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29. Januar 2005 | militante gruppe

Interim Nummer 611

Versuch eines Streitgespräches – Reaktion auf das Interview mit Norbert „Knofo“ Kröcher in der Jungle World Nr. 4/26.1.2005

I. „Der bewaffnete Kampf in der BRD ist definitiv Geschichte“. Punkt. Leider läßt uns das „Gründungsmitglied der Bewegung 2. Juni“, Norbert „Knofo“ Kröcher, im Dunklen, in welche Glaskugel er geschichtlich so tief hineinblicken durfte, um zu dieser definitiven Schlußfolgerung zu gelangen.

Als simple Rechtfertigung wird die abgeschmackte Aussage nachgeschoben, daß „die beteiligten Organisationen und Gruppierungen nur vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Situation verstanden werden (können)“. Der bewaffnete Kampf wird zum „Stück deutscher Geschichte“. In Kröchers Aussage sammeln sich jene beiden Totschlagsargumente“, nach denen Guerillapolitik passé ist: zum einen galt der bewaffnete Kampf nur für bestimmte zeitliche Umstände, und zum anderen ist er in der westlichen Hemisphäre - und ganz besonders in BRD – nur noch eine antiquierte Widerstandsform.

Es lassen sich diverse Beispiele aus der Geschichte der revolutionären Linken nennen, wo einzelne ihrer Vertreterinnen das Ende bewaffneter Politik einläuteten und ihre Schädlichkeit für einen positiven Verlauf sozialer Entwicklung feststellten. Erinnert sei nur – um etwas weiter zurückzugehen - an die Diffamierung der bewaffneten Aufstände im März 1921 durch den damaligen KPD-Vorsitzenden Paul Levi („Wider den Putschismus“). Kröcher betreibt Im Schnelldurchgang eine Abwicklung eines potentiellen hiesigen bewaffneten Kampfes – übrigens kommen solche Ausführungen zum wiederholten Male aus dem Munde eines ehemaligen Aktivisten.

Vor dem Hintergrund der noch nicht erfolgten „Aufarbeitung“ des bewaffneten Kampfes in der BRD, dessen definitives Ende zu konstatieren, heißt, das Kinde mit dem Bade auszuschütten. Denn vor der reihum geforderten „Aufarbeitung“ oder Analyse der (damaligen) Voraussetzungen, Verläufe und Ergebnisse des bewaffneten Kampfes kann es keine adäquate Beurteilung der Guerillapolitik geben. Schon gar nicht für die „nachgeborene Linke“.

II. Wenn man den Gedankengängen eines Kröchers folgt, dann heißt das wohl, daß die Aufnahme des bewaffneten Kampfes Anfang der 70er Jahre im richtigen Land unter den richtigen Bedingungen stattgefunden hat. Diese vorausgesetzte These wird nicht erklärt. Dabei gibt es bereits jetzt genug analytische Ansätze von Leuten, die dem bewaffneten Kampf gerade für diesem Zeitraum keine Chance einräumten. Nur zwei Punkte dazu: die Guerillagruppen dieser Zeit werden als „Zerfallsprodukte“ des 68-Aufbruchs angesehen, mit denen der Abwärtstrend der Protestbewegung gestoppt und umgelenkt werden sollte. Ein hoffnungslosen Unterfangen, wie verschiedene „Bewegungsforscher“ meinen. Des weiteren konnte die Studentinnenrevolte vorrangig nur das reaktionäre,“kulturelle Klima“ in der BRD tangieren. Dieser Protest spielte sich in der „Überbausphäre“ ab. Er konnte also nicht ins sozio-ökonomische Mark der kapitalistischen Gesellschaftsformation der BRD vordringen.

Zu fragen ist aus unserer Sicht, ob nicht jetzt im Laufe der wellenartig hochkommenden Massenproteste gegen Sozialraub und Deklassierung Potentiale revolutionärer, u.a. auch bewaffneter, Politik liegen? Rein quantitativ haben diese Proteste, auch wenn sie ihren Zenit (vorläufig) überschritten haben, nie erreichte Ausmaße angenommen. Weshalb sollte unter diesen Bedingungen eine bestimmte Praxisform diskreditiert werden, die angeblich vor 35 Jahren ihre Berechtigung hatte? Wer hat damals überhaupt diese Rechtfertigung erteilt? Und wer erlaubt sich heute, diese zu verweigern?

III. Es ist natürlich richtig, nicht Stefan Aust, Butz Peters, den Kunst Werken Berlin oder Christoph Hein die Interpretation eines Feldes der Praxis der revolutionären Linken zu überlassen. Ganz neu ist dieser Einwand indes nicht. Vor knapp zwei Jahren wurde der 10. Todestag von Wolfgang Grams u.a. dazu genutzt, diesen Punkt zu vertiefen. Libertad!, die Autonome Antifa (M) und u.a. wir haben hierzu einige Gedanken formuliert, in dieser Erörterung spielte unser Umgang mit der pop-kulturellen „Aufarbeitung“ des bewaffneten Kampfes in der BRD – speziell anhand der RAF – eine wichtige Rolle.

Es ist mehr als bedauerlich, daß sich in rhythmischen Abständen in der Regel ehemalige Aktivistinnen in Form von Interviews, Biografien etc. zu Wort melden, um dann im Vorbeigehen ultimativ die „Aufarbeitung“ einzuklagen. Wenn wir zu keiner gemeinsamen, bezugnehmenden Debatte kommen, werden wir in den allernächsten Jahren einen Artikel einer anderen Person lesen, die hurtig aus dem Pott der Weisheit genascht hat, um uns die „Aufarbeitung“ ans Herz zu legen. Wenn wir weiterhin so verfahren, werden wir nur auf der Stelle treten können.

In unserem Text zum Grams-Todestag (vgl. Interim Nr. 575, 26.6.03) haben wir u.a. erläutert, daß aufgrund der tiefen Gräben innerhalb der Reihen der ehemaligen Aktivistinnen es zu keiner allgemein anerkannten, kollektiven „Aufarbeitung“ kommen wird. Die Nachwelt wird sich aus den zumeist biografisierten Aufbereitungen des bewaffneten Kampfes eigenständig ein Bild nach und nach herausarbeiten müssen.

Unserer Ansicht nach müssen wir dabei viel weiter Rückschau halten als bis zur Zeit der StudentInnenrevolte. Erfahrungswerte emanzipatorischer Aufbrüche der revolutionären Linken reichen viel weiter zurück. Das ist ein Grund, warum wir mit einer entsprechenden Textserie (vgl. Interim Nr. 600, 2.9.04) begonnen haben.

IV. Bei Kröcher ist es sehr ärgerlich, daß er sich ohne jegliche Begründung dazu hinreißen läßt, die Militanzdebatte und die darin enthaltenen Ansätze einer Diskussion um Fragen des bewaffneten Kampfes als „haarsträubend“ runterzumachen. Warum wird sich nicht in diese bereits mehrere Jahre laufende Debatte konstruktiv eingebracht, um aus einem wie auch immer gearteten Blickwinkel Defizite o. ä. aufzuzeigen? Nur abzukotzen, hat wirklich null Überzeugungskraft.

In dieser Debatte versuchen wir u.a. ganz banale, aber sehr aufwendige Grundlagenarbeit zu machen. Viele inhaltliche Aspekte zu revolutionärer Politik, die vielleicht vor 10-15 Jahren noch zum Standard innerhalb „unserer“ Zusammenhänge gehörten, existieren schlicht und ergreifend nicht mehr. Uns ist klar, daß das Jahre brauchen wird, um zu vor allem auch gefestigten strukturellen Ergebnissen kommen zu können.

Allerdings gibt es hier keine klinische Abfolge nach dem Motto „erst kommt die lückenlose politische Aufarbeitung der vergangenen Ereignisse und dann erst der Entschluß zu einer bestimmten Praxis“. Nein, wir sehen einen „komplexen revolutionären Aufbauprozeß“ als parallel verlaufenden, in dem inhaltliche, praktische, logistische und organisatorische Fragen angegangen und nach Möglichkeit geklärt werden.

Als ersten, aber auch sehr komplizierten Schritt setzen wir uns für einen koordinierten Diskussions- und Aktionsrahmen ein (militante Plattform). Mit Hilfe eines solchen Rahmens versprechen wir uns bessere Voraussetzungen, um eine verbindliche, bezugnehmende und kontinuierliche Debatte führen zu können, die uns zielgerichtet zur kollektiven Praxis führt.

Wir sind, wie wir hoffentlich gezeigt haben, nicht kritikresistent. Wir wissen um unsere eigenen Unzulänglichkeiten. Nur wünschen wir uns mehr weiterführende Beiträge, die an dem bisher Formulierten und Gemachten anschließen und nicht in einer kaum zu überbietenden Oberflächlichkeit Initiativen von anderen durch den Dreck ziehen. Kröcher scheint statt einer wirklichen Auseinandersetzung eher darauf zu setzten, daß auch wir mit ihm „nachbarschaftlich verzankt“ sind. Echt schade.

V. Apropos Kröcher: Selbst in diesem Interview unternimmt er einiges dafür, daß die Gräben zwischen den einzelnen Fraktionen der Ehemaligen weiter abgrundtief bleiben. Da wird das Buch von Inge Viett „Nie war ich furchtloser“ arrogant als „misslungener Versuch“ apostrophiert. Begründung? Fehlanzeige.

Wir finden es ja löblich, dass sich Kröcher in einer Veranstaltungsreihe mit Fragen der zurückliegenden bewaffneten Politik beschäftigt. Wir finden es natürlich auch richtig, dass sich „die junge Linke so intensiv wie möglich mit allem vorhandenen Material auseinandersetzt“. Auch wir sehen grundsätzlich ein Interesse an Fragen des revolutionären Kampfes bei den jüngeren Generationen. Wir sind uns aber nicht sicher, ob Kröcher hier eine „Hilfestellung“ ist.

Wir haben keine repräsentative Umfrage gestartet, aber das, was wir über diese Veranstaltungen hören konnten, ging dahin, dass. hier jemand seiner Egozentrik außerordentlich stark frönt. Kröcher mimt den sprachlich derben, aber alternden, Proleten-Jungen von nebenan. Der Unterhaltungswert rangiert in diesen öffentlichen Runden offensichtlich ganz weit oben. Wenn nicht im Abstand von 30 Sekunden ein Schenkelklopfer im Publikum ankommt, dann hat der Podiumsregisseur wohl versagt. Im besten Falle ist hier Polit-Entertainment am Werk, im schlechtesten Fall eher nur Clownerie.

OK, Kröcher. Wir hoffen, dass Du die Gelegenheit wahrnimmst und uns und der geneigten LeserInnenschaft ein Feedback gibst. Aus dem Interview von Dir können wir als Quintessenz nur eine Historisierung des bewaffnete Kampfes von links herauslesen. Soll das als Eindruck hängen bleiben?

militante gruppe (mg), 29.01.2005