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2005 | Interview mit der militanten gruppe (mg)

radikal Nummer 158

„Wir haben uns mit einer Menge Puste
auf den Weg gemacht“

Im Juni 2001 seit lhr erstmals als militante gruppe (mg) in Berlin durch militante Aktionen in Erscheinung getreten. Eine mediale Beachtung war Euch bereits nach Eurer ersten Aktion gegen die DaimlerChrysler-Niederlassung in Berlin-Marienfelde und die Patronenverschickung an die Verterter der „Stiftungsinitiative“ zu sog. Zwangsarbeiterentschädigung, Gentz, Lambsdorff und Gibowski, schnell gesichert. Stellt doch einfach mal Eure Beweggründe dar, die Euch dazu gebracht haben, eine militante Politik in einer kontinuierlichen Form, d.h. u.a. mit einer festen Namensgebung, zu praktizieren.

Es ist in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Entscheidung, ob sich ein klandestiner Zusammenhang einen festen Gruppennamen zulegt oder nicht. Gegen eine kontinuierliche Namensgebung spricht für verschiedene GenossInnen, daß sich damit zum einen der Repressionsdruck erhöht und zum anderen macht man darin die Gefahr einer Autoritätsfixiertheit oder auch Hierarchisierung innerhalb der „Szene“ aus, wenn sich selbst einen „Prominentenstatus“ durch ein Label verschafft. Des weiteren greifen eher lose strukturierte Polit-Zusammenhänge auf wechselnde Unterschriften unter Anschlagserklärungen zurück, die oft personell fluktuieren und nicht unbedingt thematisch festgelegt sind, sondern bezogen auf militante Praxen zurückgreifen. Andere verzichten ganz auf irgendwelche Namensgebungen und legen nur ihren Inhalt, den sie mit der verbinden, dar. Ganz auf Begründungen bei militanten Aktionen zu verzichten, weil sich der Inhalt aufgrund des angegriffenen Ziels von allein vermitteln würde, ist ebenso verschiedentlich zu beobachten. Wir können alle diese Gründe, die zum sog. „autonomen ein mal eins“ (ein hippes Thema aufgreifen, eine themenspezifische Aktion machen und zum nächsten Brennpunkt unreflektiert mit neuem Gruppennamen springen) führen, nachvollziehen; sie sind uns aus früheren Erfahrungen selbst nur allzu vertraut. Wir würden auch neu zusammengefundenen Zusammenhängen, die auch militant agieren wollen nicht empfehlen, sich bereits vor der ersten Aktion auf eine Namenskontinuität festzulegen. Dafür braucht es eine praktisch erprobte Festigkeit der Gruppe und kollektiv abgestimmte inhaltliche Absprachen. Hier spielt vor allem dann auch der zu erwartende erhöhte Fahndungsdruck eine Rolle, der kommen wird, sobald sich nicht nur das zuständige LKA für eine bestimmte Gruppe interessiert, sondern die Kollegen des BKA auf den Plan treten. Dennoch haben wir uns, wie Ihr in Eurer Eingangsfrage festgestellt habt, für eine Namenskontinuität entschieden. Warum? Nun, das hängt ganz wesentlich mit unserem Versuch zusammen, einen Debattenprozeß zu befördern, der auf den inhaltlichen. praktischen, logistischen und organisatorischen Feldern revolutionärer Politik aufeinander aufbauen soll. Unseres Erachtens müssen wir, wenn wir an einem Vernetzungsprojekt militanter Zusammenhänge konzentriert arbeiten wollen, eine Kontinuität herstellen, die sich u.a. in einer wiederkehrenden Namensgebung ausdrückt. Wir wollen damit erkennbar in einen bestimmten Kontext einer Organisierung stellen. Um sich erkennbar in einen Rahmen einer angestrebten strukturellen Verknüpfung zu begeben, müssen wir unsere Politik diskutierbar, kritisierbar und vor allem unterstützbar machen. Die feste Namensgebung resultierte also aus dieser Absicht. Zu dieser festen Namensgebung gehört auch, daß man, wenn man den Kopf aus dem Fenster lehnt, schneller etwas auf denselben bekommt, sich viel eher als andere Zusammenhänge der Kritik zu stellen hat. Das sehen wir nicht als Problem, sondern als Regulativ an, falls sich praktische Ausdrucksformen oder politische Ziele mal verselbständigen sollten. Ein anderer, allgemeinerer Beweggrund für einen festen Namen war für uns, daß wir eine schlechte Wechselwirkung zwischen einer namentlichen Diskontinuität und dem thematischen Hopping bei Aktionen feststellen konnten. Ständiges Wechseln der Aktionsnamen korrespondiert nicht selten mit dem unzusammenhängenden Aufgreifen vermeintlich oder tatsächlich „aktueller“ Themen, die man meint, militant flankieren zu können. Daraus, zumindest nach unseren Erfahrungen, erwächst keine militante Praxis, die zu einer militanten Politik werden kann, die sich um eine gezielte Grundlagenschaffung und weiterführende konzeptionelle Entwürfe für ein revolutionäres Projekt kümmert. Es mag vielleicht irgendwann Ausnahmen von dieser „Regel“ geben, nur wir kennen bisher keine. Es ist nicht zu leugnen, daß Gruppen, die eine beständige militante Praxis betreiben und diese durch ein Label untermauern, erfahnmgsgemäß zügiger und intensiver ins Räderwerk der Repression. Es hat sich aber u.a. im Prozeß gegen die drei Magdeburger Genossen gezeigt, daß die BundesanwaItschaft (BAW) den Versuch unternommen hat (und diesen in der Prozessneuauflage gegen Daniel aller Voraussicht nach fortsetzen will), verschiedene militante Aktionen in Magdeburg, die in den Erklärungen unterschiedlich unterzeichnet waren, einem Personenkreis zuzuordnen. Es gibt keine Garantie, daß nicht ein übereifriger Bundesanwalt diverse, unterschiedlich unterzeichnete militante Aktionen einer „terroristischen Vereinigung“ unterschieben will. Auch uns It. Presseberichten zugerechnet, die bis in die Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen. Da interessiert es auch nicht, daß wir erst seil 2001 existieren. Wir wollen noch kurz etwas zur „Autoritätsfixiertheit“ sagen, die mit einer Namenskontinuität oft in einem Atemzug beschworen wird. Für Teil können, daß wir nicht im Sinn haben, der eigenen Komplexe wegen eine „Autorität“ darstellen zu wollen. Wenn wir die Absicht haben, daß unsere verfassten und z.T. praktisch umgesetzten Ideen aufgegriffen werden, dann geschieht dies vor dem Hintergrund des eingebrachten politischen Projektes des Aufbaus einer militanten Plattform, von dem wir ausgehen, daß es ein wichtiger Baustein einer klandestinen Organisierung sein kann.

Wir haben bereits in früheren Texten erklärt, daß wir nicht des Prestiges wegen an unserem „mg-Label“ hängen. Im Gegenteil, wir sehen diesen eher „technischen“ Namenszug kritisch, da er vordergründig eine Praxisform und nicht eine ideologische Ausrichtung transportiert. Für den Plattformprozess dokumentiert dieser Gruppenname das zentrale Moment der Strukturierung militanter Zusammenhänge, mehr aber auch nicht. Wir werden nicht auf ewig unter diesem Label agieren, es wird Ausdruck einer (noch nicht abgeschlossenen) Phase sein.

2. Die Verschickung von Patronen als Mittel klandestiner Politik ist bspw. in der Interim problematisiert worden. Wieso habt Ihr Euren ersten Brandanschlag gegen die DC-Niederlassung mit einer Patronenverschickung verknüpft?

Grundsätzlich ist zu sagen, daß wir das Mittel der Verschickung von scharfen Patronen in einen größeren Kontext gestellt haben. Die ersten persönlich adressierten Patronen gingen an die besagten Herren der „Stiftungsinitiative“, die maßgeblich das NS-relativierende „Entschädigungsspektakel“ gegen die Interessen der Überlebenden der nazistischen Zwangs- und Sklavenarbeit durchgedrückt haben. Der Verschickung folgte unmittelbar ein Brandanschlag auf eine Niederlassung des DaimlerChrysler-Konzerns, dessen Vorgänger Daimler-Benz zu den potentesten NS-Wirtschaftsunternehmen und Profiteuren der Vernutzung/Vernichtung der ZwangsarbeiterInnen gehörte. Der damals aktuelle Diskurs der „Zwangsarbeiterentschädigung“, der Brandanschlag auf die DC-Niederlassung und die Überreichung scharfer Patronen an die Exponenten der „Stiftungsinitiative“ waren Bestandteile der Bestimmung dieser militanten Aktion. Wir betrachten dieses Mittel als eines aus dem Repertoire der „Kommunikationsguerilla“, eine „Grenzüberschreitung“ in die Abteilung „bewaffnete Propaganda“ war nicht beabsichtigt. Unser Ziel war es, „Empörungskorridore“ in zwei Richtungen“ zu eröffnen: zum einen spekulierten wir damit auf eine größere öffentliche Resonanz im Rahmen des Diskurses um die „Zwangsarbeiterentschädigung“; wir wollten damit bekunden, daß wir nicht bei einem Angriff auf materielle Objekte stehen bleiben können, sondern zielten symbolisch auf namentlich zu kennzeichnende und verantwortliche Subjekte. Zum anderen sollte diese aus mehreren Elementen bestehende militante Aktion auch in die revolutionäre Linke hinein wirken. Speziell dieser ummantelte Bleikopf fungierte als Transportmittel für unseren diskursiven Ansatz, daß wir uns nicht auf eine konturen- und konzeptionslose militante Praxis begrenzen können, sondern daß die (Neu-)Strukturierung revolutionärer Politik einen vielschichtigen Aufbauprozeß braucht, der ausdrücklich die Methode des bewaffneten Kampfes beinhaltet. In den vergangenen Jahren haben wir mit unseren Textbeiträgen diesen Ansatz versucht zu veranschaulichen. Letztlich ist das Mittel der Patronenverschickung ausgereizt. Das zeigte sich  vor allem bei unserer Aktion gegen ein Berliner Sozialamt und eine Verwaltungseinrichtung des rassistischen Asylbewerberleistungsgesetzes im Herbst letzten Jahres als wir dem zuständigen Sozialstadtrat eine 9mm Patrone im Briefkasten hinterlassen haben. Eine von uns beabsichtige öffentliche Stigmatisierung dieses Schreibtischtäters ließ sich im Gegensatz zu unseren anderen Empfängern nicht erzeugen. Eine weitere postalische Zweckentfremdung dieses kostbaren Artikels wird – soweit wir das absehen können – nicht mehr in Frage kommen.

3. Denkt lhr, daß es so etwas wie ein „Ablaufschema“ für die Organisierung militanter Politik gibt? Vielleicht könnt lhr aus Euren eigenen Erfahrungen ein wenig plaudern, wie junge Genosslnnen, die sich aufgrund der eigenen „Grenzerfahrungen“ im legalen politischen Umfeld für eine klandestine Praxis zu entscheiden beginnen, erste Schritte in diese Richtung gehen können. Welche Voraussetzungen sollten Eurer Meinung nach für die Aufnahme einer militanten Praxis gegeben sein?

Im Regelfall fängt man nicht mit dem Brandsatz unterm Arm an und zieht los. Geschweige denn mit der Knarre in der Hand. Anders in anderen Regionen dieser Welt, dort, wie in Kolumbien, lebt und arbeitet man als GewerkschafterIn gefährlicher als in den Reihen der bewaffneten Befreiungsorganisationen FARC oder ELN. Aber gleich wieder zurück in „unsere“ Gefilde. Wir denken, daß es kaum möglich ist, ein allgemeines „Ablaufschema“ der Entstehung und Entwicklung einer militanten Gruppe aufzustellen. Zu unterschiedlich sind die Beweggründe und die sich entwickelnden Zielsetzungen, die GenossInnen einer militanten Praxis zuschreiben wollen. Allerdings lassen sich bestimmte Phasen ausmachen, die erfahrungsgemäß durchlaufen werden, bis man sich an die Frage herangetastet hat „wie halte ich es selbst mit der Militanz?“ Der Anspruch unserer Politik liegt schon darin, Kriterien für Militanz zu entwickeln, die sich aus den Erfahrungswerten einer jahrelangen dementsprechenden Praxis ergeben haben. Natürlich wird auch im akademischen Bereich oder in den Amtsstuben der Fahndungs- und Verfolgungsbehörden an verallgemeinerbaren Kriterienkatalogen gewerkelt, um bspw. eine Grundlage für die Erstellung von „Gefahrenanalysen“ zu haben. Gut, darüber müssen wir uns jetzt hier nicht den Kopf zerbrechen. Wenn man also zu dem kollektiven (Diskussions-)Ergebnis gekommen ist, daß der staatlich legitimierte Rahmen der politischen Ausdrucksformen in einer Klassengesellschaft notwendigerweise die Eigentums- und Verteilungsordnung in ihren Grundfesten unangetastet läßt, dann schließt sich die Frage nach weitergehenden Interventionsmitteln an. An einem solchen Punkt angelangt, wird ziemlich schnell das Feld von klandestinen (geheimen, gesetzeswidrigen) Maßnahmen berührt. Gewöhnlich wählt man ein Thema aus, daß über eine gewisse öffentliche Brisanz verfügt (in den vergangenen Monaten oft Hartz IV) oder den Selbstschutz unserer Strukturen (z.B. Antifa-Aktionen) betrifft. Der kollektiven Verständigung über das aufzugreifende Thema folgen die zu beantwortenden Fragen nach der Wahl der Mittel, eventuellen Repressionsfolgen und ob man sich bewußt und erkennbar in einen übergeordneten Zusammenhang (Kampagne, Orientierung an Aktionen anderer Gruppen o.ä.) stellen will. Diese ersten Schritte einer militanten Praxis, die so etwas wie eine „Probierphase“ darstellen, verfestigen sich erst dann, wenn man beginnt, die inhaltlich-praktische Ausrichtung der Gruppe zu schärfen. In dieser „Probierphase“ ist es oft so, daß militante Aktionen in z.T. wechselnden personellen Konstellationen und mit relativ unzusammenhängenden thematischen Bezügen stattfinden. Dies ist die „Phase“, in der ein anlaßbezogenes und temporäres militantes Agieren überwiegt. Neben der inhaltlich-praktischen Ausrichtung drängen sich in einem weiteren Schritt weitere Aspekte auf. Logistische Probleme treten zunehmend in den Vordergrund. Orte sind zu finden, wo die ätze gebaut und es muß ein sicherer Kommunikationsweg über eine Computer-Verschlüsselung gefunden werden. Eventuell müssen auch Depots angelegt werden, wo bestimmtes Aktionsequipment gelagert wird. Organisatorische Gesichtspunkte kommen in den internen Diskussionen auf: Namensgebung, gruppenübergreifendes Agieren etc. Die (versuchte) Klärung dieser oft sehr widrigen Umstände des klandestinen Alltags führt also unmittelbar in die nächste „Phase“, in die „Phase“ der Konkretisierung einer militanten Praxis hin zu einer militanten Politik. In einem solchen kollektiven Diskussions- und Klärungsprozeß, der den Gruppenzusammenhalt stärken und Perspektiven eröffnen soll, ist oft mit der Ernüchterung umzugehen, daß mehr personelle Abgänge als Zugänge zu erwarten sind. Warum? Wir haben keine definitive Antwort parat, aber für einige Leute, die bei der ersten und/oder zweiten Aktion dabei waren, zeichnet sich langsam ein Bild Aufwand, den Gefahren etc. von Klandestinität ab, das sie so nicht erwartet haben. Aus persönlichen und/oder politischen Gründen kommt für diese GenossInnen eine vertiefte und auch risikoreichere klandestine Vorgehensweise nicht oder nur bedingt (z.B. als UnterstützerIn) in Betracht. Dieser interne Gruppenprozeß ist, da sollte sich niemand etwas vormachen, anstrengend und ergebnisoffen, da das ein oder zwei Aktionen lang gehaltene Projekt akut auf der Kippe stehen kann. Wir wagen einmal eine Prognose; in vielen sich neu oder wieder bildenden klandestinen Zusammenhängen verläuft die Kontroverse folgendermaßen: auf der einen Seite stehen die, die bei einer anlassbezogenen, temporären und punktuellen militanten Praxis bleiben und auf eine Ausreifung bspw. der inhaltlich-praktischen Ausrichtung verzichten wollen. Das ist legitim und jeder/jede mag dafür Motive haben. Auf der anderen Seite geht es anderen darum, sich stärker oder ausdrücklich um eine Spezifizierung hin zu einer militanten Politik zu bemühen. Das kann heißen, sich u.a. in eine Militanzdebatte aktiv einzubringen, strukturelle Verknüpfungen über Inhalte und Aktionen zu weiteren Zusammenhängen einzugehen, sowie sich über eine Kontinuität, die sich auch in der Namensgebung ausdrücken kann, stabile konzeptionelle Grundlagen zu erarbeiten. Wir prognostizieren weiter: dieser Spannungsbogen ist innerhalb eines klandestinen Zusammenhangs nicht dauerhaft auszuhalten, da man sich faktisch gegenseitig in der Entwicklung und Orientierung der Gruppe blockiert. Was kann daraus folgen? Zweierlei. Zum einen, daß man sich (guten Gewissens, hoffentlich!) von einander strukturell trennt und von nun ab weitgehend getrennte Wege geht. Zum anderen ist es denkbar, daß die Leute, die sich selbst keine Spezifizierung hin zur militanten Politik vorstellen können/wollen, als Gruppenumfeld erhalten bleiben und sich bereit erklären, verschiedene unterstützende Aufgaben zu übernehmen. Das klingt erst einmal nach „Zulieferdiensten“, aber wer/welche den Aufbau einer militanten Politik kennt, weiß, daß ohne diese GenossInnen umfassendere klandestine Strukturen kaum zu entwickeln sind. Diese sind unmittelbarer Teil eines Gruppengeflechtes, was natürlich auch für diese Leute bei etwaigen Repressionsschlägen erhebliche strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Wenn wir den Organisierungsprozeß einer militanten Gruppe kategorisieren sollten, wir auf fünf zentrale Fragestellungen: An welchen inhaltlichen und ideologischen Eckpunkten wollen wir uns orientieren? Wollen wir eher kampagnenorientiert bzw. themenpunktuell oder eher themenübergreifend handeln? Ist unsere ideologische Grundausrichtung anarchistisch oder kommunistisch? Welche praktischen Interventionsmittel gehören zum Bestand unserer Gruppe? Gehören Brandanschläge und/ oder Sprengstoff-Selbstlaborate dazu oder nicht? Welche strukturelle Basis wollen wir uns geben? Begreifen wir uns als personell fluktuierender Zusammenhang, der sporadisch oder in relativ regelmäßigen Abschnitten zur Tat schreitet oder wollen wir eine kontinuierliche Gruppe aufbauen, die das Zentrum der eigenen politischen Arbeit bildet? Und welche organisatorische Ausrichtung wollen wir eingeschlagen? Sehen wir uns auch mittel- und langfristig als eigenständig agierende Gruppe oder suchen wir über eine öffentliche Debatte Gemeinsamkeiten zu anderen klandestinen Zusammenhängen zwecks einer über Inhalte und Aktionsformen vermittelten „immateriellen“ Vernetzung? Haben wir die Möglichkeit des Aufbaus einer strukturellen gruppenübergreifenden Vernetzung? Daneben rücken Aspekte, die die gesamte Reproduktion der Gruppe betreffen, in bestimmten Zeiten in den Mittelpunkt. Eine Gruppe lässt sich nicht nur funktional z.B. über einen inhaltlichen Ansatz erhalten. Ein solidarischer Umgang innerhalb der Gruppe ist ebenso Voraussetzung für den Zusammenhalt wie das kollektive Durchstehen von „privaten“ Krisensituationen. Zu dem Punkt, daß ein klandestiner Zusammenhang gleichzeitig ein sozialer Organismus ist, kommen wir in einer späteren Frage. Zusammenfassend stellen sich demnach immer inhaltliche, praktische, logistische, organisatorische und Reproduktions-Fragen für den Aufbau einer militanten Gruppe. Wir wollen die Beantwortung dieser Frage nach der Organisierung nicht weiter ausufern lassen. Nur so viel noch: Wir haben hier kein Muster vorgeben wollen und können, das alle Einzelheiten und Eventualitäten der Bildung, der Entwicklung und des Ausbaus einer militanten Gruppe berücksichtigen konnte. Es handelt sich nicht um eine Art „Checkliste“, hinter die nur Punkt für Punkt ein Häkchen gesetzt werden müsste, um dann eine funktionierende Gruppe zu haben. Das wäre zu einfach gedacht. Aber vielleicht ist es uns trotzdem gelungen, einige unverzichtbare Elemente eines Organisierungsprozesses militanter Strukturen behandelt zu haben.

4. Gerade eine kontinuierliche klandestine Praxis, die sich zudem in einen expliziten Organisierungsprozeß einfügt, gerät schnell ins Visier der staatlichen Repressionsorgane. Der Prozeß gegen die drei Magdeburger Antifaschisten Mitte/Ende 2003 und die vornehmlich über die bürgerliche Presse (Focus) lancierte Denunziation von Personen, die angeblich zum inneren Führungszirkel der (mg) zählen sollen, zeugen von konkreten Auswirkungen der Repression. Ihr habt Euch in Eurem Text zum 10. Todestag von Wolfgang Grams (Interim Nr. 575, 26.6.03) recht ausführlich mit Fragen staatlicher „Exekutivmaßnahmen“, politischen/revolutionären Gefangenen und dergleichen beschäftigt. Uns interessiert in erster Linie, wie Ihr als Gruppe mit dem stärker werdenden Fahndungsdruck umgeht. Sind (Existenz-)Ängste, die sicherlich auch durch die sich immer enger ziehende Repressionsschlinge erzeugt werden sollen, ein Tabuthema? Wie geht man persönlich mit der Gefahr um, daß sich auf Dauer dermaßen viele Fehler summieren können, die es den Häschern möglich machen, Euch irgendwann einmal durch „Fahndungserfolge“ einen Strich durch Eure weitere politische Betätigung zu machen?

Fakt ist, daß nach der Auflösungswelle Anfang/ Mitte der90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts der RAF, den RZ und auch dem K.O.M.I.T.E.E. der Repressionsapparat viele personelle und logistische Ressourcen zur Verfügung hat, die beansprucht werden wollen. Was liegt da näher als den „niedrigschwelligen“ militanten Widerstand, der die Jahrzehnte zuvor fast unbehelligt agieren konnte, ins Visier zu nehmen. Alle, die sich mit der Thematik des aktuellen „Gewalttätigen Linksextremismus“ von Berufs wegen befassen, wissen, daß eine „neue RAF“ nicht einmal am Horizont schimmert. Dennoch werden verschiedene militante Aktionen, die sich in einer Region oder einem bestimmten Zeitraum häufen, zu einer neuen „terroristischen Gefahr“ stilisiert. Die von Euch erwähnten Magdeburger Genossen wurden in verschiedenen Medien schnell zur „Elbe-RAF“ großgeschrieben. Seit dem „Magdeburger Fall“ ist bundesweit eine verstärkte Fahndungstätigkeit der Klassenjustiz zu vernehmen. Insbesondere in den letzten Wochen und Monaten ist es zu einer Dichte von „staatlichen Exekutivmaßnahmen“ gekommen: öffentliche Fahndung nach vermeintlichen GenossInnen der Autonomen Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof, Razzien gegen die Vertriebsstruktur der radikal, §-129-Razzien gegen Wasserturm-Protest in Hamburg etc. Last but not least haben unsere Aktivitäten seit 2001 das BKA auf den Plan gerufen, um uns zu lokalisieren. Wenn wir davon ausgehen müssen, daß wir zentral ins Fadenkreuz der Repression geraten sind, dann ist jede unserer weiteren Handlungen doppelt und dreifach abzusichern. Die eh schon hohe Sensibilisierung muß dabei abermals erhöht werden, um evtl. Fahndungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls die eigenen Schutzmaßnahmen weiter zu verstärken. Die Beschäftigung mit potentiellen Repressionsschlägen ist bei uns zu einem Dauerthema geworden, d.h. wir sind gezwungenermaßen sehr regelmäßig dabei so etwas wie eine „Gefahrenanalyse“ für uns selbst zu erstellen. Wie geht es uns, wenn uns beständig der zupackende „Arm des Gesetzes“ ans Schlafittchen will? Zunächst ein verlieren „Repression“ und die damit Folgen (Knast etc.) einen Großteil ihrer Abstraktion. Man agiert aufgrund dessen bewusster, denn man ist unmittelbarer an die Folgewirkungen erinnert, falls sich bspw. bei Aktionen schwerwiegende Fehler ergeben sollten, die den Laboren des BKA zu viel Material von uns hinterlassen. Wir haben in einem früheren Text sinngemäß geschrieben, daß man erst vollständig begreift, Knast u.ä. heißt, wenn hinter einem/einer der Riegel in Schloß fällt. Richtig, aber es gibt eine Unmenge von Erfahrungsberichten ehemaliger revolutionärer Gefangener aus allen Winkeln dieser Welt und genügend Ratgeber im Umgang mit Repression, so daß eine gewisse „innere Vorbereitung“ möglich ist. Wenn man längerfristig einfahren sollte, ist man de facto seiner Existenz im persönlichen, sozialen und politischen Umfeld beraubt. Klar, keine berauschende Vorstellung. Aber Knast ist nicht das tiefe, schwarze Loch, sondern sozusagen ein politisches Kampfterrain unter anderen Bedingungen. Die lange Widerstandsgeschichte hinter den Knastmauern von revolutionären Gefangenen ist für uns ein bedeutsamer Bezugspunkt, gerade dann, wenn man sich bewußt gemacht hat, daß in einer widerständigen Biografie Knast eher die Regel als die Ausnahme ist. Darüber hinaus entwickelt man einen zusätzlichen Respekt vor den vielfältigen Fahndungsmethoden der Bullen, die sich rasant zu unseren Ungunsten entwickeln. Die Aussicht einer Orwellschen „Brave new world“ lässt einen/eine nicht unbedingt hoffnungsfroher in die Zukunft des revolutionären Widerstandes blicken. Der entscheidende Punkt ist aber, daß der angesprochene Respekt vor den Kapazitäten des Repressionsapparates nicht in Angst umschlägt. Angst ist, wie in allen Lebenslagen, der falsche Ratgeber für eine militante Politik. Sollte dieser Punkt in einem klandestinen Zusammenhang dominant werden, können wir von einer weiteren militanten Praxis nur abraten, da aufgrund der alles andere überlagernden Unsicherheit/Verunsicherung existenzielle Fehler zu Lasten der Gruppe vorprogrammiert sind. Da sollten auch keine internen Überredungskünste angestellt werden, die nur in der Lage sind, eine wacklige Gruppenkonstellation notdürftig zusammen zu flicken. Im Rahmen der revolutionären Linken gibt es, wie wir alle wissen, genug Betätigungsfelder; militante Politik ist halt nur eines, wenn auch aus unserer Sicht ein bedeutendes. Wir ßen nicht aus, daß eine Situation eintreten kann, in der der Fahndungsdruck so eminent wird, daß eine szenemäßige Lähmung . Das ständige Observiert-Werden und der Einschluß von immer weiteren Kreisen der (revolutionären) Linken in die offene oder verdeckte Fahndung wird auch ein Gradmesser der Solidarisierungsfähigkeit und unserer Abwehrmaßnahmen sein; der Text der Roten Hilfe des Revolutionären Aufbau Schweiz gibt hinsichtlich der Dialektik von Repression und Widerstand einige gute Hinweise (Interim Nr. 613). Für klandestine Zusammenhänge kann aber in einer solchen Situation auch Marighelas „Todsünde Nr. 6“ zum Tragen kommen, in der es heißt: „Die 6. Sünde des Stadtguerilleros ist, den Feind dann anzugreifen, wenn dieser gerade besonders gereizt und wütend ist“. Grundsätzlich ist zu sagen, daß es kaum verhindert werden kann, daß jede Aktionsvorbereitung, -durchführung und auch -nachbereitung mit Fehlern behaftet ist. Es ist vorstellbar, wie Ihr schreibt, daß irgendwann einmal soviel auswertbares und fahndungsrelevantes Material zusammengetragen wurde, um uns kassieren zu können. Fehlerquellenminimierung auf unserer Seite und die (hoffentlich gemachten) Fehler der „Gegenseite“ sind zwei Garanten, die es nicht zum (zielgenauen) „Schlag“ kommen lassen. Wir möchten noch einen uns wichtig erscheinenden Hinweis vornehmlich an jüngere GenossInnen richten, die konkret an einer militanten Praxis überlegen oder bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen haben. Stärker als vielleicht vor zehn Jahren ist es notwendig, nicht unbedarft und durch unüberlegte Handlungen bei Demonstrationen o.ä. ins Fahndungsraster potentieller Militanter zu geraten. Vor allem ist darauf zu achten, daß eine ED- oder gar DNA-Behandlung vermieden wird. Zu oft erleben wir, daß Leute beständig durch „eigenes Verschulden“ beim polizeilichen Staatsschutz landen und so die Akten auffüllen und Fahndungsgrundlagen erweitern. Es ist, so glauben wir, für jüngere GenossInnen heute noch wichtiger als vor dem angebrochenen DNA-Zeitalter, sich nicht durch ein zu frühes Auffallen und Aktenkundig-Werden militante Optionen zu erschweren oder gar zu verbauen.

5. Ihr habt davon gesprochen, daß Euch Dünnpfiff, Magenverkrampfungen u.ä. vor, während und nach klandestinen Aktionen nicht fremd sind. Leute, die militant agieren, sind also keine Super-AthletInnen, die sich immer und überall ohne mit der Wimper zu zucken auf den Punkt konzentrieren können. Sind Situationen vorgekommen, daß Aktionen öder Aktionsvorbereitungen abgebrochen werden mussten, weil einzelne Leute einfach durch Dinge wie den „sozialen Alltag“ vorübergehend überlastet waren? Wie erklärt Ihr Euch, daß es selbst in fest strukturiert geglaubten klandestinen Zusammenhängen offensichtlich dazu kommt, daß sich Gruppenmitglieder „sang-und klanglos“ verabschieden, wie es die „Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof“ geschrieben hat?

So, so. Ihr wollt also Aussagen hören, wie es um unser Nervenkostüm bestellt ist. Diese Frage schließt ja ganz gut an die vorherige an. Da wir ja schon über „Dünnpfiff, Magenverkrampfungen u. ä.“ etwas gesagt und geschrieben haben, ist also klar, daß wir auch nicht ohne „psycho-somatische“ Auswirkungen vor, während und nach Aktionen auskommen. Das ist uns doch wohlbekannt. Dabei können wir durchaus von einem Wechselverhältnis ausgehen, wonach eine risikoreichere und kompliziertere militante Aktion oft mit deutlicheren „psycho-somatischen“ Symptomen zusammenfällt. Das soll aber nicht heißen, daß wir als hektische Nervenbündel vor jeder Aktion kurz vor einem Kollaps stehen würden. Wir denken, daß es erlernbar ist, die „Psycho-Somatik“ in den Griff zu bekommen. Im Laufe der Zeit und bei der Sammlung von Erfahrungswerten bei militanten Aktionen und ihren Abläufen spielen sich die Vorgänge vom Auschecken eines Objektes bis zur Umsetzung der Aktion doch recht gut ein. Das Problem ist hier dann eher, daß man nicht in einen routinemäßigen Mechanismus verfällt, der wiederum Fehlerquellen wie Unachtsamkeit beinhalten kann. Entschiedener ist uns an dieser Frage aber der von Euch aufgeworfene Punkt des „sozialen Alltags“. Allgemein gesprochen: jede klandestine Gruppe stellt auch einen sozialen Organismus dar. Rückwirkungen von Problemen im sozialen Alltag Einzelner oder Mehrerer (Beruf, Familien-/ Freundesumfeld, Krankheit etc.) auf die militante Struktur sind unumgänglich. Wenn man aus der Legalität heraus militant agiert, kann man sich schwerlich vom sozialen Alltag „freimachen“. Anders, wenn man die selbstgewählte oder erzwungene Illegalität als „Offensivposition“ setzt, bei der eine Abkopplung vom persönlichen und sozialen Umfeld weitgehend unerlässlich ist. Es ist eine Situation denkbar, daß aufgrund von zeitraubenden beruflichen Verpflichtungen eine aktive Teilnahme am Gruppenprozeß momentan nicht möglich und eine „Auszeit“ angesagt ist. Wir kennen alle vor allem familiäre oder Beziehungssituationen, in denen uns die „kleine private/persönliche Revolution“ näher erscheint, als das Hinarbeiten mit militanten Nadelstichen auf die ferne globale Umwälzung. Unbestritten, und mehrfach erlebt, ist allerdings, daß das Nehmen einer „Auszeit“ der Beginn eines schleichenden, aber sicheren Ausstiegs bedeuten kann, gerade dann, wenn damit ein sich Einrichten in das „private Glück“ einhergeht. Das, was den GenossInnen der Autonomen Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof widerfahren ist, daß Gruppenmitglieder sich irgendwann vermeintlich plötzlich „sang-und klanglos“ verabschieden, ist leider kein Einzelfall. Wir gehen davon aus, daß klandestine Zusammenhänge mehrheitlich über solche Erfahrungen berichten könnten. Wir können an dieser Stelle auch kein Patentrezept aus dem Hut zaubern, aber oft lassen sich gerade in der Rückschau Vorkommnisse analysieren, die auf einen allmählichen Rückzug von Einzelnen aus der Gruppe schließen lassen. Neben den persönlichen und sozialen Begebenheiten, die für Einzelne ausschlaggebend für einen Rückzug sind, sind politische Differenzen und die Angst vor den strafrechtlichen Konsequenzen des eigenen Wirkens ursächlich. Was die letzten beiden genannten Punkte betrifft, ist es für den Gruppenzusammenhalt existenziell, die gesamte Positionierung der Gruppe kollektiv auszuarbeiten, um evtl. inhaltlich bedingte Spannungen, Zerwürfnisse und diametrale Ansichten frühzeitig offen zu legen und nach gemeinsam getragenen Lösungswegen zu suchen. Wir gehen davon aus, daß eine Gruppenkonstellation nicht stabiler wird, wenn im Grunde allen in der Gruppe bekannte, aber nicht offen benannte Konflikte im Nebulösen bleiben. Eine Gruppe wird früher oder später von diesen anwachsenden „Altlasten“ eingeholt. Aber selbst das bietet keine 100%ige Gewissheit der Stabilität der Gruppe, da selbst bei absolut „gefestigt“ geglaubten Personen scheinbar kleine Auslöser ausreichen, um einen „Rappel“ zu bekommen und auszusteigen. Vor Überraschungen ist man nie völlig gefeit. Es gibt Grenzen der kollektiven Festigkeit. Manchen GenossInnen gelingt es z.T. über Jahre eine „Fassade“ vor sich her zutragen, die unversehens in sich zusammenfallen kann – möglicherweise mit fatalen Konsequenzen für die Existenz des gesamten klandestinen Kollektivs. Ok, noch kurz zu Aktionsabbrüchen. Ja, auch wir kennen solche. Das kann durch eine Grippewelle, die die ganze Gruppe erfasst hat, verursacht sein oder durch neue Erkenntnisse einer verstärkten Bewachung des anvisierten Objektes. Auch unmittelbar vor Ort sind Abbrüche erforderlich, wenn wider erwartend Personen z.B. durch einen aktivierten Brandsatz gefährdet wären. Aktionsabbrüche sind immer lästig, wenn der gesamte ins Rollen gebrachte „Gruppenmechanismus“ zurückgefahren werden muß, aber immer richtig, um Gefahren für das Kollektiv abzuwenden. Aktionsabbrüche sind das eine, Aktionsveränderungen das andere. Geplante Aktionsabläufe müssen in solchen Fällen, wenn z.B. ständig Nachtschwärmer am Objekt der Begierde zu nah vorbei flanieren, abgeändert werden (z.B. Verzicht auf eine zu große Geräuschkulisse durch Fenstereinschlagen o.ä.). Ein gewisses Improvisationsvermögen ist trotz einer detaillierten Aktionsvorbereitung immer mitzubringen. Im Laufe der Jahre sammeln sich so einige Ereignisse an, die man nicht einmal für ein Militanz-Lehrbuch, sofern es geschrieben würde, erfinden könnte ...

6. Von Euch wurde maßgeblich die Militanzdebatte initiiert. Im Gegensatz zu früheren Debattenanläufen (Behle-Papier, Glasfaserkabel-Debatte, Komitee-Selbstauflösung etc.) lässt sie sich bis zum heutigen Zeitpunkt aufrechterhalten. Allerdings ist für uns nicht absehbar, ob sie sich weiter konkretisiert. Was war eigentlich der Auslöser für diesen weiteren Debattenanlauf? Haben sich im Verlauf der Debatte Eure Erwartungen zumindest zum Teil erfüllt? Und wie schätzt Ihr den aktuellen Stand der Militanzdebatte ein und welcher Input ist für den weiteren Diskussionsfluss aus Eurer Sicht erforderlich?

Wir wollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen die Militanzdebatte nachzeichnen. Für die GenossInnen, die sich von dem mehrjährigen Diskussionsprozeß um Militanz ein genaues Bild machen wollen, ist es unausbleiblich, sich mit den Texten, die bis zum Sommer vergangenen Jahres in der Doku-Broschüre erschienen oder regelmäßig in der Interim nachzulesen sind, zu beschäftigen. Der Auslöser für die Militanzdebatte seit 2001 war ein Beitrag von militanten GenossInnen. Wir haben in diesem Text einige Punkte gefunden (Organisierungsfragen, Wahl der Mittel etc.), die periodisch in anderen, stecken gebliebenen Debattenanläufen Jahre zuvor immer mal wieder aufgeworfen wurden. Unser Interesse war und ist es, keinen weiteren Debattenanlaufversanden zu lassen, sondern eine Kontinuität und Verbindlichkeit im Diskurs zu sichern. Im Verlauf der Debatte haben wir einen sehr konkreten Ansatz einer Vernetzung über eine gemeinsame Diskussion und Aktion gesehen. Infolge dessen sind wir zu dem Vorschlag der Bildung einer militanten Plattform gekommen. D.h., daß die Debatte bzw. jede inhaltliche Auseinandersetzung um Fragen militanter Politik für uns kein folgenloses Theoretisieren sein kann, das abseits einer Praxis hinter Schreibtisch und Tintenfass stattfindet. Im Gegenteil, eine dergestalt verstandene Textproduktion ist Teil des Fundaments für eine revolutionäre Aktion und Praxis. Insofern ist „Theoriearbeit eine Waffe“ im Rahmen der Klassenkampfverhältnisse, ein Mittel der Bewusstseinsentwicklung und in unserem Fall des Versuchs Lehren aus ergebnislosen Militanzdebatten zu ziehen. Gut, Ihr fragt, ob sich Erwartungen für uns „zum Teil erfüllt (haben)“. Nicht einfach, darauf eine Ja-oder Nein-Antwort zu geben. Wir versuchen zwei positive und zwei negative Tendenzen hervorzuheben. Positiv ist, daß es gelungen ist, den Debattenprozeß seit Herbst 2001 (mühsam) aufrechterhalten zu haben. Positiv ist auch, daß zusammengenommen mehr als ein Dutzend militanter Zusammenhänge daran (sporadisch) teilgenommen hat. Ihr merkt an unseren eingeklammerten Ergänzungen, daß wir selbst die positiven Aspekte mit Einschränkungen versehen müssen. Wenn wir die Interim als publizistische Basis der Militanzdebatte sehen, können wir feststellen, daß seit der Ausgabe 600 ein neuer Auftrieb festzustellen ist. Allerdings, und somit kommen wir zu den negativen Aspekten, ist es bisher nicht gelungen, eine tatsächlich bezugnehmende Debatte zu führen, die mittelfristig an organisatorischen Ergebnissen ausgerichtet wäre. Die letzten Texte zur Militanzdebatte waren, abgesehen von dem Moderationsversuch, eher Statements, Entgegnungen und gegenseitiges Abwatschen als wirklich weiterführende Beiträge, die über das bisher Formulierte hinausgegangen wären. Das sind Anzeichen, daß sich die Debatte künftig nur noch im Kreis drehen könnte. Wir haben mit unserem Text „ (Stadt-)Guerilla oder Miliz?“ versucht, eine „Trendwende“ einzuleiten. Das Ergebnis ist für uns zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erkennbar. Den zweiten, schwerwiegenden, negativen Aspekt sehen wir darin, daß doch etliche militante Gruppen (autonome miliz, revolutionäre aktion carlo giuliani, kommando freilassung aller politischen gefangenen, revolutionärer aufbau, Militante Antiimperialistische Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney – , Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof) entweder wortlos von der politischen Bildfläche verschwunden oder seit einem längeren Zeitraum ohne wahrnembare Aktivitäten sind. Die Debatte haben wir u.a. deshalb so stark fördern wollen, da von einigen Zusammenhängen signalisiert wurde, an einem konzentrierten inhaltlich-praktischen Austausch mit der Chance auf organisatorische Ergebnisse interessiert zu sein. Wenn das von GenossInnen so z.T. explizit formuliert wird, setzen wir natürlich darauf, dass alle an einer Realisierung arbeiten. Unser Optimismus war im Endergebnis vielleicht zu groß. Wir sind keine PhantastInnen und wissen, daß das unter diesen Bedingungen nix mit einer militanten Plattform werden kann, die sich primär über eine Kontinuität der Diskussion und Aktion koordiniert. Was folgt aus dieser eher nüchternen Einschätzung? Zuerst einmal keine „Schwarzmalerei“! Denn das, was in den vergangenen Jahren inhaltlich erarbeitet und teilweise praktisch umgesetzt wurde; ist in der Summe vor dem Hintergrund der diversen im Sande verlaufenen „Militanzdebatten-Versuchen“ seit  den 90er Jahren schon bemerkenswert. Wir betrachten unsere Aufgabe darin, in den kommenden Monaten zu einer Zusammenfassung des bisher Erarbeiteten zu kommen, selbstverständlich unter Berücksichtigung der verschiedenen Debattenfragmente der letzten 15 Jahre (Ihr habt in Eurer Frage einige dieser aufgelistet). Wir glauben, daß es auf der Grundlage des vorhandenen Materials gelingen kann und sollte, Kriterien für eine militante Politik zu fixieren; gedacht als Orientierungsgrundlage für alle, die an einem revolutionären Aufbauprozeß teilnehmen wollen. Die aktuelle Militanzdebatte langsam aber sicher in die Zielgrade zu führen, auch wenn wichtige, vor allem organisatorische Resultate (vorläufig) nicht erreichbar sind, muß aus unserer Sicht die Maßgabe sein. Der „Wert“ der Militanzdebatte wird sich darin zeigen, ob es mittelfristig gelingt, die herausgearbeiteten und vermittelten Ergebnisse in praktische Politik der revolutionären Linken umzumünzen. Wir setzen darauf, daß sich dieser Diskurs um Militanz in unseren Strukturen (und darüber hinaus!) materialisiert. Diese mit der Militanzdebatte verbundene Perspektive ist natürlich auch innerhalb des Repressionsapparates nicht unbemerkt geblieben. Nicht die kleinen bisher gelaufenen militanten Aktionen, die oft nicht mehr als eine Versicherungsangelegenheit darstellen, sind das Problem der Hüter von Recht und Gesetz, denn die potentielle Aussicht einer interventionsfähigen revolutionären Linken, die sich real zu einem „Sicherheitsrisiko“ dieser Gesellschaftsordnung etabliert. So etwas im Keim zu ersticken, ist der „tiefere Sinn“ jedes Aktes der präventiven Konterrevolution.

7. In der Militanzdebatte sprecht Ihr von einem „komplexen revolutionären Aufbauprozeß“ und davon, daß sich militante Gruppen im Koordinationsrahmen einer „militanten Plattform“ zu einem „eigenständigen Faktor“ entwickeln sollen. Innerhalb dieses Aufbauprozesses taucht das „Reizwort“ „revolutionäre Parteistruktur oder Partei-Form“ auf. Schildert doch bitte, wie die einzelnen Widerstandsebenen, die Ihr als Teile dieses Aufbauprozesses betrachtet, z. B. mit der organisatorischen Figur einer „Partei“ interagieren können/sollen.

Oh, eine weitere sehr umfangreiche Frage, die in sich aufgeschlüsselt ist und mehrere, zusammenhängende Aspekte enthält. Wir versuchen ohne große Schnörkel hierauf einzugehen. Richtig ist, daß wir das Ziel verfolgen, daß sich eine militante Politik zu einem eigenständigen Faktor im Rahmen eines widerstandsebenenübergeifenden Netzwerkes (Basis/Bewegung – militante Gruppen – bewaffnete Struktur –Partei-Form) entwickelt. Unserer Meinung nach muß militante Politik, wie wir in den vergangenen Jahren versucht haben zu zeigen, mehr umfassen als lediglich eine halbwegs definierte Praxis (Bandbreite militanter Aktionsformen vom Sprühen, Kleben bis hin zu Brand-und auch Sprengsätzen). Wir verstehen unter dieser Prämisse, daß die Interventionsform „militante Politik“ weder zu einem eingleisigen Zulieferer (personell, logistisch etc.) einer bewaffneten Struktur herabgesetzt wird, noch, daß sie zu einer sporadisch ins Spiel gebrachten „Flankierungsmaßnahme“ von Basisprozessen verkommt. Diese „Flankierung“ war und ist allzu oft nur ein Hinterherhinken mehr oder weniger verschlafener sozialpolitischer Entwicklungen, die sich, ohne uns zu fragen, selbst einen Protestweg gebahnt haben. Dieses militante Randrängeln an bestimmte politische Konflikte, was seit jeher praktiziert wird, wollen wir grundsätzlich hinterfragen. Es ist uns völlig klar, daß das Proklamieren von Militanz als eigenständiger Faktor ohne organisatorische Basis nutzlos ist. Diese Rolle können militante Zusammenhänge nur dann perspektivisch erlangen, wenn sie sich in ein koordiniertes Verhältnis zueinander setzen. Wir haben dazu bekanntlich das Projekt einer militanten Plattform als Vorschlag unterbreitet und in mehreren Texten erläutert. Wir sehen darin die Chance, uns der „Unklammerung“ und letztlich Funktionalisierung durch eine bewaffnete Struktur oder Bewegungstendenzen zu entledigen. Die Sisyphus-Arbeit in Basiszusammenhängen und das Starkmachen von antagonistischen Positionen in Protestbewegungen ist und bleibt der Grundstein der Politik der revolutionären Linken – gerade in Zeiten des Niedergangs. Eine relevante organisatorische Vergrößerung von militanten Gruppen und eine Ausweitung des bewaffneten Kampfes ist in hoch industrialisierten Zonen nur als Folge eines Radikalisierungs- und Konkretisierungsprozesses innerhalb von Massenprotesten denkbar. Die Etablierung eines kleinen (bewaffneten) Focus, der dann zum Flächenbrand in den Metropolendschungeln führt und zu einer ernsthaften Herausforderung für die kapitalistische Gesellschaftsformation und ihren BeschützerInnen wird, ist pure Illusion. Eine wichtige Erkenntnis ist, daß sich nirgends erfolgversprechende revolutionäre Tendenzen herausgebildet haben, wenn nicht eine umfangreiche Vorfeldarbeit über Jahre hinweg geleistet wurde. Es lässt sich ein, „revolutionärer Aufbruch“ nicht aus dem Nichts improvisieren. Wir sehen unsere Aufgabe als militanter Zusammenhang neben unserer „originären“ der Organisierung militanter Politik sowohl in der Erarbeitung von Grundlagen einer bewaffneten Struktur als auch in der Unterstützung von Basisinitiativen. Dieses mehrgleisige Engagement entspricht unserem Ansatz innerhalb eines „komplexen revolutionären Aufbauprozesses“ zu wirken. Verschiedenen Widerstandsformen schafft man u. E. nur dann bessere Ausgangsbedingungen, wenn sie nicht nebenher und unverbunden praktiziert werden. Wenn wir  von einem zu schaffenden gesamtorganisatorischen Rahmen sprechen, meinen wir damit die Schaffung von Verbindungslinien und Binnenstrukturen zwischen den einzelnen von uns aufgeführten Widerstandsbereichen. Nun, kommen wir noch kurz zum Stolperstein „Partei“. In einigen kritischen Beiträgen zur Militanzdebatte ist die „organisatorische Figur „Partei“„, wie Ihr sie nennt, gerne aus dem eben geschilderten „komplexen revolutionären Aufbauprozeß“ herausgebrochen worden. Allein das Erwähnen der Organisierungsform „Partei“ treibt einige zu szenetypischen Beißreflexen, die wir – wir geben es zu -erwartet und ein bisschen provoziert haben. Es ist erforderlich, wenn man zu einer vorurteilsfreien Beurteilung von „Partei“ kommen möchte, die eigene mit negativen Assoziationen gespickte Gedankenwelt zur Thematik „Partei“ gründlich zu entrümpeln. Denn ein Verweis auf die zumeist studentischen Kabarettvereinigungen, die sog. K-Gruppen, als Ausläufer von 68 reicht nicht aus, um dem tief in der Geschichte der revolutionären Linken verwurzelten „Phänomen“ „Partei“ auch nur annährend gerecht werden zu können. An dieser Stelle nur soviel: „Partei“ als politischer Ausdruck der revolutionären Linken ist seit dem ersten, wichtigen Dokument der sich formierenden KommunistInnen (Manifest der Kommunistischen Partei, fälschlich oft als „Kommunistisches Manifest“ sinnentstellt verkürzt) ein zentrales Element der Frage, wie sich (fundamental-)oppositionelle Bestrebungen eine abgestimmte sowie kollektive Stimme in inhaltlicher, praktischer und organisatorischer Hinsicht verschaffen können. „Partei“ verstanden als Synonym für ein Koordinationszentrum bildet in vielen revolutionären Gesamtorganisationen und Befreiungsbewegungen den ideologischen und strukturellen Kitt zwischen den einzelnen Gliederungen. Im Detail lassen sich sehr viele, widersprüchliche Definitionen von Partei-Formen finden. Wir haben in anderen Texten darauf verwiesen. Z.B. finden sich in linkskommunistischen Organismen interessante Debatten über die Bedeutung und Rolle einer Partei-Form, auch das Modell einer Kämpfenden Kommunistischen Partei ist unter revolutionären Organisationen in Westeuropa bis tief in die 90er Jahre ein Thema der Auseinandersetzung gewesen. Wir wollen uns jedenfalls nicht unreflektiert aus solchen Überlegungen von GenossInnen anderswo ausschließen. Wir können beruhigen, zu einem „komplexen revolutionären Aufbauprozeß“ gehört auch, Prioritäten zu setzen. Die Frage nach einer praktisch umzusetzenden Partei-Form gehört, so weil wir das überschauen können, nicht zu der aktuell brennendsten.

8. Es wird allgemein anerkannt, daß Ihr der „Motor der Militanzdebatte“ seid. Allerdings liegen Eure überwiegend sehr ausführlichen Texte vielen LeserInnen wie Blei im Magen und werden dadurch zum Teil unverdaulich. Verbaut Ihr Euch mit der epischen Textlänge nicht selbst eine verstärkte Rezeption Eurer Beiträge durch potentielle MitstreiterInnen? Die GenossInnen der „Autonomen Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof“ sprachen gar davon, daß Eure eingebrachten Darbringungen „gerade für jüngere Leute nicht mehr  nachvollziehbar“ seien.

Ach, das mit dem „Motor-Sein“ ist gar nicht der Motivationshintergrund unseres Agierens.  Wir sind einfach objektiv in diese Rolle gerutscht, weil nur der geringe Anteil der an der Militanzdebatte teilnehmenden Gruppen, aus welchen Gründen auch immer, sich mehr als einmal in die Arena begeben bzw. gewagt hat. Wir können einfach keinen Vorteil für uns als revolutionäre Linke erkennen, wenn wir den Diskussionsfaden unter uns abreißen lassen würden. Ein weiteres diskursives Einknicken – wie Beispiele aus den 90er Jahren zeigen – bringt uns keinen Millimeter weiter. Also, nicht die Funktionsausübung eines „Motors“ ist unsere Antriebsfeder, sondern das Einhalten unserer Aussage, für diesen Debattenprozeß Verantwortung übernehmen zu wollen. Das ist schlicht und einfach eine Frage der Verlässlichkeit. Zum bleiernen Lese- und Textstoff: einen Literaturwettbewerb werden wir mit unseren holprigen schriftlichen Beiträgen nicht gewinnen, jedenfalls nicht in naher Zukunft. Wir müssen alle ohne ein absolviertes Germanistik-Studium auskommen. Klar, darum geht es auch gar nicht. Die stilistische Präsentation von Texten ist bei uns ein regelmäßig aufkommender Diskussionspunkt. Wir bemühen uns sehr, einen leichter verdaulichen Stiltypus zu finden, der sich von unserem aus der Anfangszeit unterscheidet. Wir hoffen, daß unsere Bemühungen nicht ganz vergebens waren. Bliebe noch, falls unsere Anstrengungen doch nicht fruchten sollten, das „Outsourcing“ unserer schriftlichen Aktivitäten. Das kann aber wegen der klandestinen Bedingungen, unter denen wir agieren müssen, nicht in Betracht kommen. Wir sind hier auf konstruktive Verbesserungsvorschläge von außen angewiesen, die wir dann berücksichtigen werden. Das ist unser Part, den wir in Sachen besserer Vermittlung von Inhalten zu übernehmen haben. Der andere ist, ß wir als revolutionäre Linke insgesamt vor dem Dilemma stehen, wenig bis gar nichts an Grundlagenwissen über Generationen aktiv vermittelt zu haben. Es ist sehr viel an inhaltlich wie theoretisch wichtigem, aber auch geduldigem Papier beschrieben worden. Dieser Fundus wurde und wird aber weder in nötiger Weise aufbereitet, noch als reichhaltiger und lehrreicher Erfahrungswert genutzt. In einer Art Selbstbefragung in unserer Gruppe kamen wir vor einiger Zeit zu der nüchternen Einsicht, daß wir selbst auf unserem klandestinen Praxisfeld nur eingeschränkt historische und inhaltliche Kenntnisse erworben haben. Dieses immer wieder von Null anfangen müssen, waren wir leid. Deshalb sind wir zu dem Punkt gekommen, daß wir eine vom Grundsatz her gestaltete (Wieder-)Aneignung der Widerstandsgeschichte der weltweiten revolutionären Linken umsetzen müssen. Diese kann aber nur gelingen, wenn dafür ein koordinierter Diskussions- und Aktionsrahmen gesichert wird. Daraus resultieren u.a. unsere Bemühungen einer verbindlichen Vernetzung oder zumindest Verständigung unter klandestinen Zusammenhängen. In diesem Zusammenhang wollen wir betonen, daß die eigentliche Abstraktion gerade von linksradikaler Politik darin besteht, auf unerklärte Begrifflichkeiten und eine Summe von Schlagwörtern reduziert zu sein. u.a. über den Weg der Aneignung unserer Widerstandsgeschichte versetzen wir uns möglicherweise in die Lage, inhaltliche und praktische Ansätze für eine aktuelle revolutionäre Politik zu entwickeln. Wenn diese argumentativ und tatkräftig untermauert werden kann, bauen wir Abstraktionen ab. Wir haben in den letzten Jahren zu mannigfachen Anlässen versucht, durch schriftliche Beiträge, die unabhängig von unseren militanten Aktionen (wie Anschlagserklärungen) waren, die von uns vertretenen Positionen öffentlich zu machen. Dabei haben wir uns in Diskussionen wie den 1. Mai oder zum Einfluß des Berliner Politik-Professors Grottian in die Protestbewegung gegen die „Agenda 2010“ eingeklinkt. Wir haben erkannt, daß es bei weitem nicht ausreicht in komplexen Abhandlungen den revolutionären Kampf zu sezieren, sondern durch Eingriffe in ausgewählte Streitfragen, die nichts im engeren Sinne mit einer militanten Praxis zu tun haben, politische Haltungen zu kennzeichnen. Über dieses Aufgreifen von Themen versuchen wir natürlich auch abseits vom militanten Geschehen unsere Ansätze plastischer zu machen. Darüber hinaus dokumentieren wir damit, daß klandestine Organisierung nicht heißt, irgendwo abgekapselt zu vegetieren.

9. Wenn wir die Militanzdebatte überblicken, ist es neben Euch und der Militanten Antiimperialistischen Gruppe -Aktionszelle Pierre Overney – eigentlich nur – allerdings mit großen Abstrichen – den Autonomen Gruppen gelungen, so etwas wie konzeptionelle Überlegungen zu militanter Politik zu formulieren. Haben sich hier zwei Linien herausgebildet, wobei die Autonomen Gruppen als „klassische“ VertreterInnen autonomer Kampagnen und Bewegungspolitik zu verstehen sind?

Um gleich eine in den 80er und 90er Jahren lieb gewonnene und zum Teil heute noch mitgeschleppte Blockbildung von undogmatischen, sozialrevolutionären Autonomen auf der einen Seite und orthodox-kommunistischen Antiimps auf der anderen Seite zu zerschlagen: eine derartige Trennlinie, nach der man vieles nach dem „Gut-/ Böse-Schema“ müllmäßig sortieren konnte, funktioniert heute nicht mehr. Das hat den läppischen Grund darin, daß die Antiimps - bis auf vereinzelte Ausnahmen als agierende Szene nicht präsent und existent sind. Für uns wurde von KennerInnen der Szenen selbstverständlich auch eine der beiden Schubladen aufgemacht; es fällt nicht schwer zu wissen, in welche wir eingelagert werden sollten, oder?! Dieses Vorhaben mußte allein deshalb scheitern, weil wir uns a) dafür nie interessiert haben und b) zu den Antiimps nicht mehr biografische, personelle, inhaltliche Bezüge haben wie zu den Autonomen. Diese Rechnung konnte und kann also nicht aufgehen. Wenn man eine etikettenhafte Zuschreibung unserer Positionierung haben will, dann diese: Synthese eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes auf kommunistischer Grundlage. Zurück zu Eurer Frage. , wir haben in unserem Zwischenresümee der Militanzdebatte (Interim 600, 2.9.04) was uns und die GenossInnen der Autonomen Gruppen betrifft von „zwei Linien“ gesprochen. Nur, zu der Feststellung „zweier Linien“ gehört auch, das sie an entscheidenden inhaltlich-praktischen Kriterien (?) formuliert sind und kontinuierlich zur „Diskussion gestellt werden. Beides ist, da geben wir Euch recht, „mit großen Abstrichen“ aus den AG-Texten herauszufiltern. Wir können uns dabei aber nur auf jene Papiere oder Auszüge aus Anschlagserklärungen stützen, die unter diesem Label veröffentlicht wurden – alle Spekulationen über „Teilidentisches“ überlassen wir den Bütteln. Und diese schriftlichen Äußerungen im Rahmen der Militanzdebatte sind allesamt im Jahr 2002 erschienen. Also besteht die schlichte Schwierigkeit darin, daß wir uns auf drei Jahre alte Texte berufen müssen, ohne wissen zu können, inwiefern sich in deren Zusammenhängen Standpunkte verschoben oder gehalten haben. Unerfreulicherweise haben die Autonomen Gruppen auf verschiedene Anfragen (z.B. Friends of Interim, Familie Feuerstein) bisher nicht mehr schriftlich reagiert. Vor drei Jahren haben sie noch geschrieben, daß sie „an gemeinsamen strategischen Vorgehen interessiert“ (vgl. Doku-Broschüre zur Militanzdebatte) seien. Zudem haben sie dazu aufgerufen: „Lasst uns konkrete Ziele diskutieren“ (ebd.). Abgesehen von einem Abschnitt in einer Anschlagserklärung zur versuchten Strommastfällung am Flughafen Schönefeld im September 2002 ist seitdem in Bezug auf die Militanzdebatte absolute Funkstille. Es kann wohl niemand ernsthaft behaupten, daß seitdem inhaltlich nichts weiter ausgearbeitet und konzeptionell überlegt worden wäre. Diese Unverbindlichkeit und dieses folgenlose Ankündigen von Initiativen, die man entweder einfordert oder mittragen will, ist bestimmt kein alleiniges Merkmal des autonomen Milieus. Aber eine gewisse Unfähigkeit eine Kontinuität an bestimmten Punkten zu entwickeln, sehen wir insofern als symptomatisch an, weil sich das „autonome ein mal eins“ hartnäckig von Generation zu Generation tradiert. Klar, diese Aussage kann uns als grob vereinfachend ausgelegt werden. Wir kennen ebenso autonome GenossInnen, die sich seit etlichen Jahren in ausgewählten Teilbereichskämpfen (z.B. Antira, Anti-AKW) tummeln, und sich dort mitunter aufreiben. Wenn man einen Bilanzstrich unter einen Vergleich zwischen den Autonomen Gruppen und uns ziehen wollte, käme man vermutlich zu dem Ergebnis, daß uns mindestens soviel verbindet wie trennt. „Militanz“ ist dabei nur das augenfälligste Gemeinsame. Um nicht gleich in den „Kuschelverdacht“ zu geraten: regelmäßig wird von autonomen GenossInnen Altbekanntes in die Runde geworfen, d.h. relative Abneigung konzentriert und kontinuierlich inhaltliche/theoretische Arbeit zu leisten, faktische Begrenzung klandestiner Mittel, Unwille konzeptionelle und organisatorische Überlegungen zum Teil auch nur zu zulassen etc. Wir halten zwar nicht so sehr viel davon, GenossInnen gleich in ein Korsett („ >klassische< Vertreterinnen autonomer Kampagnen-und Bewegungspolitik“) einzuschnüren. Wir finden aber schon, daß nach dem „Muff unter den Talaren“ auch mal der „Muff unter der schwarzen Motorradjacke“ und der nachlassende Tragekomfort des Kapuzis selbstkritisch registriert werden sollten. Kurz noch zu einem anderen Punkt, der uns von den GenossInnen der Autonomen Gruppen vor allem in der Einschätzung potentieller Repressionsfolgen unterscheidet. Sie haben hinsichtlich ihrer Namensgebung und in Abgrenzung zu unserer Namenskontinuität (leichtere Identifizierbarkeit,  Autoritätsfixiertheit) geschrieben: „Je mehr Zusammenhänge diesen Namen (Autonome Gruppen, Anm. mg) benutzen, um so größer auch der Schutz für die anderen (ebd.)“. Abgesehen davon, daß wir diese Variante der Namensgebung für ein Einfallstor der (inhaltlichen) Diffusität halten und darin bisher kein Modell erkennen können, daß sich ein Gruppenprofil in einer Verbindung von Diskussion und Aktion herausbildet, kommt ein relevanter Repressionsaspekt hinzu. Vor dem Hintergrund, daß in den letzten Jahren die Verfolgungsbehörden versuchen, militante Aktionen verschiedener Zusammenhänge einem Personenkreis zuzuordnen, wird der durch eine „Freigabe“ eines Gruppennamens vermutete zusätzliche „Schutz“ zu einem Bumerang. Denn bei etwaigen Festnahmen im Kontext von Aktionen der Autonomen Gruppen ist es naheliegend, daß die BAW einiges investieren wird, um die Urheberschaft aller oder vieler mit diesem Namen unterzeichneten Aktionen den potentiell Eingeknasteten aufzudrücken. Ob so etwas in einem Prozeß von BAW-Seite auch durchzuringen ist, ist eine zweite Sache. Das leitet über zu der Frage: Machen wir’s denn besser? Das wäre so pauschal ausgedrückt natürlich vermessen zu behaupten. Nee, nee, das ·wagen wir nicht. Wir haben uns nur dazu entschieden, alle unsere Defizite im inhaltlichen, praktischen, logistischen, organisatorischen und reproduktiven Bereich zuerst einmal uns selbst gegenüber einzugestehen und zu benennen. Seitdem versuchen wir auf all den genannten Feldern nach (Teil-)Antworten zu suche und gefundene Lösungsansätze umzusetzen. Diesen Prozeß vollziehen wir aber nicht im stillen Kämmerlein, sondern wir mache diesen über die Militanzdebatte transparent jedenfalls so weit es für uns verantwortbar. Wir sind keine verstohlene Loge, die rituelles Zirkelwesen betreibt; wir wollen eine diskutierbare, nachvollziehbare und vor allem unterstützungsfähige Politik der revolutionärenLinken außerhalb der vier baufälligen Wände der Szene festsetzen. Wir wissen, daß wir davon noch meilenweit entfernt sind, allerdings haben wir uns mit einer Menge Puste auf den Weg gemacht. Wir verwenden derzeit ziemlich viel Zeit und Kraft auf Dialoge, die über den Rahmen der Militanzdebatte bewußt hinausreichen sollen. Z.B. haben wir mit unseren Statements zum Interview mit dem „Gründungsmitglied der Bewegung 2. Juni“, Norbert Kröcher, in „der Jungle World und der Junge Welt-Artikelserie von Helmut Höge den engen publizistischen Szene-Rahmen, der wesentlich von der Interim getragen wird, überschritten. Auch die kleine Diskussion, die um unseren Brandanschlag auf einen LIDL-Neubau in gewerkschaftlichen Kreisen von Verdi erfolgte, sehen wir als positiven Schritt raus aus dem „Ghetto“. Noch was Abschließendes zu dieser Frage: Bei uns steht alles auf dem Prüfstand und nichts auf dem Index. Deshalb diskutieren wir u.a. Fragen und organisatorische Formen des bewaffneten Kampfes als auch Ideen von Partei-Formen. Wir behaupten sogar, daß sich, wie wir hier nur ganz knapp angerissen haben, eher Beispiele für restaurative und dogmatische Positionen bei den GenossInnen der Autonomen Gruppen finden als in unseren Texten und Praxen. Vielleicht spiegeln sich hier unterschiedliche – Achtung schwammiges Wort! – Mentalitäten wider, wie man meint, sich passender aus der politischen Sackgasse zu manövrieren. Soweit zu Euren „zwei Linien“.

10. In Eurem letzten Papier „Stadtguerilla oder Miliz?“ (Interim Nr. 608,  23.12.04 und 609, 13.1.05) habt Ihr Euch erstmals schwerpunktmäßig mit der Frage der organisatorischen Form des bewaffneten Kampfes beschäftigt. Dabei habt Ihr insbesondere den „Miliz-Gedanken“ der (historischen) ArbeiterInnenbewegung im Gegensatz zum lateinamerikanischen Stadtguerillamodell hervorgehoben. Uns ist nicht ganz klar, auch wenn wir berücksichtigen, daß Ihr Euch erst einmal sehr überblicksmäßig an die „Miliz“ herangewagt habt, wie dieses organisatorische Format „für eine Neu-Formulierung des bewaffneten Kampfes in der BRD nutzbar gemacht werden kann. Wollt Ihr den „Miliz-Gedanken“, den Ihr, wir interpretieren einmal, offensichtlich favorisiert, so weiterverfolgen, daß er in mittelbarer Zukunft Praxis werden könnte?

Dieser Text dürfte den meisten Interessierten noch am besten in Erinnerung sein, zumal er offensichtlich relativ breit gelesen und diskutiert wurde. Deshalb wollen wir auch keine einleitende Inhaltsangabe geben. Unser grundsätzliches Interesse mit diesem Beitrag sehen wir weiterhin darin, daß überhaupt die Spannbreite des Themas bewaffneter Kampf ins Bewußtsein der (revolutionären) Linken sickert. Wir haben uns immer an Aussagen nach dem Motto „den bewaffneten Kampf im Vorbeigehen mal mitdiskutieren“ gestoßen. Das ist dieser Thematik und den möglichen Folgen der Aufnahme des bewaffneten Kampfes nicht im Geringsten angemessen. Noch verwegener ist die generelle Verdammung einer „Diskussion über Liquidierung“. Die Autonomen Gruppen „(halten) allein schon ein strategisches Nachdenken (über Liquidierung, Anm. mg) in diesen Zeiten für völlig verfehlt.“ Wir haben in anderen Beiträgen bereits Einiges über Taktik, operative Kunst und Strategie ausgeführt. Nur soviel: ein „strategisches (!) Nachdenken“ verlangt qua Definition, jederzeit alle zur Verfügung stehenden klandestinen Optionen zu berücksichtigen. Auch in taktischer Hinsicht gab es Anfang der 90er Jahre eskalierte Situationen, wir denken hier an die Pogrome von Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen, wo das Thema Bewaffnung akut, ja existenziell wurde: „Ich glaube, wenn jemand zehn Schrotflinten auf den Tisch gelegt hätte, wäre die Hälfte von uns losmarschiert und hätte den Mob auseinandergejagt, auch wenn wir danach jahrelang in den Knast gewandert wären“ (A.G. Grauwacke: Autonome in Bewegung). Auch Autonomen ist die Option eines situationsbedingten Einsatzes von Schusswaffen als politische Praxis nicht total unbekannt. Wir möchten die von Euch gestellte Frage mehr dazu nutzen, verständlich zu machen, warum die Frage des bewaffneten Kampfes „automatisch“ erfolgt. Dafür holen wir uns „prominente“ Unterstützung. Auch wenn es dem/der einen oder dem/der anderen auf den Wecker fällt mit unserem Herumzitieren; wir haben trotzdem ein Zitat von Amilcar Cabral, dem „Che Guevara Afrikas“ gegen den portugiesischen Kolonialismus ausgewählt. Dieses befasst sich mit dem Kräfteverhältnis zwischen uns und der Staatsmacht, auch wenn wir es auf unsere westeuropäischen Verhältnisse übersetzen müssen: „Es gibt zwei Arten des bewaffneten Kampfes: den bewaffneten Kampf, in dem die Menschen mit leeren Händen, unbewaffnet kämpfen, während die Kolonialisten bewaffnet sind und unser Volk töten, und den bewaffneten Kampf, in dem wir beweisen, daß wir nicht verrückt sind, sondern selbst die Waffen erheben, um gegen die kriminellen Waffen der Imperialisten zu „kämpfen“ (in: Die Revolution der Verdammten). Was soll damit ausgesagt werden? Zum einen, daß wir uns de facto permanent in einem „bewaffneten Kampf“ befinden, auch wenn wir „unbewaffnet“ sind. Wir sehen uns grundsätzlich mit dem Gewaltmonopol des Staates konfrontiert, und das heißt eine ganze Armada bewaffneter Organe steht zu jeder Zeit potentiell zum Ausrücken bereit. In bestimmten gesellschaftspolitischen Situationen wird das Potentielle mal mehr und mal weniger häufig konkret. Ein Beispiel aus der sehr jungen Vergangenheit: vor einigen Wochen wurde von einem Streifenbullen, als sich radikal-PlakatiererInnen dem Zugriff verweigerten, mit der Dienstwaffe in die Luft geballert. Wir propagieren jetzt nicht, nur noch „bewaffnet“ Plakatieren zu gehen – Blödsinn. Wir sehen in diesem kleinen Beispiel aus dem politischen Alltag der revolutionären Linken nur eine faktische Bestätigung des von uns eingebrachten Zitats. Zum anderen kann eine Waffe demnach nur eine Waffe des Kampfes um Befreiung sein, solange wir über solche verfügen. Dabei denken wir hinsichtlich von Waffen über die die enge Kategorie von Schusswaffen o.ä. durchaus hinaus. Wir halten es für eine verquere gedankliche Konstruktion davon auszugehen, daß a) die repressiven Staatsapparate (Althusser) nicht in vollem Umfang in einer brisanten Lage für die herrschenden Eigentums- und Verteilungsordnung mobilisiert würden, und b) sich der bewaffnete Kampf unsererseits, wenn die Zeit „reif“ für ihn sei, kurzfristig improvisieren ließe. Die inhaltlichen praktischen, logistischen, organisatorischen Hauptfragen des bewaffneten Kampfes lassen sich nicht während der Konfrontation mit den repressiven Staatsapparaten lösen, sondern nur vor dem Waffengang. Das sind thesenartig unsere Ausgangspunkte, die uns dazu geführt haben, systematisch an die Frage des bewaffneten Kampfes und dessen Umsetzung heranzugehen. Wir wollen halt nicht zu den „Verrückten“ zählen ... Wir gehen von der simplen Grundthese aus, daß, bevor man schwerpunktmäßig eine Struktur für den bewaffneten Kampf schafft und ihn beginnt, eine Vergewisserung über seine vergangenen und aktuellen Erfahrungen und Erkenntnisse ansteht. In einem solchen Lernprozess befinden wir uns. Zu diesem Lernprozess gehört auch zu erkennen, daß spontaneistische Akte des „individuellen Terrors“ – wir erinnern da an den Mann mit der Panzermine unterm Arm, der schnurstracks ins Berliner Sozialgericht zieht -in der Regel Ausdruck von „Kurzschlusshandlungen“ sind. Wir setzen dagegen in unserem Spektrum auf einen koordinierten Umgang mit Methoden des bewaffneten Kampfes, ohne dem „individuellen Terror“ seine moralische und/oder politische Berechtigung absprechen zu wollen. Eine solche Auseinandersetzung ist also aus unserer Sicht, wenn man wie wir den bewaffneten Kampf gerade auch in den imperialistischen Zentren als „objektive Notwendigkeit“ setzt, eine logische Konsequenz revolutionärer Politik. Von daher ist eine gezielte Diskussion um „organisatorische Formate“ des bewaffneten Kampfes ((Stadt-)Guerilla oder Miliz) eine Vorbedingung der „Neu-Formulierung des bewaffneten Kampfes in der BRD“. Diese gezielte Diskussion und die daraus erwachsene Position, daß die Methode des bewaffneten Kampfes ein integraler Bestandteil revolutionärer Politik ist, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Beschaffung und vor allem das Erlernen des sicheren Umgangs mit Waffen, also eine Sache des Handwerks. Denn das friendly fire sollten wir unseren Feinden überlassen. Apropos „Feinde“, auch deren Waffen sollten wir kennen, gerade weil wir ihnen technisch-materiell rundweg unterlegen sind. Damit wir in etwa wissen, worauf wir uns einlassen. Auch wenn wir mit unserem „Miliz-Text“ bereits einige Konzepte präsentiert haben; es bleibt ein Ausschnitt. Wir haben in unserem Text sinngemäß geschrieben, daß wir sowohl bei Guerilla- als auch bei Miliz-Definitionen zum Teil auf mehr (Begriffs-)Verwirrung als auf (Begriffs-)Klarheit gestoßen sind. In einer weiteren Beschäftigung bspw. mit Milizmodellen der ELN oder FARC in den Großstädten Kolumbiens oder der Türkei/ Kurdistan finden wir Typen, die wir zwischen einer bewaffneten und einer militanten Struktur ansiedeln würden. Damit wollen wir nur darauf verweisen, daß wir noch gar nicht in der Lage sind, irgendetwas „offensichtlich zu favorisieren“. Entscheidend ist dabei auch nicht der von uns gewählte Verpackungsname (Guerilla oder Miliz), sondern wie wir ein „Format“ der bewaffneten Propaganda exakt inhaltlich definieren. Noch weniger halten wir davon, Aussagen über die „mittelbare Zukunft“ der Aufnahme des bewaffneten Kampfes anzustellen. Wir würden uns nur im Bereich der Spekulation bewegen. Da reicht aktuell unsere visionäre Kraft nicht aus. Außerdem gibt es ja den mahnenden Ratschlag: Wer (zu viele) Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Soweit sind wir glücklicherweise noch nicht.

11. Eure militanten Aktionen haben in den letzten zwei Jahren eine eindeutig sozialrevolutionäre Ausrichtung (Aktionen gegen Sozial- und Arbeitsämter, Unternehmen, Wirtschaftsinstitute) angenommen. Welche Rolle spielen die linken Debatten um Prekarisierung, Aneignung und Sub-Proletariat in Eurer Politik? Es finden sich in Euren Anschlagserklärungen und Texten verschiedene Anknüpfungspunkte zu den eben erwähnten Aspekten, aber eine ausgearbeitete Position konnten wir bisher nicht ausmachen.

Endlich mal Leute, die unsere Texte beinahe „studiert“ haben. Ihr habt recht, eine „ausgearbeitete Position“ oder gar eine Gesellschaftsanalyse läßt sich in unseren Beiträgen tatsächlich nicht dezidiert finden. Dieser „blinde Fleck“ ist nebenbei ein Manko der Militanzdebatte insgesamt. Es ist mehr eine Diskussion um die Techniken von Militanz als eine um deren gesellschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungsweisen. Dieses Faktum ist auch mehrfach in der Militanzdebatte benannt worden, nur hat sich niemand ernsthaft aufgemacht, dieses Problem zu beackern. Wir würden uns selbst absolut übersteigern, wenn wir alle inhaltlichen oder sonstigen Leerstellen im Alleingang beheben wollten. Das kann gar nicht unsere alleinige Aufgabe sein. Typisch ist, daß Gruppen, die auch eine militante Praxis verfolgen, in ihren Verlautbarungen selten bis nie über den Sachverhalt des angegriffenen Objektes bzw. einigen Aussagen zum Sinn und Zweck von Militanz hinauskommen. Der (Lenin’sche) Leitspruch „konkrete Analyse der konkreten Situation“ ist nicht gerade ein Steckenpferd militanter Gruppenstrukturen. Zu uns: Wir haben es bisher nicht geschafft, unseren sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatz auf kommunistischer Grundlage stimmig auszuformulieren. Im Rückblick auf die Militanzdebatte war es ein Fehler nicht mehr Intensität in gesellschaftsanalytische Abrisse gelegt zu haben. Denn hier hätte sich eine weitere gute Möglichkeit aufgetan, inhaltlich kontrovers zu diskutieren. Gerade das Wechselspiel eines Krieges nach außen und eines nach innen, d.h. die auswärtige militärische Aggression trifft oft mit einer sozialtechnokratischen Offensive in den eigenen Landesgrenzen zusammen, ist und war ein hervorstechendes gesellschaftspolitisches Merkmal des kapitalistischen Akkumulationsregimes. Es gibt einen Grund, neben dem, es bisher einfach nicht geschafft zu haben, der uns von einer solchen Mammutaufgabe etwas abrücken läßt. Vielen, die sich mehr oder weniger an der Militanzdebatte beteiligen, ist bereits jetzt schon Vieles „zu theoretisch und abstrakt“. Kaum auszudenken, wie viele die Schotten bei einer ins Detail gehenden Diskussion um Regulationstheorien (Fordismus, Post-Fordismus, Toyotismus etc.), Imperialismus-Typen und Kommunismus-Verständnisse dicht machen. Gut, vielleicht ist dann erst ersichtlich, wie realitäts- und vor allem praxisnah wir derzeit in der Militanzdebatte verfahren. Fakt bleibt aber, daß wir in der nächsten Zeit verstärkt gesellschaftsanalytische Bezüge innerhalb unserer Zusammenhänge klären müssen, die dann mehr sind als eine Aufzählung von Versatzstücken. Die Debatte um Prekarisierung, Deklassierung & Aneignung sehen wir für uns als orientierend an, wenngleich wir das an dieser Stelle nicht weiter auswalzen können.

12. Laßt uns noch eine abschließende Frage stellen: Seht Ihr in den (abgeflauten) Anti-Hartz-IV-Protesten weiterhin ein perspektivisches Interventionsfeld für eine revolutionäre Linke?

Hinsichtlich von Hartz IV als „perspektivisches Interventionsfeld“ lassen sich einige allgemeine Bewertungen aus der Statistik und Bewegungsforschung angeben, die nicht gerade optimistisch stimmen. Zwar rangieren die Bereiche „Arbeitslosigkeit“ und „wirtschaftliche Entwicklung“ in repräsentativen Umfragen auf den ersten Plätzen der die Menschen belastenden sozialen Probleme. Hartz IV hat allerdings seine zentrale Bedeutung eingebüßt und wird nur noch von wenigen Prozenten der Befragten als das drängendste gesellschaftliche Problem benannt. Statistik hin oder her; eines werden wir ob der gegen Null tendierenden „Anti-Hartz-Proteste“ nicht abstreiten können: dieses Thema fungiert nicht mehr als Kristallisationspunkt für eine soziale Bewegung. Jede soziale Bewegung braucht ein zündendes Moment, das, immer breitere Kreise der Gesellschaft erfassend, in seiner Eigendynamik allgemein als „Schicksalsfrage“ angesehen wird. Die Spirale des Sozialraubs kann sich offenbar noch weit nach unten drehen, der Gewöhnungseffekt trat doch zügiger ein als allgemein angenommen wurde, auch wenn es vereinzelt unter der Oberfläche brodelt. Insgesamt sind selbst viele der direkt Betroffenen zur Tagesordnung der Bittstellerei übergegangen. So schnell der kurze Sommer der „Anti-Hartz-IV-Bewegung“ auch vorüber war, wir hatten es mit einem Massenprotest zu tun, der alle Züge einer sozialen Bewegung trug, auch den, daß nach dem konjunkturellen Höhepunkt die ernüchternde Talsohle folgt. Aufschlussreich ist, daß diese Proteste fernab der (revolutionären) Linken in der ostdeutschen Provinz ihren massenartigen Ausgang nahmen. Zwar haben bereits Ende April 2003 die GenossInnen der Militanten Antiimperialistischen Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney – mit einem Anschlag auf ein Arbeitsamt Hartz IV in den Fokus sozialrevolutionärer Politik gerückt. Allerdings war es ohne eine vorher breit geschaffene gruppenübergreifende Basis nicht möglich, effektiv die Umsetzung von Teilen der Agenda 2010 zu stören. Hier zeigt sich einmal mehr, daß man ohne im Vorfeld entwickelte Grundlagen von der Realität überrascht werden kann. Wenn man sich aus dieser Schockstarre nicht lösen kann, wird man von dieser Realität nicht nur überrascht, sondern förmlich überrollt. Für uns als (revolutionäre) Linke blieb dann nur, den Anschluß an den fahrenden Zug nicht zu verpassen und aufzuspringen. Auch wenn das in Teilen gelungen ist, sind wir im Endergebnis eine Randerscheinung dieser sozialen Bewegung geblieben. Es ließ sich auch zu selten die Kluft zwischen militantem Agieren und dem Nicht-Verhalten „der BürgerInnen“ schließen. Trotzdem gab es Augenblicke, in denen sich ein gemeinsamer Widerstand zeigte. Wir wollen z.B. die Farbeieraktion auf die VW-Niederlassung im Laufe der Berliner 2. Oktober-Demo in Erinnerung rufen, bei der entschlossen der Bullenübergriff aus der „gemischten“ Menge heraus abgewehrt und zurückgeschlagen werden konnte. Leider eher Einzelfälle als die Regel. Was folgt aus einer solchen Lagebeurteilung? Widersprüchliches. Erstens läßt sich ein neues Aufleben des Anti-Hartz-IV-Massenprotestes, der von verschiedenen AkteurInnen prognostiziert wird, nicht herbeireden. Hartz IV scheint mit dem Stichtag 3.1.05 seine mobilisierende Kraft eingebüßt zu haben. Ein Aufflammen des sozialen Protestes scheint, wenn nichts Außergewöhnliches an sozialen Einschnitten bis zur Bundestagswahl mehr geschieht, in den kommenden Monaten sehr zweifelhaft. Zweitens hätten wir aber gerade jetzt im Zuge der eigentlichen administrativen Umsetzung von Hartz IV Interventionschancen, um den Ablauf zu blockieren und die chronische Überlastung des Verwaltungsapparates über die Schmerzgrenzen hinauszutreiben. Das ist aber mehr Wunschdenken als reales Durchsetzungsvermögen von unserer Seite. Durchsetzungsvermögen werden wir nur erlangen können, wenn in diesem Augenblick Strukturen (komplexer revolutionärer Aufbauprozeß) geschaffen werden, die uns in die Lage versetzen, die nächste soziale Eruption, die kommen wird, frühzeitig genug zu erkennen, um nicht ein weiteres mal hinterher traben zu müssen. Eines ist also sicher, der nächste soziale Krisenherd ist schon jetzt angerichtet. Das labile Gesundheitswesen (fehlende~ Versicherungsschutz, nicht behandelte Krankheiten als Normalfall für Millionen auch in der BRD, weiter steigende und nicht mehr zu tragende Gebühren etc.) könnte ein solcher kriselnder Sektor sein. Allerdings bedarf es dann auch hier einer Initialzündung, wie es geradezu beispielhaft Hartz IV war, um eine soziale Bewegung in Gang setzen zu können. Dieser Sektor ist natürlich nur einer, in dem die Prekarisierung um sich greift und perspektivische Interventionschancen liegen könnten. Weitere Interventionsfelder ergeben sich allgemein aus dem Kampf für eine klassen- und staatenlose kommunistische Gesellschaft. Ohne an dieser Stelle genaue Namen und Orte nennen zu können, geht es um die organisierte Gegenwehr gegen den Klassenkampf von oben, die neuen imperialistischen Hegemoniebestrebungen der BRD, die Klassenjustiz und das Zurückschlagen nazistischer Aktivitäten. Euch und uns werden Ziele einfallen ...

Das Interview wurde schriftlich geführt. An einigen Stellen, wo wir gerne nachgefragt hätten, konnten wir dies deshalb leider nicht tun. Die Auswahl der Bilder soll eine kritische Reflexion militanter Geschichte transportieren, die sich im Dreieck zwischen autonomer Kleingruppenmilitanz, Antiimps und Guerilla bewegt hat – ohne Heldenmythos, aber auch ohne eine bestimmte Form von vornherein zu verdammen.

Interview mit der militanten gruppe (mg), 2005