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16. Februar 2006 | militante gruppe (mg)

Interim Nummer 631

Anschlagserklärung

Wir bringen uns als militanter Zusammenhang im Rahmen des Internationalen Aktionstages für die Freiheit der revolutionären Gefangenen aus der Action Directe (AD) als Ausdruck unserer antiimperalistischen und kommunistischen Solidarität in diese Kampagne ein.

In der Nacht zu 17.02.2006 haben wir die Renault-Niederlassung in der Roedernallee 171 in Berlin-Reinickendorf mit Brandsätzen aufgesucht. Bei dem Centre Francais de Berlin in der Müllerstr. 74 in Berlin-Wedding haben wir Farbeier an den Wänden und gesprühte Parolen hinterlassen. Da in diesem Gebäudekomplex u.a. ein Hotel untergebracht ist, haben wir auf den Einsatz eines Brandsatzes verzichtet.

Renault ist im Gefüge des Militärischen-Industriellen Komplexes Frankreichs ein nicht wegzudenkender Faktor. Das Centre Francais ist eine nach außen hin vornehmlich kulturpolitische Institution des französischen Staates. Beide Einrichtungen sind uns ein legitimes Angriffsziel, um ein kleines Signal unserer Solidarität gegenüber unseren gefangenen GenossInnen auszusenden, die seit beinahe zwei Jahrzehnten vom französischen Staat einer Vernichtungshaft ausgesetzt sind.

Die Stadtguerilla in Frankreich und die revolutionären Gefangenen aus der Action Directe

Es ist selbst in der revolutionären Linken der BRD nicht mehr ohne weiteres vorauszusetzen zu wissen, wer sich hinter der Organisationsbezeichnung Action Directe verbürgt. So wie die RAF bzw. die letzten verbliebenen Gefangenen aus dem ehemaligen Kollektiv schleichend aber unaufhörlich aus dem linken und öffentlichen Bewusstsein geraten, so ergeht es noch mehr den MitkämpferInnen aus dem „Frontprozeß“ westeuropäischer Guerillagruppen aus den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts. Allenfalls erhalten der bewaffnete Kampf und die Politik der Stadtguerilla in zusammengestümperten Ausstellungen oder historisierenden Filmschnipseln auf den Feuilletonseiten der Gazetten als Schauergeschichte ihre Aufmerksamkeit. Übrigens plant der Filmproduzent Eichinger die Verfilmung von Austs Groschenroman „Der Baader-Meinhof-Komplex“.

Zur Vorgeschichte: Mit der Gründung der Gauche Proletarienne (GP) im September 1968 gruppierte sich der Widerstand in Frankreich nach dem legendären „Pariser Mai 68“ um. Anfang der 70er Jahre ist aus der GP jener Teil hervorgegangen, der in der Verbindung von bewaffnetem Kampf und Massenlinie konkret auf einen revolutionären Prozeß abzielte. Diese Organisation, die Nouvelle Resistance Populaire (NRP), bildete u.a. in den großen Fabriken von Renault als organisierten Selbstschutz gegen Aussperrungen, Werkschutz und Spezialbullen Arbeitermilizen.

Im Januar 1985 wurde mit einer gemeinsamen Erklärung der RAF und der AD unter dem Titel „Für die Einheit der Revolutionäre in Westeuropa“ ein koordinierter Prozeß revolutionärer Politik eingeleitet: „wir sagen es ist notwendig und möglich eine neue phase für die entwicklung revolutionärer strategie in den imperialistischen zentren zu eröffnen und als eine bedingung für diesen qualitativen sprung die internationale organisation des proletarischen kampfes in den metropolen, ihren politisch-militärischen kern: westeuropäische guerilla zu schaffen.“ In dieser Phase führten die RAF und die 1978 gegründete Action Directe abgestimmte und gemeinsame Kommandoaktionen durch wie den Sprengstoffanschlag auf die Air-Base in Frankfurt/Main im August 1985. Das AD-Kommando Pierre Overney, ein Genosse, der 1972 vom Renault-Werkschutz ermordet wurde, liquidierte im November 1986 den Renault-Chef Bosse.

Diese RAF/AD-Erklärung, die Interventionen der Guerilla bzw. die Schaffung organisatorischer Strukturen legten Mitte der 80er Jahre den Grundstein für einen bis heute unvergleichlich produktiven und kontroversen Dialog unter den Guerillagruppen in Westeuropa. An dieser inhaltlich und praktisch geführten Auseinandersetzung beteiligten sich  ebenso die BR/PCC aus Italien, die CCC aus Belgien und die Grapo/PCE(r) aus dem spanischen Staat.

Dieser Organisierungsversuch, der in der BRD mit dem sog. Mai-Papier („Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“) der RAF 1982 wesentlich initiiert wurde, erhielt bereits Anfang 1987 eine herben Rückschlag: Denn die GenossInnen aus der AD, Jean-Marc Roullan, Nathalie Menigon und Georges Cipriani sitzen bereits seit dem 21. Februar 1987 in der Geiselhaft des französischen Staates. Die Haft der Genossin Joelle Aubron wurde nach langem und zähem Kampf aufgrund ihrer lebensbedrohlichen Krebserkrankung ausgesetzt.

Der französische Justizapparat setzt seitdem auf die Karte des Abschwörens der revolutionären Gefangenen aus der AD bzw. auf die rein biologische Lösung der Gefangenenfrage, d.h. Auf das Verrecken hinter den Knastmauern. Gegen diese Form der Vernichtungshaft erkämpften sich die gefangenen GenossInnen in der Zeit seit ihrer Geiselhaft durch aktiven Widerstand wie Hungerstreiks immer wieder eine sie schützende kritische Öffentlichkeit. Die AD-Gefangenen haben in den vergangenen Jahren x-mal betont, dass sie sich weder den eingeforderten Unterwerfungsritualen der Justiz hingeben, noch die Legitimität revolutionärer Gewalt diskreditieren werden. „Konkret gesagt bleiben wir in Haft, weil wir uns zum Lager der Revolution bekennen, weil wir immer noch und trotz allem an die Zentralität des antiimperialistischen Kampfes glauben und schließlich, weil wir uns weigern, die aufständische Gewalt unserer Klasse und ihrer Guerilla in der ganzen Welt (...) zu verurteilen“, so die AD-GenossInnen in ihrem Aufruf zum Aktionstag am 25.2.2006.

Der Kampf gegen staatliche Repression und Internationalistische Solidarität

Wenn die kapitalistische Mehrwertmaschine qua Definition auf der Ausbeutung von Menschen durch Menschen gründet, so hat das folgerichtig Reibungen, sprich Reaktionen derjenigen zur Folge, denen der Mehrwert abgepresst wird. Dass diese Reaktionen nicht zu aktiven Widerstandshandlungen der Marginalisierten und Deklassierten werden und dieses System in seinen Grundfesten infrage stellen, ist für den ungestörten Ablauf desselben eine existenzielle Bedingung.

Der mit dem Gewaltmonopol des Staatsapparates durchgesetzte „soziale Frieden“ und das sozialpartnerschaftliche Arrangement der gewerkschaftlichen „Interessenvertretung“ bilden das altbekannte Schmiermittel des Fortbestandes der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Nicht nur das; es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass sich ein anfangs antagonistisch gebärdender Protest einfangen lässt und zum Innovationsschub der vormals formal bekämpften Ordnung wird.

Ausnahme von dieser Regel sind jene, die nicht nur Schönwetterreden auf den Kommunismus halten, sondern diesen in einem Prozess der sozialen Revolution praktisch erstreiten wollen. Und dieses Erstreiten erfolgt neben dem besseren Argument auf der Grundlage der Überzeugung, dass der Einsatz revolutionärer Gewalt nicht tabuisiert werden kann, sondern dass deren Mittel, Methoden und Zeitpunkte der Situation nach zu bestimmen sind.

Die GenossInnen aus der AD haben genau diesen Weg beschritten. Sie verleugnen weder ihre vergangene Beteiligung an diesem Aufbruchversuch einer westeuropäischen Guerillafront in den 80er Jahren noch delegitimieren sie eine revolutionäre Perspektive für heute & morgen. Sie haben zudem die Justiz und das Knastregime als Kampfterrain definiert. Sie haben sich nicht in die staatlich sanktionierte Zwangsjacke des zu verurteilenden „Kriminellen“ begeben. „Was unsere Rolle betrifft, so ist sie bereits bestimmt: einzig und allein dem Unterdrückten kommt die Rolle des Anklägers zu“, dieses Motto des alten französischen Revolutionärs Auguste Blanqui, der fast die Hälfte seines Lebens in den Kerkern der Reaktion zubrachte, haben sich auch die AD-GenossInnen zu eigen gemacht.

Für diese politische Positionierung als RevolutionärInnen haben sie in den Fängen ihrer Häscher teuer bezahlen müssen und tun es weiterhin. Präventive Konterrevolution zeichnet sich u.a. dadurch aus, jede Aussicht einer sozialen Revolution und ihre ProtagonistInnen im wahrsten Sinne des Wortes im Keim zu ersticken. Der Imperialismus hat sich leider nicht als Papiertiger erwiesen; dieser Prognose kann man aus heutiger Sicht nur eine parodistische Note abverlangen. Stattdessen sind Strukturen aufzubauen, die das logische Zerschlagungsinteresse von Fundamentalopposition durch den Apparat unterlaufen und uns zu einer effektiven Gegenwehr befähigen.

Gerade an unseren GenossInnen aus der AD wird dies seit zwei Jahrzehnten exemplarisch durchexerziert. Umso mehr sehen wir uns in der Pflicht, im Rahmen dessen, was wir einbringen können, zumindest ein Signal der aktiven Solidarität auszusenden. Solidarität, besonders eine internationalistische und eine gegen staatliche Repression gerichtete, leidet an ihrer Abstraktheit. Denn es müssen sowohl Ländergrenzen als auch Knastmauern überwunden werden. Wir haben seit der Erosion des bewaffneten Kampfes in Europa viel an einem internationalistischen Austausch eingebüßt, Kontaktstränge wurden zerschlagen oder schliefen förmlich ein. Es ist schwer, hier vieles von dem zu reanimieren, was vor zwanzig Jahren Standard war. Zumal es uns kaum gelingt, vor der eigenen Haustüre Debatten in ihrer erforderlichen Genauigkeit und Ausführlichkeit zu führen.

Lamentieren hilft nicht. Wir und andere GenossInnen haben im Zusammenhang mit dem Projekt einer militanten Plattform – einem gruppenübergreifenden Rahmen der koordinierten Aktion und Diskussion – einen Anstoß gegeben, der eine Option einer revolutionären Organisierung darstellt.

Wir möchten darauf hinweisen, dass die Magdeburger Genossen im Revisionsverfahren –wie es allseits zu erwarten war – mit dem konterrevolutionären Instrument des § 129a abgeurteilt wurden. Das ist eine klare und konkrete Kampfansage an alle, die sich für eine organisatorische Ausgestaltung einer militanten Koordination einsetzen. Ein schlichtes Zur-Kenntnis-Nehmen wird nicht ausreichend sein, denn die nächsten Angriffspläne auf unsere Strukturen liegen auf den Schreibtischen. Trügerisch, davon auszugehen, dass sie dort liegen bleiben und einstauben ...

Die Freiheit der revolutionären Gefangenen erkämpfen!

Heraus zum Aktionstag für die AD-Gefangenen am 25. Februar – heraus zum internationalen Kampftag für die revolutionären Gefangenen am 18. März!

Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!

militante gruppe (mg), 16.02.2006

Diese militante Aktion widmen wir Louise Michel (1830-1905) und den KommunardInnen der Pariser Kommune von 1871, die diese in einem bewaffneten Kampf gegen die Truppen der Versailler Regierung zu verteidigen suchten.