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3. September 2006 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 642

Anschlagserklärung

In der Nacht zum 4. September 2006 haben wir Einsatzfahrzeuge des Bundespolizeiabschnitts am Bahnhof Berlin-Lichtenberg in der Weitlingstraße mit zeitverzögerten Brandsätzen flambiert.

Anlass dieser Aktion ist das Zu-Tode-Hetzen von fünf Flüchtlingen und einem kommerziellen Fluchthelfer von vor genau einem Monat in der Nähe der bei Berlin liegenden Stadt Königs-Wusterhausen. Die Täter waren in einer konzertierten Aktion ein Fahndungskommando der Bundespolizei im Auftrage der Staatsanwaltschaft Leipzig. Unterstützt wurde diese „Todesfahrt“ von der Brandenburgischen Landespolizei. Erst in der vergangenen Woche ist bekannt geworden, dass das verfolgte Fahrzeug „verwanzt“ war, so dass eine Verfolgung selbst nach „ermittlungstaktischen Grundsätzen“ nicht erforderlich war. Stattdessen wurde der Tod von 6 Menschen billigend in Kauf genommen bzw. geradezu provoziert.

Brandenburgs Innenminister Schönbohm gelang es mit einer eilig einberufenen Pressekonferenz jede Schuld an den 6 Toten und 2 Schwerverletzten von sich zu weisen. Zudem ließ er keine Gelegenheit aus, die Menschenjagdabteilungen der Bundespolizei reinzuwaschen und von jeder Verantwortung für das Gemetzel auf einer Brandenburgischen Landstrasse freizusprechen.

Wir haben unseren Angriffspunkt auf einen (minimalen) Teil der Infrastruktur der Bundespolizei gezielt ausgewählt: Der „Weitlingkiez“ gilt als ein von Angehörigen neonazistischer Kameradschaften dominiertes Wohnquartier. Um diese Dominanz zu brechen, bzw. zumindest antifaschistische Alternativen vor Ort aufzuzeigen, gibt es seit Juli 2006 die Kampagne „Hol Dir den Kiez zurück“. Zu einem solchen Projekt gehört unserer Auffassung nach u.a., für einen militanten Funkenflug zu sorgen, der sich sowohl auf die örtlichen Nazi-Strukturen als auch auf vor Ort ansässige Einrichtungen des staatlichen Repressionsapparates, wie der Bundespolizei, erstreckt. Der Aufbau von Strukturen der revolutionären Linken hat weder seinen Ausgangs- noch seinen Endpunkt in einem punktuellen Anti-Nazi-Kampf. So richtig und notwendig (und in einigen Regionen existenziell) dieser auch ist, so richtig und notwendig ist es, die Grundfeste dieser kapitalistisch-imperialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu beseitigen, um u.a. den faschistischen Nährboden trockenzulegen.

Solidarität mit den Flüchtlingen und „Verdammten dieser Erde“!

In der üblichen zynischen Verdrehung der Tatsachen wurde nach der „Todesfahrt“ nicht das mörderische Grenzregime der EU-Staaten thematisiert, sondern die sog. Schleuserkriminalität. Dass Fluchtbewegungen Ausdruck des weltweiten sozialen und ökonomischen Gefälles einerseits und der innerstaatlichen Zerrüttung in den Herkunftsländern andererseits sind, bleibt in den plumpen, aber wirksamen Ablenkungsmanövern in staatstragender Politik und speichelleckenden Medienanstalten außen vor.

Es Ist nur folgerichtig, dass die „Verdammten dieser Erde“ ihre Lebensrechte an den stählernen Pforten der Wohlstandsinseln der westeuropäischen und nordamerikanischen Metropolen einfordern und nicht nur Zaungäste sein wollen. Wer/weiche würde anders handeln, wenn einem/einer auch durch kommerzielle Fluchthilfe ein Zugang hinter die Grenzen der sog. Schengen-Staaten ermöglicht würde? Die Motive von Flucht sind so verschiedenen wie die Flüchtenden selbst; eines ist aber klar, sie sind im Wortsinn der „Rückfluss“ der für die kapitalistische Verwertung überflüssig Gewordenen in den drei großen, seit mehr als 500 Jahren geknechteten und ausgebeuteten Kontinenten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.

Imperialistische Ausbeutung und permanente Kriegszustände im Weltmaßstab und die Bekämpfung der durch diese verursachten Fluchtbewegungen sind die beiden Seiten der einen Medaille der herrschenden Ökonomie der Machtzentralen des Kapitals. Ein Antiimperialismus, der politisch ernst genommen werden will und vor allem wirksam sein soll, solidarisiert sich mit den „Verdammten dieser Erde“ und bekämpft den vollends globalisierten kapitalistischen Horror nach dem Verursacherprinzip.

Die Bundespolizei: Instrument der Flüchtlingsbekämpfung und Todesschwadron

Die Bundespolizei, die der frühere Bundesinnenminister Otto Schily durch eine Umetikettierung des Bundesgrenzschutzes (BGS) in einer seiner letzten Amtshandlungen imagemäßig aufpolieren wollte, ist in der paramilitärischen Bekämpfung von Flüchtlingen an den äußeren (z.B. Oder-Neiße-Grenze zu Polen) und inneren (Fernbahnhöfe, Flughäfen) Grenzverläufen der BRD an „vorderster Front“ tätig. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu toten Flüchtlingen in Internierungslagern auf deutschen Flughäfen oder durch gewaltsame Abschiebungen seitens des BGS bzw. der Bundespolizei. Die Bundespolizei ist im administrativen Netzwerk der Flüchtlingsbekämpfung eine tragende Säule des staatlichen Rassismus.

Aber nicht nur das: mit ihrer Sondereinheit GSG 9 unterhält der Staat seine eigene Terrortruppe, die seit der Flugzeugkaperung der „Landshut“ in Mogadischu 1977 eine lange Blutspur hinter sich herzieht. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist mit dem Provinzbahnhof Bad Kleinen in Mecklenburg-Vorpommern verbunden. Ein Killerkommando der GSG 9 exekutiert 1993 den auf den Gleisen liegenden Angehörigen der Rote Armee Fraktion (RAF), Wolfgang Grams, durch einen aufgesetzten Kopfschuss.

Sowohl an den Grenzanlagen der BRD als auch in der Verfolgung von GenossInnen der revolutionären Linken vollbringt die Bundespolizei ihren todbringenden „Dienst fürs Vaterland“. Und als vaterlandslose Gesellen kann es nicht überraschen, dass staatsterroristische Vereinigungen wie die Bundespolizei für uns in die Schusslinie gehören.

Flüchtlingspolitik als Experimentierfeld des sozialen Kahlschlags

Der direkte Zusammenhang zwischen staatlicher Flüchtlingsbekämpfungspolitik und dem flächendeckenden sozialen Kahlschlag oft blutig durch die Arbeiterinnenbewegung erkämpfter sozialer Rechte und Standards ist vielleicht nicht auf den ersten Blick und sofort ersichtlich; er ist aber dennoch, vorhanden.

Die sog. Hartz-Gesetze haben ihre Vorläufer in den seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stetig verschärften rassistischen ,Ausländergesetzen“. Die verwaltungstechnische Entrechtung und Erniedrigung hat hier gegenüber einer bestimmten sozialen Gruppe, den Flüchtlingen, zuerst um sich gegriffen. Am anschaulichsten wird dies in dem sog. Asylbewerberleistungsgesetz, das nicht wie der Name vermuten lässt, „Leistungen“ bereithält, sondern dieses systematisch abbaut. So erhalten Flüchtlinge lediglich einen um 30 % verminderten Sozialhilfesatz bzw. z.T. statt ausgezahltem Bargeld Sachleistungen oder dürfen nur in bestimmten Einzelhandelsläden per Chipkarte ein bestimmtes Sortiment an Waren beziehen. Wer/welche hin und wieder das Rauschen im Blätterwald registriert hat, dem/der wird aufgefallen sein, dass solcherart Forderungen von nicht wenigen „Sozialpolitikern“ im Umgang mit ALG-II-BezieherInnen in die Diskussion geworfen werden: weitere Kürzung der Bezüge bzw. völliger Wegfall derselben, bargeldlos mit Chipkarte „einkaufen“ etc.

Auch an dieser Stelle können wir nur dazu anregen, stärker jenes wichtige Körperteil zu gebrauchen, das in der Regel zwischen den Schultern sitzt. Statt – wie in einem Gartenzwergendorf in Pankow – rassistischen Stammtischparolen besinnungslos nachzutrotten, sind die Parallelen des Angriffs auf Flüchtlinge und alle sozial Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen zu sehen.

Als Fazit bleibt, wie immer, dass diesem Klassenkampf von oben ein entschlossener Klassenkampf von unten entgegenzusetzen ist, der sich nicht an konstruierten „rassischen“ Linien trennen lässt.

Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!

militante gruppe (mg), 03.09.2006