeinsam erarbeitete Grundlagen in Auflösung seien, zweckmäßig erscheine, „sich als Gruppe in den Kontext einer kontinuierlichen und öffentlich nachvollziehbaren Politik zu gleiten . Darüber hinaus gingen sie davon aus, dass Interventionen von Gruppen, deren Initialen mit einer kontinuierlichen und bestimmbaren Politik und Praxis verbunden werden können, mehr politische Relevanz erlangen und eher Orientierunispunkte setzen.
Aus den genannten Beweggründen des K.O.M.I.T.E.E.’s für eine kontinuierliche Namensgebung kann abgeleitet werden, dass sie den festen Gruppennamen als Interim betrachten, um innerhalb des breitgefächerten linksradikalen Spektrums politische Standpunkte, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sondieren. Nach anschließend erarbeiteten und akzeptierten Grundlagen konnte die spezifische Namensgebung aufgehoben werden und es bestünde die Möglichkeit, sich wieder in einen allgemeinen übergeordneten linksradikalen Zusammenhang zu stellen.
Die für eine kontinuierliche Namensgebung sprechenden Argumente sind nachvollziehbar und folgen einer bestimmten Analyse der aktuellen politischen Situation in der BRD aus linksradikater Sicht. Dennoch fällt unsere Entscheidung anders aus. Wir denken, dass infolge der geringen Anzahl von militanten Gruppen und Projekten in der BRD ein nach außen hin erkennbarer kontinuierlich arbeitender Zusammenhang („Markenname“) allzu leicht ins Fadenkreuz des Repressionsapparates gerät. Mit solch einer Entscheidung wäre das politische Gewicht der Gruppe „komplett in die Waagschale geworfen“ (vgl. radi-Text). Unserer Ansicht nach besteht eine wesentliche Funktion von militanten Aktionen darin, linksradikale Themenschwerpunkte und politische Inhalte zu transportieren und nicht in der Hervorhebung eines Gruppensignets. Wobei nicht grundsätzlich zu verhehlen ist, dass eine Namenskontinuität bei Anschlagsbekenntnissen die öffentliche Wahrnehmung der inhaltlichen Vorstellungen begünstigen kann.
Für uns kommt noch ein entscheidender Aspekt hinzu. Wir gehen von der nüchternen Selbsteinschätzung aus, dass unser interner Organisierungsgrad einer langandauernden gezielten Repression nicht standhalten würde. Diese interne Situation erfordert, was die aktionsspezifische Seite betrifft, ein diskontinuierliches Auftreten nach außen.
Eine feste Gruppenbezeichnung wäre für uns erst denkbar, wenn dem ein intensiver Prozeß der gruppeninternen und gruppenübergreifenden Organisierung vorausgegangen wäre. Dies würde eine weitgehende Klarheit hinsichtlich der gemeinsamen politischen Inhalte und Zielsetzungen, der Interventionsmethoden und der organisatorischen Struktur voraussetzen. Das ist aber bisher Zukunftsmusik.
Letztlich sprechen wir uns gegen eine kontinuierliche Namengebung aus, um einerseits den äußeren Druck (Repression) und andererseits den daraus folgenden inneren Druck (nervliche Anspannung) so gering wie möglich zu hallen.
II. Grundriss unseres Selbstverständnisses:
Wenn es richtig ist, dass sich jede militante Gruppe ihre eigenen Handlungsgrundlagen schaffen muß, so gehört ein theoretischer Überblick über die Interventionsthemen dazu. Es soll dabei weder unnötig akademisiert werden, noch soll aus einer Gruppe mit dem Anspruch, primär praktisch eingreifen zu wollen, ein elitärer Theoriezirkel gemacht werden. Zudem würden wir uns mit einer detailgetreuen Analyse der weltweiten Situation mit ihren unzähligen ökonomischen und politischen Verstrickungen hoffnungslos überfrachten. Die folgenden Ausführungen haben demnach einen fragmentarischen und vorläufigen Charakter.
Es geht einzig und allein darum, uns in die Lage zu versetzen, unsere Themenschwerpunkte formulieren und vermitteln zu können. Wir zielen auf eine inhaltliche Füllung der militanten Aktion ab: Deshalb wollen wir unseren theoretischen und thematischen Bezugsrahmen kurz abstecken.
1. Globale und innergesellschaftliche HERRschaft:
Um die Mechanismen von Herrschaftsgewinnung und -sicherung zu verstehen, ist eine Vorstellung von Imperialismus nötig. Wir begrenzen die imperialistische Phase nicht, wie häufig von „wissenschaftlicher“ Seite unterbreitet, auf den kurzen Zeitraum der 70er Jahre des 19. Jh. bis zum Beginn des I. Weltkrieges, in der der sich verschärfende koloniale Wettlauf und Expansionismus europäischer Staaten einen neuen Höhepunkt verzeichnete. Vielmehr ist dagegen von einer imperialistischen Kontinuität auszugehen, die sich historisch hinsichtlich des Tempos, des Umfanges und der Methoden zwar differenzieren läßt, aber ihren Charakter – die Unterwerfung – beibehält. Beispielsweise setzte das Jahr 1914 keinen Schlußstrich unter die europäische Hegemonie, sondern stellte den Ausgangspunkt einer neuen Etappe imperialistischer HERRschaftspolitik dar.
Auch das linke Imperialismusverständnis der 70er und 80er Jahre betont diesen zeitlich und methodisch erweiterten Ansatz, was zumindest die Zeit nach dem 1. Weltkrieg betrifft. Jedoch dominierte die Leninsche Imperialismus-Auslegung, die den Beginn des Imperialismus erst im späten 19. Jahrhundert festmachte. Zudem wurde der Imperialismus „ökonomisch verkürzt als monopolistisches Stadium des Kapitalismus“ definiert, das durch innerimperialistische Krisen und Kriege gekennzeichnet ist und letztlich das Ende der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur einläutet. Die politisch-militärische, wie die ideologisch-kulturelle Dimension des Imperialismus wird vornehmlich zugunsten einer auf ökonomische Motive begrenzten Interpretation vernachlässigt bzw. völlig ausgeblendet. Wenn die Kreuzzuge (Ende 11.-13. Jh.) und die Conquista (ab Anfang des 16. Jh.) als Ursprung des europäischen imperialistischen Expansionismus gelten, so ist die These zu vertreten, dass der Imperialismus historisch der ausgebildeten kapitalistischen Gesellschaftsformation vorausgegangen ist. Die Entstehungsphase des Handels- und Manufakturkapitalismus (Frühkapitalismus) lässt sich auf den Zeitraum des „langen sechzehnten Jahrhunderts“ (etwa 1450-1600) datieren, während sich der Konkurrenz- und Industriekapitalismus (Hochkapitalismus) erst im Zuge der „industriellen Revolution“ ab Ende des 18. Jahrhunderts ausformte. D.h., dass eine allein kapitalismustheoretische Imperialismus-Interpretation zu kurz greift.
Uns ist bewusst, dass wir uns mit dieser historisch wie inhaltlich weitgefaßten Imperialismus-Auslegung dem Vorwurf aussetzen, unpräzise zu argumentieren, und dass es uns an definitorischer Schärfe mangele. Solche Vorwürfe sprechen, allerdings die heutige Politik der Triade (BRD-dominierte EU, USA als Dominante im lateinamerikanischen Raum bzw. führende militärische Weltmacht, japanisch dominierter Pazifik) bzw. die Politik künftiger Machtblöcke von jedem Imperialismus-Verdacht frei. Antiimperialistische Ansätze werden somit als unseriöses Stückwerk diskreditiert.
Die Taktiken und Strategien imperialistischer Politik können variieren. Die ökonomische Komponente drückt sich in der Schaffung von Produktionsstätten und Absatzmärkten sowie in der Sicherung des Zugriffs auf Rohstoffquellen aus. Auf politischer Ebene standen anfangs die direkten innerimperialistischen Auseinandersetzungen um jeweiliges nationales Prestige im Vordergrund, während im weiteren Verlauf die Durchsetzung imperialistischer Ziele durch die Stärkung konformer Trikont-Eliten erfolgt, ohne im „Bedarfsfall“ auf die militärische Intervention zu verzichten. Zudem zerstört die ideologisch-kulturelle Durchdringung die trikontinentalen Lebenswelten und oktroyiert eurozentrische Denk- und Handlungsmuster. Der Imperialismus stellt insgesamt ein kontinuierliches Konfrontationsverhältnis zwischen metropolitanen Zentren und trikontinentaler Peripherie dar. Dabei interagiert er mit den politischen und ökonomischen Bedingungen und reagiert u.a. auf die Präsenz von Widerstand. D.h. die Instrumentarien imperialistischer Politik sind einerseits auf die sozio-ökonomischen Verhältnisse im allgemeinen und den sich manifestierenden Widerstand im Trikont im besonderen abgestimmt, andererseits richten sie die Trikontbedingungen ihren Interessen entsprechend aktiv zu.
Unser theoretischer Ansatz geht über das „klassisch“ antagonistische Verhältnis zwischen Metropole und Trikont hinaus und orientiert sich wesentlich an der triple-oppression-Analyse, die die Existenz der gesellschaftskonstituierenden und miteinander verflochtenen Antagonismen Rassismus, Patriarchat und Kapital zum Ausgangspunkt hat. Antagonistisch meint, dass die mehrfachen Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen durch die gesellschaftlichen Strukturen selbst produziert und reproduziert werden, so dass diese nicht mit systemimmanenten Mitteln zu beseitigen sind, sondern nur durch eine grundlegende soziale Umwälzung.
Wenn wir anmerken, die Grenzen des „klassischen“ antiimperialistischen Argumentationsmusters hinter uns lassen zu wollen, so hat das für eine antiimperialistische Konzeption merkliche Konsequenzen: Das antiimperialistische Weltbild, wonach sich Metropole und Trikont als homogene Blöcke gegenüberstehen, ist in dieser Reinform schablonenhaft. Die Grenzen dieser klassischen Interpretation werden deutlich, wenn es zum einen um die detaillierte Erklärung der komplexer gewordenen Weltwirtschaftsverflechtungen zwischen Zentren und Trikont, und zum anderen um die Beschreibung der differenzierten Strukturen innerhalb von Metropole bzw. Trikont geht. Trotz dieser Schablonenhaftigkeit trifft dieser Ansatz den Kern des globalen Unterdrückungsverhältnisses und ist als Arbeitshypothese unter Berücksichtigung der sich differenzierenden Weltwirtschaftssituation weiterhin verwendbar.
2. Nationale Befreiungskämpfe und antizionistische Attitüde:
Ein weiterer Aspekt oberflächlicher Betrachtungsweise ist eine allzu euphorisierte Haltung gegenüber gesellschaftlichen Kämpfen in Trikontregionen, wie sie in den 70er und 80er Jahren eingenommen wurde. Es geht vielmehr darum, die Politik von Befreiungsbewegungen hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Tragweite (selbst-) kritischer zu reflektieren. So können wir Vorstellungen entgegentreten, die bei einer Vielzahl von existierenden Kämpfen die weltweite Situation als „auf Messers Schneide stehend“ fehlinterpretieren und von einem falschen Kräfteverhältnis ausgehen. Die Ernüchterung der vergangenen Jahrzehnte war zu groß, um weiterhin voreilig nach Projektionsflächen für unsere nicht geführten Kämpfe zu suchen.
Die Diskussion um einen kritischen Umgang mit Befreiungsbewegungen, die nationalistische Tendenzen aufweisen, hat sich in den letzten Jahren insbesondere an der PKK und deren ethnischen Diskursen entwickelt. Grundsätzlich halten wir es für notwendig nationale Bewegungen, die separatistische Ziele verfolgen, wie ETA, IRA und PKK von denen zu unterscheiden, die in erster Linie für eine sozialistische Revolution innerhalb eines existierenden Staates eintreten. Dabei denken wir insbesondere an lateinamerikanische Bewegungen. Diese Unterscheidung dient nicht der automatischen „gut-böse-Trennung“, es lassen sich jedoch verschiedene Mobilisierungsstrategien anhand dieser Trennungslinie aufzeigen, die sich in der Kritik, Auseinandersetzung und Solidarität mit diesen Organisationen wiederfinden sollten. Konstruktionen von Ethnien, Völker und Kulturen, die sich bei einem genaueren Blick in die Geschichte „in Luft auflösen“, sind beliebtes, weil verhältnismäßig einfaches Mobilisierungsmoment. Das revolutionäre Subjekt wird nicht in erster Linie sozial oder politisch, sondern kulturalistisch bzw. national abgeleitet. Die Folge ist in aller Regel, dass eine vereinheitlichte und mit objektiven Charakterzügen ausstaffierte nationale oder kulturelle Identität geschaffen wird, die allmählich zum alleinigen Politik bestimmenden Kriterium wird. Die Berufung auf einen Nationalstaat, bzw. eine nationale Verfassung, die z.B. im Fall Mexikos auf eine Revolution zurückgeht, macht deutlich, dass es eine strategische Komponente des „Nationalen“ geben kann, die für die mexikanische Gesellschaft äußerst mobilisierend wirken kann, aber für andere lateinamerikanische Staaten irrelevant ist. Eine revolutionäre Bewegung die eine soziale Basis erreichen will, wird dies nicht durch den Appell an die Unterdrückten der Welt erzielen. Je weniger abstrakt das politisch Verbindende ist um so größer ist die Wahrscheinlichkeit der Herausbildung revolutionärer Bewegungen. Hierfür bieten sich nationale bzw. territoriale Grenzen ebenso an, wie die Zuspitzung von sozialer Konfliktualität an speziellen Brennpunkten. Es hat sich aber auch gezeigt, dass territorial eng begrenzte oder monothematische Befreiungskämpfe, aufgrund der globalen Verflechtungen und der Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Konfliktfelder nur begrenzte Zeit erfolgreich sind. Frauen werden in Befreiungsbewegungen oft nur unter funktionalistischen Gesichtspunkten führende Positionen zugestanden. Die soziale und politische Bedeutung von Frauen wird gerade in Situationen geringer, in denen die Forderungen von Befreiungsorganisationen erfüllt erscheinen (Erlangung eines Autonomiestatus, Sturz der Machthaber etc.). Frauen sehen sich einem patriarchalischen roll back und einer Renaissance von Rollenzuweisungen ausgesetzt.
Ein weiteres Problem ergibt aus der Transformation einer militärisch strukturierten Befreiungsbewegung in eine zivile Regierungsform. Sie wird dabei zur repräsentativen Institution der neuen gesellschaftlichen (nationalstaatlichen) Struktur. Solch eine Staatsform westlicher Prägung ist keine beliebige gesellschaftliche Organisierung sondern setzt einen bestimmten institutionellen Aufbau voraus. Ein Abziehbild herkömmlicher Staaten mit verwaltungstechnischen Apparaten etabliert sich, klassen- und geschlechtsspezifische Ausbeutungsverhältnisse werden nicht grundsätzlich angegangen und verfestigen sich erneut.
Um gleich Eurozentrismus-Vorwürfen zu begegnen: Wir verfügen weder über konkrete Rezepte, wie unter trikontinentalen Kampfbedingungen die beschriebenen Tendenzen zu verhindern sind, noch ist uns verborgen geblieben, dass wir diese selbst als radikale Linke in der Metropole nur annähernd thematisiert und noch weniger in unseren Zusammenhängen verändert haben. Klar ist auch, dass unsere marginale Position in metropolitanen Auseinandersetzungen kaum dazu herhält, schlaue Sprüche zu klopfen oder zu erfüllende Forderungen gen Trikontbewegungen zu richten. Gewiß nicht! Dennoch denken wir, dass sich nur in einem kritisch-solidarischen Austausch Gemeinsamkeiten und eben auch Grenzen politischer Vereinbarkeit herausfinden lassen.
Häufig materialisierten sich antiimperialistische Ansätze in der Vergangenheit u.a. in einem expliziten Antizionismus: Dabei wurden sowohl die auf Pogromen und Vertreibung gründenden Entstehungsursachen der zionistischen Bewegung im zaristischen Rußland als auch die politisch-ideologische Heterogenität des Zionismus ignoriert. Mit der Formel, die PalästinenserInnen seien die „Opfer der Opfer“, schlich sich eine Relativierung des nazistischen Antisemitismus ein. Die Trennung zwischen der Ablehnung der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik insbesondere nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 einerseits und andererseits der kategorischen Verweigerung des Existenzrechts Israels, die zwangsläufig abermals eine Vertreibung von JüdInnen implizieren würde, war nicht mehr grundsätzlich gegeben. Eine gefährliche Affinität zwischen einer antizionistischen Argumentation und antisemitischen Metaphern tat sich auf. Ein Antizionismus, der explizit oder implizit das Existenzrecht Israels verweigert, ist für unsere Politik kein Bezugspunkt. Wir gehen davon aus, dass es für die Region Palästina/Israel keine „revolutionäre Lösung“ in die eine oder andere Richtung gibt, sondern dass nur auf eine Koexistenz hingearbeitet werden kann. Diese Ansicht setzt sich erst seit einiger Zeit bei Linksradikalen durch und ist sicherlich nicht Konsens.
All das entbindet uns nicht von der Notwendigkeit, imperialistische Taktiken und Strategien praktisch zu thematisieren und Bezüge zu Trikontkämpfen herzustellen.
3. Unser mangelnder Bezug zu Frauenkämpfen:
In den achtziger Jahren befaßte sich die feministische Kritik unter anderem mit den Auswirkungen von Sozialtechnologien, die als Mittel galten, bevölkerungspolitische Interessen durchzusetzen. Es galt immanente Gesetze der Technologien aufzuzeigen, in denen sich Machtverhältnisse manifestierten. Es entstand eine Kritik an dem Blick und Zugriff der Naturwissenschaft auf Frauen. Unter Bevölkerungspolitik wurden die gesamtgesellschaftlichen Strategien verstanden, die die Zusammensetzung, Quantität und Qualität der konstruierten Variablen „Bevölkerung“ beeinflussen sollten. Der Begriff umfaßt nicht nur den Bereich der generativen Reproduktion, sondern auch Migrationspolitik.
Bevölkerungspolitik wurde der Rahmen, in dem feministische Kritik die Familien-, Gesundheits-, Sozial- und Migrationspolitik des Staates angriff. Diese Bewegung vernetzte in den Achtziger Jahren Informationspolitik, Aktionen im ‚öffentlichen Raum‘ und militante Interventionen. Dabei kam es zu einer beispielhaften Wechselwirkung zwischen den Ebenen. Mit dieser klar ablehnenden Haltung gegenüber Gen- und Reproduktionstechnologien erschweren sie bis heute die gesellschaftliche Akzeptanz, trotz des Niedergangs der Bewegung. Bis auf ein paar einzelne Männer in gemischten Gruppen arbeiteten Frauen an diesen Themen.
Nach den Erfahrungen in gemischten Zusammenhängen erwies sich die eigenständige Organisierung der Frauen als notwendig, um sich Raum für feministische Inhalte zu erkämpfen. Exemplarisch wird dies aus der Entstehungsgeschichte der Roten Zora deutlich, die in der Broschüre Mili’s Tanz auf dem Eis vom Dezember 1993 u.a. ihren Weg hin zu einer autonomen Frauengruppe beschrieben hat.
Eine gemischte Organisierung stand der Entwicklung einer revolutionär-feministischen Perspektive entgegen, da die männlich gesetzten Normen für die beteiligten FrauenLesben weiterhin bestimmend blieben. Die Energien der FrauenLesben wurden im ständigen Kampf um ihre Positionen gegenüber Männern aufgebraucht, und die Einbindung feministischer Positionen in linke Konzepte lief meist auf deren Unterordnung hinaus. Dass die „Befreiung vom Patriarchat grundlegend für jede Befreiung ist“ und Frauenkämpfe keine Teilbereichskämpfe sein können, wurde von patriarchal denkenden und handelnden Männern in den RZ immer wieder in Frage gestellt. Die Unterteilung in frauenspezifische und allgemeine Themen beförderte die patriarchale Ausrichtung der RZ-Politik. Sogenannte allgemein-politische Auseinandersetzungen wurden weiterhin „vor dem Hintergrund eines patriarchalen Selbstverständnisses“ geführt, und es war kaum möglich, sie „in antipatriarchale Kampfe zu wenden“ bzw. in ihnen Ansätze von Frauenbefreiung zu sehen. Die Trennung von den RZ und die Gründung der Roten Zora 1984 markierte die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung. Die Rote Zora trug dazu bei, die Existenz von Frauenkämpfen und vor allem ihre internationale Dimension deutlich zu machen. Mögliche Bündnisse mit Männern konnten nun von Frauen selbst bestimmt werden. Entgegen der sonst üblichen Subsumierung feministischer Inhalte unter einen „allgemein-politischen“ Ansatz stellten FrauenLesben nun in ihren Kämpfen den Angriff auf Grundpfeiler patriarchaler HERRschaftstrukturen in den Vordergrund. Neben dem Ziel, Sachschaden zu verursachen, ging/geht es schwerpunktmäßig darum, Frauen/Lesben-Widerstand in Aktionen mit entsprechendem Symbolgehalt sichtbar zu machen.
Eine eigenständige FrauenLesben-Organisierung in den unterschiedlichsten Widerstandsfeldern war/ist Folge der Ignoranz der patriarchalen linken Szene, feministische Theorie zu rezipieren und als Orientierungspunkt zu akzeptieren. Desweiteren sind linke Männer nur unzureichend Willens, ihre Rolle als Nutznießer patriarchaler Privilegien zu reflektieren.
Alle diese Fehler reproduzieren wir als Gruppe trotz der vermittelten Erfahrungen immer wieder. Die Anlehnung an den triple-oppression-Ansatz beeinflußte eine Thematisierung der Kämpfe von Frauen oder vielmehr die Thematisierung der Kämpfe einer Bewegung mit feministischer Theorie. Allerdings gibt es in unserem Alltag nicht viel feministische Theorie. Diesen Widerspruch in der Gruppe aufzurollen und produktiv zu machen, gelingt uns selten.
Die Selbst-Erstidentifizierung mit der männlichen Rolle wird als permanente Notwendigkeit gesehen, bleibt jedoch Lippenbekenntnis. Oder mann flüchtet in die Abstraktion, beschreibt auf höchstem Niveau die Totalität des Systeme und sieht nicht die Notwendigkeit vom ‚Richtigeren im Falschen‘, wie die Revidierung patriarchaler Kulturtechniken im Alltag, in den sozialen Beziehungen. Es ist dennoch für uns die dringlichste Aufgabe, daran weiterzuarbeiten und die Bezüge zu Kämpfen feministischen Inhalts zu suchen.
4. Synthese von sozialer Revolution und Antiimperialismus:
Die von der AIZ aufgeworfene Definition, wonach der Imperialismus in einen Imperialismus im weiteren Sinn (triple-oppression-Strukturen) und in einen im engeren Sinn (Metropole/Trikont) aufzufächern ist, versucht, beide Phänomene unter den „Über-Begriff“ Imperialismus zu subsumieren. Bei solch einer überdehnten Interpretation bleibt die historische Herleitung des Imperialismus als kontinuierlicher territorialer Expansionismus unterbelichtet. Imperialismustheoretische Unterscheidungskriterien lassen sich vielmehr daran festmachen, inwieweit der Imperialismus nur als zeitlich eng begrenzter und vergangener historischer Abschnitt von HERRschaftspolitik oder aber als konstantes – wenn auch nach Form und Inhalt modifizierbares – Instrumentarium zur Sicherung des HERRschaftsanspruchs über den Trikont begriffen wird. Unserer Ansicht nach sind einerseits die triple-oppression-Strukturen, die nicht allein metropolenspezifisch, sondern weltweit verankert sind und andererseits die imperialistische Unterwerfung, die einseitig von den Zentren gegen den Trikont ausgeht, jeweils eigenständig zu behandelnde Theorieansätze.
Die Wechselbeziehung zwischen einem sozialrevolutionären Ansatz, der sich u.a. auf Kämpfe entlang der triple-oppression-Widerspruchslinien, hier wie im Trikont bezieht, und dem klassischen antiimperialistischen Ansatz, der vornehmlich die gegen einen neo-kolonialistischen Status quo orientierten trikontinentalen Kämpfe unterstützend aufgreift und in das Metropolenbewußtsein hineinzutragen versucht, ist nicht durch den theoretischen Trick herzustellen, beide Ansätze schlicht unter dem Dach einer neuen Imperialismus-Definition zu vereinigen.
Es muß darum gehen, diese Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen in ihrer Spezifik kenntlich zu machen und sie als gleichberechtigte, eigenständige und sich gegenseitig stützende Grundwidersprüche aufzufassen. Je nach Situation können die Grundwidersprüche unterschiedlich große Bedeutung erlangen, müssen allerdings konzeptionell als miteinander verflochtene Gesamtheit Eingang in die Betrachtung finden. Die Dialektik von sozialer Revolution und Antiimperialismus resultiert aus der Kenntnis, dass eine Perspektive der Befreiung nur in der Überwindung der ineinandergreifenden gesellschaftlichen HERRschaftsverhältnisse liegt.
Für uns kann das nur bedeuten, in den metropolitanen Sozialprozessen die mehrfachen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse praktisch anzugehen und den Zugriff metropolitaner Staaten und Konzerne auf die trikontinentale Peripherie zu untergraben. Wir haben demnach eine zweifache und sich überlagernde praktische Auseinandersetzung zu führen, die einerseits die gesellschaftlichen HERRschaftsverhältnisse in den Zentren zu erschüttern versucht, und andererseits metropolitane Unterwerfungsprojekte in der Peripherie hier blockiert und sich mit den dortigen antiimperialistischen und sozialen Kämpfen solidarisiert. Nur in der Verknüpfung dieser zu führenden Auseinandersetzungen können wir der Dialektik von sozialer Revolution und Antiimperialismus als radikale Linke in den Zentren gerecht werden.
Hiermit ist die Wechselbeziehung zwischen einem sozialrevolutionären und einem antiimperialistischen Ansatz sowie den einzelnen Formen des Zusammenwirkens der Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen allenfalls oberflächlich gestreift. Viele Aspekte speziell zum triple-oppression-Ansatz sind vage bis ungeklärt (bspw. die Rolle von Nationalismus und Antisemitismus in dieser Konzeption; das Verhältnis von Kapitalismus und Imperialismus; die Frage, warum gerade hinter diesen Widerspruchslinien ein systemsprengendes Potential vermutet wird, zumal sich diese Strukturen bisher als gesellschaftliche Stabilisatoren erwiesen u.v.m.). Es ist eine Diskussion erforderlich, die weiter geht als bisher. Diese offensichtlichen Unklarheiten spiegeln sich auch in unseren Diskussionen wider, so dass wir immer wieder mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert sind, welche theoretischen Aspekte dieser Ansätze konstruiert erscheinen und inwiefern sich diese an den realen Bedingungen bestätigen lassen. Nichtsdestotrotz bilden der triple-oppression-Ansatz und das hier vorgebrachte Imperialismus-Antiimperialismus-Verständnis unsere ausbaufähigen inhaltlich-praktischen Orientierungspunkte.
Neben diesem theoretischen Gerüst halten wir zwei Vorschläge hinsichtlich der Möglichkeit künftiger Organisierung und Praxis für bedeutend: das RZ-Koordinatensystem (militante/bewaffnete Organisation – Vermittlung – Verankerung - Vermassung) sowie die AIZ-Initiative, die als Bestandteile eines politischen Klärungsprozesses innerhalb der radikalen Linken eine gemeinsam geführte Diskussion über antiimperialistische Politik in der BRD, Organisierungsversuche und militante/bewaffnete Aktionen anführt.
Sowohl das RZ-Modell als auch der AIZ-Vorschlag sind zunächst einmal vereinfachte und im Prinzip zeitlich unabhängig geltende Orientierungen, die konzeptionelle Eckpunkte einer Organisierung militanter Politik an sich beinhalten, jedoch selbstverständlich den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnissen anzupassen sind.
Daneben bilden die Beweggründe für die Zäsur der RAF im April ’92 und ihre Initiative des Aufbaus einer sozialen Gegenmacht von unten als Voraussetzung für eine einflußreiche breitgefächerte linke Basisbewegung einen weiteren Bezugspunkt unserer Überlegungen (mehr dazu in Kapitel IV.).
III. Über die Legitimität militanter Politik
Allgemeine Debatten um Sinn und Zweck militanter Praxis und konkretere Klärungsversuche hinsichtlich des Aktionsziels, -zeitpunktes, -niveaus und -ausmaßes spielen sowohl periodisch in den linken Szenen, als auch regelmäßig in militanten Gruppenzusammenhängen eine Rolle. Gerade militante Gruppen sehen sich einem permanenten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, der nicht nur von außen an diese herangetragen wird, sondern ebenso gruppenintern aus einem Selbstvergewisserungsmotiv erwächst. Da für solche Gruppen der Einsatz militanter Mittel sozusagen konstitutives Moment ist, ist dieser notwendigerweise immanenter Gegenstand der Gruppendiskussion. Feministische Kritik trug maßgeblich zur Auseinandersetzung um die Legitimität militanter Praxis bei.
Auslöser für das Zusammentragen unserer Gedanken zu Theorie und Praxis von militanter Politik waren die Reaktionen und Kritiken auf das Selbstauflösungspapier vom K.O.M.I.T.E.E. (Interim Nr. 344). Wir beziehen uns in unseren Ausführungen neben der K.O.M.I.T.E.E.-Erklärung auf folgende Beiträge:
- Nicht jede(r) kann anfangen (ak Nr. 383),
- VOLL DURCH DIE MITTE UND DOCH DANEBEN (Interim Nr. 352),
- E.I.N.I.G.E. G.E.D.A.N.K.E.N. ... (radikal Nr. 153).
1. Von Männern ausgeführte Militanz:
Ausgangspunkt unserer Ausführungen zu Militanz bildet die geschlechtsspezifische Differenzierung und Bewertung militanter Gruppen hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur und ihrer Aktionsformen. Andrea Dworkin schreibt über das Verhältnis von Männlichkeit und Gewalt u.a.: „In der männlichen Kultur sind sowohl Polizisten wie gesetzlose Helden. Helden sind sowohl jene Männer, die die Normen setzen, als auch jene, die sie brechen. Die Konflikte zwischen diesen Gruppen demonstrieren die männliche Leidenschaft für Gewalt: Konflikt ist Aktion. Aktion ist männlich. Es ist falsch, einen wirklichen Unterschied zwischen den einander bekriegenden Fraktionen männlicher Kultur sehen zu wollen: In Wirklichkeit arbeiten diese feindlichen Fraktionen in fast perfekter Harmonie zusammen, um auf die eine oder andere Art Frauen in ihrer Gewalt zu halten. Männliche Vorherrschaft bedeutet vor allem, als Mann gelernt zu haben, Gewalt gegen andern und besonders gegen Frauen willkürlich oder gezielt einzusetzen. Loyalität gegenüber dieser oder jener Form männlicher Gewalt, ihre Förderung in Sprache oder Tat, ist daher eines der wichtigsten Kriterien einer wirklich männlichen Identität.“
Diese These skizziert das Widerspruchsfeld, in dem wir uns als männlich zusammengesetzte revolutionäre Gruppe permanent bewegen. Obwohl wir diese Analyse in ihrer Ausschließlichkeit nicht teilen, da sie die Möglichkeit einer von Männern getragenen, nicht-patriarchal codierten Aktion leugnet, statt das ständige Hinterfragen des eigenen Verhaltens eine zentrale Bedingung dar, um als Gruppe von Männern aktiv zu werden. Die Rezeption feministischer Kritik bietet die Möglichkeit, unsere Praxis mit einer korrektiven Außensicht zu konfrontieren. Dabei streben wir keine schnellen „Lösungen“ an, vielmehr geht es uns um eine kontinuierliche Reflexion dieser Widersprüche. Von Männern getragene militante Politik kann bedeuten, patriarchales Verhalten unter revolutionären Vorzeichen zu kultivieren. Wenn Frauen hingegen die ihnen „zudiktierte weibliche Friedfertigkeit“ mit der „bewußte(n) Entscheidung für gewalttätige Mittel“ (Rote Zora) durchbrochen, besitzt dies einen qualitativ höheren Stellenwert. Frauenmilitanz durchbricht das gesellschaftlich vorgegebene Muster friedfertiger Weiblichkeit, von Männern ausgeübte Militanz entspricht oberflächlich betrachtet erstmal dem gesellschaftlichen Bild vom gewaltausübenden Mann. Also: Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.
Hier schließt sich für uns die Frage an, welche Mechanismen der Struktur militanter Gruppen und welche spezifisch patriarchalen Verhaltensmustern geschuldet sind. Wir denken, dass die Notwendigkeiten für die Funktionsfähigkeit und Sicherheit einer militanten Gruppe geschlechtsneutral benennbar sind, deren Umsetzung aber vermutlich geschlechtsspezifisch nach unterschiedlichen Kriterien vorgenommen wird. Unseres Erachtens ist zwischen patriarchalischen Mechanismen und klandestinen Erfordernissen von militanten Zusammenhängen zu trennen.
Klandestine Strukturen sind oft von langwierigen Planungsprozessen geprägt, die viel Geduld erfordern; die Vorarbeit Einzelner bildet den Hintergrund der kollektiven Handlungsgrundlagen der Gruppe. Das verdeckte Arbeiten erfordert eine strikte Abschottung zwischen Gruppenaktivität und Alltagskommunikation, welche die funktionale Unterteilung der Lebensbereiche reproduziert. Diese allgemeingültigen Erfordernisse klandestiner/militanter Gruppen unterstützen eher den für Männer vorgesehenen Lebensentwurf. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass in männlich besetzten Gruppen funktionales Denken eine hohe Priorität hat, Abstraktionsvermögen nicht selten als Vehikel zur Vertuschung der eigenen Unsicherheiten verwandt wird und die Thematisierung von Ängsten immer wieder Überwindung kostet. Es dominiert eine distanziert-verklemmte Atmosphäre, die ausgelassene und warmherzige Umgangsformen selten zuläßt oder ritualisiert. Auch anfängliche Abenteuerlust und eine verkappte Sehnsucht nach Held(Inn?)entum spielen bei der Aufnahme einer militanten Praxis eine Rolle. Dass die beiden zuletzt genannten Mechanismen eher in Männerzusammenhängen auftreten, ist aufgrund fehlender Vergleichmöglichkeiten lediglich eine Annahme.
Als Beispiel für eine nicht patriarchal ausgerichtete Gruppe von Männern lassen sich die „Flammende Herzen“ anführen, die seit mehreren Jahren Aktionen gegen militärische Männerstrukturen durchgeführt haben. In Abgrenzung zu militaristischen Prinzipien und soldatischen Tugenden schreiben sie, antipatriarchal bestimmte Militanz von Männern müsste „darauf ausgerichtet sein, die institutionalisierten und wilden Männerbünde und -banden zu entwaffnen. Ziel ist es nicht, die Macht über sie zu erringen, sondern HERRschaft zu zersetzen. Antipatriarchal bestimmte Gewalt hat ausschließlich das Ziel der Spaltung, der Zersetzung der Männerblöcke und patriarchalen Werte, die Schwächung der Kampfkraft, ohne selbst ein neues Heer zu kreieren, die geistige und materiell Entwaffnung.“
Im Gegensatz zu den Flammenden Herzen denken wir, dass es in der Auseinandersetzung um eine antagonistische Gesellschaftsform auch um das Erringen von Macht geht, um die Möglichkeit von „Gegenmacht“ . Mit ihrer Vorstellung lehnen sie sich stark an den Macht-/HERRschaftsbegriff der Roten Zora an, für die Macht und HERRschaft „untrennbar verknüpft“ sind. Sie differenzieren nicht zwischen Macht haben und HERRschaft ausüben. Wir halten hingegen die Unterscheidung von Macht und HERRschaft für sinnvoll und notwendig. Die Verfügung über Macht ist für uns nicht unweigerlich mit HERRschaftsausübung verbunden, vielmehr sind die verschiedenen Interessenlagen und Motivationen für Macht-haben-wollen zu unterscheiden. Der Gefahr, dass sich mit dem Stellen der Machtfrage und dem Erringen von Macht die emanzipatorischen Ansprüche ins Gegenteil verkehren können und das ernüchternde Ergebnis ein Austausch der HERRschaftseliten ist, sind wir uns durchaus bewusst. ‚Macht‘ kann zum Aufbau, zur Sicherung und zum Ausbau von HERRschaft, aber auch zur Zersetzung von HERRschaft eingesetzt werden. Eine zu HERRschaftsverhältnissen transformierte Macht findet sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, ist sozusagen eine netzförmig angelegte Struktur. Es gibt keinen Ort außerhalb der zu HERRschaft kristallisierten Machtstrukturen. Auch wir sind von diesen durchdrungen und reproduzieren sie in unterschiedlichen Ausmaßen. Um diesen gesellschaftlichen Zustand zu durchbrechen, müssen wir uns ‚Gegenmachtmittel‘ aneignen. Dabei sind Inhalt, Funktion und Praxis des Gegenmachtsansatzes entscheidend. Unter der Voraussetzung eines radikal-emanzipatorischen Ansatzes einer Gegenmacht von unten“, der die Perspektive einer befreiten Gesellschaft beinhalten muß, ist die Gleichung Macht = HERRschaft nicht aufrechtzuerhalten. Gegenmacht von unten hat über die Funktion der Nicht-Reproduktion der vorhandenen Gesellschaftsstruktur hinaus die Zersetzung der HERRschenden Machtkonstellationen zum Ziel. Es gilt zu verhindern, dass die Praxis der Gegenmacht zu einer erneuten bürokratischen Verkrustung (Institutionalisierung) und einem Austausch der HERRschaftseliten führt.
2. Erweiterter Militanzbegriff:
Militanz und militante Praxis haben in der BRD eine verengte Bedeutung, die sich auf Spreng- oder Brandsätze legen bzw. bewaffnet kämpfen reduziert. Auf dieses Verständnis von Militanz beziehen wir uns im folgenden. Konspirativ und klandestin organisierte Zusammenhänge tragen diese Bedeutung bewusst oder unbewußt weiter und verstärken sie. An sich bedeutet militant zu sein schlicht, kämpferisch zu sein, und ist nicht an bestimmte eingesetzte Mittel geknüpft. Wir schlagen in Folge dessen einen erweiterten Militanz-Begriff vor, der diesen verengten Rahmen verläßt und Militanz allgemein als eine entschiedene und unversöhnliche Haltung gegenüber HERRschenden Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen versteht – quasi als eine sich in vielfältiger Weise ausdrückende Lebenshaltung. Dies schließt die bisher als militante Praxis verstandene Vorgehensweise als eine Ausdrucksform jener Lebenshaltung ein. Wir denken, dass sich hiermit einerseits eine Fetischisierung klassischer militanter Politik verhindern läßt und andererseits wird sie als ein Bestandteil revolutionärer Politik relativiert. D.h. nicht, dass die Verteilung eines Demo-Aufrufes und die Zündung eines Brandsatzes einfach gleichzusetzen sind; spätestens bei der Vorbereitung und Durchführung der jeweiligen Tätigkeit zeigen sich die Unterschiede. Mit dem Entschluss, mehr zu machen als Flugis zu verteilen, Demos zu organisieren, sprühen oder kleben zu gehen, eröffnen sich sukzessive individuelle und kollektive Handlungsoptionen.
Aufgrund des erhöhten Verfolgungsdrucks und drohendem Knast ergibt sich eine faktische, wenn auch ungewollte, Hierarchisierung militanter Aktionsformen. Die Intensität und der Aufwand militanter Aktionen differieren z. T. sehr, und der nachfolgende Grad der Repression ist immer mitzudenken. Davor die Augen zu verschließen, wäre fahrlässig. Die Kenntnis einer faktischen Hierarchie soll keine Wertskala von Aktionsformen einführen und redet keinem Hocharbeiten in der autonomen Leistungsgesellschaft das Wort (vgl. radi-Text), sondern versucht, den Aktionsaufwand und die Risiken für die Gruppe realistisch einzuschätzen.
3. Militante Praxis als Integraler Bestandteil revolutionärer Politik:
Nach unserem Verständnis ist die Verbreitung und Umsetzung militanter Praxis ein integraler Bestandteil revolutionärer Politik. Wir gehen von der Prämisse aus, das die metropolitanen HERRschaftsstrukturen weder von allein kollabieren werden, noch durch eine „Einkreisung von außen“ entscheidend geschwächt werden können. Die Initiative muß schon in den Zentren selbst erfolgen. Da der realexistierende Kapitalismus auf seine polizeilichen und militärischen Ressourcen zurückgreifen wird, werden wir stets Überlegungen anzustellen haben, wie eine linksradikale politisch-militärische Strategie gegen HERRschaftspolitik umgesetzt werden kann. Militante Politik, die strukturell, personell und thematisch in Bezug zu antiimperialistischer, autonomer und feministischer Basispolitik steht, ist sozusagen als eine „Vorform“ einer durchdachteren und organisierteren politisch-militärischen Strategie zu verstehen. Der Begriff militärisch löst sicherlich Bedenken aus; ein vor- und umsichtiger Umgang damit ist auch dringend geboten. Dennoch werden wir, wenn wir eine revolutionäre Umwälzung als Vision nicht aufgeben wollen, nicht umhin kommen, uns mit Umsetzungsmöglichkeiten militanter, bewaffneter und auch (para)militärischer Politik zu konfrontieren.
Wie angedeutet, soll dies keine militarisierte Revolutionsromantik fördern, sondern ausschließlich dazu dienen, Aktionsziel, -zeitpunkt -niveau und -ausmaß zu disskutieren und zu bestimmen. Es ist schwer, diese einzelnen Aspekte vom konkreten Einzelfall einer Aktionsdurchführung zu abstrahieren. Zumindest läßt sich eine Bandbreite benennen, in der sich eine militante Anwendungspraxis theoretisch bewegen kann. Die Umsetzung einer Aktion hängt stets von den praktischen Fertigkeiten und Fähigkeiten der Gruppe und von der Zugänglichkeit des anvisierten Objekts ab.
Zur Auswahl des Aktionsziels ist zu sagen, dass die größtmögliche Unmittelbarkeit zum praktisch aufgegriffenen Thema anzupeilen ist Wenn bspw. Abschiebepolitik Ziel des Widerstandes ist, so ist die Abschiebemaschinerie selbst (Knasteinrichtung, AusländerInnenbehörden etc.) ins Visier zu nehmen. Nachgeordnet sind jene von Bedeutung, die zwar diese Maschinerie nicht hauptsächlich tragen, jedoch zu ihrer Aufrechterhaltung beitragen (Baufirmen wie im Fall Grünau, Freßpakete-Service etc.). Je größer die Aktionspräzision, desto wirkungsvoller ist der Eingriff und umso leichter ist die Aktion zu vermitteln.
Der Aktionszeitpunkt im Rahmen einer Kampagne kann unterschiedlich gesetzt werden. Es kann sinnvoll sein, eine Aktion zeitlich zum Beginn einer anstehenden Kampagne zu plazieren, um die Initiative zu unterstützen. Ein militanter Eingriff ist auch in der Hochphase eines Kampagnenverlaufs vorstellbar, um das Level über eine längere Dauer zu hatten. Beim Abflauen können militante Aktionsformen den drohenden Endpunkt einer Kampagne wenn schon nicht umkehren, doch zumindest verzögern.
Das Interventionsniveau kann sich für militante Zusammenhänge zwischen Dokumentenfälschungen, gezieltem Gebrauch von modernen Kommunikationsmitteln, kleineren Sabotageakten wie Sprühen und Kleben und dem Einsatz von Brand- und Sprengsätzen bewegen. Der Schußwaffengebrauch und die Tötung von relevanten EntscheidungsträgerInnen ist gesondert zu behandeln und setzt einen viel intensiveren Umgang mit der gesamten Materie voraus.
Das Ausmaß von Aktionsformen ist zum einen von den zeitlichen Kapazitäten der Gruppe abhängig und zum anderen von der dem Thema eingeräumten Relevanz. Zu entscheiden ist, ob wesentliche Kräfte auf ein Thema konzentriert werden, oder dosiert werden soll, damit Zeit und Raum für weitere Themenstellungen bleibt
4. Praktische Distanz zu Militanz?:
In diesem Kontext ist auf die vielerorts konstatierte „praktische Distanz“ (vgl. u.a. Interim-Artikel) zum Vorgehen von Gruppen wie dem K.O.M.I.T.E.E. einzugehen. Woraus resultiert diese Distanz bzw. warum ergreifen nur die wenigsten eine „klassisch“ militante Praxis?
Für Linksradikale eröffnen sich unterschiedlichste politische Betätigungsfelder. Zudem sind die Lebensrealitäten in der Metropole von Kompromissen und Widersprüchen geprägt. Dies ist gewiß eine Binsenweisheit, aus der aber zu folgern ist, dass eine Mehrfachbelastung, bestehend aus „legaler“ politischer Arbeit, „illegaler“ Tätigkeiten und der individuellen Reproduktion und Existenzsicherung nur unter kräftezehrenden Anstrengungen zu bewältigen ist. Verzerrte Vorstellungen und Illusionen, die mitunter bei der Aufnahme einer militanten Praxis mitschwingen können, zerschlagen sich sehr schnell, wenn es darum geht, solch eine Mehrfachbelastung individuell und im kollektiven Rahmen zu organisieren. Der Aspekt der Belastung ist die eine Seite, der Aspekt des nicht existenziell Herausgefordertseins die andere.
Für viele MittelschichtsaktivistInnen erfolgt die Politisierung und Radikalisierung i.d.R. über moralische Bedenken und ist nicht Resultat der unmittelbar erfahrenen Unterdrückung (eine nicht allzu gewagte These, die vornehmlich auf weiße Metropolenmänner zugeschnitten ist). D.h. Moral fungiert als Übergang zur politisch bewußten Handlung, bei der revolutionärer Widerstand eben keine (nur) moralische Frage mehr darstellt. Da viele von uns in erster Linie „moralisch mobilisiert“ sind, auch wenn sich zunehmend eine existenzielle Bedrohung bei jenen bemerkbar macht, die bislang nicht betroffen waren, ist die einmal kollektiv getroffene Entscheidung für militante Politik nichts Konstantes. Sie muß häufig erneuert werden.
Neben den eben besprochenen Faktoren der „Überbelastung“ und den „moralischen Mobilisiertseins“ ist die nicht zu unterschätzende abschreckende Wirkung von Repression ausschlaggebend für Distanz und Nichtaufnahme von militanter Politik. Außerdem kann aus einer taktischen Erwägung heraus eine (zeitweilige) Aussetzung militanter Praxis erfolgen.
Wenn wir die Prämisse von der Militanz als integralem Bestandteil revolutionärer Politik setzen, ist die Frage der „praktischen Distanz“ zu militantem Vorgehen nicht allein an militante AktivistInnen zu richten. Linksradikale, die eine „praktische Distanz“ zu Militanz verspüren, und damit nicht nur ein zeitlich befristetes Aussetzen meinen, sondern sich generell davon abwenden und ihr gar die Legitimation absprechen, sind umgekehrt durchaus nach der Ernsthaftigkeit ihres sozialrevolutionären Engagements zu fragen. Die Auseinandersetzung dreht sich u.E. nicht um militante Politik an sich, sondern um die Verknüpfung und Gewichtung von gemeinsamer inhaltlicher Diskussion, militanter/bewaffneter Politik und Organisierungsversuchen.
Eine dieser taktischen Fragestellungen findet sich im radi-Text, die den Punkt des Verhältnisses zwischen dem Stand der Bewegung und korrespondierenden Aktionen in Bezug auf mögliche Repression aufwirft. Die Frage nach diesem Verhältnis ist für uns nicht leicht zu beantworten und aufzulösen. Eine einfache Gleichung ist nicht aufstellbar. Mensch konnte zynisch einbringen, dass der Repressionsdruck nach dem gescheiterten K.O.M.I.T.E.E.-Anschlag und dem 13.6.95 erst Soli-Aktivitäten und Interesse an Sinn und Zweck von militanter Politik auslöste. Dieser Fehlschlag bzw. die Ereignisse nach dem 13.6. waren also durchaus mobilisierungsfördernd. Repressiven Schlägen kann, so zeigt sich, standgehalten und entgegengearbeitet werden. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Arbeit auf weniger Schultern lastet, als in den Jahren zuvor.
Was ist die Alternative? Ein bloßes Herunterfahren oder Aussetzen von Aktionsformen jedenfalls nicht. Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, eine Verknüpfung von Diskussion, Aktion und Organisierung in einem parallelen Prozeß unter uns herzustellen (mehr dazu im IV. Abschnitt). Hier sind all jene gefordert, die solch einen Prozeß einer gemeinsamen politischen Bestimmung für unabdingbar halten. Wir sind auf eine gegenseitige inhaltliche und praktische Resonanz angewiesen!
5. Motive für und Vorwürfe gegen eine militante Politik:
Wir denken, die Genossen vom K.O.M.I.T.E.E. haben relevante Aspekte zu Gründen und Absichten militanter Politik exemplarisch zusammengetragen: Eine weiterhin umgesetzte militante Praxis ermöglicht, den Glaubwürdigkeitsverlust der Linken nach außen und Resignation und Lähmung nach innen abzubauen, vielleicht zu durchbrechen. Der Einwand, dass ein Glaubwürdigkeitsverlust der Linken nicht allein auf militantem Terrain festzustellen ist, vielmehr in unseren eben nicht HERRschaftsfreien sozialen Räumen begründet liegt, ist allerdings ebenso richtig (vgl. Interim Artikel). Wenn politische Zielvorstellungen, wie die Abschaffung von Abschiebeknästen, formuliert werden, ihre Verwirklichung aber nicht ernsthaft versucht wird, so geraten sie zu hilflosen Worthülsen ohne erfahrbare Folgen.
Militante Projekte einzustellen, bis eine umfassende Strategie entwickelt, ausgearbeitet und schließlich von vielen an- und aufgenommen worden ist, hieße, das Verschwinden linksradikaler Positionen zu beschleunigen, denn Aktionen fungieren oft als Vehikel für unsere Themenschwerpunkte. Nicht nur wurden politische Vorstellungen weiter aus der Wahrnehmung verschwinden, such die praktische Erfahrung einer militanten Intervention in die HERRschenden Verhältnisse wäre zumindest zeitweilig kein erkennbarer Bestandteil revolutionärer Politik in der BRD mehr. Es geht demnach auch darum, einen Pool von Eingriffsoptionen beizubehalten, damit diese nicht als undurchführbar gelten und aus dem Blickfeld geraten. Es wird für neu konstituierte militante Gruppen stets von Bedeutung sein, Vorlagen von schon existenten klandestinen und militanten Zusammenhängen zu haben und von ihrem inhaltlichen und praktischen Potential zu zehren.
Das ist kein Plädoyer dafür, mangelnden politischen Einfluß durch immer spektakulärere Aktionen zu kompensieren (vgl. ak-Kommentar). Dieser Vorwurf ist durch die militante Praxis nach der RAF-Zäsur hinsichtlich der „Spektakularität“ und des „Konfrontationsniveaus“ nicht gedeckt.
Die an die Ausführungen des K.O.M.I.T.E.E.s angelehnten Motive für militante Politik stießen bei Stellungnahmen z.T. auf grundsätzliche Kritik: Linksradikale Militanzmythen wurden durch die K.O.M.I.T.E.E.-Politik fortgeschrieben, die gesellschaftsverändernde Bedeutung militanter Politikformen werde überschätzt, das K.O.M.I.T.E.E. nehme eine avantgardistische Rolle ein und verknüpfe Aktionen mit einem „Erweckungsgedanken“ (vgl. Interim-Artikel und ak-Kommentar).
Uns ist in den letzten Jahren kein Statement eines militanten Zusammenhanges bekannt, der die Lage linksradikaler Politik in der BRD nicht als marginal beschrieben hätte. Diese Marginalität zeigt sich sowohl an der Aktionsanzahl, der -präzision und dem -niveau als auch an dem AdressatInnenkreis. Die Aktionen dienten vornehmlich der Festigung und Motivierung der eigenen Strukturen und bezogen sich mehrheitlich auf organisierten Widerstand im Trikont bzw. der Semi-Peripherie (Kurdistan), Gefangenenkämpfe (Mumia Abu-Jamal) oder auf Antifa- und Umstrukturierungsthemen. Wenn dabei gescheiterte Aktionen oder gar eine erzwungene Gruppenauflösung als demobilisierend begriffen wird, so ist das nur allzu berechtigt und nicht als Überschätzung militanter Aktionsformen auszulegen. Wir empfinden die K.O.M.I.T.E.E.-Auflösung gewiß nicht als Motivationsschub und Verbesserung unserer Ausgangsbedingungen! Und wir können keinen Grund erkennen, der eine wie auch immer geartete (Selbst-) Überschätzung rechtfertigen konnte!
Unsere Diskussionen über die Wirkung militanter Politik kreisten häufig um den Punkt, wann Aktionsformen die Schwelle vom „symbolisch-mittelbaren“ zum unmittelbaren Eingreifen in Infrastruktur und institutionelle Arbeitsabläufe überschreiten. Bei der Frage nach dem „symbolischen/nicht-symbolischen“ Charakter einer Aktion ist die Wahl der eingesetzten Mittel zunächst einmal sekundär. Die Zündung eines Sprengsatzes vor einem Gebäude, der lediglich eine beschädigte Fassade hinterlässt, verursacht keine nachhaltige Zerstörung der materiellen Infrastruktur, so dass Arbeitsabläufe nicht oder nur unwesentlich ausgesetzt werden müssen. Die technische Wirkung und der materielle Schaden sind gering, eine solche Aktion kommt nicht über den Rahmen des „Symbolischen“ hinaus. Da die technische Wirkung bei der Mehrzahl der Aktionen eher zu vernachlässigen ist, wird in erster Linie auf eine politische Wirkung (Thematisierung/Mobilisierung bspw. einer Kampagne) gesetzt. Es soll der Öffentlichkeit und den HERRschenden bewusst gemacht werden, dass sich fundamentaloppositioneller Widerstand ungeniert seiner Ausdrucksformen bedient. Ob sich tatsächlich eine thematisierende/mobilisierende Wirkung einstellt, bleibt für die agierende Gruppe his zu einem gewissen Grad unbeeinflußbar (Frage nach der Akzeptanz der Aktion bzw. der inhaltlichen und praktischen Aufnahme innerhalb der Szene; inwieweit ist sie öffentlich registriert worden, etc.). Darüber hinaus bleiben (Einzel-)Aktionen, die durchaus (im Idealfall) die Kriterien der technischen und politischen Wirkung erfüllen (Bsp. Sprengung eines Abschiebeknastes) faktisch bis zu dem Zeitpunkt symbolisch, bis sie sich in einem relevanten Ausmaß vermassen und damit eine materielle Infrastruktur umfassend funktionsuntüchtig machen. Eine Abschiebemaschinerie käme u.U. erst dann ins Stocken, wenn eine Vielzahl von militanten Zusammenhängen Abschiebepolitik zu ihrem politischen Brennpunkt machen würde.
Wir wissen, die Realität sieht anders aus. Uns fehlen die Kräfte dazu, außerdem stellen uns die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort vor enorme Schwierigkeiten. Militante Projekte werden in der BRD vorerst versuchen müssen, Themen zu benennen, um eine politische Wirkung zu entfalten. Soviel zum Aspekt „Überschätzung“ militanter Politik heute.
Mit den fast schon ritualisierten Vorwürfen der „Mythenbildung“ und des „Erweckungsgedanken“ wird vernachlässigt, dass militante Zusammenhänge ihre Aktionen i. d. R. in den Rahmen einer Kampagne stellen oder Themen aufgreifen, die bspw. Teil des triple-oppression-Ansatzes sind (von der AIZ-Politik sei hier abgesehen). D.h. es ist darauf zu achten – und so haben wir auch die Ausführungen des K.O.M.I.T.E.E.s aufgefaßt, dass Aktionen im Kontext linksradikaler Basispolitik stehen bzw. über ein (wenn auch kleines) politisches Pendant verfügen. Hierin druckt sich die Wechselbeziehung zwischen Basispolitik und „flankierenden“ Aktionen aus. Wenn diese Wechselbeziehung von militanten Gruppen berücksichtigt wird, kann der Tendenz, dass jede militante Kleingruppe eine isolierte ist (vgl. radi-Text), entgegengesteuert werden. Sicherlich ist eine kampagnenbezogene Aktion in bewegungsarmen Zeiten nicht in einen zahlenmäßig großen Teilbereichskampf eingebettet. Sie vermag aber in Verbindung mit der linksradikalen Szenen zu wirken, um die „Bodenhaftung“ nicht zu verlieren.
Ähnlich unverständlich erscheint uns der Avantgardismus-Vorwurf: Da der Begriff „Avantgarde“ derart negativ besetzt ist, nimmt der Vorwurf schon fast einen diffamatorischen Charakter an. Worauf stützt er sich? Auf die Intention, eine politisch orientierende Rolle einzunehmen? Politische Akteure zu sein? Impulse setzen zu wollen und Verantwortung zu übernehmen? Den Wunsch zu haben, dass bestimmte Themen von anderen aufgegriffen werden?
Auch wir verfolgen diese Intentionen mit unserem Vorgehen. Wir finden dabei nichts Anrüchiges, denn nur so lassen sich im solidarischen Widerstreit politische Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausbilden, entsteht „Bewegung“.
IV. Organisierung und Organisierungskonzepte militanter Politik:
Die GenossInnen aus der radi reißen zum Abschluss ihres Textes den Punkt der Organisierung und Vernetzung verbliebener militanter Gruppen an. Dabei wird der Erarbeitung neuer Vernetzungskonzepte für die Weiterführung linksradikaler militanter Politik eine zentrale Bedeutung beigemessen.
Dem ist im Grundsatz nur beizupflichten. Allerdings bleiben die Ausführungen bei der Proklamierung der Notwendigkeit neu zu erarbeitender Konzepte stehen. Wir denken, wir sollten bei der Thematisierung der Organisierungs- und Vernetzungsfragen einen Schritt vor der Neuerarbeitung militanter Konzeptionen beginnen. Andernfalls wären wir dem Marketing-Gedanken erlegen, immerzu mit einer großen Innovation aufwarten zu müssen. Zunächst sollten die bisherigen Vorstellungen besprochen und ihr jeweiliger politischer „Gebrauchswert“ bestimmt werden. Das bedeutet, dass wir uns unsere linksradikale Geschichte aneignen und die gemachten Erfahrungswerte berücksichtigen.
Nicht das Entwerfen neuer Schnittmuster für die Organisierung militanter Politik kann im Vordergrund stehen, sondern die Reflexion und das Zusammentragen der vorhandenen Ansätze und Gedanken. Wir werden merken, dass auf grundsätzliche Aspekte zurückgegriffen werden kann. Dabei brauchen wir gar keine großen historischen Ausflüge zu unternehmen, sondern uns schwerpunktmäßig auf die Diskussionen von bewaffneten und militanten Gruppen seit den 90er Jahren konzentrieren.
1. Auswahl verschiedener Organisierungskonzepte:
Wir nehmen vor allem Bezug auf die innerhalb des RZ-Zusammenhangs geführte Debatte Ende 1991 bis Mitte 1992 (einschließlich des schriftlichen Interviews einer nicht aus dem Traditionsverein kommenden RZ, vgl. radi Nr. 147, März ’93), bei der u. a. die Bedeutung und Funktion des RZ-Koordinatensystems (Aktion Vermittlung – Verankerung – Vermassung) behandelt wird. Die AIZ-Initiative, die als Bestandteile des politischen Klärungsprozesses für eine Neubestimmung einer antiimperialistischen Politik in der BRD einen parallelen, von unterschiedlichen Zusammenhängen getragenen Prozeß von inhaltlicher Diskussion, Organisierungsversuchen und bewaffneten/militanten Aktionen vorsieht, bietet ebenso Ansatzpunkte für eine Vernetzung. Darüber hinaus werden wir uns mit der RAF-Vorstellung des Aufbaus einer sozialen Gegenmacht von unten, die nach der Zäsur im April ’92 zum zentralen Punkt in der RAF-Politik wurde, beschäftigen. Die erstgenannten Konzepte konzentrieren sich auf die Organisierung des militanten linksradikalen Spektrums, während es der RAF vor dem Hintergrund bewegungsarmer Zeiten in erster Linie um die Voraussetzungen, Bedingungen und Realisierungschancen einer breiten und sich an verschiedenen gesellschaftlichen Konfliktlinien entwickelnden linken emanzipativen Bewegung geht.
1.1. RZ-Koordinatensystem:
Das RZ-Konzept ist darauf ausgerichtet, dass sich die Politik der RZ in einem aktiven linksradikalen Umfeld verankert, dort vermasst und schließlich über den linksradikalen Rahmen hinaus in sozialen Konflikten politisches Gewicht erlangt. Dabei lag die Fixierung auf der linksradikalen Bewegung; auf die sich orientierend bezogen werden sollte. Sie fungierte als Transmissionsriemen zwischen der Guerilla und den potentiell zu politisierenden „Massen“. Die „Qualität (des RZ-Konzepts Anm. v. uns)“, so eine RZ im schriftlichen Interview, „zeigt sich in der autonomen Organisierung, die den politischen und strukturellen Ungleichzeitigkeiten Rechnung trägt und trotzdem die Möglichkeit beinhaltet, sich gemeinsam zu organisieren, um ein politischer Faktor zu werden“. Das politisch Verbindende, gerade der RZ, die nicht dem (strukturell verbundenen?) Traditionsverein angehören, besteht weniger in einer gemeinsam formulierten Theorie, als vielmehr in einer gleichförmigen Praxis. Das macht sich an dem Aktionsniveau ebenso deutlich wie an der Erfahrung, die mit dem RZ-Konzept transportiert wird, dass militante Politik aus dem Alltag heraus und aus legalen Zusammenhängen entfaltet werden kann.
Hieraus erwuchs die Kritik, die insbesondere von der RZ aufgeworfen wurde, die sich selbst auflöste („Das Ende unserer Politik“), dass das RZ-Konzept eher ein Aktionsmodell sei, denn Ergebnis einer politischen Theorie. Hier drückt sich vor allem das Spannungsverhältnis zwischen einer Organisierung an der Praxis bzw. einer, die sich primär auf eine inhaltliche Übereinstimmung der politischen Zielsetzungen gründet, aus.
Zudem habe sich das RZ-Koordinatensystem infolge der welthistorischen Veränderungen nach ’89 und dem damit einhergehenden Wandlungs- und Auflösungsprozeß der Linken überlebt. Zwischen dem RZ-Organisationszusammenhang und den verschiedenen Teilbereichsbewegungen habe sich keine tatsächlich vitale Wechselbeziehung ergeben, es beschränkte sich mehr auf eine Parallelität von Kampfmethoden.
Andere, wie jene RZ, die ihren Text mit „Tendenz für die internationale soziale Revolution“ betitelte, oder jene, die das schriftliche Interview gab, wenden sich gegen eine lineare und statische Auslegung des RZ-Koordinatensystems. Davon auszugehen, dass das RZ-Koordinatensystem bruchlos mit den gesellschaftlichen Prozessen korrespondiere und es zwangsläufig zu einer massenhaften Aufnahme der Anregungen der RZ hätte kommen müssen, sei eine starke Vereinfachung. Bei dieser Meßlatte wäre das konstatierte Scheitern bewaffneter/militanter Politik vorprogrammiert. Darüber hinaus handele es sich um einen pädagogischen Avantgardeanspruch.
Die interviewte RZ entgegnet dem Vorwurf, das von der RZ praktizierte Konzept sei im wesentlichen ein Aktionsmodell. Das Konzept ist nicht in der Form angelegt, welche die Aktionsmittel aus der politisch-inhaltlichen Diskussion loslöst, „Vermittlung, Vermassung und politische Weiterentwicklung müssen in einen Prozeß wechselseitiger Diskussionen eingebettet sein“.
Später führt sie aus, dass „militante Praxis nicht nur durch Aktionen sichtbar werden (sollte). Die differenzierte inhaltliche Vermittlung unserer Analysen und Ziele sind wesentlicher Bestandteil unserer Politik und von militanter Praxis nicht abtrennbar“.
Die Schwierigkeit der Vermittlung zwischen der Politik der RZ und den Teilbereichsbewegungen besteht allerdings in dem mangelnden Austauschprozeß, der sich vornehmlich aus der Ungleichzeitigkeit der Vielzahl linker Kämpfe sowohl inhaltlich als auch in der Wahl der Mittel ergibt: Um diese Kluft zu überbrücken, ist es unabdingbar, dass sich beide Seiten zueinander kritisch und selbstkritisch in Beziehung setzen bzw. ihr jeweiliges Verhältnis zueinander öffentlich machen.
1.2. AIZ-Ansatz:
Folgend wollen wir den von der AIZ aufgeworfenen Ansatz darstellen, der als Bestandteil eines notwendigen Klärungsprozesses innerhalb der radikalen Linken inhaltliche Diskussionen, Organisierungsversuche und bewaffnete/militante Aktionen benennt Auf die in den vergangenen Monaten recht ausführlich vorgetragene Kritik an der AIZ, die wir teilen (bspw. ihr Aktionsverständnis der „potentiell tödlichen Wirkung“, die positive Übersteigerung islamisch-revolutionärer Gruppen als trikontinentale Bezugspunkte etc.) werden wir hier nicht im einzelnen eingehen. Uns interessieren in diesem Zusammenhang mehr die organisatorischen Vorstellungen (vgl. die AIZ-Stellungnahmen vom 13.12.93 und 8.7.94). Sinngemäß wird neben den drei Bestandteilen des Klärungsprozesses dargelegt, dass die Neubestimmung antiimperialistischer Politik in der BRD von unterschiedlichen bewaffneten/militanten Zusammenhängen getragen werden soll. Die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der einzelnen Zusammenhänge hinsichtlich der Aktionsdurchführung sei dabei zwingend notwendig. Ebenso könne kein Zusammenhang im gleichzeitigen Prozeß von Diskussion und Aktion im Mittelpunkt stehen. Das politisch Verbindende der aktiven revolutionären Gruppen entsteht im gemeinsamen Kampfprozeß schrittweise und formuliert sich in einer ausführlichen öffentlichen Diskussion. Unter Organisierung versteht die AIZ keinen Aufbau formaler Strukturen, sondern einen Prozeß des Zusammenkommens auf inhaltlicher Grundlage. Diese inhaltlich-politische Grundlage beinhaltet die triple-oppression-Analyse „vor dem Hintergrund des internationalen Kriegsverhältnisses zwischen dem Imperialismus und den Weltmassen“.
1.3. RAF-Initiative für den Aufbau einer „sozialen Gegenmacht von unten“:
Die von 1989 bis 1991 reichende Übergangsphase der RAF führte ausgehend von einer weltweit und innenpolitisch veränderten Situation zu der Vorstellung eines parallelen Prozesses der Reflexion ihrer Geschichte, des inhaltlichen Neubestimmungsversuches und der Fortführung des allerdings mit konkreten Forderungen verknüpften bewaffneten Kampfes. Charakteristisch für die Neuausrichtung ihrer Politik waren beispielsweise die Aktionen gegen die US-Botschaft während des Golfkrieges und gegen den Treuhandchef Rohwedder. Da diese Übergangsphase nicht den politischen Raum für eine gemeinsame Diskussion innerhalb der Linken eröffnete, erfolgte mit der April-Erklärung 1992 die Rücknahme der Eskalation. Mit diesem Einschnitt lag die Priorität der RAF-Politik auf einer gemeinsam vorgenommenen Neubestimmung der inhaltlichen Ausrichtung, des Konfrontationsniveaus und der Organisierung einer Gegenmacht von unten. „...was wir jetzt und für die nächste Zeit am wichtigsten finden: die seit langem notwendigen gemeinsamen Diskussionen und den Aufbau von Zusammenhängen unter den verschiedensten Gruppen und Menschen; da, wo sie leben, ausgehend vom Alltag der Menschen in dieser Gesellschaft, aus dem für viele die Notwendigkeit drängt, ihre eigene Lage in die Hand zu nehmen und gemeinsam mit anderen nach Lösungen zu suchen. Wir denken, solche Zusammenhänge können die Basis werden von der Kraft, die wir Gegenmacht von unten genannt haben und die so noch nicht lebt“ (April ’'92). Daraus folgt konkret, dass die alleinige Orientierung auf die „Einheit der RevolutionärInnen“ die Vielfalt der Kämpfe negiere; „eine emanzipatorische Bewegung muss die Auseinandersetzung um alle Unterdrückungsverhältnisse wie Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus führen, um im Kampf zu ihrer Aufhebung zu kommen“ (März ’94). Den Kern der Gegenmachtsvorstellung bilden demnach soziale Aneignungsprozesse, die mittels Alternativen den sozialen Inhalt der Kämpfe identifizierbar machen und somit der Zerstörung des Sozialen entgegenwirken sollen.
2. Der spezifische „Gebrauchswert“ der konzeptionellen Ansätze:
2.1. „Gebrauchswert“ der RZ- und AIZ-Konzepte:
Nach der knappen Skizzierung der drei Ansätze bleibt zunächst die Frage nach dem spezifischen „Gebrauchswert“ der RZ- und AIZ-Vorstellungen für die Organisierung militanter Politik in der BRD unter den gegebenen Umständen. Wenn wir im zweiten Kapitel unseres Textes den exemplarischen Charakter dieser konzeptionellen Eckpunkte hervorgehoben haben, so vor dem Hintergrund, dass jede militante Initiative darauf bedacht ist, ihre Inhalte zu vermitteln. Die Vermittlung kann nicht das alleinige Ziel sein, vielmehr ist darauf zu setzen, dass die Inhalte und die Aktionsform zu einem festen Bestandteil anderer Zusammenhänge werden, also sich verankern. Das zu erreichende Ziel ist ein Aufgreifen und Nachahmen der Inhalte und der Aktionsform durch Angehörige des linksradikalen Spektrums und eventuell darüber hinaus (Vermassung). Ähnlich verhält es sich mit den organisatorischen Elementen der AIZ. Um zu einer politischen Wirksamkeit revolutionärer Praxis zu kommen, müssen die bewaffneten/militanten Aktionsformen durch möglichst breit geführte Debatten inhaltlich/theoretisch unterfüttert sein und Organisierungsbestrebungen auslösen und fördern. Die beiden Vorstellungen diesbezüglich variieren nicht wesentlich, Kern ist jeweils ein Prozess, in dem militante/bewaffnete Praxis inhaltlich legitimiert und organisatorisch umrahmt wird (Vernetzung).
Diese Intentionen militanter Politik können sowohl für bewegungsstarke als auch für bewegungsschwache Zeiten Gültigkeit beanspruchen. Entscheidend ist die Konkretion dieses Grundmusters militanter Politik: Zu fragen ist nach den Themen und gesellschaftlichen Kämpfen, die militant aufgegriffen werden sollen, sowie nach den angewendeten Aktionsmethoden, die eine Aufnahme revolutionärer Politik durch andere anregen und ein Erreichen weiterer Kreise begünstigten. Ob dabei das inhaltliche (Diskussion), praktische (Aktion) oder organisatorische (Vernetzung) Moment im Vordergrund steht, ist einerseits Ergebnis der Gesamtsituation der linksradikalen Szene und andererseits Ergebnis der gruppenindividuellen Schwerpunktsetzung.
Wenn die Erarbeitung einer revolutionären Perspektive weiterhin Prämisse sein soll, dann geht es nicht um eine Demontage und ein generelles Infragestellen militanter Orga-Konzepte, sondern um deren Ausrichtung und Auslegung.
Interessant ist an beiden Ansätzen, dass mit einer Vernetzung nicht in erster Linie eine strukturelle gemeint ist, sondern die inhaltliche Diskussion und theoretische Übereinstimmung (evtl. noch die abgestimmte Wahl der Aktionsmittel) verbindende Klammer der Zusammenhänge sein soll. Dies ist sicherlich eine realistische Ausgangssituation, denn der Aufbau einer gruppenübergreifenden strukturellen Vernetzung von militanten Zusammenhängen ist mit etlichen Hindernissen verbunden. Jede Kontaktaufnahme mit Gruppen oder Einzelpersonen birgt existentielle Risiken für die eigene Gruppe. Da die Koordinierungsmöglichkeiten einer strukturellen Vernetzung ab einem gewissen Auslastungsgrad von Gruppenbeteiligungen und räumlicher Ausdehnung erschöpft sind, und die Aufnahme von neuen Gruppen sich als kompliziert erweisen wird/könnte, wird sich die Frage einer Vernetzung auf inhaltlicher Grundlage immer stellen. Regionale strukturelle Verknüpfungen scheinen da noch am ehesten realisierbar, da nur die wenigsten logistisch in der Lage sein werden, BRD-weit zu agieren. Dabei spielt auch das „Stadt-Land-Gefälle“ eine Rolle. In Großstädten durfte der Versuch des Aufbaus einer gruppenübergreifenden Struktur um einiges leichter fallen. Jene, die sich in der Lage sehen, eine strukturelle Vernetzung umzusetzen, sollten die Voraussetzungen dafür einleiten.
Aber zurück zur Vernetzung auf inhaltlicher Grundlage. Die vielfältigen Schwierigkeiten liegen auf der Hand: Welcher Modus ist für eine inhaltliche Obereinkunft von nebeneinander existierenden militanten Gruppen vorstellbar? Lassen sich Konsensthemen bestimmen, auf die sich die Gruppen zwischenzeitlich inhaltlich und praktisch konzentrieren? Auch hier wird die Ungleichzeitigkeit der einzelnen Gruppen von Bedeutung sein. Einige werden sich mit den Widrigkeiten der internen Reproduktion herumzuschlagen haben, andere sind dabei, ihre praktischen Fertigkeiten auszubauen, wiederum andere ziehen andere Themenstellungen vor ...
Diese offenen Fragen wären bei einer schon etablierten strukturellen Verknüpfung nicht derart gravierend.
Auch der Vorschlag einer Diskussion innerhalb der sich Gruppen aufeinander beziehen, wird hiermit nicht zum ersten Mal offeriert. Anfang ’94 erfolgte von der Gruppe „Kein Friede“ ein solcher Aufruf, dessen Resonanz, wenn wir es dezent ausdrucken sollen, äußerst bescheiden war. Sie schrieben, wohl in weiser Voraussicht: „Wir wissen, der Appell (...) muss folgenlos verhallen, wenn es einen organisierten Rahmen für solch eine Diskussion gar nicht gibt“. Wir sollten also auch nicht der Illusion verfallen, dass eine angestoßene und thematisch abgesteckte Diskussion im Nu großen Anklang findet und nach wenigen Wochen handfeste Ergebnisse zeitigt, die auf die gesamte linksradikale Szene eine politikbestimmende Wirkung haben. Zwischen dem Ausgangstext, Reaktionen und Erwiderungen liegen oftmals lange, Monate umfassende Zeiträume. Es ist vorstellbar, dass aufgrund von Ungleichzeitigkeiten offene Fragestellungen von einzelnen Gruppen nicht mitdiskutiert werden können, aber dennoch Einfluß auf deren Politik ausüben. Diskussionen verlaufen also nicht selten diskontinuierlich und können für einzelne Gruppenzusammenhänge erst für einen späteren Zeitpunkt bedeutsam sein.
Wenn eine organisierte Diskussion in linksradikalen Medien einen Sinn ergeben soll, so muß nicht nur eine themen-, aktionsform- gruppenstrukturspezifische (bspw. Teil der linksradikalen Bewegung und keine davon abgekoppelte Separatstruktur) Verständigung erfolgen, sondern diese Diskussion sollte auch eine Korrektivfunktion haben. Wäre die AIZ-Politik von Beginn an Aspekt einer vorab geplanten inhaltlichen Diskussion über die Neubestimmung revolutionärer Praxis in der BRD gewesen, hätte sie sich aufgrund der massiv vorgetragenen und begründeten Kritik, von einem Gutteil ihrer inhaltlichen und praktischen Bestimmungen zu verabschieden. Die Autonomie der einzelnen Zusammenhänge kann nicht dazu instrumentalisiert werden, sich berechtigter kritischer Einwürfe einfach mit Hinweis auf eben jene Autonomie zu entledigen. Übersetzt heißt das, dass eine organisierte Diskussion, deren Sinn und Zweck im Vorfeld abgesteckt ist, und die eine möglichst rege Beteiligung erfahrt, einen verbindlichen Charakter haben muß. Sich aus solch einem Diskussionsrahmen auszuklinken oder diesen nur noch am Rande zu begleiten, bleibt natürlich den Gruppen unbenommen. Wie sollte es auch anders sein!?
Einen weiteren Punkt im Zusammenhang mit Organisierungsfragen militanter Strukturen wollen wir ansprechen. In der RZ-Debatte war die Wechselbeziehung zwischen der RZ als Guerillastruktur und linken/linksradikalen Basisaktivitäten ein wichtiger strittiger Aspekt. Wenn eine Organisationsstruktur außerhalb von Basispolitik angelegt ist, sind Stoffwechselstörungen zwischen den Ebenen geradezu zwangsläufig. Widerstandsformen, die – wie eine mit illegalen Mitteln operierende militante Struktur und legale Basisaktivitäten – voneinander entkoppelt werden, werden stets nur mühsam wieder in Beziehung zu bringen sein. Wir denken, dass sich beide Ebenen für eine Gruppe, die auch militant agiert, sicherlich unter Mehraufwand, zusammenbringen lassen. Das heißt nicht, dass die Gruppe als solche an Basisaktivitäten beteiligt ist, sondern dass einzelne in unterschiedlichen legalen Bereichen aktiv sind.
Wenn sich die Probleme der fehlenden Wechselbeziehung zwischen militanter Struktur und Basis als Zerreißprobe für einen kompletten Organisationszusammenhang erweisen, muß eine Lehre daraus sein, solch eine Diskrepanz erst gar nicht aufkommen zu lassen, indem beide Ebenen Bestandteile des Orga-Konzeptes sind. Auch wenn das eine Aktion weniger im Jahr bedeutet.
Wir sehen dies auch als Möglichkeit, einem erweiterten Militanzverständnis, wie in Kapitel III geschildert, entgegenzukommen. Die Entscheidung, wie Gruppenangehörige zwischen militanter Politik und Basisaktivität gewichten, ist klärungsbedürftig. Ob die Gewichtung festgelegt ist oder auch variieren kann, ergibt sich aus der jeweiligen aktuellen und taktischen Bedeutung des einen bzw. anderen. Klar ist jedenfalls, dass militante Praxis zeitintensiv ist und einen Schwerpunkt gerade wahrend Aktionsvorbereitungen nahelegt.
2.2. „Gebrauchswert“ der RAF-Initiative:
Die RAF-Vorstellung einer „Gegenmacht von unten“ wurde nach der April-Erklärung von verschiedener Seite mit Kritik bedacht. Michi Dietiker, Ali Jansen und Bernhard Rosenkötter betonen in dem Text „über das Schleifen von Messerrücken“ (Juli ’92, „dass sich aus politischer Basisarbeit nirgends unmittelbar revolutionäre Politik entwickeln läßt.“ Eine Verankerung in „sozialen Gegenden“ ist nach Ali Jansen et al. Voraussetzung für, aber nicht selbst schon revolutionäre Strategie. Basiskämpfe und „gesellschaftliche Lösungsmodelle von unten“ sind hinsichtlich ihres revolutionären Potentials sowohl in ihrer Begrenztheit als auch ihrer Radikalität einzuschätzen. Entscheidend ist, ob relevante Kämpfe den Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Unterdrückungszusammenhang freilegen oder verschütten – also einen antagonistischen Charakter annehmen oder nicht („keine Lösung unterhalb der Revolution“). Aufgabe revolutionärer Politik ist es, jene zu initiieren und auf Kämpfe inhaltlich und politisch einzuwirken, „die den grundlegenden Widerspruch und seine mögliche Aufhebung beinhalten“. Dabei geht es nicht um eine vorab ausgearbeitete Gesamtstrategie revolutionärer Politik, sondern um einen kritischen und selbstkritischen Prozeß, in dem politische Kriterien entwickelt und überprüft werden und durch die Praxis zunehmend an Umfang und Deutlichkeit gewinnen.
Die Broschürengruppe bemängelt in ihrer Referatsvorlage zur Volks-Uni Pfingsten ’94 in Berlin, dass die RAF mit ihrer Zäsur „keine revolutionäre (Re)-Orientierung an den Widersprüchen in der hiesigen Gesellschaft (vollzog)“. Mit dem Konzept der Gegenmacht von unten verwende die RAF weiterhin einen strukturell widerspruchsfreien Gesellschaftsbegriff, der sich einer an den gesellschaftlichen Widerspruchslinien orientierenden Politik verschließe.
Weitere kritische Anmerkungen beziehen sich u.a. darauf, dass die RAF die Zäsur ohne „strategische Orientierung“ traf (vgl. Like a rolling stone ... Zur Krise der revolutionären Linken, Aug. 94) bzw., dass keine politische Entwicklung zur Diskussion gestellt wurde, „sondern nur die Schlußfolgerungen durch die RAF“ (Kein Friede, Jan. ’94).
Die RAF ist mit ihrer Stellungnahme vom 6.3.94 auf die Einwände eingegangen und hat versucht ihre vorangegangenen Ausführungen zu präzisieren. Dennoch verweisen die eben aufgeführten Kritikpunkte auf einige Gefahrenquellen, die sich aus dem Vorschlag des Aufbaus einer sozialen Gegenmacht von unten ergeben und die nicht ausgeräumt werden konnten. Die inhaltliche Ausgestaltung des Gegenmachtsmodells ist trotz der vorgenommenen Präzisierungen äußerst allgemein gehalten. Das ist im Grunde auch nicht weiter verwunderlich, denn es wäre absurd, davon auszugehen, dass einige wenige linksradikale Zusammenhänge in der BRD in der Lage wären, eine Bewegung vorwegzunehmen. Faktoren für die Entstehung und den Verlauf einer nicht nur punktuellen, sondern einer allumfassend antagonistisch wirkenden Bewegung im Vorfeld prognostizieren zu wollen, ist und bleibt ein hoffnungslos spekulatives Unterfangen. Das überraschende bzw. vermutete Aufkommen von Bewegungsformen und deren oftmals enormen Zerfallserscheinungen lassen weder detaillierte Konzeptionen für den Aufbau einer linken Bewegung zu, noch sind gesicherte Aussagen über deren mittel- oder langfristige Richtung möglich.
Auffallender als die vage Umschreibung des Gegenmachtsmodells finden wir allerdings die konturenlose Definition ihrer eigenen Rolle als RAF in diesem Prozeß. Es heißt lediglich lapidar, „dass die Guerilla in diesem Prozeß von Aufbau nicht im Mittelpunkt stehen kann“ (April-Erklärung ’92) bzw., dass es ihnen um einen Prozeß geht, „in dem sich die Guerilla eine Funktion für die gesellschaftliche Veränderung von unten aneignet. Wir haben es mal auf den Begriff ‚Guerilla als Waffe der sozialen Bewegung‘ gebracht“ (August-Erklärung ’92). Auffallend finden wir es deshalb, weil sich die RAF innerhalb des linksradikalen Spektrums offenkundig nicht selbst zu verorten vermag und sich ihres eigenen Stellenwertes nicht bewusst ist. Die RAF hat mit diesen Aussagen leider wenig Anhaltspunkte hinsichtlich ihres künftigen Betätigungsfeldes gegeben, weder wo sie für sich Interventionsmöglichkeiten sehen wurde, noch wie das Verhältnis zwischen ihr als Metropolenguerilla und sozialen Bewegungen gestaltet werden könnte. Eine Konkretisierung des Begriffs „Guerilla als Waffe der sozialen Bewegung“ ist für eine weitere Diskussion notwendig.
Allerdings gab es auch von Seiten der Linken kaum Versuche, dieses inhaltliche und organisatorische Dilemma zu beseitigen. Dies zeugt insgesamt von großer Verunsicherung. Das Gegenmachtsmodell mußte die Frage beantworten, auf weiche Weise Metropolenguerilla, militante – an Basiskämpfen orientierte - Gruppen und Basisstrukturen/Bewegungstendenzen inhaltlich, aktionsformspezifisch und organisatorisch/strukturell miteinander interagieren können. Damit geht es zum einen um eine konkretere Vorstellung, welche Aufgaben und Funktionen die verschiedenen Widerstandsebenen sich selbst zuschreiben. Zum anderen mußte ein Weg gefunden werden, auf dem die einzelnen Ebenen ihre Kämpfe im gemeinsamen Gegenmachtsprozeß zusammenbringen, sich gegenseitig wahrnehmen und unterstützen.
In diesem Zusammenhang lassen sich alle erdenklichen Fragen nach den Wechselbeziehungen zwischen Guerilla, militantem Widerstand und Basisstrukturen diskutieren. Zu fragen ist, ob solch ein Schema heutigen Anforderungen in taktischer und strategischer Hinsicht entspricht und perspektivreich erscheint. Wir für unseren Teil halten eine Auseinandersetzung über dieses Schema im Zusammenhang mit der Klärung des Zusammenwirkens der einzelnen Widerstandsbereiche einer sozialen Gegenmacht von unten für lohnend, werden es aber zunächst hierbei belassen, da der Schwerpunkt dieses Textes in der Erörterung der Organisierung militanter Gruppen liegt.
V. Fazit
Mit diesem Text haben wir versucht die strategischen und taktischen Ansätze unserer Politik zu umreißen. Für die Überwindung der HERRschenden Verhältnisse geht es uns um die Erarbeitung allgemeiner Formen und Methoden zur Erreichung dieses strategischen Ziels. Die jeweiligen taktischen Schritte, die den strategischen Prämissen untergeordnet sind, müssen sowohl das Potential der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch die gegebenen gesamtgesellschaftlichen Umstände zum Ausgangspunkt der Interventionen haben. Die inhaltliche, praktische und organisatorische Konkretisierung der eigenen Politik ist etwas Prozeßhaftes und niemals in sich abgeschlossen.
Um es zunächst auf eine simple Formel zu bringen: Wir zielen strategisch auf die Entwicklung einer kommunistischen Gesellschaft durch die Revolutionierung der HERRschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen ab. Damit solch ein antagonistischer inhaltlicher Entwurf eine reelle Chance erhält, ist es nicht nur wichtig, das innergesellschaftliche Gefüge der BRD zu erschüttern, sondern ebenso internationalistische Bezüge herzustellen. Um einer innergesellschaftlichen Umwälzungs- und einer internationalen Befreiungsperspektive gerecht werden zu können ist die Aneignung von vielfältigen Aktions- und Interventionsformen erforderlich. Deren Anwendung orientiert sich, unabhängig vom gesetzlich gewährten Rahmen, an den Kriterien der politischen und technischen Wirkung. Zudem hängt der Gebrauch und Einsatz militanter Mittel von den gruppeneigenen Fertigkeiten ab.
Darüber hinaus müssen die inhaltlich-theoretischen Positionen und die praktischen Eingriffsoptionen in einen organisatorischen Rahmen eingebettet sein. Damit der eigene Widerstand und der des linksradikalen Spektrums eine Struktur erhält und koordiniert werden kann, muß ein Beziehungsgeflecht bzw. eine Vernetzung zwischen den einzelnen Widerstandsebenen organisiert werden.
Diese allgemeine inhaltliche, praktische und organisatorische strategische Verortung erfordert ihre Konkretion. Inhaltlich heißt das für uns, dass wir nicht das Gegensatzpaar eines sozialrevolutionären und eines antiimperialistischen Ansatz aufbauen, sondern unser Ansatzpunkt liegt in der Synthese von sozialer Revolution (triple-oppression-Widerspruchslinien) und Antiimperialismus (Aufhebung des Konfrontationsverhältnisses der Metropolen gegen den Trikont). Dementsprechend favorisieren wir inhaltlich eine Diskussion über die Bedeutung und Grenzen des triple-oppression-Ansatzes und eine Auseinandersetzung über verschiedene Imperialismus-Theorien, um zu einem gemeinsamen Begriff von innergesellschaftlicher und imperialistischer HERRschaftspolitik zu kommen. Eine stärkere Orientierung an feministischer Theorie, die nicht nur Makulatur ist, sondern sich real in unserer Diskussion und nachfolgenden Praxis widerspiegelt, werden wir künftig anzunehmen haben.
Hinsichtlich der praktischen Seite sind wir zu dem Schluß gekommen, dass die Umsetzung einer militanten Praxis und das Mittragen von Basisstrukturen keine voneinander zu entkoppelnden Sphären revolutionärer Politik sind, sondern konzeptionell zusammengehören. Wir versuchen, militante Praxis und Basisaktivität miteinander zu verknüpfen. Daraus folgt für uns, in erster Linie teilbereichskampf- und kampagnenorientiert zu agieren. Antagonistische Kämpfe entlang der triple-oppression-Widerspruchslinien, antiimperialistische Befreiungskämpfe und Gefangenenkämpfe um Leben und Freiheit sind hierbei Orientierungspunkte unserer Politik. Wir greifen also jene Auseinandersetzungen auf, in denen eine ausbeutungslose und unterdrückungsfreie Perspektive Handlungsgrundlage ist. Was einzelne Aktionsformen bzw. die Fragen nach dem -ziel, -zeitpunkt, -niveau und -ausmaß betrifft, bewegen wir uns in den in Kapitel III besprochenen Bandbreiten.
Unsere organisatorischen Vorstellungen orientieren sich an konzeptionellen Entwürfen, die die verschiedenen Widerstandsebenen (z.B. Metropolenguerilla - basisorientierte militante Zusammenhänge – Basisbewegung) miteinander in Beziehung setzen. Als militante Gruppe stützen wir uns vornehmlich auf organisatorische Vorschläge zur Vernetzung militanter Zusammenhänge. In unserem Text beziehen wir uns vor allem auf die Vorstellungen und Ausführungen der RZ und der AIZ, da sie unseres Erachtens auch vor dem Hintergrund der nicht allzu rosigen Situation der radikalen Linken taugliche Organisierungsvorschläge liefern. Das RAF-Konzept des Aufbaus einer sozialen Gegenmacht von unten müßte dahingehend weitergedacht werden, wie die Interaktion der einzelnen Widerstandsebenen aussehen könnte. In diesem Kontext wäre zu diskutieren, inwiefern militante Zusammenhänge als Bindeglied bzw. Mittlerin zwischen einer Metropolenguerilla und Basisstrukturen fungieren könnten.
Was die Organisierungsbemühungen von militanter Politik vor dem Hintergrund bewegungsarmer Zeiten betrifft, steht eine Annäherung und, in einem fortgeschrittenen Stadium, eine Vernetzung auf inhaltlicher Grundlage in Vordergrund. Wenn darüber hinaus eine strukturelle aussichtsreich erscheint, sind die erforderlichen Schritte selbstverständlich zu gehen. Dieser inhaltliche Vernetzungsprozeß muß die zu erörternden Fragestellungen, die zu wählenden Aktionsformen und das Verhältnis von militanten Gruppen, Basisstrukturen und linken Szenen beinhalten.
Perspektivisch ist auch ein Ausblick zu wagen was denn als Abschluss eines solchen Verständigungsversuches stehen soll. Vielleicht ein über inhaltliche Übereinstimmungen zusammengekommener Organisationszusammenhang, der dies durch eine kontinuierliche Namensgebung kenntlich macht, mit der dann ein thematischer Rahmen und politische Zielvorstellungen, Aktionsformen und die Verortung innerhalb der radikalen Linken zu verbinden ist. Wie dies im einzelnen vonstatten gehen kann und soll, ist einem langwierigen Diskussionsprozeß vorbehalten und liegt erst einmal in weiter Ferne.
Wenn die von der radi angeschobene Diskussion und Reflexion über Organisierungsversuche und konzeptionelle Unterfütterung militanter Politik in der BRD einige dieser Aspekte verdeutlichen konnte, wäre ein kleiner Schritt aus der linksradikalen Depression getan.
Denke nicht, dass man traurig sein muß um militant sein zu können – auch dann nicht, wenn das, wogegen man kämpft, abscheulich ist! (Foucault)
FÜR EINE SOZIALREVOLUTIONÄRE UND ANTIIMPERIALISTISCHE BEFREIUNGSPERSPEKTIVE!
eine militante Gruppe, August 1996