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April 2002 | Autonome Gruppen

Interim Nummer 549, 01. Mai 2002, Seite 22 bis 25

Tote tragen keine Karos

Autonome Gruppen antworten auf militante gruppe, autonome miliz und revolvutionäre aktion carlo guiliani.

Wir haben uns sehr über die Initiative der Gruppen mg (militante Gruppe), am, racg (revolutionäre aktion carlo giuliani) gefreut, eine – nennen wir es mal – militante Debatte zu eröffnen. Zu häufig versandeten die Ansätze in den letzten Jahren und auf Beiträge einzelner Gruppen wurde so gut wie nie eingegangen. Hier nun eine Antwort und ein Beitrag, der auch andere Gruppen anregen soll, sich zu äußern.

In der bisherigen Debatte vermissen wir vor allem zweierlei, eine realistische Analyse der Situation und konkrete Vorschläge. Wir halten die Debatte für relativ technisch und damit der Lage nicht angemessen. Aber was in unseren Augen nicht ist, kann ja noch werden. Wir schicken gleich voraus, dass auch wir den Stein der Weisen trotz intensiver Suche noch nicht gefunden haben. Vielleicht kommen wir ihm aber gemeinsam ein Stück näher.

Es gibt in der Debatte bisher wenig ausgearbeitete Positionen, an denen man sich reiben kann. Das meiste klingt glatt und abgeschliffen. Eine klare Richtung scheint es zu geben, es geht voran. Wir bezweifeln, dass die Dinge so einfach sind und sind der Auffassung, dass mit Konsenspapieren und gegenseitigen Lobhudeleien niemandem gedient ist. Beiträge, die so allgemein gehalten sind, dass sie zeitlich auch vor zwanzig oder mehr Jahren hätten geschrieben sein können, führen nur wenig weiter. Die aktuellen Bezüge sind oft sehr unkonkret. (Teilt ihr von der racg nun die Ablehnung der mg, sich auf Bewegungen zu beziehen oder ist euer Vorschlag für einen „Konsens unter Militanten“ als Positionierung dafür zu verstehen?)

Neben der beklagten Glätte haben wir natürlich auch Kritik an einzelnen Auffassungen. Sie soll sachlich und solidarisch sein, auch wenn mit Zuhilfenahme einer Goldwaage uns sicherlich nachgewiesen werden könnte, diesem Anspruch nicht immer gerecht zu werden. Es geht uns nicht darum, Positionen platt zu machen, sondern um eine Genauigkeit in der Auseinandersetzung. Die brauchen wir umso mehr, weil in unseren Kreisen jeder Fehler mehr wiegt als in anderen Bereichen linker Politik.

Wir denken, dass militante Initiativen überhaupt nur dann eine Chance haben wahrgenommen zu werden und eine Kontinuität entwickeln, wenn sie an öffentliche Projekte angebunden sind, also quasi als deren militanter Arm agiert wird. Dies hat zwar viel mit Abhängigkeiten zu tun, aber die Entkoppelung führt bestenfalls nur in die totale politische Isolation, schlimmstenfalls – wie bei der AIZ (Antiimperialistischen Zelle) – in eine wirre und abstruse Form der Praxis. Und die Abhängigkeit ist natürlich eine gegenseitige, denn wenn sich die politische Stossrichtung einer Kampagne weg von den eigenen politischen Überzeugungen entfernt, wird man sich sicher nicht daran beteiligen und militant intervenieren. Über Papiere und Erklärungen haben Militante jederzeit die Möglichkeit, politischen Einfluss zu nehmen, genauso wie umgekehrt.

Wir werden deshalb daran festhalten, uns im Wesentlichen auf bestehende Kämpfe und ihre Protagonisten zu beziehen. Dies ist nun mal in allererster Linie die vielgescholtene Szene, ob uns das gefällt oder nicht.

Andere Analysen sehen wir als völlige Verkennung der gegenwärtigen sozialen und politischen Verhältnisse an. Eine Hinwendung zu so genannten anderen „gesellschaftlichen Sektoren“ erscheint uns im Einzelfall durchaus sinnvoll, aber aktuell als Grundlage breiterer militanter Kampagnen völlig unrealistisch.

Ein gutes Beispiel für eine entsprechende Einbettung in den letzten Jahren ist die Verzahnung von Massenprotesten, Straßenwiderstand und gezielten oftmals koordinierten militanten Angriffen im Zusammenhang mit den Castortransporten. Auch wenn ihre politischen Begrenztheit und die Formen von Event-Politik zu kritisieren sind. Vielleicht, so kühne Hoffnungen, könnte sich die Antiglobalisierungsbewegung zu einem stärkeren Bezugspunkt entwickeln, an der Stelle, wo sie eine gesellschaftliche Diskussion über die Legitimität der totalen Vernutzung alles Lebendigen und aller Ressourcen auf dieser Welt entzünden will.

Den Weg – die militanten Zusammenhänge geben über ihre Praxis eine inhaltliche Linie vor, an der sich andere öffentlich arbeitende Gruppen orientieren können – sehen wir beim momentanen Kräfteverhältnis als nicht gangbar an. Auch nicht mit drei, vier oder fünf koordiniert vorgehenden Gruppen unserer Art. Derartige Initiativen drohen schnell zu versanden und damit zu scheitern.

Erst in den letzten Jahren hätte die RZ-Flüchtlingskampagne die Resonanz in der Linken, deren Nichterreichen eine RZ 1992 im Papier „Ende unserer Politik“ als Teil ihrer Niederlage festgestellt hatten. So gab es in den letzten Jahren eine Reihe militanter Interventionen im Flüchtlingsbereich. Das soll nicht heissen, dass nicht auch wir es für notwendig halten, die veränderte gesellschaftliche Situation zu begreifen und nach angemessenen Angriffspunkten zu suchen. Dazu gehört unseren Erachtens aber auch, möglichst nur noch neue Fehler zu machen: sich weder in der Suche nach dem revolutionären Subjekt noch in wohlstandschauvinistischer Selbstbezogenheit zu verlieren. Wenn ihr einen guten Vorschlag habt, auf welchem Weg wir den Herrschenden so richtig was vor den Latz knallen können, finden wir das voll klasse und werden uns bestimmt nicht beklagen, dass nicht alle gleichzeitig drauf gekommen sind. Aber so manche Idee finden wir so gar nicht vorne dran.

Die Diskussion über Liquidierung – allein schon ein strategisches Nachdenken - halten wir in diesen Zeiten für völlig verfehlt. Natürlich würde das Ableben eines bekannten Hamburger Senators auch bei uns für mehr als ein Lächeln sorgen, wir können aber darin keine Strategie erkennen, welche die (militante) Linke nach vorn bringt. Auch die RAF hat das längst erkannt und dies vor mittlerweile zehn Jahren in einer Erklärung benannt. Die RZ hat von Anfang klargestellt, dass Liquidierung nicht zu ihrer Praxis gehören. So wie die Verhältnisse zur Zeit sind, tragen Tote nichts aus, führen weder zu größeren Mobilisierungen, noch stärken sie die Linke. Sie bringen uns einer befreiten Gesellschaft nicht einen Zentimeter näher und deshalb denken wir auch nicht ansatzweise darüber nach, unsere Praxis so zu erweitern.

Durch alle Papiere zieht sich die Frage nach einer Kontinuität nicht nur der Aktionen, sondern auch des die Erklärung unterschreibenden Zusammenhangs. Die aufgeworfenen Fragen sind aber unserer Meinung bisher nur zum Teil benannt. Alle militanten Gruppen mit Ausnahme der RAF hatten die Vorstellung der Vermassung ihrer Aktionsformen. Wir befürchten, dass mit zunehmender Vereinheitlichung der Unterschriften die Konsumierbarkeit und Distanz zu solchen Aktionen zunehmen könnte. Bei einigen könnte das Gefühl entstehen, dass mensch ein ungeheurer Spezialist sein muss, um so etwas praktisch umsetzen zu können, bei anderen die Vorstellung, warum denn selbst aktiv werden, dafür gibt es doch die Organisation xy, welche das schon machen wird. Die Gefahr ist jedenfalls groß, dass die eigene Hemmschwelle nichtüberwunden wird. Wir sind auch der Meinung, dass mit der gewünschten erkennbaren Kontinuität die Gefahr einer leichteren Identifizierung durch die Ermittlungsbehörden steigt. Desweiteren sind wir skeptisch, ob unsere Zusammenhänge auf Dauer diesem Druck gewachsen wären.

Diesen Zwiespalt überbrücken seit Jahren viele, indem sie sich Autonome Gruppen nennen. Dieser Idee könnten sich im Grunde noch viel mehr militante Linksradikale anschließen, denn es gibt weder eine Hierarchie der Mittel, noch der verschiedenen Niveaus. Ein Copyright schon gar nicht: Alle sind Autonome Gruppen! Ein unmittelbares Kennen der anderen ist zum Gebrauch des gleichen Namens nicht notwendig. Je mehr Zusammenhänge diesen Namen benutzen, um so größer auch der Schutz für die anderen. Die Idee Autonome Gruppen heisst auch nicht, dass lediglich Anschlagserklärungen so unterzeichnet werden können. Auch Diskussionspapiere, Demoaufrufe und vielerlei Initiativen mehr sind Teil davon. Dies ist die logische Folge des Prinzips der Hierarchielosigkeit der Aktionsformen, auch wenn wir das nicht durchgängig so sehen. Aber nach wie vor gilt, dass militante Interventionen nur ein Mittel linksradikaler Politikformen unter vielen sind. Dieses Mittel muss auch immer wieder genau diskutiert und eingesetzt werden, wobei diese Genauigkeit sich auch auf den Einsatz des konkreten Mittels bezieht. Manchmal können kaputte Fensterscheiben politisch mehr bewirken als ein Sprengsatz.

Autonome Gruppen sehen wir allerdings auch nicht als ein völlig beliebiges Sammelbecken politischer Aktionen. Das Prinzip der Offenheit allein ist ja noch keine politische Bestimmung. Wir sehen in der Praxis und den Erklärungen Autonomer Gruppen schon ein gewisses politisches Profil und Verständnis, das sich mit den Jahren entwickelt hat (und sich auch weiterentwickeln muß), was auch in der Öffentlichkeit sichtbar geworden ist.

Wir glauben und hoffen nicht, dass es durch die Verwendung von „Markennamen“ ein erhöhtes Interesse für unsere Erklärungen gibt. Denn wenn das so wäre, würde es zwar viel über diejenigen sagen, die dieses erhöhte Interesse hätten, aber nichts über die Qualität des Inhaltes. Es wäre lediglich Ausdruck einer Autoritätsfixiertheit, wonach Papiere von xy eben gelesen und diskutieren werden müssen. Wir glauben schlichtweg, dass viele Erklärungen (auch die unsrigen) aus gutem Grund kaum wahrgenommen und diskutiert werden, weil wir oft wenig und kaum Neues zu sagen haben. Es wäre fatal, wenn dieses Wenige aufgrund eines Markennamens erhöht werden würde. Militante Gruppen haben keinen Anspruch, inhaltlich ernster genommen zu werden, als alle anderen. Wenn ein Papier inhaltlich schlecht oder nichts sagend ist, wird es nicht aufgrund einer damit verbundenen Aktion auf einmal gut.

Allerdings sollte die Aktion im Wesentlichen sowieso für sich selbst sprechen. Auch über neue Wege der Vermittlung wäre weiter nachzudenken.

Die Linke in diesem Land ist so schwach wie seit Jahren nicht mehr. Das System steht momentan noch nicht einmal vor einem Legitimationsproblem. Konsum, der Fetisch des Geldes, das Patriarchat, Militarismus und vieles mehr feiern fröhlich ein Comeback oder erfreuen sich verschärfter Beliebtheit. Sie werden von keiner relevanten gesellschaftlichen Gruppe in Frage gestellt. Rassismus ist eine ebenso schlimme Realität wie das Anerkennen von Herrschaft und Ausbeutung als eine Art Naturgesetz. Die Linke – die es so auch nicht gibt – ist auf sich selbst zurückgeworfen.

Hier stellt sich die Frage, was militante Politik überhaupt leisten kann. Die racg zitieren die RZ mit der Äußerung, dass gut ist, was die Bewegung weiterbringt, bzw. die Widersprüche verschärft. So richtig wir das finden, aber Ausgangspunkt dafür muss klar sein, zu kapieren, was diese „Widersprüche“ heute überhaupt sind. Dazu sollte auf die Analysen von 1981 schon mal ein Blick von 2002 geworfen werden. Die sozialen Bewegungen, die damals gerade mal im Entstehen begriffen waren gibt es nicht mehr. Die Demaskierung des Systems, die seinerzeit Tausende mobilisierte, lockt in ungeschminkten Verhältnissen keinen Hund mehr hinterm Ofen vor. Auf den formulierten Ansprüchen einer Gesellschaft baut das „mit dem Widersprüche verschärfen“ aber auf, soll nicht stumpfeste Verelendungstheorie verbreitet werden. Um den gegenwärtigen Modernisierungsschub soweit zu analysieren, dass Angriffe zu nicht zu ignorierbaren Treffern werden, brauchen wir noch eine Menge Diskussion.

Wenn es um gemeinsame Stossrichtungen gehen soll, ist die öffentliche Ebene unverzichtbar. Militante Aktionen und öffentliche Veranstaltungen ergänzen und verzahnen sich und erhöhen so den Druck auf den Gegner. Natürlich nur punktuell an bestimmten Fragen und Projekten, aber immerhin. Ein Erfolg an einem Punkt bedeutet immer auch, dass zumindest eine Option auf einen revolutionären Prozess besteht. Eine militante Praxis, eingebettet in öffentliche Kampagnen, macht auch den dort arbeitenden AktivistInnen klar, dass es politische Initiativen jenseits des Flugblattverteilens gibt. Die Aktionen bekommen eine Ausstrahlung und lassen die Herzen aller Beteiligter höher schlagen. Die Einbettung sorgt für einen politischen Schutz der militanten Aktion und ihrer ProtagonistInnen. Was politisch nicht eingebettet und damit isoliert ist, läßt sich auch von der Form her von interessierter Seite leichter diskreditieren.

Nicht zuletzt deshalb denken wir, derzeit nur die kleinen Machtfragen stellen zu können. Das ist gar nicht so wenig in einer Zeit, in der die Herrschenden zu verstehen geben, dass Krieg zwar ziemlich scheisse ist, die Natur weiter zerstört wird und die Armen bald noch ärmer oder tot sein werden, ABER dass es keine Alternative dazu gäbe. Wenn nicht einmal mehr eine noch so entfernte technokratische Hoffnung für alle Menschen geboten wird, kann jede kleine Aktion zeigen, dass wir auch anders können. Oder um es mit den Worten zu sagen, die im Revolutionären Zorn Nr. 6 auf besagten Vorschlag eines Netzes autonomer Gruppen folgen: „Es geht uns – platt gesagt – zunächst und vor allem um die Zersetzung des Fundamentes von Herrschaft, nämlich Ohnmacht, also um die Veränderung der Menschen und nicht darum den Staat zu kippen.“

Wir sehen reichlich Grautöne zwischen dem Weißen und dem Schwarzen. Die Fragen sind zahlreich, auch ihr habt einige aufgeworfen, obwohl eure nicht unbedingt die unseren sind. Aber solidarisch geführte Diskussionen stärken uns alle. Daher sind auch wir immer an Vernetzungen militanter Gruppen und gemeinsamen strategischem Vorgehen interessiert. Lasst uns konkrete Ziele diskutieren. Aber nur in einer praktischen militanten Debatte werden wir rausbekommen, ob wir uns auch politisch nahe sind, oder nur ähnliche Politikformen praktizieren.

Autonome Gruppen, April 2002